Protocol of the Session on September 14, 2016

Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung des PsychischKranken-Hilfe-Gesetzes in Hessen einen großen Fortschritt darstellt. Wir haben die kommunale Ebene bewusst gestärkt; denn dort leben die Menschen, dort werden die Hilfen erbracht. Wir als Land werden diesen Prozess eng begleiten; denn nur durch Kooperation und Kommunikation aller Beteiligten wird sich zugunsten der Menschen, die dieser Hilfestellungen bedürfen, tatsächlich etwas ändern. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Einbringung. – Ich eröffne die Aussprache. Frau Dr. Sommer von der SPD-Fraktion hat sich zu Wort gemeldet. Vereinbart sind auch hier 7,5 Minuten. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Grüttner, ich muss sagen, ich finde es sehr klug, dass Sie mit dem Thema nachdenklich umgehen; denn es ist eine sensible Thematik. Angesichts der jahrzehntelangen Diskussion um ein Psychisch-Kranken-Gesetz und angesichts der Erfolge und auch Misserfolge der über 30 Jahre zurückliegenden Psychiatriereform ist eine breit getragene Entwicklung von Zielen für ein PsychKG erforderlich. Sie haben eben schon erwähnt: Viele Experten haben sich im Psychiatriebeirat und darüber hinaus dazu ausgetauscht.

Dennoch ist Hessen das Bundesland, das als letztes über kein zeitgemäßes Gesetz für Hilfen und Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verfügte. Hessen war also strukturell abgehängt. Aber das soll sich nun ändern.

Mit Beunruhigung nehmen wir die erhebliche Zunahme der Zahl psychischer Erkrankungen auch in Hessen wahr. Psychische Erkrankungen bedeuten auch heute nicht nur ein erhebliches und oft langwieriges Leiden, sondern sind ganz oft Grund von Stigmatisierungen. Sie führen dann zu erheblichen sozialen Folgen für die Betroffenen. Oft kommt deswegen die Hilfe zu spät.

Deswegen war es längst Zeit, zeitgemäße Rahmenvorgaben für eine moderne Prävention, für Früherkennung, Organisation geeigneter Versorgungsstrukturen, Vermittlung geeigneter Hilfen, Unterstützung in Fragen jenseits der medizinischen Therapie, aber auch der Rehabilitation und Begleitung chronisch Kranker durch das Land zu schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Zunächst einmal möchte ich festhalten: Insgesamt bedeutet das Gesetz, auch wenn es lange auf sich hat warten lassen, eine rechtliche Stärkung. Es versucht, Hilfen und Schutzmaßnahmen zu regeln. Das heißt, es gibt den Akteuren Werkzeuge an die Hand, um die bedarfsgerechte Versorgung von Menschen, die Hilfe benötigen, zu verbessern.

Das Gesetz entspricht auch in Teilen – Sie haben es erwähnt – den Erwartungen der Experten und Praktiker. Die Besuchskommission möchte ich herausgreifen; denn sie ist ein positives Element. Sie sollte aber vielleicht nicht nur in psychiatrischen Krankenhäusern, sondern auch in Wohngruppen besichtigen, und zwar ohne Ankündigung und trotzdem mit genügend Zeit vor Ort, damit sich Patienten in ihre Privatsphäre zurückziehen können, damit die Privatsphäre gewahrt wird. So könnte gleichzeitig ein unverfälschtes Bild von der Unterbringung gelingen. Wie man das machen kann, dazu kann man vielleicht einmal in das Gesetz von Nordrhein-Westfalen schauen; dort gelingt das nämlich ganz gut.

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes soll alle drei Jahre ein Besuch erfolgen. Das wird nicht nur von mir, sondern auch von anderen als zu wenig erachtet. Eine Zeitspanne von drei Jahren zwischen den einzelnen Besuchen

ist zu lang. Ein kürzerer Besuchsturnus sowie die Begutachtung der gemeindepsychiatrischen Infrastruktur wären insgesamt wünschenswert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das Gesetz regelt leider auch nicht, wer ab wann wofür zuständig ist. Dazu werden wir durch die Rechtsverordnung aber sicherlich noch mehr erfahren. Es regelt auch nicht, wie eine flächendeckende gute Versorgung inklusive 24Stunden-Krisendienst gewährleistet werden kann. Aber, wie gesagt, wir hoffen dahin gehend auf weitere Rechtsverordnungen.

