Protocol of the Session on May 27, 2015

Auch die CDU hat nun für sich entdeckt, dass die teilgebundene Ganztagsschule überhaupt nicht die Wahlfreiheit der Eltern einschränkt; denn es gibt durchaus Modelle, bei denen man sagt, es gibt Schulen mit mehreren Klassen in einem Jahrgang, und nicht alle Klassen sind gebundene Ganztagsschulklassen. Da besteht durchaus Wahlfreiheit. Auch das hat die CDU inzwischen erfreulicherweise entdeckt, genauso, wie sie inzwischen entdeckt, dass der Bildungsgang Hauptschule nach wie vor auch bei integrierten Systemen besteht. Dies alles sind Fortschritte, von denen wir in den letzten Wochen gehört haben – bisher aber sind es nur Worte.

Meine Damen und Herren, echte Ganztagsschulen zeichnen sich aus durch multiprofessionelle Teams, durch eine klare Orientierung zu individueller Förderung und durch Lernzeiten statt Hausaufgaben. Echte Ganztagsschulen öffnen sich zum Schulumfeld, zu den Vereinen, sie haben ein pädagogisches Konzept, das den ganzen Schulalltag umfasst.

Nur einmal zur Erinnerung: Mit der Einführung der preußischen Kurzstunde 1911 im 45-Minuten-Takt, mit der die Halbtagsschule in Deutschland eingeläutet wurde, sollte damals eine Lektion vom Lehrer gehalten werden. Eine Lektion erfordert aber keine Beteiligung von Schülern, es geht ums Zuhören, Zwischenfragen sind eher störend. Deswegen soll das Mehr an Zeit, das Ganztagsschulen bieten, neue Strukturen des Tagesablaufs gegenüber dem dicht gedrängten Unterricht am Vormittag der Halbtagsschule ermöglichen. Das sind echte Ganztagsschulen, das ist eine moderne Pädagogik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Diese neue Rhythmisierung über den Vor- und Nachmittag funktioniert aber nur dann, wenn man eben mit festen Klassen arbeiten kann, wenn Verbindlichkeiten geschaffen werden und die Schüler, die vormittags im Klassenverband sind, auch nachmittags im Klassenverband sind. Selbst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat sich Ende 2014 mit einem Positionspapier an unsere Fraktion – vermutlich auch an die anderen – gewandt. In dieser Stellungnahme heißt es:

Der Nachmittag sollte fest in das Schulleben integriert, verbindlich vereinbart und eng mit dem Vormittag verzahnt sein. Nur eine Ganztagsschule mit

einem pädagogischen Konzept aus einem Guss, guter Qualität und regelmäßiger Teilnahme kann die erhofften Effekte entfalten.

Warum also fordern selbst die Arbeitgeberverbände mehr Anstrengungen, echte Ganztagsschulen zu ermöglichen? Dabei geht es darum, dass echte Ganztagsschulen einen wesentlichen Beitrag zu echter Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit leisten, indem es nicht mehr davon abhängt, ob die Eltern zu Hause helfen können oder nicht oder ob sie die Nachhilfe bezahlen können oder nicht. Es geht darum, dass Lernen in der Schule stattfindet und dementsprechend Bildungserfolg nichts mehr mit dem Einkommen der Eltern zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)

Zudem werden Lernergebnisse verbessert, es gibt mehr Zeit für individuelle Förderung. Selbst die StEG-Studie sagt ganz klar zur echten Ganztagsschule, die dauerhafte Teilnahme verringere das Risiko für Klassenwiederholungen. Das Sitzenbleiben bei echten Ganztagsschulen geht gegen null, meine Damen und Herren. Zudem verringert die dauerhafte Teilnahme problematisches Sozialverhalten. Was will man also mehr? Das sind doch Investitionen, die sich lohnen.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Auswirkungen auf Familien wurden untersucht. Eltern fühlen sich dadurch entlastet. Das gilt insbesondere für Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status. Das Familienklima entwickelt sich eben nicht negativ, wenn Kinder regelmäßig die Ganztagsschule besuchen, und nach Schulschluss ist eben auch noch Zeit für die Familie, oder um sich auf den Verein einzulassen.

Warum aber genügt der Pakt für den Nachmittag genau diesem Angebot nicht? Warum brauchen wir massive Anstrengungen, echte Ganztagsschulen auszubauen? – Weil der Pakt für den Nachmittag nicht einkommensunabhängig ist. Es wird ein Elterngeld geben, und es ist eben keine Rhythmisierung möglich, weil unterschiedliche Gruppenzusammensetzungen am Vormittag und am Nachmittag bestehen. Vormittagsschule, Nachmittagsbetreuung, und zudem ist es qualitativ ein ganz anderes Angebot.

Ich will einmal ein Beispiel dazu nennen, für die Inklusion, die wir ja alle umsetzen wollen. Da keine Unterscheidung zwischen Regelschüler und Förderschüler vorgenommen wird – für jeden soll es 0,009 Stellen pro Schüler geben, egal ob mit oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf –, werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass bei den Schülern mit Anspruch auf Förderung der Bedarf doch deutlich höher liegt und man hier unterscheiden muss.

