Bislang haben Sie es geschafft, meine Damen und Herren von der Koalition, diesen Bildungsgipfel mit Ihren Tricksereien auf den besten Weg zum Scheitern zu bringen. Wenn ich sage, das ist eine „unterirdische Veranstaltung“, dann formuliere nicht ich das, sondern dann zitiere ich den Vorsitzenden des Hessischen Philologenverbandes.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Herr Kultusminister, Sie haben noch sechs Wochen, um das, was Sie ein Jahr lang an verfehlter Politik auf diesem Bildungsgipfel gemacht haben, in die rechte Spur zu bringen und zu versuchen, wenigstens ein bisschen was zu retten, ein bisschen was an Erfolg einzufahren. Nutzen Sie diese sechs Wochen. Wir werden Ihnen dabei gerne behilflich sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Manchmal ist es klug, zurückzublicken, vor allem dann, wenn man sich auf einem potenziell recht langen Weg befindet, um die Wegstrecke zu überblicken, die bereits zurückgelegt wurde. Das schärft nämlich auch den Blick nach vorne, sowohl für die Vision, wo es hingehen soll, als auch für die einzelnen Schritte auf dem Weg dorthin.
Der Ganztag ist ein gutes Beispiel dafür. Es war im Jahre 2003, als der Bund und die Länder gemeinsam das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ für einen Ganztagsschulbetrieb in den Ländern auflegten. Hessen hat das Programm klug genutzt. Das muss man an dieser Stelle noch einmal betonen, um die Zahlen, die insbesondere vonseiten der LINKEN und der FDP-Fraktion vorgetragen wurden, ins richtige Verhältnis zu setzen.
Zu Beginn dieses Programms im Jahre 2003 gab es in ganz Hessen 172 Schulen mit ganztägigen Angeboten, ausgestattet mit 527 Lehrerstellen. In den zwölf Jahren seither hat das Land – übrigens gemeinsam mit den Schulträgern, denen ich an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken möchte – seine Anstrengungen vervielfacht. Die Zahlen sind zum Teil schon genannt worden. Heute, im Jahre 2015, investiert das Land 1.731 Lehrerstellen in das Ganztagsprogramm. 958 Schulen sind davon erfasst, und im Schuljahr 2015/2016 werden nach der Einführung des Paktes für den Nachmittag über 1.000 der 1.700 öffentlichen Schulen im Ganztagsprogramm des Landes sein. Das sind etwa 60 % aller öffentlichen Schulen in Hessen. Meine Damen und Herren, das kann sich auch im Vergleich der westdeutschen Flächenländer absolut sehen lassen. Das wollen wir einmal klarstellen.
Wir wissen aber, dass das noch nicht genügt. Wir wissen, dass wir an unseren Schulen weiterhin mehr Zeit schaffen müssen – Zeit, um Kindern die Chance zu bieten, ihre Potenziale noch besser zu entwickeln, sowie Raum und Anregungen, damit sie ihre Talente voll entfalten können. Wir wissen auch, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Haushalten auf diese Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Bil
dungschancen besonders angewiesen sind und dass außerdem die Ausweitung qualitativ hochwertiger Bildungs- und Betreuungsangebote für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von großer Bedeutung ist.
Genau deswegen investieren wir in einem noch nicht da gewesenen Ausmaß in die Ausweitung des Ganztagsschulprogramms und legen das Schwergewicht dabei auf die Grundschulen. Wir wollen die Grundschulen überall dort, wo ein entsprechender Bedarf besteht, gemeinsam mit den Schulträgern und allen anderen in diesem Bereich Engagierten mindestens zu offenen Ganztagsschulen ausbauen – also zu Schulen, die an fünf Tagen die Woche von 7:30 bis 17 Uhr ein Angebot bereithalten, das freiwillig genutzt werden kann.
Vor allem wollen wir in diesem Zusammenhang nichts, was existiert und funktioniert, verdrängen oder ersetzen, sondern wir wollen ergänzen und verzahnen. Wie das ganz hervorragend funktionieren kann, habe ich mir vor Kurzem in der Stadtschule in Bad Nauheim anschauen können. Das ist ein Anschauungsbeispiel, das ich wärmstens empfehlen kann. Daran kann man sehen, wie die Verzahnung in der Praxis funktioniert.
Aber die gebundenen Ganztagsschulen, die der SPD nicht nur ausweislich dieses Antrags besonders am Herzen liegen, gehören selbstverständlich auch in dieses Bild; denn nur sie erlauben in der Tat eine Rhythmisierung des Unterrichtstages mit Unterrichtsblöcken auch am Nachmittag. Schülerinnen und Schüler lernen dort den ganzen Tag gemeinsam; gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern verbringen sie Zeit in der Schule, einschließlich des Nutzens der Förder- und Freizeitangebote.
