Protocol of the Session on November 26, 2015

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ja, weiter beim Abbau der Anlage, das mag schon sein. – Das zeigt, dass die Anlage auf der linken Seite mental schon längst aufgegeben war. Es ging Ihnen nur noch um einen Schadenersatz. Sie hatten nur noch die 100 Millionen € im Sinn. Wir hatten die Hilfe für 1.000 Menschen im Jahr im Sinn.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Durch eine Klage hätte man nach Jahren vielleicht einen Teil der Forderungen erstreiten können. Die Anlage wäre dann aber längst abgebaut.

Noch in der letzten Debatte, im Februar dieses Jahres, versuchte die Opposition, trotzdem alles madig zu machen,

(Zuruf von der FDP: Na, na, na!)

und zweifelte immer noch den Erfolg an. Insbesondere wurden die Verteilung der Anteile an der Marburger Betreibergesellschaft, 75,1 % Heidelberger Ionentherapiezentrum, 24,9 % Rhön AG, kritisiert und Ängste geschürt, dies wäre zulasten des Standorts Marburg, und Marburg würde zu einer Dependance degenerieren. Dem ist aber deutlich entgegenzuhalten:

Erstens. Nach Ihrer Weltanschauung müsste es doch gut sein, wenn nur ein kleiner Teil in privater und ein großer Teil in öffentlicher Hand wäre. Das sind die 75 % in Baden-Württemberg.

Zweitens. Für die Marburger Universitätspräsidentin, Frau Prof. Krause, ist die Zusammenarbeit zwischen Marburg und Heidelberg auf Augenhöhe und hat für sie einen Modellcharakter.

Drittens. Die ärztlichen Leitungen beider Häuser haben gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit und sehen in ihr weitere Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten.

Viertens. Die medizinische Fachgesellschaft befürwortet die Koordination der Partikeltherapie durch das Heidelberger Zentrum für alle Therapien, die in Deutschland mit Partikeltherapie stattfinden.

Fünftens. Die Aufnahme der klinischen Behandlung, die Ankündigung, in Marburg wird ein Schwerpunkt in der Behandlung von Kopf-, Hals- und Gehirntumoren gesetzt, widerlegt die Befürchtung, Marburg wäre nur eine untergeordnete Außenstelle von Heidelberg.

Derzeit besteht das Hauptanwendungsgebiet der Bestrahlung mit Schwerionen in der Behandlung von Tumoren der Schädelbasisknochen und operativ schwer zugänglichen Hirntumoren. Der Nutzen bei Tumoren innerer Organe wird erforscht und geprüft. Die Prinzipien der punktgenauen Tumorzerstörung bei Schonung des nur wenige Millimeter entfernten gesunden Gewebes eröffnen Handlungsperspektiven weit darüber hinaus. Die Entwicklung medikamentöser Therapien, die bösartige Zellen selektiv angreifen, eröffnet zudem die Chancen von interessanten kombinierten Behandlungsstrategien. Vielleicht kommt diese neue Therapie heute nur 1 % der Tumorkranken zugute. Auch das wäre es schon wert. Uns liegt jedes einzelne Schicksal am Herzen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das neue Behandlungsprinzip wird zunächst in der Forschung, dann in klinischen Studien und später als Standardtherapie in der Zukunft eine viel größere Anwendung finden. Die Formen der Partikeltherapien, Kohlenstoffionen und Wasserstoffprotonen, stehen in Heidelberg und Marburg beide zur Verfügung. Auch das ist einzigartig, sodass ein Vergleich möglich ist.

Die Standorte Heidelberg und Marburg sind deutschlandweit Kristallisationspunkt der Entwicklung und Anwendung neuer Formen der Tumorbehandlung. Die Landesregierung hat durch Einsatz des Ministerpräsidenten und des Wissenschaftsministers hieran erheblichen Anteil. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartelt. – Das Wort hat Herr Abg. Grumbach.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich mich ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Sie haben uns etwas ermöglicht, was wir alleine unter Ernstnahme des Parlaments nicht geschafft haben: Wie verabschiedet man einen guten Abgeordneten? – Man gibt ihm die Chance zu einer guten Rede. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Meine Damen und Herren, Sie haben gemerkt, das war etwas ganz Besonderes. Das war die Ankündigung eines Redners der SPD durch einen anderen Kollegen der SPD-Fraktion. Das ist alles neu. Herr Kollege Dr. Spies, in seiner neuen Funktion, er geht ja auch nicht mehr, er schreitet.

