Protocol of the Session on October 13, 2016

Die Straf- und Gewalttaten von rechts haben um mehr als 400 % zugenommen. Das muss man sich einmal vorstellen. Die Rechten behaupten, durch Flüchtlinge werde das ganze Land unsicher, zünden aber selbst Häuser an und prügeln sich durch die Straßen.

(Clemens Reif (CDU): Ganz besonders im Arbeiterund Bauernstaat!)

Ich weiß gar nicht, warum Sie da so nervös werden. Das ist doch die Realität, Herr Reif.

In Freital z. B. – –

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ja, es ist interessant, dass Sie da so reagieren. Das finde ich ausgesprochen interessant.

(Zurufe von der CDU – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich rede von heute, von gestern, und nicht von vorvorgestern.

(Zurufe von der CDU)

Ja, aber offensichtlich leben Sie noch in Ihrer Gedankenwelt von vorvorgestern, Herr Reif.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Herr Kollege Schaus, Ihre Redezeit wird nicht gekürzt. Ich warte erst einmal ab, bis Ruhe herrscht. – Bitte schön, Sie haben das Wort.

Danke schön. – In Freital, Herr Reif, sprach man offiziell von einer Pogromstimmung. In Leipzig versuchten Neonazis, eine Polizeiwache zu stürmen. In Hessen wurde auf Flüchtlingsunterkünfte geschossen. Es wurden Gasleitungen angesägt, Schweinekadaver ausgelegt und Brände gelegt. Der Amokläufer von München hat neun junge Menschen erschossen. Er war überzeugter Arier und stolz, an Hitlers Geburtstag geboren zu sein. In Dresden explodierten jüngst zwei Sprengsätze kurz hintereinander, einer davon vor einem muslimischen Gebetshaus.

Laut einer Umfrage haben 50 % aller Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland Drohungen oder sogar Morddrohungen erhalten. Flüchtlingshelferinnen, Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten, die sich für einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen einsetzen, werden zu Zielscheiben rechter Verbrechen. „Volksverräter“ sagt man wohl bei AfD und Pegida, in Limburg wurde ein Mann aus rassistischen Motiven getötet. Das ist die Realität. Wir erleben eine solche dramatische Entwicklung schon seit Längerem, eine Verschiebung hin zu rassistischer Gewalt und rechtem Terror. Das ist die Realität von heute.

Wir wissen, wie schrecklich rechte Verbrechen in unserem Land gewütet haben, nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus mit mehr als 60 Millionen Toten, sondern auch beim Oktoberfestattentat mit 13 Toten und 200 Verletzten. Nicht ganz zu verschweigen ist auch der NSU-Terror mit mindestens zehn Toten und Dutzenden Verletzten. Wir sagen: Nie wieder Faschismus und Nein zum Rassismus.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist richtig und wichtig, dass die Landesregierung die Mittel für Prävention massiv aufgestockt hat. Das unterstützen und begrüßen wir. Ich werbe aber darüber hinaus für eine grundsätzlich andere Politik – eine Politik, die endlich die sozialen Krisen und außenpolitischen Ursachen von Flucht bekämpft. Nur wenn wir die Fluchtursachen und die soziale Ungleichheit bekämpfen, werden wir auch in der Bekämpfung von Neofaschismus und Rechtspopulismus erfolgreich sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Bei allen Unterschieden auch in der Flüchtlingsfrage sollte uns eines einen: dass wir die Demokratie, trotz all ihrer Schwächen, gegen Ewiggestrige verteidigen. Wehret den Anfängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Wortmeldung von Herrn Kollegen Greilich für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir erst in der letzten Plenarsitzung Gelegenheit hatten, im Rahmen einer Aktuellen Stunde der CDU über das Präventionsnetzwerk gegen Salafismus zu sprechen, geht es in diesem Antrag – wir haben es schon gehört – um die Bemühungen, mit dem Programm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ voranzukommen.

