Protocol of the Session on February 2, 2000

Die Zahl der Patentanmeldungen ist der Handelskammer wichtig. Kreativität und Erfindergeist einer Stadt kann man tatsächlich durch so etwas ausdrücken, aber doch nicht durch die Zahl, sondern durch die Inhalte der Anmeldungen, und über die Inhalte wird nichts gesagt. Es wird eine Zahl abgearbeitet, und das hilft nicht einen Schritt weiter.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr Hackbusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen wollen, hat zwei Seiten, mit denen wir uns beschäftigen sollten. Die eine Seite ist die ernsthafte Diskussion darüber, was gut für diese Metropole ist, und die zweite ist schon richtig angefangen worden, nämlich die Diskussion über die Handelskammer und ihre Institutionen, was sie in den letzten Monaten und Jahren gemacht hat.

Zu allen Anregungen, die die Handelskammer schon weit verbreitet hat und die die CDU wieder so gerne hier in die Bürgerschaft einbringt, scheint es mir wichtig zu sein, auf einen Vortrag von Saskia Sassen hinzuweisen, der letzte

Woche auf Einladung des Senats stattgefunden hat. Diese anerkannte Spezialistin für Metropolen in dieser Welt hat aufgezeigt, wie man in der Lage ist, in dieser Konkurrenz eine Metropole zu einem lebendigen Faktor zu machen.

Ich möchte zwei Sachen, auf die sie hingewiesen hat, noch einmal deutlich unterstreichen. Sie hat gesagt – das finden wir in dieser Stadt auch wieder, die Handelskammer kommt gar nicht auf die Idee, sich so etwas anzugucken –, daß wir ein Klima von anarchischen, unruhigen, aufgeregten, ein bißchen vergammelten Stadtteilen brauchen, um in der Lage zu sein, uns den Aufgaben der Zukunft wirklich widmen zu können – eigentlich eine merkwürdige Aussage. Aber wenn man sich das genau anguckt, merkt man, daß so etwas wie das Schanzenviertel in der Lage ist, gerade in den neuen Medien kleine Unternehmen zu präsentieren, daß dort wirklich die Innovation und die neue frische Kraft sitzt, die in der Lage ist, in dieser Welt aktiv auftreten zu können, und so sollte man gerade auf solche Stimmen hören und achten.Die Handelskammer scheint zu so etwas nicht in der Lage zu sein, sondern bekämpft solche Ansätze. Das paßt nicht in ihr merkwürdiges Imagebild, die Wissenschaft will sie an diesem Punkt nicht hören.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei der GAL)

Zweitens hat uns Frau Sassen gesagt, daß die Städte viel kräftiger seien.Sie müssen sich diesen internationalen Unternehmen und Konzernen nicht immer unterwerfen, sondern können durchaus Forderungen stellen. Sie hat als Beispiel Boston genannt, wo man in der Lage war, einen dort ansässigen Betrieb aufzufordern und auch zu erreichen, daß er sozialen Wohnungsbau mit finanziert. Das ist auch eine wichtige Anregung für diese Stadt, ein Moment, über das die Handelskammer überhaupt nicht nachdenkt. Die wichtigen international renommierten Professoren will sie auch dazu nicht hören.

Wichtig ist natürlich auch, daß die Handelskammer in vielen anderen Sachen mittlerweile vollkommen aus dem Ruder läuft und ich nicht mehr akzeptieren kann, daß wir relativ kritiklos in dieser Bürgerschaft mit diesem Verein umgehen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Sie fordert in den letzten Jahren immer wieder den Transrapid, daß er das Entscheidende und Wichtige sei, und leider kommt dieser Senat im wesentlichen dem auch noch nach; das ist eine absolute Fehlorientierung. Die Bahnverbindung von Hamburg nach Berlin ist deshalb so katastrophal, weil man sich nur auf diesen Transrapid konzentriert, sich nichts anderes mehr anguckt und von daher auch nicht mehr in der Lage ist, die Aussagen des Bahn-Chefs, daß die Verbindung nach Berlin genauso schnell mit der normalen Bahn wie mit dem Transrapid laufen könnte, wahrzunehmen.Die Handelskammer ist ideologisch verblendet.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die Handelskammer nennt auch nicht mehr die Ursachen der Hauptsubventionierung in Hamburg, jedes Jahr 500 Millionen DM für den Hafen. Natürlich streicht sie das genüßlich für ihre Klientel ein, sie diskutiert es nicht mehr kritisch, sie weiß gar nicht mehr, ob das eigentlich für diesen Bereich noch vernünftig ist. Gerade in diese Studie hätte das hineingepaßt.

