Protocol of the Session on February 21, 2017

(Günter Rudolph (SPD): Die haben früher einmal CDU gewählt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bitte einmal um freundliche Signale aus der SPD-Fraktion, ob wir weiterarbeiten können.

(Günter Rudolph (SPD): Gerne, Herr Präsident!)

Danke. – Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion – –

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt wirklich um Aufmerksamkeit bitten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld (Landesblindengeldgesetz – LBliGG) – Drucks. 19/4467 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 7:30 Minuten. Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Roth das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Vorbereitung auf diesen Gesetzentwurf haben wir, die Kollegin Dr. Sommer und ich, eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gerichtet mit Datum 15. Juli 2016, wo wir ein paar Zahlen und ein paar Bedingungen abgefragt haben, die der Minister uns dann sehr ausführlich beantwortet hat.

Außerdem liegt die Kleine Anfrage des Kollegen Rock vom 07.02.2017 vor. Es geht um die gleiche Fragestellung. Um es einzugrenzen, geht es konkret um 30 Personen in Hessen, die von dieser Gesetzesänderung betroffen sind. Das sind 30 Personen, die wir Taubblinde nennen. Bisher wurde das so geführt: Da gab es Blinde und Gehörlose, und dann gab es die 30 Personen, für die beides zutrifft. – Mittlerweile wissen wir aber, dass Taubblindheit eine Behinderung ist, die mehr ist als die Summe von Blindheit und Taubheit. Wenn man sich damit beschäftigt, wird einem das sehr bewusst.

Während die einen, beispielsweise die Gehörlosen, vieles von ihrem Handicap dadurch ausgleichen können, dass sie mit den Augen wahrnehmen – oder umgekehrt –, ist genau dieser Gruppe dies überhaupt nicht möglich. Sie sind in ihrem Alltag noch einmal viel deutlicher eingeschränkt als die Gruppen, die ich eben genannt habe.

Taubblindheit ist der Begriff, den Betroffene weltweit als Bezeichnung für ihr eigenes Handicap, für ihre spezielle Behinderung propagieren. Taubblindheit wurde 2004 vom Europäischen Parlament als Behinderung eigener Art anerkannt. Taubblindheit ist nach Auffassung des Bundesteilhabegesetzes, das mittlerweile verabschiedet ist, auch ein fester Bestandteil und eine feste Terminologie.

Konkret: Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf folgenden Passus in das zurzeit gültige Gesetz einfügen, einen einzigen Satz:

Leistungsberechtigte Personen nach § 2, die taubblind sind, erhalten jeweils den doppelten Betrag nach Abs. 1. Taubblind ist ein blinder Mensch im Sinne von Satz 1 mit vollständigem Hörverlust oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit liegt bei einem Hörverlust von mindestens 80 % vor.

Dabei haben wir uns an den Sätzen und den Graden orientiert, die derzeit in unserem Land Gültigkeit haben.

Wir schlagen vor, dass diese Menschen den doppelten Satz des Landesblindengeldes bekommen. Derzeit beträgt das Landesblindengeld monatlich 586,26 €. Wenn man diesen Betrag verdoppelt und mal 30 nimmt, kommen wir im Jahr auf eine Summe von 210.000 € an Mehraufwendungen, die beim Landeswohlfahrtsverband anfallen.

Aber wenn der Landeswohlfahrtsverband diese Summe auszahlen will und damit Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, den Antrag zu stellen, muss es diesen gesetzlichen Rahmen geben. Deshalb haben wir nur diesen einen einzigen Punkt jetzt in die Änderung aufgenommen, damit möglichst schnell die Auszahlung dieses doppelten Satzes möglich ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Dass darüber hinaus auch noch das eine oder andere im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz und mit dem Aktionsplan, der von der Landesregierung für 2017 angekündigt ist, zu klären ist, haben wir außen vor gelassen. Darüber wird man dann, wenn der Text der Landesregierung vorliegt, gesondert reden. Aber dieser Punkt war uns aus dem Gespräch mit den Betroffenen so wichtig, dass wir ihn vorziehen.

Wir bitten um Zustimmung, wenn wir in der Ausschussberatung bzw. in der Gesetzesberatung sind, dass sich möglichst alle Fraktionen diesem konkreten Vorhaben anschließen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Danke, Herr Roth. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Reul das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der Änderungen im Rahmen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes zum 01.01. dieses Jahres ist im SGB XI ein Wechsel von bisher drei Pflegestufen zu fünf Pflegegraden vorgesehen. Neben der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes ist eine Anpassung der Anrechnungsvorschrift vom Pflegegeld auf das Blindengeld nach dem Landesblindengesetz erforderlich.