Mit Blick auf den Verfassungsschutzbericht 2015, den der Innenminister erst kürzlich vorgelegt hat, möchte ich in aller Deutlichkeit sagen, dass jedenfalls eines richtig ist, nämlich dass wir uns intensiv mit der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit befassen. Der Innenminister hat die aktuelle Situation im Zuge der Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht dargestellt: In Hessen haben wir derzeit über 4.000 Islamisten, davon etwa 1.650 radikale Salafisten. Beim Landesamt für Verfassungsschutz werden damit schon mehr Islamisten als Rechts- und Linksextremisten zusammen geführt. Das muss man sich einmal klarmachen. Damit steht meines Erachtens fest, dass der Islamismus heute die mit Abstand größte Bedrohung für unsere Gesellschaf ist, und daran gibt es nichts zu deuteln.

(Beifall bei der FDP)

Also ist es auch richtig, dass die Mittel für die Extremismusprävention in den letzten Jahren mehrfach erhöht und letztlich auf 1,2 Millionen € in diesem Jahr verdreifacht wurden. Wir haben das angeregt und unterstützt. Daher haben wir auch – das möchte ich wiederholen – ausdrücklich mehrfach gelobt, dass das hessische Präventionsnetzwerk eine gute Einrichtung ist und einen erheblichen Beitrag zur Beratung von radikalisierten Jugendlichen und deren Angehörigen sowie zur aktiven Prävention vor Radikalisierung geleistet hat.

Ja, es ist natürlich auch richtig, dass Staatsschutz und Verfassungsschutz personell und sachlich weiter gestärkt werden. Auch das hat unsere Unterstützung. Wir werden das in der Haushaltsdebatte auch noch einmal sehr deutlich sagen. Nur eine Erkenntnis, die hinter dieser personellen Verstärkung steckt, ist sehr wichtig, und zwar die Erkenntnis, dass Prävention es nicht ersetzt, gezielt und nachdrücklich Repression auszuüben, wo entsprechende Erscheinungen festzustellen sind, die bekämpft werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Da muss ich zumindest auszugsweise wiederholen, was ich auch in der Aktuellen Stunde vor vier Wochen gesagt habe: Was muss denn eigentlich erst alles passieren, bis diese Landesregierung zu diesen Schritten bereit war? Ich will jetzt nicht all die Einzelpunkte der zunehmenden Aktivitäten der „Lies!“-Aktion, der Übergriffe auf das Jugendhaus in Frankfurt usw. wiederholen, sondern auf das verweisen, was ich damals gesagt habe – ich denke, Sie haben es noch in Erinnerung –: Ich hatte damals ausgeführt, dass Sie von CDU und GRÜNEN aus Ihrem Dornröschenschlaf erwacht seien. Jetzt sind wieder vier Wochen um, man musste ein bisschen nachdenken und überlegen, ob das denn wirklich durch die Entwicklung bestätigt ist. Ich muss sagen, dass

ich das damals Gesagte ein wenig relativieren muss: Die Landesregierung ist leider noch immer nicht auf der Höhe, was den Umgang mit diesen Themen angeht, sondern befindet sich anscheinend mindestens zeit- und teilweise noch immer ein bisschen in einem Dämmerschlaf.

Wie komme ich darauf? Ich will das an drei Beispielen klarmachen. Erstens. Die Landeregierung ist nicht einmal zu einer halbwegs zeitnahen Beantwortung unserer zahlreichen Anfragen im Zusammenhang mit der islamistischen Bedrohung in der Lage – oder aber nicht willens, das ist die andere Möglichkeit. Mit teilweise fadenscheinigen Begründungen werden Informationen zu Aktivitäten von Islamisten, Hinterhofmoscheen, radikal unterwanderten Verbänden und der „Lies!“-Kampagne nicht oder nur kryptisch beantwortet.