Als letztes möchte ich in dem Zusammenhang noch die unsägliche Veranstaltung mit Bundeskanzler Kohl vor zwei Wochen erwähnen. Herr Schües, Präses der Handelskam

(Antje Möller GAL)

mer, hat gesagt, sie seien doch sehr kritisch gewesen. Er bekam extra in der „Welt“ die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. Er sagte, wir sind doch sehr kritisch gewesen, wir haben Kohl nicht eingeladen als Heiligen, sondern als denjenigen, der einmal eine wichtige Rolle gespielt hat;das ist die ganze Kritik. Verdammt noch mal, diese Handelskammer hat ebenfalls die Aufgabe, ihre Rolle und die Rolle der Unternehmen, die in diesen unsäglichen Spendenskandal gegenwärtig verwickelt sind, kritisch zu hinterfragen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Elisabeth Schilling SPD)

Es darf nicht so sein, um auch einmal die CDU zu verteidigen, daß nur die CDU am Pranger steht, sondern diejenigen, die praktisch diese Spendenpraxis initiieren, gehören auch mit in die Verantwortung. Dazu gehört auch eine selbstkritische Stimme der Handelskammer, und ich hoffe, daß Sie von der CDU diese auch einfordern.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke, bei der GAL und bei Elisabeth Schilling SPD)

Das Wort hat Herr Senator Dr. Mirow.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die erste Frage, die sich mir stellt, ist, ob es im Prinzip vernünftig ist, daß die Handelskammer einen solchen Vergleich durchführt, sozusagen ein Benchmarking der Regionen macht. Darauf lautet meine Antwort eindeutig Ja, ich halte das für richtig, denn Regionen stehen zueinander in einem Wettbewerb wie Unternehmen auch. Deswegen ist es gut, sich über Stärken und Schwächen im klaren zu werden.

Die zweite Frage lautet: Hat man das richtig gemacht, hat man die richtigen Kriterien herangezogen? Dies würde ich nur noch mit Einschränkungen bejahen. Abgesehen von dem, was Herr Hajen genannt hat, will ich versuchen, das an einem Punkt deutlich zu machen. Als ein Zentralitätsmerkmal wird die Einwohnerdichte genannt.

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Ja, das ist überraschend!)

Es wird hingegen nicht die Beschäftigtenentwicklung genommen. Bei der Beschäftigtenentwicklung ist aber festzustellen, daß Hamburg im Vergleich zu den betrachteten Regionen mit einem Zuwachs von 12,7 Prozent im Zeitraum zwischen 1985 und 1995 am günstigsten abschneidet vor München mit 9,5 Prozent, vor Stuttgart mit 4,7 Prozent, vor Frankfurt mit 9,5 Prozent und vor Köln mit 5,2 Prozent. Das heißt, bei den Kriterien gibt es mindestens Diskussionsbedarf.

Die dritte Frage lautet: Ist die Art und Weise, wie es gemacht worden ist, richtig? Und da habe ich wiederum Zweifel, denn mir erschließt sich, offen gesagt, nicht der Sinn, warum ein solches Benchmarking, das eine unternehmensinterne Möglichkeit ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wo man steht, in die schönen Sprachen Englisch, Chinesisch, Japanisch und Türkisch übersetzt wird, um möglichen Investoren in diesen großen Regionen deutlich zu machen, wie mittelmäßig Hamburg ist. Das finde ich nicht besonders klug.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Erhard Pumm SPD: Das ist der neue Patriotismus!)

Die vierte Frage: Zieht man aus der Studie die richtigen Schlußfolgerungen? Da liegt allerdings mein zentrales Problem. Auf Seite 18 der Studie sagt die Handelskammer:

„Die größten Chancen der Region Hamburg liegen in seiner überregional und international ausgerichteten Handels- und Verkehrsfunktion mit dem Seehafen als zentralem Lebensnerv.“

Das halte ich für falsch. Das ist ohne Zweifel ein sehr wichtiger Punkt, lieber Herr Hackbusch, aber daß das die zentrale Perspektive für die Stadt ist, kann man spätestens seit der Übersee-Club-Rede von Klaus von Dohnanyi im Herbst 1983 so nicht mehr sagen. Die seitdem eingetretene Entwicklung widerlegt diese These sehr klar.