(Beifall bei der SPD)

Stattdessen sind echte Ganztagsschulen eine wesentliche Bedingung für das Gelingen der schulischen Inklusion. Viele Förderschulen sind bereits Ganztagsschulen, und gerade im Bereich des Förderschwerpunkts „geistige Entwicklung“ sogar alle.

Wer es also mit der Wahlfreiheit auch bei der Inklusion ernst nimmt und das Angebot einer echten Wahlfreiheit zwischen Regelschule und Inklusion haben will, der kommt gar nicht umhin, weiter für echte Ganztagsschulen zu kämpfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich sagte eingangs, bei allen Bekundungen ist das, was wir konkret fordern: Wir wollen einen konkreten Ausbauplan, wie wir dorthin kommen, dass die 30 %, die Eltern sich an echten Ganztagsschulen wünschen, abgedeckt werden können, um echte Wahlfreiheit zu schaffen, damit man vor Ort in erreichbarer Nähe die Wahl hat zwischen einer Schule mit echtem Ganztagsangebot und einer mit Halbtagsangebot.

Wir schlagen deshalb vor, bis zum Ende der Wahlperiode – wenn die Schulen das wollen –, es 350 Schulen, also knapp 100 im Jahr, zu ermöglichen. Lassen Sie uns ehrlich sein: Wenn die Nachfrage gar nicht da ist, ist es ja nicht schlimm. Aber wir möchten denen, die es wollen, die echte Wahlfreiheit ermöglichen. Ich bin davon überzeugt, dass die Nachfrage besteht; die Studien weisen dies nach.

Darüber hinaus brauchen wir Anstrengungen, um auch im Bereich der Sekundarstufe I eine realistische Perspektive zu schaffen, damit sich Schulen weiterentwickeln können. Ich besuche viele Schulen vor Ort. Manche sagen mir inzwischen, sie hätten gar keine Lust mehr, einen Antrag auf Profil 2 oder Profil 3 zu stellen, weil sie ohnehin nicht damit rechnen würden, dass er genehmigt wird. – Meine Damen und Herren, das kann nicht das Ansinnen der Schulentwicklung sein. Wir müssen hier wirklich echte Perspektiven schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss: Echte Ganztagsschulen sind also pädagogisch, sozialpolitisch und wirtschaftlich vernünftig. Wir fordern einen klaren Plan, wie viele Schulen jedes Jahr in welches Profil wechseln können; bloße Absichtserklärungen oder einzelne Leuchtturmprojekte genügen nicht. Ermöglichen wir den Schulen die Weiterentwicklung, die sie selbst wollen – aber bitte ernst gemeint, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Wagner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Degen, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede das Prinzip „ermöglichen statt verordnen“ thematisiert, das im Moment die Bildungspolitik in vielen Ländern prägt, das das grüne Wahlprogramm geprägt hat und das auch die Politik der schwarz-grünen Koalition prägt. Es freut mich, dass Sie dieses Motto aufgenommen haben.

Sie haben gefragt, ob dieser Mittwoch ein „Ermöglichungsmittwoch“ sein könnte. – Herr Kollege Degen: Ja, ausdrücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Beim Thema Ganztagsschule kann dieser Mittwoch und können die Debatten im Bildungsgipfel eine Ermöglichung sein. Wir sind ja durch die Debatten des Bildungsgipfels, den die schwarz-grüne Landesregierung auf den Weg gebracht hat, sehr viel weiter. Wir sind ja raus aus den grundsätzlichen Debatten, ob nur der Pakt für den Nachmittag

oder nur rhythmisierte Ganztagsschulen der richtige Weg sind. Vielmehr haben wir einen Diskussionsstand in diesem Bildungsgipfel erreicht, der sagt: Wir wollen den Pakt für den Nachmittag verwirklichen, aber eben auch echte rhythmisierte Ganztagsschulen im Profil 3.

Ja, wir haben diese Ermöglichungsstrategie, Herr Kollege Degen. Die einzige Frage ist nur noch: Gehen Sie diesen Weg mit? Nehmen Sie die Hand an, die die Regierung ausgestreckt hat, oder schlagen Sie diese Hand aus? Das ist die sehr konkrete Frage, die sich hier stellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich glaube, es wäre ein Gewinn, wenn wir uns bei der Ganztagsschulentwicklung einigen würden. Denn welche Funktionen haben Ganztagsangebote und Ganztagsschulen in unserem Land? Sie haben zum einen – das ist unstrittig in diesem Haus – die Funktion, eine bessere Förderung für die Schülerinnen und Schüler zu realisieren. Die zweite Funktion – ganz wichtig für Eltern – ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ja, da gibt es oder gab es zu Beginn der Legislaturperiode zwei sehr grundsätzlich unterschiedliche Konzepte. Die SPD-Fraktion in diesem Haus hat gesagt: Wir wollen jährlich 100 echte Ganztagsschulen und konzentrieren die Mittel im Bildungsbereich darauf, jedes Jahr 100 echte Ganztagsschulen zu machen. Das macht am Ende der Legislaturperiode 500 echte Ganztagsschulen.