Wichtig ist uns aber ein gutes sozialpsychiatrisches Netzwerk, meine Damen und Herren. Das muss aufgebaut und Angebote müssen optimiert vernetzt werden: mit psychotherapeutischen, psychologischen, sozialpädagogischen, pflegerischen sowie präventiven und rehabilitativen Hilfen – also von Hilfen im Vorfeld, von Anfang an, über ein gutes Entlassungsmanagement bis hin zu Angeboten, die Chronifizierung sowie Exklusion vermeiden.

Neben der Psychotherapie und Pharmakotherapie gibt es verschiedene Möglichkeiten, psychisch kranke Menschen zu unterstützen, unter anderem durch Soziotherapie. Gerade die Soziotherapie stellt eine lebenspraktische Anleitung dar. Man versucht beispielsweise, Kontaktstörungen, dem Verlust sozialer Bezüge, der reduzierten Fähigkeit, den Lebensalltag eigenständig zu bewältigen, entgegenzukommen. Das heißt, die gesunden Ressourcen von Menschen sollen wieder aktiviert werden; man regt die Patienten zur Selbsthilfe an.

Eine grundsätzliche Verankerung von solchen Hilfen und deren Vernetzung, also auch der Zusammenarbeit und Vernetzung von ambulanten und stationären Angeboten, natürlich immer im Sinne der Patienten und im Sinne einer Beseitigung vorhandener Versorgungslücken, wäre ein essenzieller Punkt, den das Gesetz regeln kann. Das kommt bisher leider zu kurz.

(Beifall bei der SPD)

Ziel aber – das von allen und auch durch das Gesetz getragen wird – ist der Übergang von der medizinischen Behandlung zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung, also die soziale Reintegration. Dabei geht es auch darum, dem Patienten ein Leben außerhalb von psychiatrischen Einrichtungen zu ermöglichen und einen Klinikaufenthalt, wenn möglich, zu vermeiden oder zu verkürzen.

In der Realität ist es aber nach wie vor so, dass gerade bei der psychotherapeutischen Behandlung große Mängel bestehen. So gibt es etwa lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz; das haben wir in vielen Berichtsanträgen und Kleinen Anfragen erkennen können. Die ambulante psychiatrische Pflege ist nicht flächendeckend vorhanden. Angebote wie die Soziotherapie sind eben wenig verbreitet. Solche flankierenden Hilfen und ihre flächendeckende Verfügbarkeit sind jedoch einfach unabdingbar, wenn man ein funktionierendes Hilfesystem möchte.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass es eine Unter- bzw. Fehlversorgung im geronto- sowie im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich gibt, und auch darauf, dass Kinder und Jugendliche nicht in einer Erwachsenenpsychiatrie behandelt werden sollten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die sinnvolle Absprache und Abstimmung von psychiatrischen und psychotherapeutischen Hilfen in den einzelnen Regionen könnte hier Abhilfe schaffen. Noch einmal möchte ich appellieren, Hilfen im Vorfeld besser zugänglich zu machen und Bedarfe flächendeckend zu erkennen und zu decken.

Ich freue mich auf die weitere Beratung im Ausschuss und auf die Anhörung; denn im Hinblick auf Aspekte wie Planungskonferenzen, Informationsaustausch, fürsorgliches Zurückhalten, Patientensicherheit, Prävention vor Gewalt und Zwang – Herr Minister, Sie haben die Prämisse, dass Hilfen Vorrang haben sollen vor Zwang, schon genannt – gibt es noch viel Diskussionsspielraum. Das gilt auch hinsichtlich der Stärkung von Recovery- und Empowermentstrategien.

Ich denke aber, dies ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Herr Grüttner, Sie haben es einen Meilenstein genannt. Ich sage: Es hat Potenzial, Meilenstein zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Sommer. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun Herr Abg. Bocklet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob es ein Meilenstein wird oder nicht, mag im Auge des Betrachters liegen. Ich glaube, an solchen Tagen spricht man dennoch von historischen Momenten; denn nach 64 Jahren wird das Freiheitsentziehungsgesetz abgelöst durch ein modernes Gesetz für Hilfen für psychisch Kranke. Wir haben 2014 damit begonnen: CDU und GRÜNE haben Fraktionsanhörungen durchgeführt, wir haben unzählige Fachbeiratssitzungen zum Thema gehabt, wir haben öffentliche Anhörungen besucht, auch in der Uniklinik waren wir gemeinsam. In der Tat, nach zwei Jahren, in denen angehört, diskutiert und hart daran gearbeitet worden ist, darf man auch einmal davon sprechen, dass es – aus meiner Sicht – tatsächlich ein Meilenstein ist.

