Protocol of the Session on May 28, 2015

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß gar nicht so genau, warum sich die Mitglieder der SPD-Fraktion an diesem Punkt so über die Frage belustigen, welche bundespolitischen – –

(Zuruf von der SPD)

Ich will Ihnen eine Frage stellen. Sie haben die Frage noch nicht einmal gehört. – Ich frage mich, warum Sie sich eigentlich über die bundespolitischen Themen so lustig machen.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die Legislaturperiode, so wie ich sie bis jetzt wahrgenommen habe, und die Aktuellen Stunden waren davon geprägt, dass die hessische SPD-Fraktion eigentlich in die Aktuelle Stunde jeder Plenarsitzungsrunde des Hessischen Landtags ein bundespolitisches Thema eingebracht hat. Sie hat mit dicken Backen auf die Bundesregierung eingeschlagen. Wir haben uns, schulterzuckend, immer nur gefragt: Sagen Sie einmal, wer regiert eigentlich im Bund?

Uns fällt da auf: Die SPD regiert im Bund eigentlich mit. – Sie kommen dann mit dem Thema Energiewende, die nicht läuft, und dem Mindestlohn, der so schlecht sei. Wir haben uns da schon oft gefragt: Warum telefonieren Sie nicht einmal miteinander? Warum gehen SPD und CDU auf Bundesebene nicht einmal in Paartherapie? – Vielleicht hilft das.

Herr Ministerpräsident Bouffier ist stellvertretender Parteivorsitzender der CDU. Herr Schäfer-Gümbel ist stellvertretender Parteivorsitzende der SPD. Ich biete mich an, vielleicht einmal einen politischen Skat zu machen.

(Günter Rudolph (SPD): Gott bewahre!)

Vielleicht könnten wir da einige Probleme abräumen. Das würde vielleicht, insgesamt betrachtet, helfen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Decker, den Hohn und Spott so darüber auszuschütten, da zeigt man mit einem Finger auf die CDU, und vier zeigen auf einen selbst. Ich habe das so wahrgenommen, dass Sie in der Regel versuchen, sich in der Bundesregierung zu profilieren.

Zu dem Thema kann ich jetzt nur sagen: Frau Nahles hat ein Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ angekündigt. Davon sollen 10.000 Teilnehmer profitieren, Menschen, die länger als vier Jahre arbeitslos sind. Ich habe die Förderrichtlinie gerade über das Internet nachgelesen, aktuell von heute. Ich weiß, das ist fachlich. Das ist für Sie vielleicht ein bisschen uninteressant. – Die Zusätzlichkeitsklausel bleibt erhalten. Eigentlich ist dieses Programm die Fortsetzung desselben Murkses.

Dabei sind wir eindeutig der Meinung, dass man sich um Langzeitarbeitslose dringend kümmern muss. Deswegen haben wir als Hessische Landesregierung, als Parteien, Schwarz und Grün, gesagt: Wir müssen uns um Langzeit

arbeitslose kümmern, und wir werden ein eigenes Landesprogramm auflegen, das diese Zusätzlichkeitsklausel und diesen inhaltlichen Murks, den Sie auf Bundesebene machen, abzufedern versucht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Man muss etwas für Langzeitarbeitslose tun. Das ist richtig so. Dieses Programm für 10.000 Menschen wird in den nächsten Jahren 450 Millionen € kosten – Auskunft Bundesarbeitsministerium; vielleicht rufen Sie einmal dort an. Es ist aber so, dass diese 450 Millionen € zulasten des sogenannten Eingliederungstitels gehen.

Was heißt das? Die Bundesregierung aus SPD und CDU hat es versäumt, den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer zu ermöglichen. Das heißt beispielsweise, dass Mittel für soziale Leistungen aktiviert werden können, um damit tatsächlich den Arbeitsmarkt zu fördern. Das hätte den Eingliederungstitel nicht belastet.

Deswegen kritisieren wir allen voran die SPD dafür, dass sie diesen Passiv-Aktiv-Transfer und damit die Teilhabe von vielen Tausenden Langzeitarbeitslosen nicht ermöglicht. Das ist das Grundproblem. Auf dieses Grundproblem kam Frau Nahles sechs Monate später selbst, weil sie sich nämlich die Frage stellen musste: Wie finanziere ich eigentlich diese 450 Millionen €, die ich jetzt für die Langzeitarbeitslosen einsetzen will?

