Protocol of the Session on January 26, 2017

Berufsorientierung reden. Das ist von Herrn Mundschenk, dem Geschäftsführer des Handwerkstags, heute adressiert worden. Deshalb ist es so wichtig – sagt er –, Berufsorientierung an den Schulen ab der 8. Klasse, gerade auch an den Gymnasien, einzuführen. Das war auch eine Erkenntnis des Bildungsgipfels, den wir durchgeführt haben und wo wir als Koalition schon Maßstäbe gesetzt haben. Wir müssen auf diesem Weg weitergehen. Das Gymnasium muss wissen: Wenn die Hälfte der Schülerinnen und Schüler jetzt am Gymnasium unterwegs ist, dann reicht es nicht aus, nur auf ein Studium an einer Universität vorzubereiten, sondern dann müssen in der Berufsorientierung berufliche und akademische Bildung gleichwertig orientiert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich glaube, die erhöhte Bildungsaspiration, wie es im Fachdeutsch heißt, also der Wunsch junger Menschen nach mehr qualifizierter Ausbildung, sollte nicht abqualifiziert werden. Das Jammern über einen angeblichen Akademisierungswahn hilft uns nicht. Vielmehr müssen wir solche Tendenzen aufgreifen. Wir müssen den jungen Menschen neue Alternativen schaffen. Prozesse wie die Globalisierung und die Digitalisierung erfordern es, dass wir möglichst viele sowohl beruflich als auch akademisch qualifizierte Fachkräfte haben. Deswegen müssen wir solche Maßnahmen weiter angehen. Ich glaube, dass der Modellversuch für beruflich Qualifizierte hierfür ein richtiges Mittel ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen: Für unsere Koalition sind berufliche und akademische Bildung gleichwertig. Deshalb und aufgrund des Leitbildes der Bildungsgerechtigkeit, zu der eine offene Hochschule unabdingbar gehört, haben wir den Modellversuch für den Zugang beruflich Qualifizierter zu den Hochschulen aufgelegt. Wir ermöglichen damit erstmals und einzigartig, dass mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ein direkter Hochschulzugang ermöglicht wird. Wir stärken damit sowohl die duale Ausbildung als auch die Perspektiven junger Menschen. Wir schaffen neue Perspektiven. Ich finde es gut, dass wir als Hessen an dieser Stelle ganz weit vorn sind und damit diese gerade stattfindende Bildungsexpansion erfolgreich gestalten werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr May. – Als Nächste spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten Frau Kollegin Habermann. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr May, auch von dieser Stelle aus noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

Für die SPD-Fraktion kann ich sagen: Das Ziel, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu verbessern, wird von uns uneingeschränkt geteilt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was allerdings Punkt 1 Ihres Antrags, das „Allzeithoch bei der Lehrerversorgung“ und die „Rekordausgaben im Hochschulpakt“, mit dem Erreichen dieses Ziels zu tun hat, hat sich mir nicht erschlossen. Sie sind in Ihrer Rede wohlweislich nicht darauf eingegangen.

(Beifall der Abg. Ulrike Alex (SPD))

Es gelingt Ihnen einmal mehr, einen zustimmungsfähigen Antrag so mit Eigenlob zu garnieren, dass eine Zustimmung der Opposition der Verleihung eines Lorbeerkranzes für Ihre tatsächlichen oder vorgeblichen Leistungen gleichkäme.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Kollege May, das erschwert ein bisschen ein einfaches Ja zu diesem Antrag, und das ist schade. Denn das Anliegen des Antrags ist wichtig. Jede Maßnahme zur Verbesserung der Durchlässigkeit des Bildungssystems ist nicht nur eine Chance für einzelne Menschen, sondern auch eine Notwendigkeit angesichts eines sich ständig verändernden Arbeitsmarktes.

