Protocol of the Session on November 24, 2016

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will zu einem anderen Punkt kommen, der aufzeigt, warum wir eigentlich heute über dieses Dilemma diskutieren. Ich glaube, das ist etwas, was der Innenminister zu Recht kritisiert hat. Das Problem ist doch, dass die Verfahren so lange dauern. Die Menschen, die kein Bleiberecht in Deutschland haben und, wie man in diesem Fall sieht, bekommen, fangen an, sich zu integrieren.

Das ist doch ein Paradebeispiel dafür. Wenn man 2014 einreist und zweieinhalb Jahre später mit einem Mädchen in diesem Alter ausreist, das mit dreizehneinhalb Jahren hierhergekommen ist und richtigerweise in die Schule geht, dann ist es doch völlig klar, dass eine Integration und eine Gewöhnung an die Gesellschaft stattfinden.

Herr Schaus, ich glaube, dass es so ist, dass diese Familie irgendwann nicht mehr damit rechnet. Man geht davon aus. Es gibt auch Angst. Aber irgendwann hat man sich an die schwierige Situation gewöhnt.

Da bin ich auch anderer Auffassung als Sie. Deshalb haben wir alle ein großes Interesse daran, dass diese Verfahren schneller abgewickelt werden müssen. Denn das ist ein unhaltbarer Zustand.

(Zustimmung bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen den Menschen keine Hoffnung machen, die zum Schluss keinen rechtlichen Anspruch darauf haben, hierzubleiben. Das mögen Sie anders sehen.

(Zuruf von der LINKEN)

Herr Kollege van Ooyen, Sie sagen das als Parlamentarier. Wenn wir als Parlamentarier nicht mehr an Recht und Gesetz glauben und an die Gesetze, die wir verabschieden, wer soll es denn dann tun?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Dann müssen Sie die Gesetze ändern. Das kann Ihre Position sein. Aber zurzeit müssen wir das vollziehen, was Recht und Gesetz entspricht.

Deswegen ist das, was Kollege Rock immer, auch in Richtung des Sozialministers, sagt, so wichtig. Von Landesseite sollten wir z. B. den Kommunen nur noch die Menschen zuweisen, die eine Bleibeperspektive haben. Es ist nicht sinnvoll, den Apparat der Integration dann anzuwerfen. Viele Tausend Menschen bemühen sich, Menschen in diesem Land zu integrieren, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Zum Schluss gibt es dann solche Situationen, wie wir sie hier wieder gehabt haben.

Letztendlich ist das ein persönliches Schicksal. Das ist es definitiv. Daran gibt es nichts zu deuten. Das ist in keiner Weise akzeptabel. Auch der Innenminister hat gesagt, dass das ein Einzelfall bleiben muss.

Trotzdem ist das ein Symptom für die falsche Struktur, die wir in Deutschland haben. Wir müssen die Verfahren be

schleunigen. Ansonsten wird es leider immer wieder zu solchen absolut inakzeptablen Situationen kommen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Abschaffen!)

Herr van Ooyen, das muss so sein. Das können Sie fordern. Aber solange das nicht abgeschafft ist und Sie dafür keine Rechtsgrundlage geschaffen haben, erwarte ich als Liberaler, dass in Deutschland das geltende Recht und Gesetz angewendet werden. Das macht den Unterschied zwischen einer Bananenrepublik und dem, was wir hier haben, aus.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das muss unser Ziel sein. Herr Innenminister, wir sollten trotzdem alles dafür tun, dass das ein Einzelfall bleibt. Wir sollten in diesem Haus nicht wieder eine Debatte über solch ein Schicksal führen müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort erhält Frau Kollegin Wallmann, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns heute hier alle in einem Punkt einig: Eine Abschiebung ist für die Betroffenen immer eine hochgradig emotional belastende Situation. Es ist eine Ausnahmesituation, in der lange gehegte Hoffnungen auf ein Bleiberecht, auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland, zerbrechen.

In diese Betroffenheit möchte ich ausdrücklich die mit einbeziehen – das hat Kollege Rentsch eben auch getan; es ist mir aber auch persönlich und für die CDU-Fraktion sehr wichtig, dies noch einmal zu erklären –, die eine Abschiebung anordnen und durchführen müssen, also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und bei der Polizei. Diese Personen sehen sich in diesen Ausnahmesituationen nicht nur mit den eigenen Emotionen konfrontiert, sondern natürlich auch derer, die sie abschieben müssen. Das ist eine belastende Situation, und das lässt doch keinen kalt, so wie auch dieser Fall keinen von uns kalt lässt.

In der Debatte dürfen wir aber ein paar Fakten, die auch Staatsminister Beuth eben ausgeführt hat, nicht außer Acht lassen. Der Asylantrag ist 2013 gestellt worden, dann gab es Folgeanträge in den Jahren 2014 und 2015 – alle wurde abgelehnt. Die Ausreisepflicht bestand also seit 2014. Somit wussten die Betroffenen natürlich, dass sie Deutschland verlassen müssen. Die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise haben sie – da sage ich: leider – verstreichen lassen. Ihnen war am Schluss doch aber auch klar, dass die Ausreise gegebenenfalls zwangsweise durchgesetzt werden muss; denn wir leben in einem Rechtsstaat, und Bundesgesetze müssen umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer Punkt ist für mich in dem Sachverhalt auch noch wichtig, und zwar über welches Land wir reden. Es

ging um die Rückführung nach Serbien, d. h. in ein inzwischen auch als sicherer Herkunftsstaat erklärtes Land.

