Protocol of the Session on November 24, 2016

Die hessische Polizei versucht grundsätzlich, eine abzuschiebende Familie in den frühen Morgenstunden in ihrer Wohnung aufzusuchen; denn dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass noch alle Familienmitglieder gemeinsam angetroffen werden.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Möglichst nachts!)

So wird erreicht, dass eine geordnete und gemeinsame Abreise erfolgen kann.

Die in Vollzugshilfe für die zuständige Ausländerbehörde eingesetzten Polizeibeamten haben diesen Grundsatz auch in dem in Rede stehenden Sachverhalt angewandt. Nachdem die Polizei die betroffenen Personen am 22.11. gegen 6:15 Uhr nicht in ihrer Wohnung bzw. in der Unterkunft antreffen konnte, wurden weitere mögliche Aufenthaltsorte erfragt und ermittelt. Hierbei kam auch die Wohnanschrift eines Verwandten der Betroffenen in Betracht, in der die ebenfalls betroffene Mutter letztendlich gegen 7:20 Uhr angetroffen werden konnte.

Die Mutter berichtete den Beamten, dass ihre Tochter bereits auf dem Weg zur Schule sei. Da die Beamten weiterhin in der Einsatzmaßnahme mit der Mutter eingebunden waren, wurde eine weitere Polizeistreife in die Schule entsandt. Die Entsendung der Streife sowie deren Anliegen wurden der Schule vorab telefonisch zur Kenntnis gegeben.

Die Polizeibeamten trafen gegen 8:15 Uhr in der Schule ein und begaben sich umgehend, ohne den Bereich der Klassenräume zu betreten, in den Verwaltungsbereich der Schule. Die Polizeibeamten informierten noch einmal persönlich die Schulleitung über die beabsichtigten Maßnahmen und baten, die betroffene Schülerin durch das Schulpersonal aus der Klasse zu holen.

(Holger Bellino (CDU): Ja!)

Diesem Anliegen wurde entsprochen und die Schülerin im Beisein der Klassenlehrerin und einer weiteren Schulkraft aus der Klasse geholt und zum Sekretariat gebracht. Auf Nachfrage des Schulleiters hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Maßnahme wurde direkt ein telefonischer Kontakt mit dem Staatlichen Schulamt aufgenommen und von dessen Seite die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestätigt.

Nachdem der betroffenen Schülerin eine Verabschiedung von ihren Freundinnen und dem anwesenden Schulpersonal ermöglicht wurde, erfolgte die Abfahrt nach Friedberg, um die Tochter mit ihrer Mutter zusammenzuführen. Wie auch das Schulamt dem Hessischen Kultusministerium gegenüber angab, handelten die Beamten mit großem Fingerspitzengefühl.

Meine Damen und Herren, ich habe es eingangs erwähnt. Es handelt sich um einen Einzelfall, einen Fall, den es, wie Sie gerade gehört haben, grundsätzlich zu vermeiden gilt. Ich möchte aber auch betonen: Es handelt sich nicht um eine geplante oder zielgerichtete Abschiebung aus der Schule.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sondern?)

Vielmehr wurde die 16-jährige Schülerin hier im konkreten Einzelfall aus der Schule geholt, um eine Rückführung im Familienverbund, der uns obliegenden Wahrung der Familieneinheit, zu gewährleisten.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Familieneinheit!)

Zudem bestand wohl Grund zu der Annahme, dass die Familie – nun in Kenntnis der bevorstehenden Vollzugsmaßnahmen – untergetaucht wäre.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Deswegen haben sie die Tochter in die Schule geschickt!)

Meine Damen und Herren, zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich nach jetzigem Kenntnisstand und den mir vorliegenden Informationen im vorliegenden Fall kein Fehlverhalten der Behörden erkennen kann, und ich werde sie nicht dafür kritisieren, dass sie ihre Arbeit verrichten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Eine Abholung in der Schule ist dennoch ein absoluter Einzelfall. Es wird auch zukünftig stets versucht werden, dies zu vermeiden.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass nach meinen Informationen beispielsweise das Land Thüringen genau die gleiche Vorgehensweise, welche die Polizei hier gewählt hat, per Erlass für die Abholung aus Schulen zum Zwecke der Abschiebung geregelt hat. Dies lässt zumindest darauf schließen, dass sogar in Thüringen ein solcher Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, aber die haben das geregelt!)

Ich denke, an der Sachverhaltsschilderung können Sie erkennen, dass sich die eingesetzten Beamten der sensiblen Situation durchaus bewusst waren und dass sie mit Einfühlungsvermögen agiert haben, so gut das bei dem Vollzug einer Zwangsmaßnahme eben geht.

Genau davon reden wir hier: Von einer Maßnahme, die vom Staat mit Zwang durchgesetzt werden muss, weil der, den sie betrifft, seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Ich hätte mir sehr gewünscht, die Mutter hätte zum Wohle ihrer Tochter verantwortungsvoller gehandelt und wäre ihrer Pflicht zur Ausreise nachgekommen. Sicher wäre es schöner gewesen, wenn sich die Tochter geordnet und geplant von ihren Klassenkameraden hätte verabschieden können. Die Möglichkeit dazu bestand, und sie bestand lange. Leider hat ihre Mutter sie nicht in Anspruch genommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Vielen Dank. – Als Erster spricht Kollege Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals in Hessen wurde am Dienstag dieser Woche eine 16-jährige Schülerin vormittags aus dem Unterricht geholt und direkt abgeschoben. Nachdem wir den Beitrag des Innenministers jetzt gehört haben, sollten wir wohl den Eindruck gewinnen, das sei alles so in Ordnung, wie es passiert ist.