Tätigkeitsprofile und Anforderungen ändern sich rasant. Neue Berufsbilder entstehen. Die Geschwindigkeit der technologischen Innovation erfordert mehr und neue Qualifikationen von Einzelnen in immer kürzerer Zeit. Eine Aufteilung nach ausschließlich theorie- oder praxisorientierter Ausbildung – oder vereinfacht: nach Kopf und Hand – ist längst obsolet geworden.

Die Forderung, lebenslanges Lernen zu fördern und zu ermöglichen und auf bestehende Schul- und Berufsabschlüsse aufbauen zu können, entspricht nicht nur dem Anspruch an ein gerechtes Bildungssystem. Offene Türen zu anderen und weiterführenden Qualifikationen sind zur Notwendigkeit für jeden Einzelnen geworden, um seine Bildungschancen und beruflichen Perspektiven zu nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, seit dem KMK-Beschluss vom Juni 2002 über die Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium haben alle Bundesländer Regelungen beschlossen, um die Durchlässigkeit zu verbessern. Fast alle – so wie bisher auch Hessen – nehmen als Kriterium für die Aufnahme eines Studiums nach der Ausbildung eine dreijährige Berufstätigkeit im erlernten Ausbildungsberuf.

Rheinland-Pfalz hat diese Bedingung auf zwei Jahre gekürzt und weitere Möglichkeiten eröffnet, ohne Abitur ein Studium aufzunehmen. Herr May, insofern ist der neue hessische Ansatz eine Weiterentwicklung. Das ist in der Tat korrekt. Es werden bestehende Zulassungsvoraussetzungen verändert und dadurch Hürden für die Absolventen niedriger angesetzt.

Wir begrüßen deshalb den vom DGB und den Handwerkskammern unterstützten Modellversuch in Hessen, der bei entsprechenden Voraussetzungen auf den Nachweis der Berufstätigkeit nach der Ausbildung verzichtet, und wünschen uns, dass er nicht nur rege genutzt, sondern auch in eine regelhafte Praxis überführt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, für bedenkenswert halte ich in diesem Zusammenhang die Regelung im Hochschulgesetz von Hamburg. Hamburg ist das einzige Bundesland, das die Verpflichtung der Hochschulen gesetzlich festgeschrieben hat, Studierende ohne Hochschulzugangsberechtigung bei der Studiengangsplanung zu berücksichtigen und besondere Angebote für diese Gruppe zu entwickeln.

Ich denke, das ist auch für Hessen eine Idee, über die nachgedacht werden sollte, um die Zahl der Studierenden aus diesem Bereich zu erhöhen und sie im Studium auch zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auch noch einige Bemerkungen zum Thema der Durchlässigkeit machen, die mir sehr wichtig ist. Wenn wir über die Durchlässigkeit des Bildungssystems diskutieren, so ist fast immer die vertikale Durchlässigkeit gemeint, also die Anschlussfähigkeit nach einem erworbenen Abschluss.

Wer die Forderung nach Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Abschlüsse allerdings ernst nimmt, muss sich auch die Frage nach der horizontalen Durchlässigkeit in unserem Bildungssystem stellen. Wer mehr jungen Menschen die Wahl zwischen Ausbildung und Studium oder eine Kombination beider Wege erleichtern und öffnen will, kann nicht darüber hinwegsehen, dass die horizontale Durchlässigkeit in unserem Bildungssystem bis zum ersten Schulabschluss nur auf dem Papier Bestand hat.

Wir wissen alle, dass sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln. Das gilt nicht nur für die motorischen oder sozialen Kompetenzen, sondern das gilt insbesondere auch für die Entwicklung von Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Interesse an Themen, Fächern oder einem Berufsbild entsteht zu unterschiedlichen Zeitpunkten und verändert sich, Motivation und Eigeninitiative ebenfalls.

Unser Bildungssystem ist bisher nur unzureichend flexibel strukturiert, um individuelle Entwicklungsbiografien ausreichend zu berücksichtigen und zu fördern. Es ist z. B. längst überfällig – da bin ich ganz Ihrer Meinung –, dass auch an Gymnasien die Möglichkeiten verschiedener Berufs- und Ausbildungswege durch ein Angebot zur Berufsorientierung im Unterricht von den Schülerinnen und Schülern erfahren werden können.

