Die Universitätsmedizin in Marburg – ich bin Herrn May und Herrn Dr. Bartelt sehr dankbar dafür, dass sie das deutlich hervorgehoben haben – hat sich in den vergangenen Jahren, nein, man muss sagen, Jahrzehnten, zu Recht den Ruf einer exzellenten Adresse in der Krebstherapie erarbeitet. Das ist in allererster Linie das außerordentliche Verdienst des couragierten ärztlichen wie pflegerischen Personals vor Ort, aber es hat auch mit den richtigen politischen Weichenstellungen zu tun. Ich spreche Stefan Grüttner, den Gesundheitsminister, dabei an: Denken Sie an das hessische Onkologiekonzept, das entwickelt worden ist. Denken Sie – damit bin ich bei der gestrigen Debatte zum Haushalt – an den LOEWE-Schwerpunkt Tumor und Entzündung, den wir von 2008 bis 2012 entwickelt haben und der die Grundlage für die anschließende Entscheidung gebildet hat, in Marburg ein neues Zentrum für Tumor- und Immunbiologie, das ZTI, zu errichten, eine Anlage, deren Bau und Ausstattung Bund und Länder zusammen mit 49 Millionen € finanziert haben.
Dieses Marburger Ionenstrahlentherapiezentrum – ich bin der festen Überzeugung, dass das so sein wird – wird die Reputation des Medizinstandorts Mittelhessen, aber natürlich auch – daran muss ein Oberbürgermeister ein besonderes Interesse haben – Marburg stärken, und dieses Therapiezentrum wird ein Vorbild in Europa sein. Das gilt zumal
Herr Dr. Bartelt hat in der letzten Plenardebatte darauf hingewiesen –, weil der Bedarf an dieser innovativen Therapie in Europa bei Weitem nicht gedeckt ist. Er hat die Standorte genannt, die es in Deutschland gibt, und hat auch europaweit gezeigt, wie weit die Schere zwischen den verfügbaren und den nachgefragten Therapieplätzen auseinandergeht.
Das darf man bei einer solchen Entscheidung nicht ausblenden. Dass wir dieses Zentrum in Marburg auf den Lahnbergen öffnen, ist in der Tat das Ergebnis einer klugen, einer besonnenen und geduldigen Politik.
Es ist im Übrigen auch das Ergebnis einer Politik, die stets das Gelingen des Projektes im Auge hatte, die nicht das Scheitern herbeigeredet hat, die nicht – durch welche Aktionen auch immer – das Scheitern herbeizuführen versucht hat, die nicht eine Diskussion führen wollte, wer wem welches Versäumnis anlasten könnte. Es ist vielmehr das Resultat einer Politik, die im Koalitionsvertrag zwischen der CDU und den GRÜNEN angelegt worden ist. Dort heißt es auf Seite 75 – ich darf das noch einmal zitieren –: „Die Inbetriebnahme“ – das ist das ausschlaggebende Wort – „… ist für die Koalitionspartner … von zentraler Bedeutung.“
Lassen Sie mich mit Blick auf die GRÜNEN eines sehr deutlich sagen. Auch die GRÜNEN waren einmal in der Opposition.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Das merkt man aber nicht mehr! – Günter Rudolph (SPD): Gefühlt sind sie 200 Jahre an der Regierung!)
Wir haben auch mit den GRÜNEN intensive Diskussionen über das Thema geführt. Wissen Sie, was die GRÜNEN von Ihnen unterschieden hat? Dass die GRÜNEN eine konstruktive Politik betrieben haben.
Denn die GRÜNEN wollten immer die Inbetriebnahme des Partikelzentrums. Ich erinnere an den Haushaltsantrag des von mir sonst sehr geschätzten Dr. Spies, der Mittel für Schadenersatz in den Haushalt einstellen wollte. Die GRÜNEN haben gegen diesen Antrag gestimmt, und damit haben sie deutlich gemacht, dass sie immer die Inbetriebnahme des Zentrums im Auge hatten.
Insoweit will ich sehr deutlich sagen: Das unterscheidet eine konstruktive Politik von der Politik von Rot-Rot, die das eben anders gesehen haben.
