Protocol of the Session on November 26, 2015

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, umso mehr ist die Landesregierung gefordert, klarzustellen, was geht und was nicht. Umso mehr ist die Landesregierung gefordert, den verfassungsmäßigen Schutz der Wissenschaftsfreiheit auch in der Betrachtung der Bedingungen des eigenen Faches, auch gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Vertragspartners geltend zu machen. Die Verfassung gilt auch für Eugen Münch.

(Beifall bei der SPD)

Aber offenbar bestand nie die Absicht des Partners, diese Vereinbarung einzuhalten, obwohl die Fusion zum Kerngehalt der Vereinbarung gehört. Noch einmal Herr Münch:

Meine Meinung war es immer, dass ein maßvoller Wettbewerb der Standorte und eine höhere Autonomie, die logischerweise der obersten Unternehmensführung eine stärkere, aber weniger häufig ausgeübte Schiedsrichterrolle überträgt, … zum Erfolg führt.

Nein, meine Damen und Herren, das war so nicht abgemacht. Abgemacht war die wirtschaftliche Einheit und nicht der Wettbewerb zweier Standorte. Genau den zu vermeiden war die Initiative von Roland Koch. Genau an dieser Stelle zur Einheit und Gemeinsamkeit und nicht zum Wettbewerb zu führen war die Vorstellung des Landes, die in diesem Hause einmal Konsens war.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Deshalb ist das die eigentliche Herausforderung, die sich, wenn ich zum letzten Mal hier etwas dazu sagen darf, für den Landtag und die Landesregierung stellt: Wie kann Sorge getragen werden, dass die wirtschaftliche Einheit, die kooperative Struktur, die Fairness zwischen den Standorten etabliert und durchgesetzt werden? Wie kann sichergestellt werden, dass Absprachen über Schwerpunkte eingehalten werden? Wie kann die Durchführung der Schwerpunktbildung nach fachlichen und wissenschaftlichen Kriterien erfolgen? Wie kann sichergestellt werden, dass der wirtschaftliche Ausgleich zwischen den Standorten nicht davon abhängt, wer die besseren Fallpauschalen an Land zieht?

Meine Damen und Herren, der Rückbau oder die Schließung eines Universitätsklinikums war, ist und bleibt keine Option. Das war schon 2003 so, als manche dachten, dies wäre das Ziel der Landesregierung. Man wird kein Universitätsklinikum schließen können. Man wird keinen Fachbereich schließen können. Angesichts drohenden Ärztemangels, angesichts der Herausforderungen der Forschung gibt es keine Alternative zum Fortbestand aller drei Klinika und Fachbereiche in Hessen. Im Gegenteil, es stellt sich eher die Frage, hier Ausbau und Weiterentwicklung zu machen.

Dabei kann die Idee einer modellhaften Kooperation vor Ort, wie sie die Rhön AG vertritt, in der Integration von ambulanter und stationärer Medizin unter Einbeziehung von Prävention und Nachbehandlung sehr wohl Chancen in der Region schaffen, wenn es gelingt, das Klima am Standort und das Vertrauen in der Region deutlich zu verbessern. Das UKGM und seine beiden Standorte sind ohne jeden Zweifel hervorragende Krankenhäuser, trotz der Privatisierung und seit weit über 100 Jahren. Das darf nicht verdorben werden.

Deshalb ist die Landesregierung nicht wegen ihrer 5 %, sondern wegen des überragenden öffentlichen Interesses und ihrer Verantwortung für die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre mehr als gefordert, aktiv zu werden. Es gibt herausragende Chancen an diesen Klinika, man muss sie ergreifen. Aber das wird nur gelingen, wenn Sie sich mehr um das Ergebnis Ihrer Privatisierungsentscheidung kümmern, Herr Staatsminister.

