Bezogen auf die Jahre seit 1990 muß man feststellen, daß Hamburg nicht in dem Umfang, wie wir uns das alle gewünscht hätten, die Chancen, die sich aus der deutschen Einheit und dem Zusammenwachsen Europas ergeben haben, genutzt hat. Das hätten wir dringend gebrauchen können.
Im Zentralitätsvergleich, den die Handelskammer angestellt hat, hat Hamburg von 42 untersuchten Merkmalen einen Spitzenplatz nur in sechs Bereichen, und zwar in den eher unwichtigen Bereichen, nämlich den Beschäftigtenzahlen bei Handel und Verkehr
und den Beschäftigtenzahlen mit Berufsausbildung – das ist ein wichtiges Kriterium. Hamburg hat gleichzeitig aber einen negativen Platz bei den Beschäftigtenzahlen der hochqualifizierten Menschen. Das ist hochgefährlich, da die Menschen zwar möglicherweise eine Ausbildung in Hamburg machen, sie dann aber keine Anschlußjobs haben.
Vorne ist Hamburg bei den Besuchern der Staatstheater und der privaten Theater – da sind wir schon bei vier von sechs Bereichen – und – das halte ich allerdings für wichtig – beim Sitz der 500 größten Unternehmen in der Bundesrepublik. Das ist aus meiner Sicht ein deutlich höher zu bewertendes Kriterium als das, was die Kammer auch angeführt hat, nämlich zu fragen, wie viele Unternehmen mit DAX-Notierungen wir in Hamburg haben; da haben wir überhaupt keines.Aber mir ist wichtiger, möglichst viele von den 500 zu haben als eines von den 30 DAX-Unternehmen.
Das bedeutet aber auf der anderen Seite, daß wir keine bedeutenden Technologieunternehmen in Hamburg haben. Stuttgart wird identifiziert mit „Technologiestandort“, Frankfurt wird identifiziert mit „Finanzstandort“, Hamburg wird mit nichts identifiziert.
Meine Damen und Herren! Die Orientierung geht in Zukunft in Deutschland nach Berlin. Ich halte es für wichtig, daß Hamburg seine Metropolfunktion dadurch, daß es diese Verbindung nach Berlin hat – wir sind ja jetzt näher an der Hauptstadt als vorher –, nutzt; die Wirtschaft tut es. Martin Willich hat in der letzten Woche dazu etwas gesagt. Diese Vorteile werden aus meiner Sicht nicht genutzt. Herr Senator, Sie hätten zum Beispiel deutlicher das Signal von Herrn Koch an einer Beteiligung Hamburgs am Transrapid aufnehmen müssen als durch die Entsendung eines mittelprächtigen Beamten zu einer solchen Zusammenkunft.
(Beifall bei der CDU – Dr. Martin Schmidt GAL: Das Thema kann ja wichtig sein, aber nicht der Re- debeitrag von Herrn Ehlers!)
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Studie der Handelskammer attestiert lediglich Mittelmaß für Hamburg. Der CDU fehlt in dieser Woche offensichtlich die Zeit zum Nachdenken. Deswegen will ich auf sie auch nicht weiter eingehen, sondern mich unmittelbar mit der Studie der Handelskammer auseinandersetzen.
Die Studie ist leider nicht Mittelmaß, sondern überwiegend schlecht. Ich will das an vier Punkten begründen, aber den ersten und wichtigsten Satz aus dieser Studie zitieren. Er sollte fett gedruckt werden – ich zitiere –:
„Die Metropolregion Hamburg ist attraktiver Kristallisationskern im Norden Deutschlands mit nationaler und internationaler Ausstrahlung.“
Unterschriften Schües, Präses der Handelskammer, und Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer.
Dann folgen sehr schöne Grafiken, zu denen man der Kammer nur Komplimente machen kann, wie gut sie Broschüren gestaltet, aber es kommen schlechte Argumente.