Sie finanziert sie selbst – das ist in einem Brief auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Pothmer klar geworden –, und zwar mittels dieser Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten drei Jahre. In den nächsten drei Jahren sind das 750 Millionen € weniger Mittel für diese Verpflichtungsermächtigungen. Herr Decker, da haben Sie recht. Aber diese Mittel für die Verpflichtungsermächtigungen fehlen. Insofern hat der Kollege Pentz recht: Linke Tasche, rechte Tasche; Sie haben umgeschichtet, für ein Programm für Langzeitarbeitslose – das wir richtig finden. Man kann da bei den einzelnen Kriterien diskutieren, aber grundsätzlich muss man das tun. Falsch aber ist es, diese Mittel aus den Verpflichtungsermächtigungen der Jobcenter herauszunehmen. Warum? Das will ich Ihnen sagen: Verpflichtungsermächtigungen dienen dazu, mehrjährige Maßnahmen wie beispielsweise Ausbildung, berufliche Fort- und Weiterbildung, zu fördern.

Was heißt das konkret? Ich will es Ihnen nochmals sagen: Das sind negative Auswirkungen – und das ist überhaupt nicht lustig –, weil die Jobcenter im Moment an den Planungen sitzen, an den langjährigen und mittelfristigen Planungen, für Ausbildung, berufliche Fort- und Weiterbildung. Wer ist davon betroffen? Jugendwerkstätten, Produktionsschulen, berufsvorbereitende Maßnahmen. All das können die Jobcenter jetzt nicht für die nächsten Jahre planen. Deswegen ist diese Umverteilung falsch, und die Kritik der CDU ist richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Soziale Teilhabe für Langzeitarbeitslose ist richtig. Man muss sie finanzieren, dann bleibt das Programm auch richtig. Wir Hessen machen das so. Wir haben zusätzliche Mittel eingestellt. Man darf diese Mittel aber nicht den Verpflichtungsermächtigungen für die Jobcenter wegnehmen – denn dadurch werden wichtige lang- und mittelfristige Maßnahmen wegfallen. Die aber führen dazu, dass Lang

zeitarbeitslose wirklich nachhaltig in Lohn und Brot kommen. Deswegen ist diese Umschichtungsaktion ein Fehler von Frau Nahles gewesen. Sie hätte es besser finanzieren müssen. Dann wären wir auch an ihrer Seite gewesen. Diese Kritik ist völlig berechtigt. Man kann nicht für die einen etwas Gutes tun und bei allen anderen Langzeitarbeitslosen Mittel für die Verpflichtungsermächtigungen wegziehen. Das war ein Fehler.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Kollege Bocklet. – Das Wort hat der Abg. Hermann Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es schon bemerkenswert, dass die CDU ihren Generalsekretär ins Rennen wirft – so sage ich einmal –, um der SPD vorzuhalten, dass sie den Koalitionskonsens auf Bundesebene – dort sind Sie selbst in Koalition mit der SPD –

(Günter Rudolph (SPD): Nein, das glaube ich nicht!)

verlassen haben, und um heftige Kritik an einem Programm zu üben, das im Übrigen bereits im November des letzten Jahres öffentlich bekannt gemacht wurde. Seit Frau Nahles am 5. November dieses Programm verkündete, war genug Zeit, um parteiintern darauf Einfluss zu nehmen.

Herr Pentz hat seine Rede damit eingeleitet, dass Frau Nahles ein falsches Signal für die jungen Arbeitslosen setze. Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie das hier im Hessischen Landtag austragen, sozusagen als Regierungsopposition in sich – statt das in Koalitionsrunden zu diskutieren, wenn Sie Kritik daran haben.

Aber ich will zum Sachverhalt zurückkommen. Kollege Bocklet hat angerissen, worum es geht. Es geht darum, dass gezielte neue Programme für 43.000 Langzeitarbeitslose aufgelegt werden: 33.000 mit Lohnkostenzuschüssen bis zu 75 % für 18 Monate – so ist es im Programm angekündigt –, und 10.000 im Wesentlichen Alleinerziehende mit gesundheitlichen Problemen sollen in ein sozialversicherungspflichtiges öffentliches Beschäftigungsverhältnis mit einer 100-%-Finanzierung gebracht werden, und gleichzeitig sollen innerorganisatorisch, innerhalb der Arbeitsagentur, auch Coaches zur individuellen Betreuung und Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden.

Ich sage erst einmal: Das hört sich alles gut an. Das sind auch alles wichtige Maßnahmen, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland nach der OECD-Studie – und die OECD kritisiert das schon seit Jahren – 10 % über dem OECD-Durchschnitt liegen. In Deutschland sind 45 % Langzeitarbeitslose, nur 35 % sind es im Gesamtdurchschnitt aller OECD-Länder.

Dieses Programm betrifft aber nur 4 % der Langzeitarbeitslosen, und es wird eine Umschichtung von 1.000 Stellen für Coaches vollzogen, also keine neuen Stellen innerhalb der Arbeitsagentur, sondern es erfolgt eine Umschichtung zulasten anderer Aufgaben. Dafür gibt es keine zusätzlichen Finanzmittel, sondern es wird – wie schon dar

gestellt – eine Reduzierung der Programme vorgenommen, und da gebe ich Herrn Pentz inhaltlich recht: im Wesentlichen für junge Arbeitslose, da geht es um mehrjährige Berufsausbildung.