Es ist ein Wendepunkt in der hessischen Psychiatriepolitik; denn es bedeutet, dass wir Abstand nehmen von dem Primat des Zwangs. Wir sagen: „Hilfe vor Zwang“. Wir brauchen tatsächlich einen Geist, der „ambulant“ den Vorrang vor „stationär“ gibt. Wir wollen den Menschen helfen und sie nicht ordnungsrechtlich behandeln. Ich glaube, dieser Geist ist überfällig, und es ist gut, dass dies im Gesetzentwurf vorkommt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir wissen durch unzählige Berichterstattungen, wie hochsensibel dieser Bereich sein kann. Frau Schott, wenn ich mich richtig erinnere, haben auch Sie selbst schon damals gesagt, dass es unglaubliche Fälle von ungerechten Vorkommnissen gibt, bei denen Menschen gegen ihren Willen falsch behandelt wurden. Ja, diese Fälle gab es. Ich glaube, solche Fälle wird es auch in Zukunft immer wieder einmal geben, genauso wie es in Krankenhäusern, in der Medizin

zu Fehlern kommt. Dennoch haben wir uns der Diskussion kritisch gestellt.

Wir haben uns auch die Frage gestellt: Bedeutet das, dass es trotz nachweislicher Fehler in Einzelfällen, bei freiheitsentziehenden Maßnahmen, nicht dennoch zwingend notwendig ist, den Ärzten, den Krankenhäusern und den Psychiatrien dieses Instrument tatsächlich an die Hand zu geben? Das ist eine sehr sensible Diskussion, weil es um Bürgerrechte geht, um Menschenrechte und um die UNBehindertenrechtskonvention, die zu Recht die Würde des Menschen betont.

Wir sind zu der Position gekommen, dass es Fälle geben wird, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen und Zwangsbehandlungen notwendig sind. Aber wenn dem so ist, dann müssen wir als Politik dafür Sorge tragen, dass sie unter ganz klaren Regeln, größtmöglicher Transparenz und rechtlich klaren Rahmenbedingungen vorgenommen werden und dass sie so kurz wie möglich sind. All das wird jetzt im PsychKG tatsächlich geregelt. Deswegen ist das ein guter Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Der Gesetzentwurf entspricht also den heutigen Ansprüchen an moderne Hilfen.

Es geht natürlich auch um Prävention. Wir wissen, dass Menschen – das wird uns in Anhörungen oft geschildert –, die am Samstagnacht um 3 Uhr große Probleme bekommen, die plötzlich ausklinken, ausrasten oder die sich selbst etwas antun wollen, vorher in der Regel bekannt waren. Sie sind nicht aus heiterem Himmel psychisch erkrankt, sondern haben eine Krankenakte. Deswegen wird es wesentlich darauf ankommen, dass wir frühe Hilfen anbieten können.

Deswegen ist es auch so wichtig, dass dies vor Ort geschieht, dass wir die Sozialpsychiatrischen Dienste stärken und sie auch finanziell so ausstatten, dass sie die Menschen in der Prävention schon früh aufnehmen können und sie dann, wenn sie aus einer geschlossenen Unterbringung kommen, auch in der Nachsorge betreuen. Denn wir wissen – das ist immer wieder so –, dass psychisch Erkrankte auch wieder erkranken können. Wenn sie schon aktenkundig geworden sind, kann man natürlich auf eine Weise nachsorgen, dass sie nicht noch einmal geschlossen untergebracht werden müssen.

All das regeln die Rechte und Möglichkeiten der Sozialpsychiatrischen Dienste vor Ort, der öffentlichen Gesundheitsdienste. Es ist ein wichtiger Meilenstein, wie ich finde. Auch darüber haben wir sehr lange diskutiert: was dort alles zu tun und zu lassen ist. Ich finde, auch diesbezüglich wurde unter umfassender Abwägung aller Interessen ein guter Weg gefunden.

