war die systematische Verfolgung und Ermordung während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft.
Die Nazis machten sich Vorurteile der Bevölkerung bei der brutalen Umsetzung ihrer pseudowissenschaftlichen Rassenlehre zunutze. Sinti und Roma wurden Opfer des systematischen Mordens. Absicht war es auch, die Erinnerung an sie auszulöschen. Daher ist es besonders wichtig, die Erinnerung an die Opfer und an ihre Namen wachzuhalten.
Tatsache ist, die meisten Opfer haben keine Gräber. Sie wurden verscharrt. Kein Grabstein erinnert an sie. Deshalb kommt dem dauernden Erhalt und der Pflege der vorhandenen Gräber eine besondere Bedeutung zu. Die Gräber von Opfern nationalsozialistischer Gewalt sind historische Stätten der Erinnerungskultur, die mahnend bis in unsere Gegenwart hineinwirken. Diese Aufgabe sollen sie auch in der Zukunft haben.
Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass derzeit Gräber von Sinti und Roma, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt wurden, nicht unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen. Daher hat die Landesregierung im Bundesrat bereits 2012 eine entsprechende Initiative unterstützt, um solche Gräber auf Dauer zu erhalten. Eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz der Gräber muss allerdings noch gefunden werden. Es ist gut und richtig, dass wir als ersten Schritt im Haushalt 2016 50.000 € für den Erhalt der Grabstätten der Sinti und Roma als Verfolgte der NS-Gewaltherrschaft bereitgestellt haben.
Heute sind Sinti und Roma eine anerkannte nationale Minderheit in der Bundesrepublik und stehen unter einem besonderen staatlichen Schutz. Besonders schutzbedürftig ist ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität. Die Rahmenvereinbarung zwischen der Hessischen Landesregierung und dem Verband deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen – vom 12. März 2014 hat dies gut zusammengefasst. Dort findet sich auch der Appell der Landesregierung an die Friedhofsträger, entsprechenden Grabstätten ein ewiges Ruherecht zu gewähren.
Doch neben der Erinnerung an die traurige Vergangenheit bleibt es auch unsere Aufgabe, gegen Diskriminierung in unseren Tagen vorzugehen. Die Antidiskriminierungsstelle im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration leistet hier einen wichtigen Beitrag. Alle Menschen in Hessen, die Opfer von Diskriminierung werden, können sich an diese Stelle wenden. Doch auch Aufklärung und Prävention gehören zu ihren Aufgaben.
Der Internationale Tag der Sinti und Roma am 8. April jedes Jahres erinnert an die Geschichte, aber auch an die aktuelle Situation der Sinti und Roma.
Trotz etlicher Anstrengungen und Initiativen muss die Situation von Sinti und Roma, besonders in einigen Teilen Osteuropas, weiter als prekär bezeichnet werden.
Wir sind es den Opfern schuldig, ihrer zu gedenken, aber auch heute gegen jede Art von Diskriminierung vorzugehen. Pauschale Urteile über Volksgruppen und Religionsgemeinschaften haben zurzeit leider wieder Konjunktur. Dabei sollten wir es besser wissen. Erinnerung tut weiter not.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Utter, ich danke Ihnen ausdrücklich für Ihre Rede. Sie war sowohl vom Inhalt als auch vom Ton her der Sache angemessen. Herzlichen Dank dafür.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Vizepräsident Frank Lortz über- nimmt den Vorsitz.)
Herr Kollege van Ooyen, umso enttäuschter bin ich darüber, wie man sich bei einem Thema, über das man sich in der Sache eigentlich einig ist, noch verstolpern kann und dass man tatsächlich in Streit darüber gerät.
Ich will es einmal so sagen: Es gab in Deutschland und Österreich 40.000 Sinti und Roma; bis zu 25.000 von ihnen sind ermordet worden. Europaweit sind bis zu 500.000 Sinti und Roma dem Rassenwahn zum Opfer gefallen. Es war ein systematischer, geplanter Völkermord. Deshalb steht die Bundesrepublik Deutschland – natürlich auch das Land Hessen – in der besonderen Verantwortung, dieser Opfer zu gedenken. Ich glaube, darüber gibt es in diesem Saal keinen Dissens.
Sie haben es schon erwähnt: Wir haben ein Gräbergesetz, das den Erhalt der Gräber von Opfern nationalsozialistischer Gewalt eben nicht ermöglicht. Der Umgang mit den Gräbern von Sinti und Roma ist dort nämlich nicht abgedeckt. Daher hat sich die Hessische Landesregierung in einer Bundesratsinitiative des Themas schon angenommen. Man kann also nicht sagen, dass sich die Hessische Landesregierung da ignorant gezeigt hätte.