Denn die Wahrheit ist wie bei allen Privatisierungen: Man wird nicht frei von der öffentlichen Verpflichtung, Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen. Stattdessen wird es schwieriger und aufwendiger, wenn man um des kurzen Vorteils willen die eigene Steuerung abgegeben hat.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Die SPD-Fraktion war immer willens, die SPD-Fraktion, Thorsten Schäfer-Gümbel und ich werden seit dem 2. Februar 2006 nicht müde, anzubieten, dabei mitzuwirken. Ich darf das nicht nur im Namen der SPD-Fraktion sagen, auch die kommunale Ebene in Marburg wird Sie mit großer Freude in dieser Frage unterstützen,

(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN)

um die Spielräume, die sich für regionale und kommunale Gesundheitspolitik in der Prävention, in der ambulanten und stationären Versorgung, in der Nachsorge und der Selbsthilfe ergeben, um das Zentrum der Hochschulmedizin herum in der Region zu verbessern.

Da gibt es viel zu tun. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass das, was einmal Ihre anerkennenswerte Idee

und Leistung war, auch heute Bestand hat und endlich wirksam umgesetzt wird. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Spies. – Ich gehe davon aus, dass das die letzte Rede war, die du im Hessischen Landtag gehalten hast. Du hast es dir selbst und allen anderen nie einfach gemacht.

(Heiterkeit)

Das ist auch eine Aufgabe des Abgeordneten.

Wir wünschen für die zukünftige wichtige Tätigkeit als OB in Marburg alles Gute und Glück auf. Lass dich ab und zu mal hier sehen.

(Allgemeiner Beifall)

Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort hat Frau Abg. Janine Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich Mitglied der schwarz-grünen Regierungskoalition wäre, was zugegeben eine schlimme Vorstellung ist – für Sie genauso wie für mich –,

(Zurufe von der CDU: Oh! – Minister Steffen Grütt- ner: Man kann ja mal hospitieren! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

für diesen völlig hypothetischen Fall, der nicht eintreten wird, wäre ich sehr erleichtert darüber, dass die Partikeltherapieanlage in Marburg nach langem Hin und Her nun doch in Betrieb geht.

Darüber hinaus würde ich zu dem ganzen peinlichen Hickhack darum herum schweigen. Denn die Geschichte des Partikeltherapiezentrums zeigt erneut, dass es ein großer Fehler war, das Uniklinikum Gießen-Marburg zu privatisieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nicht so Schwarz-Grün, die hier allen Ernstes beantragen, dass sich der Landtag bei der Landesregierung bedanken soll für – Zitat – „ihre abgewogene und erfolgreiche Verhandlungsbegleitung in der Sache“.

Ich will nur feststellen, dass das Wort „Verhandlungsbegleitung“ auch eine sehr interessante Bezeichnung angesichts der Tatsache ist, dass die Landesregierung der Vertragspartner des Rhön-Konzerns und nicht unbeteiligter Dritter ist, wie hier suggeriert wird.

Vorneweg will ich sagen: Ich freue mich für alle Patientinnen und Patienten, die nun in Marburg im Partikeltherapiezentrum behandelt werden können. Natürlich ist jede Therapiemaßnahme, die die Heilungschancen eines schwer kranken Menschen verbessert, zu begrüßen. Deswegen ist es natürlich gut, dass das Partikeltherapiezentrum endlich in Betrieb geht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Aber der Landesregierung zu danken, dass sie sich jahrelang von der Rhön AG hat auf der Nase herumtanzen lassen, geht mir entschieden zu weit.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Zur Erinnerung: Die Partikeltherapieanlage war ein zentrales Versprechen, mit dem für die Privatisierung des Uniklinikums im Jahr 2006 geworben wurde. Etwa 2.000 Menschen sollten pro Jahr damit behandelt werden. Jetzt ist im Übrigen nur noch von einem Bruchteil dessen die Rede.

