Je nach Sicht schwanken die Vorstellungen in Bezug auf das Volumen einer Finanztransaktionssteuer zwischen 16 Milliarden und 400 Milliarden €. Die neuesten Zahlen – ich habe sie mir heute Morgen beschafft – liegen zwischen 10 Milliarden und 30 Milliarden €. Der Bundesfinanzminister spricht mittlerweile von einem Einnahmevolumen von rund 2 Milliarden €. Die früher gehegte Fantasie, man könne damit ganze Haushalte sanieren, ist also wie eine Seifenblase geplatzt. Die gewaltigen Spannen sind schnell erklärt. Je mehr Händler auf Standorte ausweichen, die eine solche Steuer nicht erheben, desto geringer fallen die Einnahmen aus.
Der dritte und wichtigste Grund aus unserer Sicht ist die Einschätzung der Spekulationen. Diese hatten eine erhebliche Auswirkung auf die Finanzkrise und die anschließende Schuldenkrise der Staaten. Das ist der Grund, wieso wir uns überhaupt über eine Finanztransaktionssteuer unterhalten und sie wichtig finden. Die Finanztransaktionssteuer trifft allerdings fast alle und alles: die Finanzmärkte, die Börsen, die Unternehmen, die Versicherungen und auch die Privatleute. Ausgenommen sind nur Staatsanleihen und Geschäfte mit der Europäischen Zentralbank.
Ja. – Ich sage: Wir sind den 70.000 Mitarbeitern am Finanzplatz Frankfurt, der ein wichtiger Herzmuskel ist, verpflichtet. Diese leisten einen sehr wichtigen Beitrag zum Wohlstand in Hessen. Das wissen wir. Deshalb ist es unsere vornehmste Aufgabe, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Frankfurt zu erhalten und weiter zu stärken. Es soll also fair, transparent und möglichst europäisch einheitlich zugehen,
und – Herr Präsident – es soll so sein, dass wir nichts machen, was anderen nutzt, letztlich aber Frankfurt schadet. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Reif. – Mir liegt eine weitere Wortmeldung vor: Herr Kollege Weiß, SPD-Fraktion.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fünfeinhalb Jahre nach dem Ausbruch der weltweit größten Wirt
schafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg macht es, glaube ich, keinen Sinn, diese noch einmal lexikalisch auf Vollständigkeit hin zu schildern. Sie alle können sich an den September 2008 erinnern: Wir standen kurz vor einer Kernschmelze des internationalen Finanzsektors. Es gab kein Vertrauen und keine Liquidität mehr im Markt, und die Banken kamen auf einmal auf jemanden zu, den sie sich sonst immer möglichst weit weg wünschen: den Staat.
Das Singuläre an dieser Krise war, dass es sich um eine Vierfachkrise handelte. Die Finanzkrise sprang auf die Realwirtschaft über und wurde zu einer Konjunktur- und Wirtschaftskrise. 2009 war ein Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 5 % zu verzeichnen. Vom Bund wurden die Konjunkturpakete I und II aufgelegt. Das Konjunkturpaket, das seitens dieses Landes gemacht wurde – über 1,7 Milliarden € –, war schuldenfinanziert.
Die Wirtschaftskrise wurde zu einer Fiskalkrise, weil die öffentlichen Haushalte deswegen enorme Einbrüche hatten. Aus der Fiskalkrise wurde eine Krise ganzer Nationalstaaten mit weitgehenden gesellschaftlichen Implikationen, die bis heute dramatisch spürbar sind und die den Staat vor eine doppelte Legitimationskrise gestellt haben.
Auf der einen Seite ist er erkennbar nicht mehr Herr des Geschehens, und auf der anderen Seite sind die Verursacher der Krise, bei denen Risiko und Haftung auseinanderfallen – übrigens ein konstitutives Element unserer Definition von sozialer Marktwirtschaft –, erkennbar dabei, ihre Gewinne zu privatisieren und ihre Verluste zu sozialisieren, und zwar auf Kosten der Steuerzahler.
In den fünfeinhalb Jahren seitdem ist zwar schon viel geschehen, aber noch nicht genug, um eine neue Krise dieses Ausmaßes verhindern zu können. Das Wichtigste, was fehlt, ist, dass jedes Finanzprodukt, jeder Teilnehmer am Finanzmarkt und jeder einzelne Finanzmarkt einer Regulierung und einer Aufsicht unterworfen.
