Protocol of the Session on June 21, 2016

Es gibt an einer Stelle einen Änderungsbedarf. Die Betreiber der Social-Media-Plattformen, die Anbieter der InstantMessaging-Dienste und andere sollen künftig verpflichtet werden, den Strafverfolgungsbehörden auf Verlangen unmittelbar Auskünfte über die Identität der Nutzer zu erteilen. Außerdem wollen wir, dass strafbare Inhalte, insbesondere Äußerungen mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder sonstigen menschenverachtendem Charakter, vor ihrer Entfernung gesichert werden, damit das am Ende für die Strafverfolgungsbehörden weiterhin nutzbar bleibt.

Das soll auch dann gelten, wenn die Unternehmen ihren Sitz in den USA oder in einem anderen Drittstaat haben. Denn es kann nicht sein, dass die Anbieter sozialer Medien in Deutschland zwar ihr Geld verdienen, mit den Strafverfolgungsbehörden aber nur über den langwierigen Weg der internationalen Rechtshilfe zusammenarbeiten. Hier geht es darum, dass die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung stärker als bisher wahrnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein ganz anderes Thema will ich noch ansprechen, nämlich E-Justice. Da geht es um die Digitalisierung in der Justiz, die elektronische Akte und alles, was damit zusammenhängt. Die Auswirkungen in der Praxis sind daran zu sehen, dass die Verwaltungsgerichte gut ausgestattet sind und dass wir inzwischen bundesweit bei Modellgerichten die Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Verwaltungsgerichten innerhalb von Minuten sicherstellen können. Seit Februar 2016 sind die Bearbeitungszeiten sechs Monate kürzer, als wir das in der Vergangenheit hatten. Die elektronischen Ver

fahren führen also vor Gericht zu einer enormen Beschleunigung.

Ein Zentrales elektronisches Schutzschriftenregister hat es früher nicht gegeben. Schutzschriften sind vorbeugende Verteidigungsschriftsätze gegen erwartete Anträge auf Arrest oder einstweilige Verfügungen. Man kann jetzt bundesweit auf dieses Register zugreifen, das Hessen entwickelt hat.

Zum Bürgerlichen Gesetzbuch will ich noch einige Fragen aufwerfen, an die viele von Ihnen gar nicht denken. Bei der Digitalisierung wird es in Zukunft z. B. um die Frage gehen, welche Vertragsbeziehungen beim Streaming oder in sozialen Netzwerken bestehen. Besteht ein Bedürfnis nach eigentumsähnlichen Rechten an Daten, die man übertragen oder vollstrecken kann bzw. die Teil der Insolvenzmasse werden? Was gehört zum digitalen Nachlass? Welche Rechte haben Erben an den elektronischen Accounts der Erblasser, den darin befindlichen Daten, wie etwa E-Mails und Kundenbewertungen, oder an Nutzungsrechten für E-Books, Musik oder Videos?

All das sind die Alltagsfragen, die die großen rechtlichen Herausforderungen im Internet darstellen. Nicht zuletzt spielt auch das Recht auf Schutz der Persönlichkeit eine große Rolle.

Ich will noch etwas Aktuelles ansprechen. Heute Abend wird in Frankreich wieder im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft gespielt werden. Viele von Ihnen haben die Ausschreitungen der Hooligans vor Augen. Ich will darauf hinweisen, dass die Ausstattung gewaltbereiter Hooligans mit einer elektronischen Fußfessel dafür sorgt, dass Schutzzonen eingerichtet werden können. Es gibt also auch im digitalen Bereich eine Möglichkeit des Opferschutzes, an die man nicht denkt.

Wir brauchen das digitale Recht und die digitale Agenda für dieses Recht. Als Justizministerin werde ich diese digitale Agenda weiterhin maßgeblich voranbringen und mit Impulsen aus Hessen dazu beitragen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Hofmann das Wort.

(Günter Rudolph (SPD): Sie ist gerade einmal nicht da! Ruft sie einmal aus!)

Kein Problem, wir warten.

(Günter Rudolph (SPD): Dann nehmt den Nächsten!)

Kann ich vorziehen? – Ich erteile jetzt Frau Kollegin Karin Müller für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Wir verfahren jetzt so.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Besser kann es nicht werden. Am besten höre ich gleich auf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die neuen Zeitalter beginnen nicht auf einmal. Mein Großvater lebte schon in der neuen Zeit. Mein Enkel wird wohl noch in der alten leben.

Dieser Satz von Bertolt Brecht gilt zumindest für mein bisheriges Leben nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, in der digitalen Steinzeit aufgewachsen zu sein. Die Neuzeit entwickelt sich rasend schnell. Sie stellt uns vor immer noch größere Herausforderungen.

(Florian Rentsch (FDP): Das liegt aber nicht an der regionalen Herkunft!)

Als ich 1979 mit meiner Ausbildung angefangen habe, gab es noch die gute, alte Schreibmaschine. Zur Datensammlung wurden Lochkarten verwendet. Darauf wurde gespeichert. Das Thema Datenschutz war zwar präsent, aber nicht so, wie es das heutzutage ist. Die Datenmengen waren überschaubar.