Ich habe das nie so gesehen, Frau Kollegin Schott oder Frau Dr. Sommer. Ich habe das erst nicht so gesehen, sondern habe als Zeitungsleser natürlich die Probleme der Patienten gesehen. Aber es gibt eine Fülle von Ärzten, Sozialarbeitern, Betreuern, die sagen: Alles, was ihr dort hineinschreibt, atmet auch einen Tick von Misstrauen uns gegenüber.

Sie fragen dann natürlich auch: Warum müsst ihr mir so auf die Finger schauen? Warum muss es einen Patientenfürsprecher geben, einen Ombudsmann, eine Besuchskommission? Warum muss es Schriftverkehr geben, der unzen

siert an alle Abgeordneten und Fachstellen gehen kann? – Das atmet doch eigentlich einen Tick Misstrauen unserer Arbeit und unserem Schwur gegenüber, dass wir nur das Beste für den Patienten wollen.

Diese Diskussion war auch nicht einfach. Wir sagen: In der Abwägung der Bürgerrechte brauchen wir, wenn wir der Zwangsbehandlung zustimmen, tatsächlich eine Fülle an Instrumenten, die der Kontrolle dienen. Sie müssen auch dokumentieren, was sie tun. Das ist ein Interessenausgleich, den wir durchschreiten wollen.

Ich kann allen Akteuren und Ärzten in die Augen blicken und sagen: Nein, das ist kein Misstrauensvotum. Es ist die Pflicht der Politik und der öffentlichen Hand, zu sagen: Wenn wir solche Eingriffe vornehmen, dann müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir alles getan haben, damit es nicht zu Missbrauch kommt.

Ich habe es gesagt: Die Patientenrechte werden enorm gestärkt werden. Es wird unabhängige Beschwerdestellen vor Ort geben. Es wird Patientenfürsprecher und eine Besuchskommission geben, die auch mit ehemaligen Betroffenen ausgestattet sein wird.

Ich weiß nicht, ob Sie das aus dem Gesetzentwurf richtig zitiert haben. Ich habe es nur zur Hälfte gehört. Die Besuchskommission soll nach Inkrafttreten des Gesetzes die Einrichtungen in den ersten zwei Jahren mindestens einmal pro Jahr besuchen. Dann kennt man seine Pappenheimer. Das weiß jeder, der schon einmal so eine Kontrollfunktion ausgeübt hat. Deshalb haben wir gesagt: Danach wird es nicht mehr ganz so oft stattfinden müssen. Wenn man die zwei Jahre lang einmal pro Jahr besucht hat, dann weiß man, wer gut und wer nicht gut arbeitet.

Ich finde, das ist in Ordnung. Das werden unabhängige Besuchskommissionen mit einer Fülle an Experten sein. Das werden unabhängige Menschen, Richter und ehemalige Betroffene sein. Auch das ist gut.

Ich finde, es ist auch richtig, dass im Gesetz noch einmal festgehalten werden wird, dass der Schriftverkehr der Patienten nicht zensiert werden darf. Auch das war zu regeln.

Ich komme abschließend zu folgender Position: Wir werden die freiheitsentziehenden Maßnahmen klar und transparent regeln. Wir haben gesagt, dass wir präventive Maßnahmen haben wollen und dass wir wollen, dass „ambulant“ vor „stationär“ geht. Zwangsmaßnahmen sollen nur die Ultima Ratio sein. Wir wollen, dass man sich um die psychisch Kranken auch nachsorgend kümmert. Mit den Berichten und dem Fachbeirat wollen wir zukünftig ein Monitoring der Situation der Psychiatrie in Hessen haben.

Ich glaube, das ist ein wirklich gelungenes Werk. Wir haben uns allergrößte Mühe gegeben, unter Abwägung aller Interessen wirklich mit Augenmaß ein zukunftsweisendes Gesetz zu machen. Wir werden damit einen neuen Geist in die hessische Psychiatriepolitik bekommen. Ich glaube, man kann schon heute von einem Meilenstein sprechen.

Dennoch sind wir natürlich, wie immer, für weitere Verbesserungen offen, wenn sich das aus der Anhörung tatsächlich ergeben sollte. Ich glaube, Hessen kann heute auf den Gesetzentwurf stolz sein. – Ich danke Ihnen.