Ich rede diesen Ansatz ausdrücklich nicht schlecht, weil ich genau weiß, welche pädagogische Qualität echte Ganztagsschulen haben. Das Problem an diesem Ansatz ist, dass er sich natürlich mit begrenzten Mitteln auseinandersetzen muss, weshalb die SPD-Fraktion gesagt hat: Wir können ein solches sehr gutes Angebot bis zum Ende der Legislaturperiode nur an 500 Schulen verwirklichen. – Das werfe ich Ihnen nicht vor. Das ist im Rahmen der Möglichkeiten das, was man an echten Ganztagsschulen machen kann.

Der Ansatz der Koalition war, mit dem Pakt für den Nachmittag für alle Grundschulen im Land ein gutes Angebot einer Bildungs- und Betreuungsgarantie zu machen, damit das drängendste Problem von Eltern in unserem Land, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, im Grundschulbereich für alle Schülerinnen und Schüler bearbeitet und gelöst werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das sind die beiden Ansätze, die sich gegenüberstehen: ein, zugegeben, pädagogisch sehr gutes, wünschenswertes Angebot für 500 Schulen und für die anderen Schulen nicht – oder ein gutes pädagogisches Angebot für alle Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich. Das ist die sachliche Situation, um die es geht.

Meine Damen und Herren, so weit sind diese Positionen nicht auseinander, wenn es um die Sache geht, als dass man sie nicht zusammenführen könnte. Deshalb ist der Vorschlag, wie ihn der Ganztagsschulverband gemacht hat, wie ihn die schwarz-grüne Regierung jetzt gemacht hat: Lassen Sie uns beides zusammenführen. Lassen Sie uns ein solides Angebot mit dem Pakt für den Nachmittag, mit der Bildungs- und Betreuungsgarantie für alle Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich machen und ergänzend dazu das aufgreifen, was die SPD-Fraktion thematisiert: dass es auch eine Entwicklungsperspektive für echte rhyth

misierte Ganztagsschulen geben soll. Das liegt auf dem Tisch. Das können wir abschließen. Dann machen wir es, dann machen wir diesen Mittwoch zum Ermöglichungsmittwoch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich habe eine herzliche Bitte. Sie werden meiner Rede entnommen haben: Wir GRÜNE und auch die Kolleginnen und Kollegen der CDU reden nicht schlecht über rhythmisierte Ganztagsschulen. Wir erkennen dieses pädagogische Konzept dort an, wo es von Eltern für ihre Kinder gewünscht wird. Ja, die Erfahrungen in den Ländern, die das machen, sind sehr ermutigend, was die Förderung der Schülerinnen und Schüler angeht. Aber ich habe die herzliche Bitte, dass Sie dann auch den Ansatz des Paktes für den Nachmittag nicht weiter schlechtreden. Denn die Schulen, die sich zum nächsten Schuljahr auf den Weg machen, die 58 Schulen, die sechs Schulträger, die das auf den Weg bringen, machen auch ein sehr gutes Angebot für die Eltern. Auch sie kümmern sich um die Förderung von Schülerinnen und Schülern. Wir sollten nicht, um parteipolitische Konflikte weiter aufrechterhalten zu können, die Arbeit der Schulen schlechtreden,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sagen Sie das einmal dem Regierungschef!)

egal, ob sie im Pakt für den Nachmittag oder in rhythmisierten Ganztagsschulen geschieht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Wir kritisieren die Finanzierung!)

Lassen wir das doch einfach weg, und lassen wir uns den Bildungsgipfel gemeinsam als die Chance begreifen, diese Debatten unseren Schulen eben nicht mehr zuzumuten, sondern zu sagen: Ja, der Pakt für den Nachmittag wird verwirklicht für alle Grundschüler, und ergänzend als besonders gutes pädagogisches Angebot werden verstärkt Profil-3-Ganztagsschulen genehmigt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): „Wir werden alles tun, damit es keine Mehrheit für SPD-Vorstellungen gibt“, so der MP am Wochenende!)

Es ist ja nicht so, als würde in diesem Land im Bereich der Ganztagsschulentwicklung und beim Ausbau des Ganztagsschulprogramms nichts geschehen. Ich darf daran erinnern: Im laufenden Schuljahr gab es 115 zusätzliche Stellen im Ganztagsschulprogramm. Übrigens wurden auch Schulen neu ins Profil 2 aufgenommen und Angebote im Profil 2 erweitert. Es wurde auch eine neue Schule im Profil 3 genehmigt. Jetzt kann man immer mehr fordern. Lassen Sie uns über den Ausbaupfad reden. Das ist gar keine Frage. Aber dass nichts geschehen ist, kann man nicht sagen.

Im kommenden Schuljahr sind es 230 Stellen, eine Verdoppelung der Ausbaugeschwindigkeit des Ganztagsschulprogramms. Diese Koalition will in den kommenden Schuljahren so weitermachen. Das ist der größte Ausbau des Ganztagsschulprogramms, den es in Hessen je gegeben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Lassen Sie uns darüber reden, wie wir das konkret ausgestalten. Darüber können wir sprechen.