Dann gab es irgendwann die Magnetplatten. Dann gab es den Atari-Computer mit den 5 ¼-Zoll-Disketten. Sie kennen das alles. Heutzutage können wir große Datenmengen auf immer kleiner werdenden Geräten speichern.

Heutzutage gibt nicht nur die Jugend ihre Daten freiwillig preis. Wir kennen das alle. Wir surfen in sozialen Medien. Wir werden gefragt, ob unser Adressbuch genutzt werden kann. Darüber machen wir uns nicht sehr viele Gedanken. Wir haben es gerade gehört: Ich finde, wir müssen uns darüber Gedanken machen, was mit unseren Daten passiert, wenn wir Payback-Karten beim Einkauf benutzen, wenn wir irgendwelche Apps benutzen und Zugriff auf all unsere Daten ermöglichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das hat natürlich Folgen für die Sicherheit der Daten. Für die Kriminellen eröffnet das Internet ungeahnte Möglichkeiten. Internet und digitale Informationswege werden zum Tatort.

Die Cyberkriminalität wächst rasend schnell. Der Verband der Internetwirtschaft hat 2014 etwa 220.000 Computer stichprobenartig untersucht. Dabei kam heraus, dass 92.000 Systeme mit 725 infizierten Dateien verseucht waren.

Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist eine ungeheure Menge. Hochgerechnet heißt das, dass 40 % aller Computer in Deutschland infiziert sind. In dem Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2015 wurde dann festgestellt, dass im ersten Halbjahr 2015 täglich bis zu 60.000 Computer neu infiziert wurden.

Es besteht also Handlungsbedarf. Die Ministerin hat es bereits erwähnt. Bereits im Budapester Übereinkommen über Computerkriminalität aus dem Jahr 2001 wurde dieser Handlungsbedarf formuliert. Schon in diesem Abkommen war vorgesehen, dass der unbefugte Zugang zu einem Computersystem, also der digitale Hausfriedensbruch, über den wir heute reden, unter Strafe gestellt werden soll.

Dabei geht es nicht um die Verschärfung des Strafrechts, sondern um die Anpassung des Strafrechts an die heutige Zeit. Es geht darum, die Intimsphäre des Einzelnen zu schützen. Denn es ist ein Unterschied, ob ich meine Daten freiwillig zur Verfügung stelle oder diese missbraucht werden und damit dann Straftaten verübt werden.

Die Computer werden von sogenannten Botnetzen angegriffen. Dabei wird ein ungeschützter Computer infiziert. Der Computer wird dann in ein Botnetz eingegliedert. Der Betreiber, der die eingegliederten Computer steuert, verkauft die Dienste des Botnetzes. Das Botznetz wird z. B. dazu genutzt, massenweise Spam zu versenden usw. Es werden auch Kreditkartennummern ausgespäht.

Die SSL-geschützte Verbindung wird im Hintergrund protokolliert. Alles, was wir an Passwörtern und Kreditkartennummern eingeben, kann so ausgespäht werden – ein unheimliches Geschäft für diejenigen, die damit wiederum Handel treiben und die Persönlichkeit klauen. Alle diese Systeme kann man im sogenannten Darknet erwerben. Es ist heutzutage ganz einfach, da hineinzukommen – ein unheimlicher Tummelplatz für Kriminalität. Die Infrastruktur des Internets bietet dafür die Plattform.

Die Forschung ist auf einem guten Weg, dagegen anzugehen; aber das reicht natürlich nicht allein. Wissenschaftlern der Ben-Gurion-Universität ist es z. B. im Februar 2016 gelungen, ein Programm zu entwickeln, das Botnetze mittels sogenannter Honeypots aufspüren kann. Das funktioniert genauso wie bei dem Bären: Man stellt einen Honigtopf hin und lockt ihn in die Falle. Genauso funktioniert es bei diesem Programm. Damit werden die Botnetze automatisch erkannt, auch ob der Angriff von einem Bot oder einer realen Person ausgeht.

Das Internet ist zum größten Tatort der Welt geworden. Es gibt 3 Milliarden Internetnutzer und 10 Milliarden angeschlossene Geräte. Jeder verfügt über mindestens drei Geräte – das stellen wir selbst fest –, jeder hat einen Computer, ein Tablet, ein Smartphone. Das sind viele „Häuser“, in die eingebrochen werden kann. Beim Thema Internetkriminalität verhält es sich so ähnlich wie beim Thema Wohnungseinbrüche: Wir brauchen zum einen die Forschung, die Prävention und die Aufklärung wie bei den Wohnungseinbrüchen, aber auch die Eigeninitiative, um sich vor Kriminalität zu schützen. Und, das ist anders als bei Wohnungseinbrüchen, wir brauchen ein Recht, das sich der veränderten technologisierten und vernetzten Welt anpasst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Das Strafgesetzbuch ist aus dem Jahr 1877. Da kannte man zwar schon die Schreibmaschine, aber viel mehr auch nicht. Wir brauchen eine digitale Agenda für das Recht. Das ist keine neue Erkenntnis, aber verändert hat sich im Strafrecht und in der Strafprozessordnung bisher sehr wenig. Wir haben eine Fachabteilung der Generalstaatsanwaltschaft in Gießen, die ZIT, die eine sehr gute Arbeit leistet, aber die auch das nötige Werkzeug braucht, um die digitalen Herausforderungen in der Datenwelt zu bewältigen. Das heißt, wir brauchen kein neues Recht, sondern ein der digitalen Welt angepasstes.

