Ja, physisch. Das einzige Hoffnungssignal, das ich nach der Inauguration des US-amerikanischen Präsidenten wahrgenommen habe, ist, dass sich eine Million Menschen auf die Straße begeben und gesagt haben: Jetzt ist Schluss, wir lassen das nicht mehr mit uns geschehen.
(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was ist denn „physisch“? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Genau das, was er gerade beschrieben hat!)
Das muss in der Realität passieren und nicht ausschließlich in den Medien und den sozialen Netzwerken.
Meine Damen und Herren, ja, auch wir stehen dafür, dass selbstverständlich von politischen Ereignissen in unserem Land und in unserer Welt berichtet werden muss.
Jedwede Behinderung von Journalisten ist ausdrücklich zurückzuweisen. Ja, auch dazu stehen wir. Wir sagen aber auch, wenn wir für Meinungsfreiheit eintreten, gilt der alte linke Slogan: Ja zur Meinungsfreiheit. Aber: Faschismus ist keine Meinung. Faschismus ist ein Verbrechen.
Meine Damen und Herren, in Europa, in den USA haben wir mittlerweile einen Zustand erreicht, in dem es schon fast nicht mehr reicht – ich zitiere grob aus der „FR“ von gestern –, zu sagen: Wehret den Anfängen. – Die Anfänge sind schon längst gemacht. Wir müssen aufstehen für Meinungsfreiheit. Wir müssen aufstehen für die Würde des Menschen. Wir müssen auch aufstehen für die Pressefreiheit und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wilken. – Das Wort hat Herr Abg. Florian Rentsch, Fraktionsvorsitzender der FDP.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin den Kollegen dankbar, dass wir dieses Thema heute im Parlament diskutieren. Herr Kollege Dr. Wilken, natürlich ist die Frage der Meinungsäußerung auch durch Demonstration ein wichtiges Recht in der Demokratie, das ist doch unbestritten.
Ich will aber offen sagen, dass es doch gar keinen Widerspruch gibt zu dem, was Medien durch Meinungsdiskussion machen, was Menschen machen, wenn sie auf die Straße gehen, oder was wir in einer parlamentarischen Demokratie machen, wenn wir uns in Diskussionen austauschen und um Sachverhalte ringen. Dazu gibt es doch keinen Widerspruch. Alles gehört doch zu dieser Demokratie dazu. Wir sollten alle gemeinsam dafür sorgen, dass wir diese Demokratie nicht gegenseitig entwerten, weil wir dieses Parlament in seiner Bedeutung herunterreden.
Das Gegenteil ist der Fall. Hier ist ein ganz wichtiger Ort. Das will ich jetzt einmal parteiübergreifend sagen. Auch wenn wir ganz hart streiten, ist es nicht so, dass wir ehrabschneidend oder in anderer Form agieren, sondern es gibt immer Respekt für die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, wenn Meinungen vorgetragen werden. Das ist stilbildend, auch wenn es teilweise hart zur Sache geht. Das ist aber nicht das Problem. Im Gegenteil, wir müssen gerade diesen Streit wieder kultivieren. Er ist kein Negativum in einer Demokratie. Es ist etwas Positives, wenn man um den richtigen Weg ringt und diskutiert. Das Parlament sollte eher eine Renaissance in der Bedeutung der Öffentlichkeit erleben und nicht das Gegenteil.
Meine Damen und Herren, es ist unstreitig, und wir können gemeinsam feststellen, dass die Medien Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen haben müssen. Diese Parteien, um die es geht und die wir nicht ständig mit Namen nennen wollen, profitieren auch davon, dass sie durch den Steuerzahler mittelbar bezahlt werden, wenn sie an Wahlen teilnehmen und eine Wahlkampfkostenerstattung bekommen. Wer das für sich in Anspruch nimmt, muss auch in Anspruch nehmen, dass die Öffentlichkeit weiß, was dort diskutiert wird. Nur so kann es funktionieren.