(Beifall bei der SPD)

Eine vorrangige Orientierung auf ein anschließendes Studium im Gymnasium ist nicht mehr zeitgemäß. Durchlässigkeit ist eine Forderung, die an das gesamte Bildungssystem gestellt werden muss; denn nur in einem von Beginn an durchlässigen Bildungssystem kann es gelingen, die Begabungspotenziale des Einzelnen auszuschöpfen. Wer zu Recht über Wege nachdenkt, die Durchlässigkeit zwischen Beruf und Studium zu erhöhen, darf aus unserer Sicht einen kritischen Blick auf die mangelhafte Durchlässigkeit des Schulsystems nicht verweigern.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zusammenfassend will ich sagen: Die SPD-Fraktion unterstützt die Forderung, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung zu erhöhen. Wir begrüßen das Modellprojekt als einen Baustein zu größerer Anschlussfähigkeit im Bildungssystem. Auf die selbstverlieb

te Begleitprosa des Koalitionsantrags hätten wir gerne verzichtet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vielen Dank, Frau Kollegin Habermann. – Als Nächste hat Frau Abg. Nicola Beer für die Fraktion der Freien Demokraten das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Ausführungen des Kollegen May muss ich, obwohl er heute Geburtstag hat, hier doch etwas anders einsteigen, als ich es ursprünglich geplant hatte, weil es mich dann doch geärgert hat.

Gerade die berufliche Bildung mit ihrer Vielzahl an Möglichkeiten und Abschlüssen, mit ihren Angeboten an permanenter Anschlussfähigkeit und lebenslangem Lernen hat stets – und nicht erst seit dem neuen hessischen Modellversuch – die Durchlässigkeit, den sozialen Aufstieg durch immer wieder neue Möglichkeiten in unserem Bildungssystem sichergestellt. Ich glaube, dass es auch etwas mit der Wertschätzung und dem Respekt gegenüber der dualen Ausbildung und den anderen Möglichkeiten der beruflichen Bildung zu tun hat, hier nicht so zu tun, als würden Sie dies erst in dieser Woche neu herstellen.

(Beifall bei der FDP – Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann soll er das denn getan haben?)

Herr Kollege May, das ging auch ohne Zeitverlust. Sie werden wissen, dass man parallel zur dualen Ausbildung durch Zusatzunterricht und entsprechende Vorbereitung auch den Hochschulzugang jederzeit erwerben konnte, und zwar parallel zur Gesellenprüfung. Da gibt es also keinen Zeitverlust, aber entsprechende Vorbereitung.