Die Hessische Landesregierung hat auch bereits 50.000 € zur Verfügung gestellt; der Kollege Utter hat es angesprochen. Schließlich hat die Landesregierung eine Rahmenvereinbarung mit dem Verband deutscher Sinti und Roma geschlossen, in der noch einmal der Frage nachgegangen wird, wie man die Gräber am besten erhält und pflegt und somit auch in Zukunft für das Gedenken sichert.
All das ist richtig, und all das ist begonnen worden. Es ist aber noch nicht zu einem befriedigenden Abschluss gekommen. Aber wir unterstützen alles, was erforderlich ist, damit die wenigen Gräber, die noch vorhanden sind, gepflegt werden und erhalten bleiben und wir als Hessen unserer Verantwortung gerecht werden. Wir stellen auch zukünftig Mittel dafür zur Verfügung. Das ist unsere moralische Verantwortung, das ist unsere Pflicht, und das werden wir auch in Regierungshandeln umsetzen.
Deswegen haben wir auch diesen Antrag vorgelegt. Ich glaube, er enthält genau das, was er enthalten muss, nämlich dass wir eine Verantwortung haben, dass wir mit der Arbeit begonnen haben und dass wir sie abschließen wollen, sodass wir mit den Gräbern der Sinti und Roma auch für zukünftige Generationen ein Mahnmal in Hessen haben, mit dem an den Naziterror erinnert werden soll.
Ihr Antrag sagt im Prinzip das Gleiche aus. Er enthält auch keine Fragen zur Abschiebung und zu allem anderen. Es ist fehl am Platze, darüber jetzt mit zu diskutieren. Heute geht es darum, wie wir die Gräber der Opfer nationalsozialistischer Gewalt, in dem Fall die der Sinti und Roma, dauerhaft erhalten können.
Wir sind auf einem gute Wege. Ich hoffe, wir können die Landesregierung dabei unterstützen, dass dieses wirklich nicht einfache Problem gelöst wird. Man muss nämlich in den 426 hessischen Gemeinden nach diesen Gräbern suchen. Man muss wissen, wo sie sind, und dann muss man ihre dauerhafte Pflege vereinbaren.
Ich bitte darum, dass der Hessische Landtag dieses Thema nicht im Parteiengezänk untergehen lässt, sondern dass unser gemeinsames Signal an die heute lebenden Sinti und Roma ist: Wir sind an ihrer Seite, wir verweigern uns jeglicher Diskriminierung dieser Gruppe, und wir unterstützen sie, auch in ihrem Gedenken. – Das muss heute das Signal sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist mehr als notwendig – das hat der Kollege Utter sehr deutlich gemacht –, dass wir in Deutschland immer wieder an die Opfer und an die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern. Gerade die aktuelle Zunahme rassistischer Gewalt gegenüber Flüchtlingen macht deutlich, wie elementar es ist, dass wir Tag für Tag daran arbeiten, unsere Grundwerte zu verteidigen.
Das neue Ausmaß rechtsradikaler Hetze und Gewalt muss für alle Demokraten ein Ansporn sein, entschiedener für unsere offene und solidarische Gesellschaft einzutreten. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über einen neuen Übergriff auf Geflüchtete berichtet wird. Morgen werden es Homosexuelle sein, übermorgen Menschen mit Handicap usw. Meine Damen und Herren, wehret den Anfängen.
Deshalb ist es unabdingbar, dass wir der Erinnerungskultur einen sehr hohen Stellenwert beimessen. Genau so steht es auch in dem heute vorgelegten Antrag von Schwarz-Grün, aus dem ich gern zitiere, weil das, was dort steht, sehr zutreffend ist:
Der Landtag bekräftigt seine politische und moralische Verantwortung gegenüber den Opfern des NSUnrechtsregimes. Ihrer zu gedenken und die Erinnerung an sie lebendig zu halten, ist und bleibt notwendiger Beitrag eines verantwortungsvollen Umgangs mit der deutschen Geschichte. Die Gräber von Opfern nationalsozialistischer Gewalt sind historische Stätten dieser Erinnerungskultur, die mahnend bis in unsere Gegenwart wirken und diese Aufgabe auch in der Zukunft haben sollen.