Weiterhin sind höhere Eigenkapitalanforderungen, ein Verbot von nackten Leerverkäufen, ein Verbot von nackten Kreditversicherungsscheinen und eine weitestgehende Begrenzung des Eigenhandels der Banken erforderlich. Alle Geschäfte – ohne Ausnahme – müssen aus einem Schattenbereich in die Bilanzen geholt werden. Wir brauchen ein Bankeninsolvenzrecht, und wir brauchen die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Ich verkneife mir an dieser Stelle jeden Kalauer.
Zu diesen Erfordernissen gehört – das wollen wir nicht vergessen – auch die finanzielle Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise, aus ökonomischen Gründen und aus den legitimatorischen Gründen, die ich bereits erwähnt habe.
Wenn die Mitglieder der FDP jetzt aufschreien, kann ich nur sagen: Es ist schlecht um diese Republik bestellt, wenn manche nicht mitbekommen, dass durch eine solche Krise der Zuspruch zur sozialen Marktwirtschaft, die uns allen nach wie vor ein erhebliches Maß an ökonomischem Wohlstand, sozialem Zusammenhalt und individuellen Freiheiten bringt, und ihre legitimatorischen Grundlagen
gefährdet werden, und wenn die Protagonisten dieses Systems, die ihre legitimen darauf Gewinninteressen aufbauen, nicht mitbekommen, dass sie selbst dieses System durch ihre Exzesse und ihre Maßlosigkeiten am meisten gefährden.
Bei der Finanztransaktionssteuer geht es ganz einfach darum, eine Umsatzsteuer auf Finanzprodukte einzuführen, wie es sie auch auf jedes andere Produkt und jede andere Dienstleistung gibt. Das hat im Übrigen auch damit zu tun, dass der Finanzsektor zu einer Gemeinwohlverpflichtung und einem Vorbildverhalten zurückkehrt.
Neben der Regulierungsfunktion hat die Finanztransaktionssteuer noch den fiskalischen Nebeneffekt von Mehreinnahmen von geschätzt mindestens 10 Milliarden €, die zwar nur dem Bund zustehen, aber ich habe gestern in einer dpa-Meldung gelesen, dass Ministerpräsident Bouffier eine Unterstützung des Bundes für die Länder zur Einhaltung der Schuldenbremse fordert. Dafür könnten die 10 Milliarden € z. B. ganz gut verwendet werden.
Wenn ich bei Herrn Bouffier bin, dann komme ich jetzt auch zu dem Verhalten dieser neuen Koalition von Schwarz-Grün in dieser Thematik. Bis zum 22. September 2013 hat Volker Bouffier die Einführung der Finanztransaktionssteuer massiv bekämpft. Danach hat er die Finanztransaktionssteuer in die Koalitionsvereinbarung im Bund – das wollen wir nicht vergessen, daran war er maßgeblich beteiligt – hineingeschrieben. Gleichzeitig hat er hier in Hessen eine Formulierung getroffen, nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Anfang Februar hat der stellvertretende Ministerpräsident Al-Wazir dann gesagt, dass die Landesregierung nun doch für die Steuer sei; und keine zwei Tage später hat der Ministerpräsident seinen Stellvertreter wieder korrigiert und gesagt, dass die Landesregierung die Steuer doch nicht wolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wirklich schädigend für den Finanzplatz Frankfurt ist nicht die Finanztransaktionssteuer, sondern die Vielstimmigkeit und Wankelmütigkeit dieser Landesregierung hierzu.
Das sage nicht ich, sondern das schreibt Manfred Köhler in der konservativen „FAZ“. Die Anzahl der Pirouetten, die Ministerpräsident Bouffier in den letzten Wochen und Monaten zur Finanztransaktionssteuer gedreht hat, würde selbst einen Horst Seehofer schwindelig werden lassen.
Die Unentschiedenheit bei diesem Thema ist bei den Koalitionären von BÜNDNIS 90/DIE SCHWARZEN offenbar so groß, dass Sie in ihrem Antrag unter Nr. 3 den Text aus ihrem Koalitionsvertrag fast 1 : 1 zur Abstimmung stellen, wie Sie das auch schon in der Debatte um die unsäglichen Äußerungen von Herrn Irmer getan haben. Immerhin ersparen Sie es uns dieses Mal, dass der Landtag auch noch zur Kenntnis nehmen soll, dass die Koalitionäre in diesem Punkt unterschiedlicher Ansichten sind. Diese Passage aus dem Koalitionsvertrag haben Sie weggelassen. Ich empfehle, vielleicht kann der Friedensrichter Günter Rudolph hier bei den zerstrittenen Koalitionären einmal schlichten.