Ich will Sie am heutigen Tage nicht mit dem Auf und Ab des Projekts behelligen. Ich will Sie auch nicht mit den vielen politischen Spielchen behelligen, die getrieben worden sind. Aber eines will ich festhalten – als wir das Zentrum eröffnet haben, als wir die Veranstaltung in der Universität hatten, Frau Dorn war ja auch in Marburg, habe ich das schon gesagt –: So manche Rede, die hier im Hessischen Landtag zum Thema gehalten worden ist, hat sich im Lichte dieser Veranstaltung, nämlich der Inbetriebnahme der Partikeltherapie, ganz besonders interessant angelassen. – Ich bin dankbar, Frau Wissler, dass Sie mich so anschauen.
Ich habe mir alle Ihre Reden zum diesem Thema noch einmal hervorgeholt. Sie lasen sich einfach wunderbar.
Ganz spannend finde ich auch, dass Frau Beer uns den Vorwurf macht, wir hätten den Systemzuschlag nicht realisiert. Frau Beer, das haben Sie in der letzten Debatte gesagt, und Sie haben es auch heute wieder vorgetragen. Das ist eine wirklich interessante Bemerkung von Ihnen, denn nach meiner Erinnerung war vor Schwarz-Rot im Bund Schwarz-Gelb an der Regierung. Warum haben Sie damals den Systemzuschlag nicht einfach umgesetzt? Dann müssten wir die Debatte heute so nicht mehr führen.
Ich will Ihnen darüber hinaus die Debatte über das Für und Wider von Privatisierungen ersparen. Nur eines will ich am Rande noch sagen: Die öffentliche Hand hätte eine solche Partikeltherapieanlage wahrscheinlich nicht stemmen können. Die öffentliche Hand hätte das höchstens unter Zurückstellung anderer Prioritäten machen können. Das gehört zur Wahrheit.
Zur gleichen Wahrheit gehört der Verbalradikalismus, der in diesem Zusammenhang gepflegt wurde. Ich erinnere mich daran, dass mir vom ersten Tag meiner Amtszeit an gesagt wurde: „Du musst jetzt auf den Tisch hauen, du darfst dich von so einer Heuschrecke aus Neustadt an der Saale nicht am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, sondern du musst jetzt Klage erheben, mache Druck und zeige denen mal, dass sich ein Land so etwas nicht gefallen lässt.“ Meine Damen und Herren, das hätte keinem einzigen Patienten, der auf diese Technologie wartet, auch nur einen Deut geholfen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Das hätte Ho Chi Minh auch sagen können!)
Weil Sie Ho Chi Minh ansprechen: Ho Chi Minh war ein kluger Mann. Ho Chi Minh hätte garantiert nicht die Forderung gestellt, die Partikeltherapieanlage abzubauen.
Das unterscheidet im Übrigen die deutschen Sozialisten und Kommunisten von den vietnamesischen Sozialisten und Kommunisten. Das ist aber ein Thema für eine andere Rede, die ich an einem anderen Ort halten werde. Vielleicht kann ich das heute beim Mittagessen mit dem Staatspräsidenten der Volksrepublik Vietnam erörtern.
Das, was Sie vorhatten, hätte den Abbau der Anlage bedeutet. Dieser Landesregierung ging es aber um die Patienten und um die Behandlung dieser Patienten. Wenn ich vor diesem Hintergrund und auch im Bewusstsein der geschichtlichen Zusammenhänge eine Hoffnung formulieren darf, dann vielleicht die, dass dieses Ionenstrahlentherapiezentrum, das wir in Betrieb genommen haben, mit dazu beitragen möge, manchen ideologischen Graben zuzuschütten, statt neue Gräben aufzuwerfen.
Das Partikeltherapiezentrum ist in Betrieb. Ich will allen, die dazu beigetragen haben, dass wir das heute so formulieren können, ein aufrichtiges Dankeschön sagen. Das gilt
für den Partner aus Heidelberg, das gilt für unsere Partner an der ältesten evangelischen Universität der Welt, der Philipps-Universität Marburg, und ganz besonders für ihre Präsidentin, und es gilt für die Partner der Rhön-Klinikum AG. Ich will aber auch sehr deutlich sagen – sie ist leider nicht da –: Es gilt auch für die Kollegin Hinz, die mit Hochdruck an der atomrechtlichen Genehmigung gearbeitet und es uns ermöglicht hat, dass wir das innerhalb des Zeitplans erledigen konnten, den wir uns vorgenommen hatten. Derjenige, der wirklich das größte Verdienst an der Inbetriebnahme des Partikeltherapiezentrums hat, ist aber der Hessische Ministerpräsident. Volker Bouffier hat mit einem unglaublich hohen persönlichen Engagement für die Interessen des Landes gekämpft. Er hat gekämpft wie ein hessischer Löwe. Wenn er das nicht getan hätte, könnten wir den heutigen Tag so nicht begehen.
