Protocol of the Session on November 26, 2015

Es ist schon erschütternd, wie leichtfertig die Bundeskanzlerin und ihre damaligen Minister – auch Herr Röttgen –, aber auch die CDU-Ministerpräsidenten mit dem Schadenersatzrisiko bei der vorläufigen Stilllegung der ältesten deutschen Kernkraftwerke umgegangen sind. Auch die SPD wollte den Ausstieg. Zu allem, was Herr Kaufmann an dieser Stelle gesagt hat: volle Unterstützung. Wir hätten dazu Fukushima nicht gebraucht. Wir, Rot und Grün, haben uns immer gemeinsam angestrengt, Regelungen zu finden, die rechtsstaatlich sind, die aber vor allem nicht dazu führen, dass wir am Ende die Energieversorger, die Atomfirmen, reich machen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Übrigens war das nicht immer einfach. Aber den Weg sind wir gegangen.

Grundlage für die übereilte, rechtlich unkorrekte Abschaltung war nach Aussagen der Kanzlerin i h r e subjektiv veränderte Sicherheitseinschätzung der Atomkraftwerke. Genau dieses Vorgehen, diese Handlung hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit seinem Urteil vom Februar 2013 zurückgewiesen. Denn – Kollege Kaufmann hat es zitiert – bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, kurz vor den schlimmen Ereignissen in Japan, hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung den deutschen Kernkraftwerken noch höchste Sicherheitsstandards im internationalen Maßstab attestiert. Wer aber erst die Laufzeiten verlängert und dies mit dem hohen Sicherheitsstandard der deutschen AKWs begründet, wie das Frau Merkel und übrigens auch Herr Bouffier hier in Debatten getan haben, der braucht sich nicht darüber zu wundern, dass Betreiber – und Gerichte, die Rechtsprechung – genau diese Argumentation gegen die Stilllegungsverfügung aufgreifen. Meine Damen und Herren, und genau so sah dieses Urteil aus.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Eines ist doch bezeichnend und macht alles deutlich: Auf die Frage an die Kanzlerin, ob sie – oder andere in der Bundesregierung oder auch ein Ministerpräsident – vor ihrer Entscheidung die Reaktorsicherheitskommission, das Fachgremium, eingeschaltet und befragt hat, wie sie die Sicherheitslage nach Japan einschätzen, kam die Antwort: Nein, das haben wir nicht getan.

Meine Damen und Herren, damit ist es doch klar: Das war eine politische Entscheidung – aber die rechtlichen und die finanziellen Konsequenzen haben in der Tat auch wir in Hessen zu tragen.

Darüber muss man diskutieren. Deswegen muss man auch feststellen: Die Kanzlerin handelte sicher vorschnell und war von aktuellen Ereignissen getrieben. Und wenn sie tatsächlich behauptet – Kollegin Wissler hat das angesprochen –, sie hätte sich mit Schadenersatzansprüchen nicht auseinandergesetzt,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist so absurd!)

dann kann man nur sagen: Entweder ist das unwahr oder grob fahrlässig.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

Beide Alternativen aber sind unentschuldbar. Beides ist Dilettantismus auf höchstem Niveau.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Alle Tageszeitungen haben über das Schadenersatzrisiko berichtet.

Bei ihrer Vernehmung hat Frau Merkel dann sämtliche Fragen nach einer juristischen Verantwortung des Bundes weggeschoben – politische Verantwortung freilich, aber mit der juristischen hat der Bund nichts zu tun, das haben die Länder ausgeführt. Jetzt gibt es natürlich den Streit zwischen Bund und Ländern, wer für eventuelle Schadenersatzansprüche haften muss.

Der Hessische Ministerpräsident hat in seiner Zeugenvernehmung – es wurde gerade wieder zitiert – davon gesprochen, es hätte eine Haftungsfreistellung durch die Kanzlerin gegeben. Sie hätte das mit den Worten umschrieben, man „lasse die Länder nicht im Regen stehen“.

Alldem hat aber die Kanzlerin – das muss man jetzt wirklich sagen – klipp und klar widersprochen. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuten. Das hat sie klar gesagt: „Wir haben eine gemeinsame Entscheidung getroffen.“ Von Haftungsfreistellung war dabei gar nicht die Rede. Ich glaube, das ist klar.

(Beifall bei der SPD)

Damit hat die Kanzlerin Herrn Ministerpräsidenten Bouffier beim Ausbaden der Konsequenzen ziemlich im Regen stehen lassen. Deswegen steht Herr Bouffier heute da wie ein begossener Pudel. Und wissen Sie, was das Schlimme ist? Er lässt sich das noch gefallen. Er lässt sich das gefallen und wehrt sich nicht dagegen.