Die Frage ist doch: Warum wollen diese Parteien nicht, dass die Öffentlichkeit teilnimmt? Was haben sie denn zu verbergen? Haben sie Angst, dass ihre Argumente so schlecht sind, dass sie der Öffentlichkeit nicht standhalten? Haben sie Thesen wie Herr Höcke, die gegen die Verfassung verstoßen? Was wollen sie diskutieren, was sie uns verschweigen wollen, was sie den Menschen nicht mitteilen wollen? – Das ist ein Demokratieverständnis, das sich alle Menschen, die sich überlegen, diese Parteien zu wählen, vor Augen führen sollten. Wer intern ein solches Demokratieverständnis pflegt, wird es auch in Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern so organisieren. Meine Damen und Herren, ich warne davor, dass wir solche Zustände in unserem Land bekommen.
Ich will es kurz machen. Ich glaube nicht, dass wir mit einer Wahrheitsbehörde den richtigen Weg erreichen. Das ist die Diskussion, die wir zurzeit führen: Was können wir tun, um mit diesen Falschmeldungen, den Fake-News, und mit dem, was organisiert durch Technologie heute möglich ist, umzugehen?
Es ist die Bildungspolitik. Wir müssen junge Menschen stark machen, damit sie mit unterschiedlichen Meinungen umgehen können, und ihnen ein Demokratieverständnis vermitteln, wie wir es alle gemeinsam wollen. Sie müssen fit sein, sich eine eigene Meinung zu bilden. Sie müssen die Kompetenz haben, Unsinn von Sinnhaften zu unterscheiden. Sie müssen die Werte unseres Grundgesetzes leben und in Anspruch nehmen können. Sie müssen auch erkennen können, dass es sich lohnt, diese Demokratie zu vertreten.
Kollege Schäfer-Gümbel hat gestern Abend bei der Handwerksveranstaltung einen Satz von Georg August Zinn zitiert. Ich halte diesen Satz für sehr wichtig, dass nämlich Demokratie eine Lebenseinstellung, eine Grundeinstellung ist, die man auch leben muss. Deshalb sind diese Falschmeldungen das Gegenteil von unserer demokratischen Grundeinstellung.
Einen zweiten Punkt möchte ich aufgreifen. Das, was Frau Kollegin Beer als Bundesgeneralsekretärin der FDP vorgeschlagen hat, wird zurzeit im Parteienspektrum diskutiert, auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Es geht um ein Fairnessabkommen zwischen den zur Bundestagswahl antretenden Parteien, zumindest der traditionsreichen Parteien, die auch hier vertreten sind und für Demokratie einstehen. In diesem Fairnessabkommen soll es darum gehen, wie man miteinander umgeht, wie Wahlkämpfe organisiert werden und wie mit Falschmeldungen umgegangen werden soll. Das wäre ein wichtiger Schritt, um zu zeigen, dass wir uns selbst auch zügeln, wenn es um die Wahlkampfauseinandersetzung geht. Es ist nicht immer einfach, wenn man in der Hektik der Debatte zu bestimmten Themen diskutiert.
Das von Frau Beer vorgeschlagene Gremium wäre sicherlich eine gute Idee. Dieser Rat soll auch parteiübergreifend besetzt werden. Es gibt eine Reihe von Institutionen – Frau Kollegin Wolff hat das auch angesprochen –, die zurzeit auf dem Weg sind. Wichtig ist, dass das Ganze eine parteiübergreifend akzeptierte Struktur hat. Ansonsten gibt es Richter über Meinungen, die möglicherweise selbst meinungstendierend sind. Das ist etwas technisch ausgedrückt, aber Sie wissen, was ich damit zum Ausdruck bringen möchte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir Parteien haben eine eigene Verantwortung, uns selbst zurückzunehmen. Ein solches Fairnessabkommen wäre sicherlich ein guter Schritt. Diese Wahlen werden in diesem Jahr sicherlich aufregender als in der Vergangenheit, weil klar ist, das, was wir in Amerika erleben, wird auch hier Einzug halten. Wir haben aber eine eigene Verantwortung und Möglichkeiten, uns von den amerikanischen Wahlkämpfen abzugrenzen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Demokratie und Pressefreiheit sind untrennbar miteinander verbunden.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Pressefreiheit im Grundgesetz verankert ist. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt der Blick auf andere Länder. Sie ist in der Vergangenheit hart erkämpft worden. Sie muss in vielen Ländern der Welt – Frau Kollegin Wolff hat darauf hingewiesen – noch immer hart erkämpft und teilweise wieder verteidigt werden. Insofern kann die Landesregierung den Redebeiträgen, die von diesem Rednerpult aus geleistet worden sind, zustimmen.