Man kann das sogar erfolgreich kombinieren; auch darauf ist hier schon hingewiesen worden. So wird das z. B. die viel zitierte Blücherschule in Wiesbaden jetzt machen, die ich mir gerade gestern angesehen habe. Die Grundschule Gießen-West praktiziert das schon seit vielen Jahren so: verpflichtende Ganztagsklassen neben einem offenen Ganztagsangebot, sodass Eltern passgenau das für sie und ihr Kind beste Modell wählen können. Das halte ich für ein durchaus vielversprechendes Modell.
Herr Abg. Degen, dass wir die Gelegenheit dieses „Bildungsmittwochs“ nutzen können, um das gemeinsam herauszustellen, freut mich außerordentlich.
Das zeigt, es gibt in diesem Bereich keinen Königsweg: das eine Modell, das für alle Orte und Lebenslagen gleichermaßen passt. Wir brauchen alle, wir brauchen sie bedarfsgerecht, und es besteht auch für alle Modelle ein Bedarf.
Deswegen bietet die Landesregierung an, ihr Investitionspotenzial für den Pakt für den Nachmittag – Herr Abg. Wagner hat schon darauf hingewiesen, das bewegt sich von der Größenordnung her ungefähr in dem Bereich, den auch die SPD in ihrem Wahlprogramm umschrieben hat – für alle diese Modelle, also auch für die gebundene Ganztagsschule, gleichermaßen zur Verfügung zu stellen.
Bei der Ausgestaltung werden wir sicherlich noch ein paar Fragen zu klären haben. Ich will die wichtigsten Fragen
nennen. Der erste Punkt betrifft Freiwilligkeit und Wahlfreiheit. Ich bin dankbar, dass die SPD-Fraktion deren Bedeutung auch noch einmal im Grundsatz betont hat. Wir wollen, dass sich die Schulgemeinden aus innerer Überzeugung auf den Weg machen und dass die Eltern Wahlfreiheit er- bzw. behalten.
Der zweite Punkt ist die Schrittigkeit. Eine Schule kann nicht von heute auf morgen zu einer gebundenen Ganztagsschule werden. Es bedarf einer Konzeption, und es bedarf einer kontinuierlichen Information und Diskussion aller Beteiligten. Zweckmäßigerweise probiert man ein offenes Angebot erst einmal aus, z. B. im Rahmen des Pakts für den Nachmittag, bevor man zu einem gebundenen fortschreitet. Nur so lässt sich die geforderte Qualität der Ganztagsangebote nachhaltig sicherstellen, und das ist hier von zentraler Bedeutung.
Der dritte Punkt betrifft die Ausgewogenheit des Angebots. Das bedarf einer entsprechenden Steuerung und Planung in der Region, die nur gemeinsam mit den Schulträgern geleistet werden kann. Ich will die Gelegenheit nutzen, um klarzustellen: Das kann z. B. durch teilgebundene Ganztagsschulen nach dem Vorbild etwa der Blücherschule geschehen, die das quasi in einer Schule vereinen – das wird vielleicht nur in größeren Systemen möglich sein –; es kann aber auch, und genau deswegen muss man es insgesamt planen und mit den Schulträgern erörtern, in einem Nebeneinander von voll gebundenen Ganztagsschulen und Schulen erfolgen, die beispielsweise nach dem Pakt für den Nachmittag arbeiten. Das ist immer eine Frage der Verhältnisse vor Ort, das muss man sich gemeinsam anschauen, und das muss man vor allem mit Rücksicht auf die Bedürfnisse planen, die die Eltern für ihre Kinder geltend machen.
Aber alle diese Fragen sind beantwortbar, wenn wir uns miteinander auf den Weg dorthin machen. Wir sind bereit – das war letzten Endes der Tenor aller Ankündigungen in den letzten Tagen und Wochen –, diesen Weg mitzugehen, auch und gerade im Kontext des Bildungsgipfelprozesses. Deswegen lade ich Sie alle dazu ein, die entsprechenden Gespräche fortzusetzen und – hoffentlich – zu einem guten Ende zu führen. Ich denke, dass die Positionen, die im Raum stehen, nicht so weit auseinanderliegen, dass die Entfernung unüberbrückbar wäre. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Irmer, bei dem Thema „keine Ahnung“ sind Sie sicherlich der richtige Ratgeber in diesem Saal.
Aber es ist natürlich die passende Einleitung des rechtskonservativen Abg. Irmer zur bildungspolitischen Debatte; sie hebt sich nicht sonderlich von dem ab, was er hier sonst so alles von sich gibt.
Aber meine Absicht war es nicht, mich in dieser Debatte mit Herrn Irmer zu beschäftigen, sondern ich wollte auf die Ausführungen des Kollegen Wagner, von Herrn Schwarz und auch von Bildungsminister Lorz eingehen. Ich will meine Ausführungen in zwei Teile gliedern: zunächst zu dem Thema Ganztagsschule und dann zu den Fragen, die Herr Schwarz aufgeworfen hat.