Erstens: Hamburg hat den mit Abstand größten Beschäftigungszuwachs im Bereich sonstiger Dienstleistungen, Medien und Werbung. Hamburg ist unter anderem durch den Hafen Außenhandelsmetropole. Das wird in der Studie schlicht nicht behandelt, es kommt nicht vor. Bedeutung wird an der Qualität der Autobahnen und der Zahl der Konzernzentralen gemessen. Das ist, zugegeben, nicht unwichtig, aber angesichts von Datenautobahnen und der Bedeutung von Klein- und Mittelbetrieben für das Wachstum in dieser Stadt und in anderen Metropolregionen ist es schlicht eine schlechte Analyse, weil sie nicht auf diese Faktoren eingeht, die die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ heute prägt.
Zweitens: Der Bericht entdeckt das Kriterium der räumlichen Zentralität als Wettbewerbsfaktor zwischen den Regionen.Dabei liegt Frankfurt wegen seiner Lage in der Mitte Deutschlands und wegen seines Flughafens an der Spitze. Die Reisezeiten, sagt die Studie, zu deutschen und europäischen Städten sind die kürzesten. Donnerwetter, kann man da nur sagen, darauf wäre man auch nach langem Nachdenken und zeitaufwendigem Ausprobieren nicht gekommen. Die Zentralität in der Mitte Deutschlands verursacht das in der Tat.
Aber eine Analyse der ökonomischen Bedeutung von Wettbewerbsfaktoren und was sie beeinflussen, fehlt, denn dann hätte man sich damit auseinandersetzen müssen, daß im Hinblick auf die Zentralitätsfaktoren München die schlechtesten Werte hat, aber mit Abstand die besten Werte bei der Bruttowertschöpfung und der Kaufkraft. Also sind es wohl andere Faktoren, die den Wettbewerb zwischen den Faktoren bestimmen. Herr Ehlers hat das schon angesprochen, aber keine Schlußfolgerungen daraus gezogen. Es ist der Technologiegehalt der Produkte oder der Forschungsanteil am Umsatz der Unternehmen. Sie sind Faktoren, die die Innovationskraft erklären und abbilden, aber diese Fragen werden in der Studie der Handelskammer gar nicht erst gestellt.Sie wären es aber wert gewesen, untersucht zu werden, weil dann nämlich auch Teil der Ana
lyse die Defizite der Hamburger Unternehmen hätten sein müssen. Die Betriebe bestimmen immer noch Bruttowertschöpfung und Produktivität. In einem weit geringeren Maße sind die Rahmenbedingungen durch Bürgerschaft und Senat gestaltbar.
Drittens: Der Kammerbericht stellt fest, daß Hamburg im Vergleich zu anderen Stadtregionen den niedrigsten Akademikeranteil hat. Auch das hat Herr Ehlers bemerkt, aber nichts daraus geschlossen. In der Studie steht zumindest, daß das nicht am Angebot der Arbeitskräfte liegt, sondern daran, daß die Unternehmen sie nicht nachfragen.
Haben denn die Hamburger Unternehmen Strukturen geschaffen, die sie wirklich fit für die Zukunft machen? Hier hüllt sich sowohl die Kammer als auch die Studie in Schweigen. Nicht alles, was wünschenswert ist, zum Beispiel eine Infrastruktur wie der Transrapid, kann auch bezahlt werden; so lapidar muß man das feststellen. Aber die Kammer macht es sich schlicht zu einfach, wenn sie mit Verweis auf fehlende Straßen oder eine bessere Infrastruktur den Königsweg zu Wettbewerbsvorteilen im Kampf der Metropolen sieht.
Der wesentliche Nachteil dieser Studie ist, daß die Kammer nur vor der Rathaustür fegt und nicht fragt, was sie denn selbst tun kann, um als Vertretung der Wirtschaft mit ihren Mitgliedsorganisationen im Wettbewerb der Metropolen zu mehr Innovationskraft beizutragen, und das ist schade.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Hajen, wenn es wenigstens so wäre, daß die Kammer vor ihrer eigenen Tür fegen würde; nicht einmal das tut sie.
Zum Glück hat sie auch nicht die Definitionsmacht über das, was eigentlich eine Metropole und Metropolfunktion ausmacht.