Meine Damen und Herren, die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel der Medienlandschaft stellen uns vor neue Herausforderungen. Wir erleben zurzeit einen besorgniserregenden Wandel der Worte, der Werte und der politischen Kultur. Wir erleben Wut, Angst und Hass. Demokratische Politik, also die Politik, die wir machen, wird diffamiert. Vernunft und Wahrheit verlieren teilweise ihre Geltung. Die neuen Medien sind für diese Entwicklung nicht verantwortlich, aber sie treiben den Wandel leider intensiv voran.
Fake-News werden mit einem Mausklick in der ganzen Welt verbreitet und können nicht wieder eingefangen werden. Wie durch einen Filter wird oft nur noch das von Menschen wahrgenommen, was die eigene Sicht der Dinge bestätigt, ohne Regulation und ohne jede Validität. Gefälschte Seiten, Social Bots, Trolle können und sollen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen.
Wir dürfen von den sozialen Netzwerken die Menschen nicht manipulieren lassen. Wir dürfen uns auch selbst nicht davon manipulieren lassen. Denn in den sozialen Netzwerken, in denen mittlerweile 30 bis 40 % der Meldungen durch einen Algorithmus gefälscht werden können und auch gefälscht werden, findet sich eine andere Realität als die, die tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen ist. Das ist eine harte und, wie schon gesagt, intensive Aufgabe für uns alle.
Wenn sich jedoch die Gesellschaft in verschiedene Lager aufteilt, die völlig unterschiedliche Versionen des politischen Geschehens für wahr halten und die jeweils andere Version für gelogen, fehlt es an einer gemeinsamen Gesprächsgrundlage. Damit fehlt es auch an einer Grundlage zum offenen politischen Diskurs. Das verschärft Probleme und führt zu einer Entfremdung und spaltet schließlich auch die Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, der teilweise fanatisch geführte Kampf gegen das Establishment füllt nicht nur in den USA ganze Zeitungen und Netzwerke. Es wird skandalisiert. Schließlich muss sich etwas verkaufen. Die Politik hilft da übrigens eifrig mit, weil sie Tag für Tag Schlagzeilen will. Das führt zu einem wachsenden Unverständnis bei vielen Menschen und zu einer Distanz von „denen da oben“. Die Handlungs- und Bewegungsmuster deuten jedenfalls darauf hin. Das sollte uns alle besorgt machen.
Freie und professionelle Medien müssen daher kritische erklärende Mittler zwischen politisch Handelnden und Bürgerinnen und Bürgern sein, sie informieren und kritisieren. Sie können Meinungen abbilden und bilden. Sie können Politik kontrollieren und ermöglichen die Teilhabe an realen politischen Prozessen.
Deshalb kann es auch nicht sein, dass politische Parteien, die am demokratischen Prozess unseres Landes teilnehmen
wollen, ausgewählte Journalisten und Medien von Veranstaltungen ausschließen. Das ist ein massiver Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung. Das ist nicht hinnehmbar.
Eine vielfältige freie, unabhängige und meinungsstarke Presse gehört zu den Eckpfeilern unseres demokratischen Zusammenlebens. Pressefreiheit lebt von der Qualität und der Vielfalt der Medien, von der journalistischen Sachkenntnis, von dem sofortigen Sammeln, Bewerten und Verbreiten von Fakten und Meinungen. Sorgfältig bedeutet hier auch, sich gelegentlich dem Druck entgegenzustellen, innerhalb von Minuten zu jedem Thema eine Meinung parat zu haben.
Wie aus jeder Freiheit erwächst damit auch aus der Pressefreiheit eine große Verantwortung. Diese Freiheit tragen die klassischen Medien. Diese Verantwortung tragen auch die neuen Medien. Aber soziale Netzwerke müssen wir zudem in die Pflicht nehmen, dass sie ihrer Verantwortung als moderne Nachrichtenquelle auch gerecht werden. Diese Verantwortung tragen wir als Politiker, als Bürgerinnen und Bürger und auch als Medien in einem freien demokratischen Land – die Verantwortung für eine Debattenkultur im Geiste des Respekts vor der Würde des jeweils anderen. – Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist der Tagesordnungspunkt 42 abgehandelt.
Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Mehr Wertschätzung für Busfahrerinnen und Busfahrer – ÖPNV zurück in öffentliche Hand) – Drucks. 19/4433 –