Ich will versöhnlich enden. Ich will Ihnen, lieber Herr Dr. Spies, alles Gute für Ihre Amtszeit in Marburg wünschen. Ich habe es im Ausschuss schon gesagt: Ich finde, Sie haben den Ausschuss für Wissenschaft und Kunst ganz vorzüglich geführt, mit hoher menschlicher Kompetenz und mit hoher Sachkompetenz. Sie haben ihn, wie ich finde, auch mit Stil und mit Humor geführt, der Ihnen zu eigen ist. Ich habe Sie als Ausschussvorsitzenden lieber gemocht als als Wahlkreisabgeordneten. Ich will das nicht verschweigen. Als Wahlkreisabgeordneter ist es aber nicht Ihre Aufgabe, dem zuständigen Minister zu gefallen.
Deswegen haben Sie das natürlich so gemacht, wie Sie es machen mussten. Sie haben mir etwas voraus. Sie haben etwas geschafft, was ich nicht geschafft habe. Sie sind direkt gewählter Oberbürgermeister geworden.
Deshalb will ich mit großem Respekt sagen: Direkt gewählter Oberbürgermeister zu werden ist eine große Sache. Vielleicht war es aber auch ein bisschen das Schicksal, das mich in dieses wunderschöne Amt in der Landesregierung geführt hat und das dazu beitragen wird, dass wir beide – ich sagte es eingangs – noch enger als bisher konstruktiv zusammenarbeiten werden. Auch ich werde daran arbeiten, Herr May, dass der Oberbürgermeister der Stadt Marburg in sechs Jahren verkünden wird: Es war eine gute Entscheidung von Schwarz-Grün, die Partikeltherapieanlage in Betrieb zu nehmen. – Herzlichen Dank, alles Gute und viel Erfolg für die Zukunft.
Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist Tagesordnungspunkt 78 erledigt.
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Aufforderung an die Hessische Landesregierung, dem Untersuchungsausschuss 19/2 (NSU) landeseigene Akten ungeschwärzt zur Verfügung zu stellen und die Aufklärungsarbeit zu unterstützen – Drucks. 19/2675 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Arbeit des Untersuchungsausschusses 19/2 – Drucks. 19/2694 –
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Rhein. Einen Minister mit Stil finden wir ausdrücklich sehr gut.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass der NSU-Untersuchungsausschuss 19/2 seine Aufklärungsarbeit ohne Behinderungen und Beeinträchtigungen durchführen kann. Mit dem heute aufgerufenen Antrag und der Debatte dazu wollen wir die Fraktionen von CDU und GRÜNEN sowie die Landesregierung auffordern, sich endlich an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des höchsten deutschen Gerichts, zu halten und die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses nicht weiter zu behindern und zu unterlaufen, sondern zu unterstützen. Um nicht mehr und um nicht weniger geht es heute.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni 2009 – Stichwort: BND-Entscheidung – kann das Parlament nicht als Außenstehender behandelt werden, der zum Kreis derer gehört, vor denen Informationen zum Schutz des Staatswohls geheim zu halten sind.
Die Berufung auf das Staatswohl kommt in aller Regel nicht in Betracht, wenn beiderseits wirksam Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden. Nach diesem Urteil dürfen einem Untersuchungsausschuss Beweismittel aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mit einem pauschalen Hinweis – Berufung auf verfassungsrechtliche Gründe, z. B. Staatswohl – vorenthalten werden. Sie müssen substanziiert dargelegt werden. Deswegen reicht das, was Sie in vielen Akten und Blättern gemacht haben – Hinweis auf das Staatswohl –, nicht aus und verstößt gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum FlickSkandal aus dem Jahr 1984, das schon länger zurückliegt, macht deutlich, dass die Exekutive – damals die Bundesregierung; das schließt die Landesregierung mit ein – einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht ohne Weiteres Akten unter Berufung auf das Staatswohl vorenthalten darf. Das ist eine weitere Bestätigung der Begrün