Meine Damen und Herren, lieber Herr May, der neue hessische Modellversuch muss erst unter Beweis stellen, dass er ohne diese Vorbereitung, die es bis jetzt an unseren beruflichen Schulen gegeben hat, dieselbe Qualität und vor allem auch dieselben Grundlagen für die Gesellen und den erfolgreichen Einstieg in eine akademische Ausbildung zur Verfügung stellt. Sie spielen hier nämlich auch mit Biografien. Uns kann nicht daran gelegen sein, den Zweig derer zu stärken, die nach dem Versuch einer akademischen Ausbildung dann Wiedereinstiegsprogramme brauchen – so löblich es ist, dass das Handwerk und andere dies mittlerweile organisieren –, um wieder in der Berufswelt anzukommen. Ich glaube, uns muss daran gelegen sein, alle Talente in unserer Gesellschaft angemessen zu fördern.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Zu dieser angemessenen Förderung gehört eben, dass uns stets alle Wege im beruflichen Bereich und in der akademischen Bildung offenstehen, und zwar völlig unabhängig davon, wie alt wir sind. Auch da wird sich einiges in unserer Arbeitswelt verändern. Deswegen stehen wir Freie Demokraten für ein Bildungs- und Ausbildungssystem, das gerade diese Durchlässigkeit und die Weiterqualifizierung nicht nur für Nachwuchskräfte, sondern auch im vorangeschrittenen Alter sicherstellt.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel und vor allem auf die Veränderungen in der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung haben wir wirklich jeden gut ausgebildeten Menschen nötig, Herr May. Wir brauchen sie, als bestausgebildete Menschen, und zwar sowohl im Bereich der beruflichen Qualifizierung als auch im Bereich der Akademiker. Ich finde, die Leistungen dieser Frauen und Männer sind unabhängig von der Art ihres Ausbildungsabschlusses zu würdigen und wertzuschätzen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege May, was mir bei Ihnen zu kurz gekommen ist, ist die Tatsache, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung wissen, dass wir im Arbeitsmarkt zu über zwei Dritteln Facharbeiter und Fachkräfte verlieren, nur zu gut einem Drittel akademische Arbeitskräfte. Das bedeutet doch, dass es entscheidend sein muss, nicht die Flucht aus dem Bereich der Ausbildungsberufe schneller zu organisieren, sondern dass wir die berufliche Bildung und die Berufswelt attraktiver machen müssen. Dazu aber haben Sie hier nichts gesagt.

(Beifall bei der FDP)

In Zeiten von Arbeit 4.0 müssen wir die Berufsbilder zügig an die Herausforderungen und Bedürfnisse des digitalen Zeitalters anpassen. Die Berufe haben sich schon jetzt weiterentwickelt, und es werden in den nächsten Jahren völlig neue Berufsbilder entstehen, die wir heute noch gar nicht kennen und die auch die alten Berufsbilder ablösen werden. Wir wissen doch aus Studien, dass über 60 % der Kinder, die dieses Jahr in Hessen eingeschult werden, nach ihrem Schulabschluss in Berufen arbeiten werden, die wir heute noch gar nicht kennen.

Das heißt doch, wir müssen uns rechtzeitig auf genau diese neuen Entwicklungen vorbereiten. Wir müssen dem Rechnung tragen, und zwar quer durch unser Bildungssystem, aber auch quer durch unsere Berufswelt. Neue Berufsbilder müssen schneller entstehen als in der Vergangenheit und dann auch zu passenden Ausbildungsbildern führen. Die Curricula sind anzupassen und vielfach sogar völlig neu zu entwickeln, Herr May. Die moderne Ausstattung der Berufsschulen ist endlich voranzutreiben, und die Aus- und Fortbildung der Berufsschullehrkräfte muss diesen Veränderungen Rechnung tragen. Wenn mir dieser Tage ein junger Mann erklärt, dass er bei einer Examensprüfung eines Referendars anwesend gewesen sei, der nur deswegen durch die Prüfung gefallen ist, weil er anstelle eines Kreidetafelbildes mit digitalem Handwerkszeug gearbeitet hat – Herr Kollege May, es tut mir schrecklich leid –, dann sind wir in all diesen Rahmenbedingungen, die wir brauchen, um unsere neue Berufswelt attraktiv zu machen, nicht auf der Höhe der Zeit.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen streiten wir sehr dafür, vor allem den Bereich der beruflichen Bildung wieder attraktiver zu machen. Die Veränderungen in unserer Arbeitswelt müssen auch in der Bildungswelt reflektiert werden, vor allem auch deswegen, weil dies völlig neue Bildungs- und Arbeitsbiografien mit sich bringen wird. Frau Kollegin Habermann hat schon darauf hingewiesen, und ich glaube, dass dies auch extrem viele Chancen für die Menschen in unserem Land mit sich bringt; denn sie haben die Chance, sich regelmäßig neu zu erfinden – nicht nur im Sinne von vertikal und horizontal, sondern wir werden uns daran gewöhnen müssen, verschiedene Berufe in verschiedenen Branchen über die Le