Zweitens. Das ist im Übrigen ein besonders herausragendes Beispiel in diesem Zusammenhang, nämlich die jüngste Entwicklung um den DIV und seine Mitglieder. Im Zuge der öffentlichen Berichterstattung und unseres Berichtsantrags mussten Sie nicht nur einräumen, dass die Zusammenarbeit mit Verbänden unter anderem im Präventionsrat wegen islamistischer Beeinflussung beendet werden musste, sondern darüber hinaus, dass es letztlich offensichtlich keine regelhafte Überprüfung von Kooperationspartnern im Bereich des Islamismus auf Kontakte in die Szene gibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist Praxis in Hessen, und das ist eine unzureichende Praxis.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Turgut Yüksel (SPD))

Drittens. Es sind wieder vier Wochen vergangen, ohne dass irgendetwas passiert wäre. Nach Ihrem zunächst vorgelegten, absolut stümperhaften ersten Entwurf eines Verfassungsschutzgesetzes, also der Rechtsgrundlage des Landesamtes für Verfassungsschutz, herrscht hier noch immer Schweigen im Walde. Jedwedes Angebot zur Zusammenarbeit auch über die Fraktionsgrenzen hinweg ist ungehört geblieben, nichts kommt.

Ich komme zum Schluss und muss Ihnen deshalb hier mit auf den Weg geben: Alles Geld und jede noch so gut aufgestellte Präventionsarbeit nutzen nichts, wenn die Repression sowie die Information der Öffentlichkeit derart hinterherhinken. Wir werden, das verspreche ich Ihnen, es Ihnen auch im Zuge der Haushaltsberatungen nicht durchgehen lassen, dass Sie mit einigen Säcken voll Geld, die Ihnen die gute Konjunkturlage beschert hat, in der Gegend herumlaufen, die Säcke in das System werfen und das Problem des Extremismus damit für erledigt erklären.

Meine Damen und Herren, es kommt auf die Qualität und die Ergebnisse Ihrer Arbeit an, und die ist in vielen Bereichen noch äußerst ausbaufähig.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Wortmeldung von Herrn Abg. Frömmrich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es schon in der letzten Debatte zu diesem Themenkomplex gesagt, ich sage es noch einmal: Ich glaube,

dass wir uns keinen Gefallen tun, in einer solchen Art über diesen Themenkomplex zu reden, Herr Greilich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich denke, dass wir gut beraten wären – gerade in diesem Bereich, der die Frage der Bekämpfung von Extremisten angeht, der die Frage von Präventionsprojekten angeht, bei denen es darum geht, zu versuchen, Jugendliche zurückzuholen, die in solche Gruppen abzugleiten drohen, oder zu versuchen, dieses Abgleiten zu verhindern –, wenn wir als Landtag gemeinsam ein ganz starkes Zeichen setzen würden, dass wir uns in dieser Frage sehr einig sind.

Sie haben gerade wieder bewiesen, dass Sie das nicht können und dass Sie kleinkarierte Oppositionspolitik betreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich finde das ganz kleines Karo.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Der Spruch fehlte noch! Er ist in fast jeder Ihrer Reden enthalten!)

Herr Kollege Schaus, bei Ihnen würden mir noch andere Sachen einfallen, aber dann würden wir wahrscheinlich eine Sitzungsunterbrechung bekommen. Deshalb will ich darauf verzichten.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, es wäre wirklich gut, sich bei diesem Tagesordnungspunkt zu vergegenwärtigen, was das Land Hessen im Bereich der Prävention macht, das durchzudeklinieren und zu schauen, wo wir eigentlich stehen und wo wir hinkommen müssen. Das ist leider wieder versäumt worden.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Was ist denn passiert beim NSU? Hören Sie doch auf!)

Ich freue mich, dass wir über dieses wichtige Thema heute zumindest reden. Es ist schon angeklungen, dass wir als Land Hessen in den Bereichen Extremismusbekämpfung und Extremismusprävention sehr gut aufgestellt sind. Das sollten wir auch nach außen sehr deutlich machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)