(Minister Tarek Al-Wazir: Solange du nicht draußen Fußball geschaut hast, ist alles gut! – Heiterkeit)
Grundbedürfnisse. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Karl Valentin hat einmal gesagt, und das gilt in der Tat auch für die Digitalisierung unserer Gesellschaft:
Die Bedeutung der Digitalisierung für unsere Gesellschaft ist von den Vorrednerinnen schon skizziert worden. Große Datenverarbeitungskonzerne haben vor 40 Jahren entsprechende Geräte produziert, aber nicht im Blick gehabt, dass der Personal Computer einmal ein Marktknaller werden könnte, haben also die Entwicklung verkannt. Erst vor 20 Jahren ging es so richtig mit dem Internet los. Wer hätte denn vor 40 oder 20 Jahren gedacht, dass der eine oder andere von uns ständig online wäre? Ich glaube, nicht so viele.
In der Tat, die Digitalisierung unserer Gesellschaft betrifft alle Lebensbereiche. Sie verändert unsere Gesellschaft komplett, etwa die Produktionsbedingungen, die Arbeit, die Kommunikation und das Wissen. Ganz klar ist, das Recht muss sich diesen Entwicklungen nicht nur anpassen, sozusagen Schritt halten – nein, das Recht muss ganz vorne dabei sein und garantieren, dass der Bürger in dieser digitalen Welt sicher ist, mündig und frei zu entscheiden, welche Daten er verwendet, wie er handelt und was er tut.
Das Thema Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Deswegen halte ich es für angemessen und habe auch erwartet, dass es zur Chefsache dieser Landesregierung gemacht würde. Eigentlich hätte Ministerpräsident Bouffier heute hier über dieses Querschnittsthema, diese Querschnittsaufgabe reden müssen, und das nicht nur so, wie wir es jetzt fast jedes Plenum in einer Regierungserklärung erwarten können. Nein, meine Damen und Herren, das ist ein Querschnittsthema, das allumfänglich betrachtet werden muss.
Ich möchte auch noch einmal auf das Thema der Cyberkriminalität eingehen, weil es ein besorgniserregendes, ja bedrückendes Thema ist.
Cyberkriminelle reagieren äußerst flexibel und hoch professionell auf die ständigen technischen Veränderungen und neuen Rahmenbedingungen. Sie haben – das muss man hier mit Bauchschmerzen anerkennen – in vielen Bereichen einen technischen Vorsprung, auch vor den Sicherheitsbehörden. Deshalb ist das Gefährdungspotenzial für jeden Internetnutzer auch so groß. Es ist davon auszugehen, dass der Bereich der Internetkriminalität der Hauptschwerpunkt der Kriminalität werden wird. Er wird alle Kriminalitätsformen durchdringen, sei es der Betrug, sei es der Menschenhandel oder auch der Waffenhandel. Im Bereich der Internetkriminalität müssen wir nicht nur mit steigenden Fallzahlen rechnen, sondern diese sind bereits Wirklichkeit. Allein hier in Hessen haben wir einen Anstieg von 3,6 % zu verzeichnen. Auch die Komplexität der Ermittlungsverfahren nimmt zu. Bundesweit rechnet das Bundeskriminalamt sogar mit einem Anstieg der Internetkriminalität um 8 %.
Besonders kommt diesen Kriminellen zupass, dass das Internet weitestgehend anonym ist. Sie sind professionell organisiert. Angriffe auf Firmen und Behörden – der Deutsche Bundestag ist hier schon genannt worden – zeigen, dass Deutschland digital verwundbar ist und jede Infrastruktur, die mit dem Internet verbunden ist, Ziel von Cyberangriffen sein kann.
Die wirtschaftliche Dimension möchte ich auch kurz beleuchten. Fast jedes zweite Unternehmen in Deutschland ist von Cyberkriminalität betroffen. Der wirtschaftliche Gesamtschaden in Deutschland betrug allein in den letzten beiden Jahren – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – 54 Milliarden €. Von den Betroffenen wird das Risiko oft zu gering eingeschätzt. Das ist auch eine große Gefahr, meine Damen und Herren.