(Heiterkeit und allgemeiner Beifall)

Ich nehme an, er spricht auch nicht mehr, er wird verkünden. – Herr Dr. Spies, Sie haben das Wort.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, mit Verlaub, wenn ich Sie hoffentlich demnächst einmal im Marburger Rathaus begrüßen darf, werden Sie feststellen, auf unserer Rathaustreppe kann man auch nur schreiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es ist ein Tag der Freude, dass nunmehr endlich und mit drei Jahren Verspätung die Partikeltherapieanlage des Universitätsklinikums Heidelberg am Standort Marburg in Betrieb geht. Ja, es ist ein Tag der Freude, weil nunmehr in Heidelberg ausgesuchte Patienten, denen Partikeltherapie nützen könnte, am Standort Marburg behandelt werden können.

Ja, es ist ein Tag der Freude, weil eine hessische wissenschaftliche Spitzenleistung der GSI nun tatsächlich auch an einem hessischen Standort angewandt werden wird. Ja, es ist ein Tag der Freude, weil sich auch für den Fachbereich Medizin der Philipps-Universität zumindest wissenschaftlich neue Möglichkeiten ergeben, auch wenn diese Anlage leider nicht wirklich strukturell in den onkologischen Schwerpunkt in Marburg integriert ist. Da war etwas anderes vereinbart worden.

Ja, es ist ein Tag der Freude, weil diese überaus kostspielige und aus Steuermitteln – durch den Erlass eines Teils eines Kaufpreises für das Universitätsklinikum Gießen-Marburg – finanzierte Anlage nun in Betrieb geht. Es ist gut für die Patienten, dass die Partikeltherapie zur Behandlung jener Krankheiten, für die sie geeignet ist, zur Verfügung steht.

Aber das Land hat in seiner Not, zu einem Ergebnis zu kommen, auf seine und die Rechte der Philipps-Universität verzichtet.

(Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welches Recht denn?)

Aber ist ein bisschen Selbstbeweihräucherung zum Thema UKGM

(Michael Boddenberg (CDU): Wir freuen uns mit Ihnen!)

wirklich das relevante Thema für einen Setzpunkt zu diesem Zeitpunkt? Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Marburger Ionentherapiezentrums teilte die Rhön AG mit, dass es zukünftig keine gemeinsame Geschäftsführung von Gießen und Marburg mehr geben werde. Beide Standorte werden nun nur noch autonom und im Wettbewerb neben- und gegeneinander agieren.

Meine Damen und Herren, das wäre allerdings dringend einer Beratung würdig; denn mit dieser Entscheidung greift der private Betreiber tief und verabredungswidrig in die vereinbarten Strukturen wie die erklärten Absichten des Landes ein.

Meine Damen und Herren, bei aller Kritik an der Privatisierung – jene war falsch, ist falsch und bleibt falsch –

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

bestand doch immer Einigkeit, dass die Initiative des früheren Ministerpräsidenten Roland Koch für eine Fusion und die wirtschaftliche Einheit beider Standorte richtig war.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Ziel der Fusionsankündigung 2003 war gar nicht die Privatisierung, war gar nicht die Finanzierung der Investitionen an den Standorten Gießen und Marburg aus Krankenkassenbeiträgen und aus der Arbeit der Beschäftigten heraus, wie es durch die Privatisierung eingetreten ist, sondern es ging darum, nach jahrelangen Debatten mit einem Schlag die wirtschaftliche Einheit beider Standorte durch die Fusion zu schaffen.

Die Idee der Privatisierung kam überhaupt erst ein Jahr später im Zuge der Konflikte zwischen den Standorten auf. In der politischen Auseinandersetzung um die Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg ist die Leistung der Fusion oft untergegangen. Es war eine – heute oft vergessene – wirklich herausragende Leistung von Roland Koch und der hessischen CDU. Ich will das ausdrücklich betonen.