Ich denke, es geht nicht darum, diesen Vorgang aus innenpolitischer Sicht zu diskutieren. Allerdings bin auch ich der Auffassung, dass die Verantwortung für die Fehlinformationen und für die Unterstellung, dass die Familie untertauchen wolle oder untergetaucht sei, beim Regierungspräsidium und den dort Verantwortlichen zu suchen ist.

Ich bin der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen, was dieser Vorgang – oder, besser gesagt, dieses Drama – vor Ort an nachhaltiger Traumatisierung bei den Mitschülerinnen und Mitschülern und bei den Lehrerinnen und Lehrern an dieser Schule ausgelöst hat. Das ist die Diskussion, um die es uns heute geht. Deshalb haben wir diesen Dringlichen Entschließungsantrag vorgelegt.

Die Kernfrage lautet doch: Ist die Schule ein geschützter Raum für die Schülerinnen und Schüler, oder ist sie das nicht? – Diese Frage muss meiner Ansicht nach heute beantwortet werden, im Übrigen nicht nur vom Innenminister. Vielmehr erwarte ich auch eine Antwort des Kultusministers.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erwarte eine Antwort vom Kultusminister auf die Frage, inwieweit die Aussage des Staatlichen Schulamtes gegenüber dem amtierenden Rektor der Schule zutrifft, er müsse Amtshilfe leisten, und ob er diese Auffassung teilt. Ich erwarte in der Tat vom Kultusminister eine Antwort auf die Frage, wie er sich das denn vorstellt. Wir haben gemeinsam die Meldepflicht für Schüler abgeschafft, die nicht legal registriert sind. Ich will wissen, ob er weiterhin der Meinung ist, dass auch Kinder aus Familien mit unsicherem Aufenthaltsstatus die Schulen besuchen sollen, und zwar ohne Angst und Gefährdung durch staatliche Stellen. Das steckt in dieser Debatte.

Welche Wirkung hat dieses Verhalten auf die Flüchtlingskinder vor Ort? – Es hätte noch viel schlimmer kommen können, sagt der Innenminister. Sie seien mit Bedacht vorgegangen. – In der Tat, ich teile die Auffassung, es hätte noch viel schlimmer kommen können. Aber das ist kein Beleg dafür, dass man das jetzt so rechtfertigen kann und dass man die Version teilen muss, die aus den Regierungspräsidien von den Verantwortlichen kommt, denen lediglich daran gelegen war, sozusagen ihr Flugzeug an diesem Tag voll zu kriegen.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU)

Doch, genau darum ging es. – Eine Familie, die untertauchen will, schickt an diesem Tag ihre Kinder nicht in die Schule. Die Eltern weisen die Polizisten auch nicht darauf

hin, dass sie gerade in der Schule ist, damit sie abgeholt werden kann. Diese Behauptung ist doch absurd.

(Beifall bei der LINKEN)

Lesen Sie das einmal in der örtlichen Presse nach. Die Lehrerinnen und Lehrer beschweren sich nachhaltig darüber, dass es eine Verunsicherung an dieser Schule gebe. Das strahlt gerade aus. Ist die Schule nach wie vor ein wichtiges soziales Umfeld, das gerade für Flüchtlingskinder von besonderer Bedeutung ist? Müssen wir das nicht erhalten? Ist die Schule ein Ort des Vertrauens? Ist sie ein geschützter Raum? – Das sind die Fragen, die in diesem Zusammenhang von der Landesregierung und insbesondere vom Kultusminister beantwortet werden müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Rentsch für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal will ich sagen, dass ich dem Innenminister dankbar dafür bin, dass er den Sachverhalt hier erklärt hat. Ich glaube, das ist parteiübergreifend so: Mit so einer Situation kann niemand zufrieden sein.

(Zustimmung bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn völlig klar ist, dass das sowohl für die Familie selbst und das junge Mädchen als auch für die Schulgemeinschaft ein einschneidendes Erlebnis ist.

Ich sage das deshalb, weil ich, ohne das weiter auszuführen, im privaten Umfeld eine ähnliche Situation in einem anderen Land mitbekommen habe. Da war es leider so, dass die Polizei nicht sensibel vorgegangen ist. Die Abschiebung fand direkt aus dem Klassenzimmer heraus statt. Das Mädchen wurde mitgenommen. Es war auch dort ein Mädchen. Das ist natürlich etwas, was an niemandem spurlos vorübergeht.

So eine Geschichte, so eine Situation hat immer zwei Seiten. Herr Schaus, ich will zwei Bemerkungen zu Ihrer Rede machen.

Erstens. Ich glaube, dass es auch für viele Polizistinnen und Polizisten keine einfache Situation ist, so etwas durchzuführen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das glaube ich auch!)

Zweitens. Ich will Ihnen da ausdrücklich für die Freien Demokraten widersprechen. Die Schule ist kein rechtsfreier Raum.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

So schmerzhaft und so schwierig diese Situation ist – –

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Geschützter Raum! Ich habe nicht gesagt: rechtsfreier Raum!)

Herr Schaus, was ist denn Ihrer Überlegung nach ein geschützter Raum? Bedeutet das, dass in einem geschützten Raum Recht nicht angewendet wird? – Ich muss sagen: Da widerspreche ich Ihnen. Das halte ich für eine auch rechtsstaatlich nicht haltbare Position.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)