Deswegen kritisiert natürlich auch der Deutsche Landkreistag diese Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Jobcenter, und das zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es scheint sich dabei aber um handwerkliche Fehler seitens der Bundesarbeitsministerin zu handeln. Erst Mitte März sind die Kürzungen der Verpflichtungsermächtigungen gegenüber den Jobcentern ausgesprochen worden. Hier werden schon in diesem Jahr Kürzungen vorgenommen.

Angesichts dieser Kritik will ich mich an den Kollegen Decker wenden. Er behauptet ja-und – und das ist auch die Argumentation von Frau Nahles –, diese Verpflichtungsermächtigungen würden nicht zur Reduzierung von Maßnahmen führen, weil die bisher gar nicht ausgeschöpft worden seien.

Fakt ist aber, dass der Arbeitssenator des Landes Bremen – soweit ich weiß, ist das ein SPD-Mitglied – in diesen Tagen einen Brandbrief an die Bundesarbeitsministerin geschrieben hat. Darin hat er kritisiert, dass diese Maßnahme dazu führt, dass es keine Planungssicherheit mehr gibt, auch langfristig, weil hier sichere Programme für junge Langzeitarbeitslose aufgelegt werden müssen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle abschließend nur sagen: Ich verstehe dieses Thema der Aktuellen Stunde der CDU überhaupt nicht. Nach wie vor ist es möglich, bundespolitische Themen an dem Ort zu diskutieren, wo man sie auch Lösungen zuführen kann. Das zeigt die merkwürdige Rolle, die Sie, Herr Pentz, hier eingenommen haben: als Regierungsoppositionsvertreter in einer Person. Das ist völlig deplatziert. Deswegen kann ich nur sagen: Diese Aktuelle Stunde haben Sie mehr als einmal versenkt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Kollege Schaus. – Das Wort hat der Abg. René Rock, FDP, Seligenstadt.

(Günter Rudolph (SPD): Das liegt kurz vor Froschhausen – oder dahinter, wie man es sieht! – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP): Fast Bayern!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, Vizepräsident Lortz und ich müssen den Kollegen Rudolph einmal nach Seligenstadt einladen, damit er seine despektierlichen Äußerungen einstellt. Das ist an der Stelle völlig unpassend.

(Beifall bei der FDP)

Zur Sache. Da wir über ein sozialpolitisches Thema diskutieren, habe ich vorhin gedacht, als Herr Pentz an den Präsidententisch trat, er werde ein gelbes Kärtchen für jemand anderen abgeben. Dass Herr Pentz aber zur Sozialpolitik geredet hat, hat mich schon etwas verwundert, weil er bei diesem Thema im Hessischen Landtag noch nicht aufgefal

len ist. Entsprechend war ja auch sein inhaltlicher Beitrag zum Thema.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ansonsten ist er Generalsekretär!)

Vielen Dank für den Einwurf. – Zur Sache. Lieber Herr Pentz, ich muss Sie daran erinnern, dass sich FDP und CDU einmal sehr einig waren, dass bei den Eingliederungsmitteln Reformbedarf besteht, und dass wir gemeinsam ganz intensiv daran gearbeitet haben – sehr zum Widerwillen der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN. Wir waren uns damals einig, dass genau an der Stelle nachgesteuert werden muss. Dass Sie das heute völlig anders sehen, dass Sie heute der SPD das vorwerfen, was Sie früher einmal vertreten haben, kann ich inhaltlich überhaupt nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben erkannt, dass wir in der Sozialpolitik, gerade bei der Frage der Langzeitarbeitslosen, der Weisheit letzten Schluss noch nicht gefunden haben. Wir haben eine Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit festzustellen. Darum müssen wir versuchen, neue Konzepte zu entwickeln, und wir müssen versuchen, die bisherigen Maßnahmen zu verbessern.

Wir alle wissen, dass die Eingliederungsmittel nicht allein den Langzeitarbeitslosen zugutekommen, sondern dass auch ein Großteil der Verwaltungstätigkeit daraus finanziert wird. Wir alle wissen, dass die Mittel nicht vollständig abgerufen werden. Wir alle wissen, dass an der Stelle Reformbedarf besteht. Mir gefallen zwar nicht alle Ideen, die an der Stelle entwickelt und eingebracht werden, aber ich kann es nicht so sehen, dass Möglichkeiten der Agenturen oder der Optionskommunen eingeschränkt werden. Da sollten Sie sich vielleicht einmal mit den Fachleuten vor Ort auseinandersetzen. Diese Kritik kann ich an der Stelle nicht unterstützen, und ich glaube, dass man da noch viel intensiver hineingehen und schauen muss, was man besser machen kann.