Nach Jahrhunderten des Konflikts an einer Grenze ungefähr bei Lollar gibt es heute eine ganz neue Qualität der Zusammenarbeit der Universitäten und der Fachbereiche. Diese Entwicklung hat zwar natürlich mit einer Präsidentin und einem Präsidenten zu tun, die als Person diese Kooperation suchen. Aber natürlich hat sie auch damit zu tun, dass durch die Fusion der Universitätsklinika ein Zusammenwirken erzwungen wurde, das es bis dahin noch nicht gab. Das war ein Ergebnis Ihres Handels, und darauf sollen Sie stolz sein, meine Damen und Herren insbesondere von der CDU. Umso weniger kann die jetzt eintretende Entwicklung hingenommen werden, keineswegs von Ihnen.

Wie oft haben wir gehört, dass hier das drittgrößte Universitätsklinikum Deutschlands, eines der großen hochschulmedizinischen Zentren der Welt entstanden sei mit ganz neuen, großen, zukünftigen Möglichkeiten? Tatsächlich aber wurde genau diese wirtschaftliche Einheit nie umgesetzt. Es gibt kein gemeinsames Budget, es gibt keine gemeinsame EDV, es gibt keine gemeinsame Struktur in zentralen Fragen, z. B. in der Organisation der Abrechnung. Es gibt nicht einmal eine gemeinsame Krankenhausnummer für die Krankenhausplanung.

Meine Damen und Herren, die zentrale Idee des Landes war die Zusammenführung beider Standorte mit dem Ziel einer gemeinsamen, abgestimmten, koordinierten Struktur. Das Papier dazu – wer damals dabei war, wird sich entsinnen – hatte den aparten Namen Quertapete. Was davon ist umgesetzt?

Mit der Privatisierung der mittelhessischen Universitätsmedizin, mit der Fusionsbildung bestand die große Chance einer engen Netzwerkbildung zwischen den beiden Kliniken am UKGM und mit den Krankenhäusern, die seinerzeit zum Rhön-Konzern gehörten und heute schon lange nicht mehr dabei sind. Das hätte gerade unter dem Gesichtspunkt Versorgungsforschung durchaus Chancen beinhaltet. Aber all diese potenziellen Kooperationen wurden nicht eingegangen.

Prof. Werner, der leider im Sommer das UKGM verlassen hat, hat konsequent darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Standorten intensiviert werden müsste, während man den Eindruck hatte, dass in vielen Entscheidungen nicht einmal das echte Bekenntnis zu einer belastbaren Gemeinsamkeit erkennbar war. Wo ist und war hier die Landesregierung?

… Andeutung einer Benachteiligung durch ein Gießener Übergewicht bei Entscheidungen ist vermutlich nicht falsch beobachtet. Allerdings sollte nicht verkannt werden, dass die heutige Situation … als Ergebnis einer gegen Wettbewerb (unter verschiede- nen Geschwistern) der Standorte gerichteten und auf einen Konsens gegen den Privatisierer setzendes Verfahrensmodell entstanden ist. Dieses hat nie funktioniert und zunehmend gegen die Erschaffer gewirkt. Gießen, als der damals Schwächere, hat sich eben näher an uns und unseren Möglichkeiten orientiert …

Diese Feststellung einer Benachteiligung und eines Ungleichgewichts bei Entscheidungen auf der Grundlage von Wohlverhalten stammt nicht von mir. Sie stammt von Eugen Münch, Ihrem Vertragspartner. Wohlverhalten von Hochschullehrern als Voraussetzung angemessener Behandlung? Die Metabetrachtung, die Reflexion der Bedingungen des eigenen Faches gehört selbstverständlich zur Wissenschaftsfreiheit in ihrem Kern dazu. Deshalb ist diese Haltung nicht nur vertragswidrig. Sie ist mit der Verfassung nicht vereinbar.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Es kann nicht sein, dass die Bedingungen am „Großgerät Universitätsklinikum des Fachbereichs Medizin“ – genau das ist und bleibt die Rangfolge – vom politischen Wohlverhalten in der wissenschaftlichen Betrachtung eben dieser Bedingungen des Großgeräts abhängig gemacht werden. Würden Sie, Herr Staatsminister – ich weiß, dass das unvorstellbar ist –, den Umgang des Landes mit seinen Hochschulen vom politischen Wohlverhalten der Hochschullehrer abhängig machen, Ihr Rücktritt wäre unvermeidlich. Aber natürlich käme in diesem Hause niemand auch nur auf diese Idee.

(Beifall bei der SPD)