Dieser Aufgabe stellt sich die Landesregierung mit einem Auftrag der Justizministerkonferenz im Rücken. Es wurde geprüft und wird immer weiter geprüft, wo der dringendste Handlungsbedarf besteht. Deshalb reden wir aktuell und heute über den Rechtsgedanken des Hausfriedensbruchs; denn der Computer ist durchaus mit einem Haus vergleichbar, nur nicht voll mit Dingen zum Anfassen, sondern voll mit persönlichen Daten, die es zu schützen gilt. Laptops, Tablets und Smartphones sind heute Spiegelbilder einer Person. Die auf diesen Medien vorhandenen Daten lassen teilweise eher Rückschlüsse auf eine Person zu als die ei

gene Wohnung. Deswegen muss hier dasselbe gelten wie bei der Wohnung: Zutritt verboten. Dieses individuelle Recht muss vom Staat geschützt werden.

Das wird auch heute schon getan, aber, wie von der Ministerin bereits ausgeführt, nicht mit den passgenauen Vorschriften. Deswegen ist die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht worden, ebenso der Rechtsgedanke des § 248b Strafgesetzbuch: Der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs bietet sich als Rechtsgedanke an. Es muss sichergestellt werden, dass nur die- oder derjenige, dem das Gerät gehört oder der die Erlaubnis zur Nutzung hat, es bedient. Unbefugter Gebrauch ist unter Strafe zu stellen. Diese zwei konkreten Straftatbestände sollen auf die digitalen Tatbestände angepasst werden. Dazu hat Hessen die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht.

Die technische Entwicklung war der strafrechtlichen Entwicklung schon immer voraus. Das gilt es trotz aller Hürden für die Strafverfolgung im virtuellen Raum zu ändern. Es ist eine große Herausforderung für die Strafverfolgung, angemessen und schnell auf die Internetkriminalität zu reagieren. Die Informationssysteme sind verschlüsselt, im Netz wird anonym agiert, und die Internationalität des weltweiten Netzes lässt das nationale Recht schnell an seine Grenzen stoßen. Umso dringender ist es, dass wir uns auf den Weg zu einer digitalen Agenda für das Recht machen. Da müssen wir etwas an Geschwindigkeit zulegen. Während es mir auf Deutschlands Straßen etwas zu schnell geht, müssen wir bei der Anpassung des Rechts auf das digitale Zeitalter etwas Fahrt aufnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein kleines Beispiel: Nach der Einführung der Kreditkarten in Deutschland dauerte es 28 Jahre, bis die Strafbarkeit von Kreditkartenmissbrauch geregelt wurde – eindeutig zu lang. Das muss schneller gehen. Das sind wir sowohl den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern als auch den Unternehmen schuldig – das hat die Ministerin ausgeführt –, die sich unter dem Stichwort Industrie 4.0 auf den Weg gemacht haben, die Industrie zu digitalisieren. Dazu haben wir vor einigen Wochen auch eine Regierungserklärung gehört.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, haben wir!)

Die veränderte Arbeitswelt braucht Schutz vor Cyberangriffen, und diese Angriffe müssen schnell und angemessen bestraft werden können.

Wir GRÜNE stehen selbstverständlich für Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme geschaffen. Dieses gilt es zu schützen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger davor schützen, dass jemand die Laptop-Kamera anzapft und sie dadurch in ihren eigenen vier Wänden beobachten kann und damit die Intimsphäre nicht mehr geschützt ist, und das notfalls auch mit dem Strafrecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir müssen verhindern, dass sich jemand intimste Mails einer Person ansieht. Laptops, Smartphones und Tablets werden angesichts der Digitalisierung des Lebens, wie z. B. der Steuerung der Rollladen, der Heizung etc., mit dem Haus vernetzt. Deswegen wird der Schutz immer wichtiger, weil immer mehr Vernetzung stattfindet. Das Hausrecht schützt den Herrschaftsbereich einer Person, die

Wohnung. Zu diesem Herrschaftsbereich gehören aber auch die soeben erwähnten Geräte. Hier hat der Staat eine Schutzpflicht.

Ich fasse zusammen. Das Strafrecht ist immer das letzte Mittel, wenn es darum geht, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Davor stehen Prävention, Aufklärung, Eigeninitiative und Forschung nach Gegenmaßnahmen. Aber auch das letzte Mittel muss für eine angepasste Anwendung bereit sein. Deswegen begrüßen wir die Aktivitäten der Landesregierung auf Bundesebene und bitten um Unterstützung für unseren Antrag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)