Blinde Menschen sollen durch die Anpassung finanziell nicht schlechter gestellt werden. Blinden Menschen soll durch den Systemwechsel im SGB XI kein finanzieller Nachteil entstehen. Eine nach dem aktuellen Gesetzeswortlaut zwangsläufige Kürzung des monatlichen Zahlbetrages des Blindengeldes nach den bisherigen höheren Anrechnungssätzen sollte möglichst verhindert werden.

Die Personengruppen der Gehörlosen und Taubblinden – der Kollege Roth hat dazu einiges ausgeführt – erhalten wie auch die von anderen Behinderungsgraden Betroffenen über das Integrationsamt die Eingliederungshilfe des SGB IX oder auch über das SGB XI Leistungen, um die durch ihre Behinderung entstehenden besonderen Nachteile zu kompensieren und ihnen die Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und im Beruf zu ermöglichen.

Jede Ausweitung des Landesblindengeldes auf einzelne Behindertengruppen – das müssen wir gemeinsam bedenken – zöge natürlich auch weitere Forderungen nach sich,

z. B. von geistig Behinderten oder Schwerst-Mehrfachbehinderten. Deshalb ist dieser Vorschlag, den die SPD-Fraktion und Kollege Roth unterbreitet haben, in der Ausschussberatung sehr genau zu prüfen.

Das Landesblindengeldgesetz soll unter Berücksichtigung des Pflegestärkungsgesetzes II weiterentwickelt und die Regelung des § 109 SGB XII aufgenommen werden. Mit der geplanten Neuregelung ist im Wesentlichen beabsichtigt, den Systemwechsel im SGB XI von drei Pflegestufen in die vorhin angeführten fünf Pflegegrade nachzuvollziehen.

Nach § 5 Landesblindengeldgesetz werden die Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege auf das Blindengeld angerechnet. Dabei sind in den verschiedenen Stufen folgende Anrechnungen: Das Blindengeld wird bei Bezug von Pflegegeld der Stufe I um 60 % und bei Bezug von Pflegegeld der Stufen II und III um jeweils 40 % des Pflegegelds gekürzt. Die genauen Beträge kann man an dieser Stelle nachlesen. Pflegeleistungen der privaten Pflegeversicherung oder auch nach beamtenrechtlichen Vorschriften werden im gleichen Umfang ebenso angerechnet.

Nach dem Pflegestärkungsgesetz II werden zum 01.01. dieses Jahres die bislang im SGB XI geltenden drei Pflegestufen durch diese fünf Pflegegrade ersetzt, und deshalb sollten wir uns dann gemeinsam im Ausschuss Gedanken machen, wie wir bei den einzelnen Bereichen und den Pflegegraden argumentieren und dann auch die Sätze anpassen. Durch die Anrechnung der Leistungen der Pflegeversicherung und neue Anrechnungsbeträge in den verschiedenen Pflegegraden ist bei der Weiterentwicklung des Landesblindengeldgesetzes unbedingt eine Anpassung notwendig.

Die Leistungen aus dem Landesblindengeld sollen unabhängig von den Zahlungen des Pflegegeldes nach den jeweiligen Pflegegraden in unveränderter Höhe zur Verfügung gestellt werden. Deshalb sind der Wechsel von Pflegestufen zu Pflegegraden und eine Anpassung des Landesblindengeldgesetzes unbedingt erforderlich. Um bei steigendem Pflegegeld den monatlichen Zahlbetrag des Blindengeldes ungefähr identisch halten zu können, müssen die bisher im Gesetz vorgesehenen prozentualen Kürzungsbeträge beim Blindengeld reduziert und angepasst werden. Lieber Herr Kollege Roth, Sie haben ja den Gesetzesvorschlag der SPD-Fraktion eingebracht, den wir im Ausschuss gemeinsam diskutieren sollten.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Ja!)

Sie sind etwas schneller gewesen als der Entwurf zum Landesblindengeldgesetz, der im Moment in der Regierungsanhörung ist.

(Zurufe von der SPD)

Wenn dieser Entwurf uns allen gemeinsam zur Verfügung steht, glaube ich, werden wir eine gemeinsame Diskussionsgrundlage haben, an der wir dann weiterarbeiten können.

Ich habe es erwähnt, Sie haben eine Gruppe besonders herausgegriffen. Wir müssen an dieser Stelle gemeinsam schauen: Was ist mit anderen Gruppen? Wie sind eventuell dort Erfordernisse und weitere Ansprüche? Wir wecken natürlich, wenn wir eine Gruppe herausgreifen, weitere Bedarfe bei anderen Gruppen. Dies ist vollkommen klar.