Wenn man sich die Presseberichterstattung angeschaut hat – das ist mir heute auch noch einmal wichtig hier zu betonen – –

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Da haben sie Krieg! Wissen Sie das?)

Vielleicht lassen Sie mich kurz weiterreden. – Es ist mir noch einmal ganz wichtig, eines zu betonen: Auch der Schulleiter hat gegenüber der Presse ausdrücklich erklärt, dass die Beamten vor Ort großes Fingerspitzengefühl bewiesen haben. Es sollte hier auch noch einmal hinterlegt werden, dass das trotz der Schwierigkeit der Situation sehr einfühlsam abgelaufen ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Abschiebung wird immer Emotionen hervorrufen. Am Schluss werden diese Menschen aus dem Alltag und auch aus einem Umfeld herausgerissen. Das ist aus meiner Sicht auch davon unabhängig, ob sie mehrere Monate oder Jahre hier in Deutschland sind. Es gibt einen Alltag, es gibt ein Umfeld, und es gibt vor allem auch Hoffnungen – Hoffnungen, die oftmals Schlepperbanden geweckt haben. Das ist ein Rieseneinschnitt in das Leben dieser Menschen, egal wann und wo er erfolgt.

Im vorliegenden Fall – Staatsminister Beuth hat das eben ausgeführt – wurde morgens um 6:15 Uhr versucht, die Familie zurückzuführen. Man hat sie leider in der Unterkunft nicht angetroffen. Aber diese Uhrzeit belegt auch, dass die Behörde alles darangesetzt hat, dass keine Abschiebung aus der Schule heraus erfolgte. Das ist auch das Ziel, das wir weiterhin verfolgen sollten. Der Minister hat eben ausgeführt, dass das ein Einzelfall sei. Am Ende muss aber auch klar sein: Wenn wir den Menschen, die dringend unsere Hilfe benötigen – also Menschen, die um Leib und Leben fürchten –, effektiv helfen wollen, dann gehört zur Wahrheit eben auch, dass wir Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückführen müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollegin Öztürk.

Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Beuth, ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie sich hier zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung gestellt haben. Deshalb habe ich mich auch sehr über den Antrag der Koalitionsfraktionen gewundert, weil sie offensichtlich schon mehr vom Sachverhalt wussten und schon mehr dazu sagen konnten als wir. Ich möchte nur sagen: Mit den Krokodilstränchen und mit dem Bedauern lasse ich Sie hier nicht aus der Pflicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das, was hier passiert ist, ist ein skandalöser Höhepunkt der Abschiebepraxis in Hessen unter Schwarz-Grün seit der Beschlussfassung über die sicheren Herkunftsstaaten, was die Westbalkanstaaten betrifft

und was von vielen seit Monaten beklagt wird. Jetzt hat das einen Höhepunkt erreicht, nämlich damit, dass eine 16-Jährige aus der Schule heraus Instrument dieser unmenschlichen Abschiebepraxis wurde – das brauchen wir nicht damit schönzureden, dass die Behörden das super und die Polizeibeamten das sehr sensibel gemacht hätten.

(Lena Arnoldt (CDU): Ja, ja!)

Meine Damen und Herren, das ist nicht in Ordnung. Wir hatten einmal einen Konsens in diesem Haus. Der Konsens ging dahin, dass junge Menschen, wenn sie in der Schule sind oder eine Ausbildung haben, geduldet werden und dass wir das abwarten. Denn es gibt inlandsbezogene Abschiebehindernisse. Die gehören zu dem Gesetz dazu. Die werden hier leider außer Acht gelassen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir waren auch so weit, dass wir illegalisierte Kinder beschult haben. Was sind denn illegalisierte Kinder? Das sind Kinder ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsstatus. Das sind eigentlich ausreisepflichtige Kinder. Wir waren aber einmal gemeinsam mit der SPD der Meinung, dass wir sie beschulen und ihnen Schule und Beschulung zugestehen müssen; denn Bildung ist ein Menschenrecht. Meine Damen und Herren, das hört bei einer 16-jährigen Schülerin nicht auf.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deswegen haben Sie einen Konsens aufgekündigt, den wir in den letzten Jahren hatten.

Ich sage Ihnen noch eines: Es wird von vielen Menschenrechtsorganisationen in den letzten sechs Monaten über ganz dramatische Abschiebefälle berichtet. Seitdem die sicheren Herkunftsstaaten beschlossen worden sind, wird hier in Hessen – ohne Rücksichtnahme auf Krankheit, Operationstermine oder beschulte Kinder – auf Menschen aus dem Westbalkan sehr viel Druck gemacht, wenn sie nicht freiwillig ausreisen. Es wird gnadenlos abgeschoben, erst über Kassel-Calden, jetzt über Frankfurt. Das ist nicht in Ordnung.

Kommen Sie zurück, wenn Sie eine humane Flüchtlingspolitik machen wollen. Hören Sie auf mit dieser Doppelmoral. Das ist die Konsequenz, die sie tragen müssen, wenn Sie im Bundesrat solchen Gesetzen wie Asylverschärfungspaketen und einer Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten zustimmen. Deshalb lassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir fordern zusammen mit den LINKEN – und wahrscheinlich auch der SPD –, dass so eine Art der Abschiebepraxis ausgesetzt wird. Das hat nichts mit einer humanen, europarechtlich konformen Abschiebepraxis zu tun.

Kollegin Öztürk, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin dagegen – und ich bin dafür, dass das aufhört.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Wagner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.