Hamburgs Chancen liegen heute in der Breite dessen, was wir an Wertschöpfungsketten anzubieten haben, liegen sehr stark in Bereichen wie Medien, wie den unternehmensbezogenen Dienstleistungen und den technologieintensiven Industrien, und die müssen wir mindestens gleichberechtigt befördern und unterstützen.

Lassen Sie mich einen Punkt zum Schluß sagen. Ich habe mir vor einigen Tagen das Vergnügen gemacht, die Übersicht der Neuzugänge an die deutsche Börse im Jahre 1999 nach dem Standort der Unternehmen auszuwerten. Von den 50 dort aufgeführten Unternehmen, die in den regulären und in den Neuen Markt gegangen sind, stammen 24, also knapp die Hälfte, aus den Regionen Berlin, Hamburg, München und Köln/Düsseldorf.Die Zahl der Herkunftsorte ist: München zehn Unternehmen, sehr stark auch mit technologieintensiven Unternehmen, Hamburg sieben, Köln und Düsseldorf zusammen vier und Berlin drei. Das finde ich eine sehr beachtliche Entwicklung, die zeigt, daß wir in den Bereichen, in denen wir gegenwärtig wirklich befördernd und unterstützend etwas tun können, eine Entwicklung bekommen, die bezogen auf die zukünftigen Möglichkeiten der Stadt durchaus vielversprechend erscheint.

Unter dem Strich: Ich finde es richtig, eine solche Vergleichsstudie anzufertigen, ich finde es sinnvoll, darüber zu diskutieren, ich halte es für falsch, das mit einem Odium zu tun, das haben wir nicht nötig, Hamburg ist so gut, es muß sich dem Vergleich nicht stellen. Aber wenn wir miteinander diskutieren, müssen wir auch diskutieren, ob wir die richtigen Punkte am Wickel haben, und wir sollten dabei immer bedenken, daß die Diskussion dazu dienen sollte, dem Standort zu nützen, und nicht, ihm zu schaden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Ehlers.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mir gedacht, daß die Diskussion genau so verläuft, wie sie verlaufen ist.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Schlaues Bürschchen!)

Na ja, lieber Herr Schmidt, was Sie von Wirtschaftspolitik verstehen, darüber wollen wir lieber nicht miteinander sprechen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU – Ah- und Oh-Rufe bei der GAL)

Mir scheint, Ihre Ideen von Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverkehr sind eher ein Fall für die Kollegen Zamory und Petersen als für eine Debatte in diesem Parlament.

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Jeder, der nicht in die Euphorie einstimmt, daß diese Stadt wahnsinnig gut sei, und jeder, der nur an irgendeiner Stelle sagt, daß man darüber nachdenken sollte, ob man nicht besser werden könnte, ist ein Nestbeschmutzer, ob er von der Kammer oder von der Opposition kommt. Machen Sie nur so weiter, dann werden Sie diesen Standort wirklich noch zerstören. Sie bezeichnen diejenigen als Nestbeschmutzer, die nicht Ihrer Meinung sind, anstatt sie zu unterstützen und sich mit ihren Argumenten – auch wenn in Teilen falsche Indikatoren gewählt sein mögen – auseinanderzusetzen.

Herr Hajen, Sie haben zum Beispiel gesagt: Die Hochschulabsolventen blieben nicht in der Stadt.Aber warum sie hier nicht bleiben, haben Sie nicht hinterfragt. Ihre Antwort dazu lautet: Sie bleiben nicht in dieser Stadt, weil die Unternehmen sie nicht nachfragen würden. Aber warum ist das so, Herr Hajen?

(Manfred Mahr GAL: So kennen wir Sie!)

Weil die Universität gemeinsam mit den Schulen in der Vergangenheit zielsicher arbeitslose Soziologen ausgebildet hat,

(Heiterkeit bei der SPD und der GAL)

die wir jetzt mit viel Geld zu arbeitslosen Politologen umqualifizieren.

(Manfred Mahr GAL: Herr Ehlers, was haben Sie denn für einen Beruf? – Unruhe im ganzen Hause – Glocke)

Wer an den Bedürfnissen der Wirtschaft so vorbei ausbildet, der verspielt die Zukunft dieser Stadt.