Was ist also zu tun? Sie haben ausgeführt, dass es im Bereich der Staatsanwaltschaften viele Sonderdezernate gibt. Sie haben die ZIT, die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, angesprochen, die – das machen wir hier auch ganz deutlich – über das gesamte Bundesgebiet hinweg gute Arbeit leistet. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu tun, meine Damen und Herren. So ist etwa an eine bundesweite Kommunikationsplattform zu denken, auf der sich die Sicherheitsbehörden untereinander austauschen können. Ich meine natürlich eine Kommunikationsplattform, die keine personenbezogenen Daten verwendet.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der für die SPDLandtagsfraktion von zentraler Bedeutung ist. Was nützen die besten Gesetze, was nützt die beste Technik, wenn das Personal fehlt, um entsprechende Fälle zu ermitteln, um anzuklagen und zu verurteilen?
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, hierauf einzugehen. Wir müssen vielmehr immer wieder ansprechen und beklagen, dass Sie es zu verantworten haben, dass in den letzten Jahren Stellen in der Justiz abgebaut wurden – einmal in den Jahren 2003 und folgende 800 Stellen, dann 400 Stellen – und dass mit dem Personalabbauprogramm, das noch läuft, nochmals 177 Stellen abgebaut werden. Das ist alles Perso
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich nicht hierhin und sagen, Sie seien die Speerspitze einer Bewegung für das digitale Recht, für eine digitale Agenda, wenn Sie noch nicht einmal Ihre ureigensten Hausaufgaben machen.
Zum Thema Botnetz-Kriminalität, dem sogenannten digitalen Hausfriedensbruch. Es ist eben schon angesprochen worden, dass ein Botnetz eine Vielzahl – entweder zeitweise oder ständig – mit dem Internet verbundener Computer ist, bei dem der rechtmäßige Nutzer nicht bemerkt, dass sein eigenes Programm mit Schadprogrammen infiziert ist und sein Computer gar einer ganz anderen Kontrolle unterliegt.
Meine Damen und Herren, rund 40 % aller Computersysteme in Deutschland sind – so schätzt man – infiziert. Das ist eine bedrohliche Zahl. Im Bereich der Botnetz-Kriminalität ist vieles nicht nur denkbar, sondern wird auch in die Tat umgesetzt. Zu nennen sind das Versenden von SpamMails, Onlinebanking-Betrug, das Verschleiern von Servern mit kriminellen Inhalten, leider auch der Bereich der Kinderpornografie und vieles mehr. Der gesamte Internetverkehr kann theoretisch durch diese Kriminalitätsform abgehört und manipuliert werden.
Wir haben gemerkt, was beim Deutschen Bundestag passieren kann, aber diese Kriminalitätsform bedroht auch unsere Wirtschaft. Allerdings will ich der Ministerin klar widersprechen, die suggeriert, in diesem Bereich bestünden große Strafbarkeitslücken. Ich kann Ihnen sagen, dass das deutsche Strafrecht auch im Bereich der Botnetz-Kriminalität grundsätzlich gut aufgestellt ist. Das möchte ich durch die Gesetzeslage konkret belegen.
Sämtliche Aktivitäten, die mit dem Aufbau und Betrieb eines Botnetzes in Verbindung stehen, werden bereits strafrechtlich sanktioniert: das Programmieren einer Malware, die zu einem Botnetz führt, das Verbreiten von Botnetzen, der Einsatz von Malware. Das Ausspähen und Abfangen von Daten, die Unterdrückung, Löschung und Veränderung von Daten – § 303a StGB – wie auch der Onlinebanking-Betrug, die Computersabotage sind hier zu nennen.
Ein Weiteres ist von zentraler Bedeutung. Erst im letzten Jahr ist das sogenannte IT-Sicherheitsgesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden, in dem Anbieter von Telemediendiensten verpflichtet worden sind, ihre Angebote und personenbezogene Daten gegen unerlaubte Zugriffe durch Dritte zu schützen und gegen Störungen zu sichern.
Sie haben es selbst angesprochen, Frau Justizministerin: Das Cybercrime Convention Committee hat Deutschland über den Europarat noch einmal Hausaufgaben aufgegeben. Neue Standards, was die auf Datenträgern physisch gespeicherten Daten aller Art, die Verkehrsdaten- und Bestandsdatenerhebung angeht, sind durch die entsprechenden Vorschriften in der Strafprozessordnung abgesichert.