Dafür bekam die Rhön AG damals einen Investitionskostenzuschuss von 107 Millionen € vom Land, also faktisch den gesamten Kaufpreis wieder zurück, damit sie diese Anlage errichtet. Es wurde vertraglich vereinbart, dass die Partikeltherapieanlage bis zum 31.12.2012 in Betrieb geht. Die Anlage war dann auch einsatzbereit, aber sie ging nicht in Betrieb, weil der Rhön AG die Kosten zu hoch waren.

Das heißt, allein konnte die Rhön AG die Inbetriebnahme nicht stemmen, obwohl sie sich genau dazu vertraglich verpflichtet hatte. Dann begann ein jahrelanges Hin und Her. Die Landesregierung hat Fristen verlängert und sich von der Rhön AG hinhalten lassen, statt auf die Einhaltung des Vertrages zu bestehen.

Da will ich nur sagen: Herr Dr. Bartelt, nicht die Opposition hat die Inbetriebnahme verhindert, auch wenn man das aus Ihrer Rede fast ein bisschen heraushören könnte. Schuld sind nicht diejenigen, die auf Missstände hinweisen, sondern schuld ist die Rhön AG, die vertragsbrüchig geworden ist. Das muss man schon mal so deutlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich finde es, ehrlich gesagt, eine ziemliche Unverschämtheit, sich hierhin zu stellen und zu behaupten, der Opposition würde das Wohl der Patientinnen und Patienten nicht am Herzen liegen, als ginge es hier um parteipolitische Profilierung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ganz im Gegenteil: Weil uns das Wohl der Patientinnen und Patienten am Herzen liegt, waren wir dagegen, ein Uniklinikum an eine Aktiengesellschaft zu verhökern, weil dann nämlich nicht mehr das Patientenwohl, sondern die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Weil wir das Patientenwohl im Blick haben, sagen wir: Krankenhäuser und Unikliniken gehören in die öffentliche Hand.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Nun hat die Landesregierung mit Rhön eine Möglichkeit gefunden, damit das Partikeltherapiezentrum in Betrieb gehen kann. Allerdings hat sie mit der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht mehr viel zu tun; denn 75 % der Partikeltherapie werden künftig nicht durch die Rhön AG in Marburg, sondern durch das Uniklinikum in Heidelberg getragen – und das, wohlgemerkt, mit drei Jahren Verspätung.

Die Landesregierung hat der Rhön AG also einen 100-prozentigen Kaufpreiserlass dafür gewährt, dass die Rhön AG 25 % der Partikeltherapie übernimmt. Und das feiern Sie dann als „erfolgreiche Verhandlungen“? Ich finde, Sie

müssen sich schon mal überlegen, welches Signal Sie an alle anderen senden, die mit dem Land Verträge schließen.

Ohne das Uniklinikum in Heidelberg bzw. sein Ionenstrahltherapiezentrum, wo schon seit Jahren Krebspatienten auf diese Weise behandelt werden, gäbe es noch heute keine Partikeltherapie in Marburg. Da will ich sagen: Das ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass 2006 die Landesregierung argumentierte, man müsse das Uniklinikum privatisieren, unter anderem weil man dann eine Partikeltherapieanlage errichten könne; und jetzt ist es einem Uniklinikum in öffentlichem Besitz zu verdanken, dass dieses Vorhaben überhaupt realisiert werden kann. Da kann man doch nur froh sein, dass andere Landesregierungen nicht auf die Wahnsinnsidee gekommen sind, ihre Unikliniken zu verkaufen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wenn das jetzt nicht dadurch belegt wird, kann ich nur ein Lob auf die öffentliche Trägerschaft sagen. Dann funktioniert es auch. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es besser funktioniert, wenn Unikliniken in der Hand des Landes sind, ist es genau diese Geschichte. Ohne ein landeseigenes Klinikum hätten wir heute noch kein Partikeltherapiezentrum, weil es das privatisierte Uniklinikum nicht auf der Reihe bekommen hat. Das ist auch eine Erkenntnis aus dieser Geschichte.