Jetzt muss ich aber noch zwei Sätze zum Antrag der FDP sagen und zu den von der Finanzlobby übernommenen Argumenten, dass die Steuer Kleinanleger und Sparer belasten und den Standort Frankfurt Jobs kosten würde.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sind doch eure neuen Freunde! – Gegenruf des Abg. Gerhard Merz (SPD): Wie langweilig!)
Zum ersten Vorwurf. Laut dem Richtlinienvorschlag der Kommission unterliegen laufende Finanztätigkeiten von Bürgern und Unternehmern wie Versicherungsverträge, Hypothekendarlehen, Verbraucherkredite, Unternehmenskredite usw. von vornherein nicht der Finanztransaktionssteuer. 85 % der besteuerten Handelstransaktionen werden ohnehin ausschließlich zwischen Finanzinstituten ohne Kundenbindung abgewickelt. Bei Wertpapiertransaktionen ist die Steuerbelastung durch die Finanztransaktionssteuer minimal. Die Bankgebühren und die Provisionen sind im Vergleich um ein Vielfaches höher.
Die Finanztransaktionssteuer belohnt langfristige Investitionen und bestraft kurzfristige Spekulationen. Bei der privaten Altersvorsorge ist die weit überwiegende Mehrzahl der Riester-Verträge gar nicht bis minimal von der Steuer betroffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schlicht eine Mär, dass Kleinanleger und Sparer durch die Finanztransaktionssteuer übermäßig betroffen seien.
Ich komme jetzt zum letzten Punkt, den Arbeitsplätzen. Die SPD ist immer an der Seite der Beschäftigten. Dies gilt auch und insbesondere für den in Hessen und Deutschland herausragenden Finanzplatz Frankfurt.
(Florian Rentsch (FDP): Auch bei der EBS? – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Da geht es um etwas anderes als Arbeitsplätze!)
Wir freuen uns, dass der Finanzplatz Frankfurt im Großen und Ganzen sehr gut durch die Krise gekommen ist. Die Zahl der Beschäftigten bei den Kreditinstituten ist nahezu konstant und in der Krise sogar noch gestiegen. Mir muss einmal jemand erklären, warum der Finanzplatz Frankfurt die schwerste Finanzkrise seit über 80 Jahren nahezu ohne Jobverlust übersteht, aber bei der Einführung einer Börsenumsatzsteuer unterhalb des Promillebereichs auf einmal massenhaft Arbeitsplätze wegfallen oder verlegt werden sollen.
Der Vorteil Frankfurts gegenüber Finanzplätzen wie London oder New York liegt doch gerade in der weitgehenden Unabhängigkeit vom Kapitalmarktgeschäft. Institute wie die Deutsche Bank haben ihr Investmentbanking nicht am Main, sondern an der Themse angesiedelt. Ich sage hier aber auch ganz deutlich: Wenn sich die Kreditinstitute durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer in Frankfurt von hochspekulativen und hochgefährlichen Geschäftsbereichen trennen, ist dies durchaus ein gewollter und regulativer Effekt dieser Steuer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einem Ausblick schließen. Am 25. Mai ist Europawahl. Das
Europäische Parlament hat im September 2012 die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mit einer Zustimmung von über 85 % befürwortet. Ich finde, wenn wir alle in den nächsten Wochen für eine möglichst hohe Beteiligung für die Europawahl werben, dann ist es auch ein Stück Glaubwürdigkeit, den Menschen draußen zu sagen, dass wir das Europäische Parlament, das die Wählerinnen und Wähler am 25. Mai neu zusammensetzen sollen, und seine Beschlüsse ernst nehmen – erst recht, wenn sie mit so einer überwältigenden Mehrheit gefasst wurden. Das wollen wir nicht einfach ignorieren. Dafür setzten wir Sozialdemokraten uns in Europa, im Bund und in Hessen ein. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe gerade eben gesehen, dass die neu entdeckte Liebe zwischen SPD und FDP schon wieder verflogen ist. Es scheint wohl nur eine kurze Affäre gewesen zu sein, Herr Kollege Weiß.