Ich will sehr klar sagen, warum wir diesen Antrag zu echten Ganztagsschulen eingebracht haben. Herrn Lorz bin ich sehr dankbar für den Hinweis auf das Programm „Zukunft Bildung und Betreuung“ aus dem Jahr 2003. Sie haben allerdings vergessen, die massiven Auseinandersetzungen in diesem Haus zu erwähnen, weil das Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Bundesregierung darauf ausgerichtet war, echte Ganztagsschulen auszubauen, während in Hessen viele dieser Mittel verwendet wurden, um Mensen für die G-8-Schulen zu bauen. Insofern hat es in Hessen bei diesen Mitteln eine Fehlsteuerung gegeben.
Das ist in diesem Landtag von Rot und Grün immer wieder ausdrücklich kritisiert worden. Dass wir die entsprechenden verfassungsrechtlichen Änderungen an der Bildungsfinanzierung auf der Bundesebene ertragen mussten, war ein Teilaspekt, den wir sicherlich heute weit überwiegend bereuen.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es in den letzten Jahren an den hessischen Schulen eine massive Entwicklung bei der Nachmittagsbetreuung gegeben hat. Das wird auch ausdrücklich anerkannt. Dass Sie dieses Ziel mit dem Pakt für den Nachmittag weiter verfolgen, ist hinreichend dokumentiert worden. Herr Greilich hat dazu aus meiner Sicht das Nötige gesagt.
Betreuung ist ein wichtiger Bestandteil der schulischen Arbeit; aber an zwei Stellen leistet sie keinen Beitrag – sie kann es per se nicht –, und deswegen will ich darauf hinweisen. Insbesondere die Durchführung des rhythmisierten Unterrichts – mit den Chancen, die dadurch entstehen – ist mit dem Pakt für den Nachmittag nicht möglich. Die großen Zahlen, die Sie immer in den Raum stellen – wie viele Entwicklungen es in den letzten Jahren dort gegeben hat –, verstellen den Blick für das zentrale Problem: Von den 1.168 Grundschulen in Hessen sind fünf echte Ganztagsschulen.
Das ist ein Anfang, wenn jetzt noch eine dazukommt. Bei der Ausbaugeschwindigkeit haben wir noch ziemlich viele Jahre vor uns.
Aber das Thema Ganztagsschule hat einen zweiten Aspekt, und der ist für uns als Sozialdemokraten besonders wichtig: Sie leistet einen deutlich größeren Beitrag zur Verwirklichung von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Das hat unter anderem etwas mit der Finanzierung
zu tun; denn beim Pakt für den Nachmittag gibt es Elterngebühren, und die pädagogischen Defizite bleiben bestehen.
Deswegen sagen wir: Wir stellen alle großen Zahlen einmal zurück. Wir akzeptieren, dass bei der Betreuung viel passiert ist. Das löst aber die zentralen bildungspolitischen Probleme nicht. Es bleibt dabei, dass es entschieden zu wenig ist, wenn sich fünf von 1.168 Grundschulen im echten Ganztagsschulprogramm befinden. Da brauchen wir einen richtigen Schluck aus der Pulle.
Als Nächstes möchte ich die Frage des Zwangs ansprechen, auf die insbesondere Herr Schwarz eingegangen ist. Auch da bin ich dem Herrn Minister dankbar, denn er hat den Antrag offensichtlich intensiver gelesen als Herr Schwarz. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir bis zu 100 Schulen im Jahr die Möglichkeit bieten wollen, sich auf den Weg zu machen. Wir wissen, es ist eben so, wenn sich nicht 100 Schulen, sondern nur 80 oder 90 auf den Weg machen. Es geht nicht um das Verordnen, sondern es geht, wie es der Kollege Wagner gesagt hat – dem nehme ich das im Gegensatz zu anderen in diesem Haus auch ab –, um das Ermöglichen. Dabei bleiben wir auch sehr klar.
Ich bin seit Samstag allerdings sehr skeptisch, für wie viel Ernsthaftigkeit Herr Schwarz in den Bemühungen und Debattenbeiträgen der Union bei diesem Thema überhaupt noch steht. Wenn der Ministerpräsident auf dem JU-Landestreffen davon spricht, dass die bildungspolitischen Vorstellungen der SPD dem Prinzip der Einheitsschule folgen, dem Prinzip des Zwangs, dass sie inhuman seien,
dass wir beim Bildungsgipfel keinen Millimeter von der Grundlinie abweichen werden und dass alles dafür getan wird, dass es keine Mehrheit für SPD-Vorstellungen im Rahmen des Bildungsgipfels gibt, dann muss ich Ihnen sagen: Da hat der Ministerpräsident höchstpersönlich am Wochenende jede Vertrauensbasis für weitere Gespräche entzogen.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Anhaltende Zurufe von der SPD – Gegenrufe des Abg. Manfred Pentz (CDU))