Die Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Bericht der Handelskammer finde ich gar nicht richtig spannend, ich hatte allerdings ein bißchen Freude am theoretischen Ansatz. Auch ich hatte das Vergnügen, mich einmal mit den Grundlagen von Stadt- und Regionalplanung beschäftigen zu dürfen. Die Theorie der zentralen Orte der Herren Christaller und Lösch, was sich sozusagen historisch daraus ableiten und erklären läßt, ist spannend ohne Ende. Aber daß man Zentralitätsmerkmale gleichgewichtig nebeneinander setzt – Herr Ehlers, das haben Sie auch gemacht, indem Sie sagen, lediglich sechs von 42 Kriterien...
(Karl-Heinz Ehlers CDU: Und noch nicht einmal die wichtigsten, habe ich gesagt; also habe ich bewer- tet!)
Noch nicht einmal die wichtigsten, aber sehr mühsam an den Haaren herbeigezogen, so einfach geht das nicht.
Auch wenn das für eine Vertreterin der GAL-Fraktion an dieser Stelle ungewöhnlich zu formulieren ist: Es steht mittendrin der kleine Satz, daß leider das spezifische Gewicht des Hafens, die Rolle im Ostseeraum insgesamt, nicht bewertet worden ist, weil sie nicht in den Katalog der Zentralitätsmerkmale paßte.Wie unangenehm, aber wie relativ ist dadurch auch die Gesamtaussage dieser Studie.
Viel entscheidender als das Abarbeiten der einzelnen Kriterien, obwohl ich das auch getan habe – ich habe auch vier Beispiele, andere als Herr Hajen, vielleicht führe ich sie gleich noch an –, finde ich das, was durch die Aussagen in dieser Studie in die Stadt transportiert wird.
Wir haben schon einmal darüber geredet, wie wichtig die Stimmung in dieser Stadt für wirtschaftspolitische Überlegungen, für Ansiedlungen, für Umstrukturierungen, für Erweiterungen et cetera, für die Lust am Investieren in Hamburg ist, und hier zerredet die Handelskammer ihren eigenen Standort.
Die Handelskammer nimmt mal wieder ein allgemeines politisches Mandat gegen Rotgrün wahr, anstatt den eigenen Standort mit aufzubauen und die Politik in Hamburg zu unterstützen, unabhängig von inhaltlichen Differenzen.Wir können immer wieder über Transrapid reden, wir können auch immer wieder über eine Straße hier oder über die Vision von Herrn Schües an Silvester eines kreuzungsfreien Ringes 3 – oder wie viele sollten es im Jahr 2030 in Hamburg sein – reden. Da kreist der Verkehr dann immer drumherum, und in der Stadt kommt gar nichts mehr an. Darüber können wir gerne reden, aber wir wollen den Standort nicht kaputtreden.
Ich bringe meine vier Punkte noch, weil ich vor allem einen Aspekt interessant finde. Unter der Überschrift „Veränderung der Bruttowertschöpfung“ stellt die Studie vor allem die Ballungsräume Frankfurt, Stuttgart, München, Köln, Bonn und Berlin gegenüber. In den Jahren 1980 bis 1992 waren Frankfurt, Stuttgart und München prozentual in der Veränderung besser als Hamburg, in den Jahren 1992 bis 1996 ist lediglich München besser. Fazit der Handelskammer: Hamburg hat sein Ziel nicht erreicht. Solche „Bewertungen“ können wir gebrauchen! Sie sind für nichts hilfreich außer der Bestätigung der eigenen Vorurteile, die die Handelskammer immer hat.
Die Zahl der Patentanmeldungen ist der Handelskammer wichtig. Kreativität und Erfindergeist einer Stadt kann man tatsächlich durch so etwas ausdrücken, aber doch nicht durch die Zahl, sondern durch die Inhalte der Anmeldungen, und über die Inhalte wird nichts gesagt. Es wird eine Zahl abgearbeitet, und das hilft nicht einen Schritt weiter.