Deshalb sind wir sehr gespannt, wenn der Gesetzentwurf zum Landesblindengeldgesetz vorliegt, wie wir uns dann gemeinsam in einer eventuellen Anhörung vereinbaren. Deshalb bitte ich Sie an dieser Stelle noch um etwas Geduld, sodass wir uns dann gemeinsam in der Ausschussberatung sinnvoll und an den blinden oder behinderten Menschen orientiert damit beschäftigen können. – Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Reul. – Wir beraten ganz geduldig weiter: mit Herrn Rock von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute einen Gesetzentwurf zur Diskussion, der jetzt nicht überraschend kommt. Es ist etwas überraschend, dass er aus der Opposition kommt. Aber dass das Landesblindengeld zur Debatte steht, ist nicht überraschend. Herr Reul hat auch darauf hingewiesen: Wir haben Anpassungsbedarf. Es ist so, dass die Verbände mit uns diskutiert haben und wir unter den Obleuten auch schon mit dem Minister über dieses Thema gesprochen haben. Ich fand den Ton, den der Kollege Reul hier in die Debatte hereingebracht hat, sehr angemessen und angenehm, weil ich glaube, es besteht Anpassungsbedarf.

Es ist schon signalisiert worden, dass die Betroffenen durch die Regelung des Landesblindengeldes nicht schlechter gestellt werden sollen. Das ist schon einmal ein wichtiger Schritt, und die Frage, ob man sich dem Thema Blinde und Gehörlose zuwendet, ist die Frage, die eigentlich noch offen im Raum steht und welche die SPD in dem Gesetzentwurf jetzt aufgegriffen hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte das noch einmal bestärken, was hier auch schon vom Kollegen Roth gesagt worden ist: Blindheit und Gehörlosigkeit sind in Kombination eine deutlich stärkere Einschränkung als jede dieser Behinderungen alleine. Es ist oft so – wir kennen das ja aus der politischen Debatte in vielen Bereichen –: Wenn die Gruppe, die betroffen ist, sehr klein ist, dann fällt sie manchmal durchs Raster. Wir haben es deutschlandweit vielleicht mit 8.000 bis 9.000 Personen und in Hessen – wir haben nicht die ganz konkrete Zahl – mit geschätzt rund 30 Personen zu tun. Es ist keine politisch signifikante Gruppe. Dass wir uns mit einer Gruppe in dieser Größe im Hessischen Landtag beschäftigen und dass das auch keiner irgendwie überraschend findet, liegt einfach an der massiven Beeinträchtigung dieser Menschen.

Darum begrüßen ich und auch meine Fraktion, dass die SPD jetzt den Stein ins Wasser geworfen hat, weil die Frage, wann die Landesregierung auf dieses Thema reagiert, hin und her geschoben wird. Jetzt könnte man, wenn man es politisch zuspitzen wollte, sagen: Jetzt ist die Opposition wieder zu schnell. – Sonst sagt man vielleicht: Sie ist zu langsam.

Aber ich glaube, und da möchte ich mich dem Ton vom Kollegen Reul anschließen: Hier geht es um eine besonders betroffene Gruppe, der wir mit Augenmaß begegnen

sollten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass meine Fraktion bei dieser höchst betroffenen Gruppe sehr wohl der Meinung sein wird, dass man hier etwas tun sollte. Natürlich wäre es schöner, wenn wir keine Landesgesetze dafür haben müssten, sondern eine bundeseinheitliche Regelung hätten. Wer sich mit dem Thema schon ein bisschen länger auseinandersetzt, weiß, seit 2013 ist es sozusagen für diese Gruppe auch einmal deutlich herausgearbeitet worden. Es gibt entsprechende wissenschaftliche Gutachten und Statistiken. Trotzdem ist es so, dass z. B. bei der Assistenz für diese Gruppe – jedenfalls nach unserer Recherche – erst in zwei Bundesländern die Krankenkassen entsprechende Leistungsverträge abgeschlossen haben.

Also, es ist wirklich sehr schade, dass wir hier nicht bundesweit eine Lösung haben finden können. Aber, wie gesagt, es geht um eine ganz kleine Gruppe von Menschen, die höchst betroffen ist. Da sollten wir zumindest in Hessen schauen, ob wir es uns leisten können, für diese Gruppe adäquat eine Unterstützung hinzubekommen, und das wird – das ist uns allen klar – nicht im Streit gelingen, sondern nur, wenn wir hier eine vernünftige Lösung mit Augenmaß finden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Danke, Herr Rock. – Für die Linksfraktion hat sich Frau Schott zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es schon erstaunlich, dass wir hier darüber debattieren, dass wir eine Anpassung aufgrund bundesgesetzlicher Lage brauchen, und darüber, dass die Menschen mit einer Blindheit am Ende des Tages hier nicht schlechter dastehen.