Ja, all das ist richtig. Darum erschüttert es mich, dass unzählige Gräber von Verfolgten des NS-Regimes Tag für Tag entsorgt werden. Davon betroffen sind nicht nur die Gräber von Sinti und Roma, sondern auch die von Euthanasieverfolgten, Homosexuellen, Zeugen Jehovas und zum Teil auch die von Juden. Ebenso erschütternd ist die Tatsache, dass viele Gräber von Sinti und Roma nicht unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen, weil dieser einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Tod bis zum Stichtag 31. März 1952 voraussetzt.
Während nach dem Zweiten Weltkrieg die Juden völlig zu Recht als Opfer des rassistischen Völkermords anerkannt wurden, mussten die aus der Tötungsmaschinerie der Nazis zurückgekehrten Sinti und Roma Folgendes erleben: Der Bundesgerichtshof urteilte 1956, dass staatliche Verfolgungsmaßnahmen vor 1943 gegenüber den als „Zigeuner“ gebrandmarkten Menschen gerechtfertigt gewesen seien. Ich zitiere aus dem Urteil:
Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung von fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb zu eigen ist.
Meine Damen und Herren, für diesen Urteilsspruch entschuldigte sich die Präsidentin des Bundesgerichtshofs erst im vergangenen Jahr.
Nur etwa die Hälfte der deutschen Sinti und Roma überlebte den rassistischen Völkermord, der erst 1982 von Helmut Schmidt als solcher anerkannt wurde. Er wurde, so der damalige Kanzler, aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt wie der an den Juden.
So ergibt sich die paradoxe Situation, dass Gräber von Tätergruppen … dauerhaft gepflegt werden, während Gräber von Opfern des Naziregimes aber, die nach dem 31. März 1952 verstorben sind, geräumt werden.
Es muss einen beschämen, dass noch immer keine bundeseinheitliche Regelung für den dauerhaften Erhalt der Grabstätten der Überlebenden getroffen wurde. Umso wichtiger ist es daher, in unserem Lande Hessen die betreffenden Gräber jetzt zu schützen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Deshalb werden wir dem Antrag der LINKEN zustimmen und uns bei dem der Koalition enthalten; denn er geht zwar in die richtige Richtung, reicht uns aber nicht weit genug. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt, so will ich behaupten, in den letzten zehn Jahren eine Kontinuität, eine sehr positive Kontinuität in diesem Hause wie aber auch bei der Landesregierung hinsichtlich der Zusammenarbeit derjenigen, die heute für die Sinti und Roma sprechen, im Gedenken an die Ermordeten, an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt. Kollege Utter hat das in unseren Augen in hervorragender Art und Weise von diesem Pult aus deutlich gemacht.
Wir haben eine Verantwortung immer zu tragen. Wir haben eine Verantwortung, uns daran zu erinnern. Wir haben eine Verantwortung dafür, dass die Schülerinnen und Schüler in Hessen sich immer wieder daran erinnern. Wir diskutieren häufig die Frage, Herr Kultusminister, ob es nicht sogar ins Pflichtenheft eines jeden Schülers gehört, mindestens einmal in seinem Schulleben eine Gedenkstätte nationalsozialistischer Opfer in Hessen besucht zu haben. Ich habe mich als stellvertretender Ministerpräsident dafür ausgesprochen. Wir sind leider nicht zu einem endgültigen verpflichtenden Ergebnis gekommen.
Aber ich glaube, an einem Tag wie dem heutigen kann man noch einmal daran erinnern, dass es schon auch Aufgabe der Bildung ist, anstelle einer Klassenfahrt z. B. in einen Freizeitpark – ich habe nichts dagegen, auch in einen Freizeitpark zu fahren – auch einmal in eine Gedenkstätte zu fahren. Wir haben von Hadamar bis Guxhagen – da braucht man gar nicht weit zu fahren – leider sehr viele dieser Gedenkstätten bei uns im Lande. Die sollten einmal besucht werden.
Die Kontinuität in der Arbeit der Landesregierung ist auch angesprochen worden. Ich kann mich noch sehr gut an die Diskussion erinnern, die wir im Jahr 2012 geführt haben. Damals war Michael Boddenberg unser Bundesratsminister. Wir haben diskutiert, wie wir das Thema angehen, um auf Bundesebene diese Initiative einzubringen, dass Sinti und Roma auch unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen.
Ich muss gestehen: Als ich mir das in den letzten Tagen wieder vor Augen geführt habe, war ich schon etwas entsetzt, dass das noch nicht gelöst ist. Ich glaube, dass diese Debatte am heutigen Tage die Landesregierung motivieren wird, noch einmal in die Bundesratsdebatte hineinzugehen und zuzusehen, dass man auf Bundesebene ein entsprechendes Ergebnis findet.