Handlungsbedarf im Bereich der Botnetze sehe ich vielmehr noch bei der Verbesserung und Weiterentwicklung technischer Verfahren. Frau Müller, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Forschung, die wissenschaftliche Begleitung und Weiterentwicklung, aber auch die Sensibilisierung der
Bürgerschaft, der Unternehmen, der Gesellschaft für dieses zentrale Thema angesprochen haben. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel sowohl in der Bevölkerung als auch in den Unternehmen, meine Damen Herren.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Strafbarkeit der Datenhehlerei. Damit rühmen Sie sich ja auch. Dazu kann ich nur ganz klar sagen: Dieser Initiative aus Hessen hätte es gar nicht bedurft, da – das wissen Sie auch – ein Bundesgesetz zur Einführung einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten entsprechende Regelungen beinhaltet.
Kinderpornografie ist ein Thema, das uns stark beschäftigt und das sehr bedrückend ist. Ich bin unserem Bundesjustizminister Heiko Maas sehr dankbar, dass er es durch seine Initiative aus dem Jahre 2014 erreicht hat, bestimmte Strafbarkeitslücken gerade im Bereich des Cyber-Grooming unter Strafe zu stellen.
Ich darf hier einige Beispiele nennen. Es ist z. B. schon eine neue Vorschrift geschaffen worden – insofern ist hier auch schon vieles getan worden –, die eine Einwirkung auf ein Kind mittels einer Informations- und Kommunikationstechnologie, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, schon unter Strafe stellt.
Die Höchststrafe für die Verletzung des persönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen ist erhöht worden. Außerdem wissen Sie, dass es eine Reformkommission zur Überprüfung des Sexualstrafrechts gibt, die ihre Arbeitsergebnisse im Herbst dieses Jahres vorlegen wird. Darin werden Vorschläge enthalten sein, ob vor dem sogenannte Cyber-Grooming strafrechtlich besonders geschützt werden muss und ob es Änderungsbedarf gibt. Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, im Herbst dieses Jahres soll es Ergebnisse dieser Kommission geben.
Ich darf Sie noch an Ihren eigenen Antrag an den Bundesrat erinnern. Ich darf daraus zitieren. Da heißt es unter Punkt 3 – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –:
Stärkung der technischen und personellen Rahmenbedingungen … Eine weitere Stärkung der Ermittlungsbehörden erscheint angesichts der stetig steigenden Anzahl und des Umfangs der Verfahren insbesondere im Bereich der Kinderpornografie dringend angezeigt.
Da kann ich nur sagen: Hört, hört. Bitte erinnern Sie sich an Ihre eigenen Worte. Ich sage Ihnen ganz klar: Das passt nicht zu dem Personalabbau, den Sie nicht nur in der Justiz, sondern auch bei der Polizei betreiben.
Jetzt haben Sie aufgrund des Druckes nachjustieren müssen. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei fehlen 1.000 Stellen.
Sie wissen ganz genau, dass die Polizei noch über 3 Millionen Überstunden vor sich herschiebt. Da kann ich Ihnen nur sagen: Es ist unverantwortlich, wie Sie in unserem Land Personalpolitik machen.
Ein weiterer Punkt, der zumindest bei Ihnen nicht fehlen darf, ist die Fußfessel. Klar, die elektronische Fußfessel ist ein weiteres, ergänzendes Mittel. Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Sie darf nicht zur PR-Nummer verkommen, und man muss bei diesem Mittel auch immer die Kirche im Dorf lassen. Die elektronische Fußfessel ist nur für solche Fälle geeignet, in denen die Probanden ihren Tagesablauf strukturieren können. Ich möchte auch deutlich machen: Die elektronische Fußfessel kann nicht die absolute Sicherheit garantieren. Das wäre aus Sicht der SPD-Fraktion fatal.
Zur elektronischen Akte. Auch die Justiz wird auf die elektronische Akte umgestellt, d. h., die papiergebundene Kommunikation wird zu Recht bis zum Jahr 2022 abgelöst. Das sieht ein entsprechendes Bundesgesetz vor.