(Günter Rudolph (SPD): Feigling!)

Warum wehrt er sich nicht dagegen? Das ist doch die entscheidende Frage. Das ist die Frage, die mich umtreibt. Warum nutzt er nicht die Chance, etwas dazu zu sagen – der wenig pressescheue Ministerpräsident? An der Stelle wird man nachdenklich. Daraus muss man dann Schlussfolgerungen ziehen. Die aber werden wir in der Tat erst dann ziehen, wenn wir den Abschlussbericht vorlegen.

Übrigens dürfen wir nicht vergessen, dass in Hessen schon ein erster Schaden eingetreten ist. 3 Millionen €

(Timon Gremmels (SPD): So ist es!)

sind schon an Anwalts- und Gerichtskosten fällig geworden. Die müssen wir in Hessen zahlen. Deswegen wollen wir heute von der Landesregierung wissen – ich weiß nicht, ob das Ihre Zuständigkeit ist oder die Zuständigkeit von Dr. Schäfer oder des Ministerpräsidenten –, ob sie Ministerin Puttrich, die damals zuständige Ministerin,

(Timon Gremmels (SPD): Herr Schäfer ist Finanzminister!)

und/oder den Bund für diese 3 Millionen € in Regress genommen hat. Meine Damen und Herren, das ist eine ganz entscheidende Frage.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Bis heute wurde der Bund anscheinend nicht verpflichtet.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Alle Rhetorik, der Bund haftet mit Zusage usw.: Meine Damen und Herren, warum wurde dann bis zum heutigen Tage der Bund nicht für diese 3 Millionen € in Haftung genommen? Warum denn nicht – wenn es angeblich so war, wie es Herr Bouffier immer vorgetragen hat?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es gibt da nichts Schriftliches. – Ich muss auch sagen: so leichtfertig, wie sich da Frau Puttrich verhalten hat, die gegen jeden Sachverstand, gegen die Fachabteilung,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Kollege Weinmeister hat unterschrieben!)

alles entschieden hat, auch die Frage, ob auf die Anhörung verzichtet werden soll. Herr Finke dazu wörtlich: „Das war ihre Entscheidung“ – die Entscheidung der Ministerin.

Das ist leichtfertiges Verhalten. Meine Damen und Herren, das ist ein Fall von Regress. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie ein solches Verfahren gegen Frau Puttrich einleitet.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dass das alles nicht getan wird, ist symptomatisch: Kuschen und vertuschen ist anscheinend die Devise dieser Landesregierung, wo Klarheit angesagt wäre. Die aber gibt es nicht. Das zieht sich durch das ganze Verfahren hindurch: Man will keine Klarheit herstellen. Probleme und Risiken werden nie offen behandelt. Frau Wissler, das ist nicht „organisierte Verantwortungslosigkeit“, das ist unorganisierte Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Genau dieses Verhalten ist politisch, juristisch und auch ökonomisch wirklich schlimm und untragbar. Die richtigen Wertungen werden wir anlässlich des Berichts des Untersuchungsausschusses hier nochmals vorstellen, aber das Fazit ist wirklich dramatisch und lautet: Die können es nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Schmitt.

Ich sage das jetzt nicht zu Herrn Schmitt, sondern zu den drei Vorrednern, die ihre Redezeit sehr großzügig ausgenutzt haben: Ich wäre froh, wenn wir uns darauf verständigen könnten, wieder etwas enger an den Vorgaben zu bleiben. Ansonsten müsste ich das anderweitig durchsetzen.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Herr Kollege Bellino, Sie haben als Nächster das Wort und führen uns jetzt sicher vor, dass man da mit zehn Minuten auskommen kann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ministerpräsident wurde mehrfach angesprochen. Es wurde zunächst einmal kritisch hinterfragt, warum er nicht da ist. Ich darf darauf hinweisen, dass er entschuldigt ist. Frau Kollegin Wissler, der vietnamesische Staatspräsident ist im Hause, und deshalb hat auch der Ministerpräsident dort seine Aufgaben wahrzunehmen.

(Günter Rudolph (SPD): Dann hätte man auch die Fraktionen einladen können! Das gehört zum Stil dieses Hauses! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn wir im Ablauf der Tagesordnung schneller gewesen wären, hätten wir auch mit Sicherheit mit ihm hier rechnen können.

Aber was bedeutsamer ist: Er habe sich nicht geäußert. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident äußert sich oft, und er äußert sich immer richtig und klug. Dort, wo es hingehört, nämlich im Untersuchungsausschuss, hat er auch Rede und Antwort gestanden

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Brauchen Sie ein Taschentuch?)