Protocol of the Session on April 30, 2015

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Lisa Gnadl (SPD))

Prekäre Arbeit bedeutet prekäre Lebensverhältnisse, keine Planungssicherheit, drohende Altersarmut, und ich sage, gerade drohende Altersarmut ist eine Schande in einem so reichen Land wie dem, in dem wir leben.

Der hohe Anteil der atypischen Beschäftigung zeigt – darauf will ich hinaus –, dass es sich hierbei nicht nur um Niedrig- und Unqualifizierte handelt, sondern dass auch gut ausgebildete Facharbeiter und Akademiker von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung betroffen sind. Das kann man beispielsweise an den hessischen Hochschulen beobachten, wo sich viele junge Wissenschaftler von Befristung zu Befristung hangeln. Viele Unternehmen versuchen, sich ihrer Tarifbindung zu entledigen, um noch ein bisschen mehr Profit zu machen. Der Mythos „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut“ ist lange widerlegt.

Das kann man auch gerade bei der Deutschen Post beobachten, die Milliardengewinne einfährt und ihren Aktionären steigende Dividenden verspricht, während ein Teil der Beschäftigten ausgelagert werden soll in Regionalgesellschaften zu schlechteren Bedingungen. Das ist Tarifflucht, und damit darf die Deutsche Post nicht durchkommen. Auch da wünschen wir den Beschäftigten, die sich gerade dagegen wehren, alles Gute.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Druck auf sogenannte Normalarbeitsverhältnisse wird immer stärker. Eine gute Ausbildung und Qualifikation sind wichtig, schützen aber nicht mehr vor Erwerbsarmut.

Meine Damen und Herren, das ist auch eine Folge der Deregulierung des Arbeitsmarktes und insbesondere der Hartz-Gesetze. Sie haben die Kampfkraft der Gewerkschaften geschwächt und eine Rutschbahn der Löhne in Gang gesetzt. Wer über Armut und Prekarisierung spricht, der darf über Hartz I bis IV nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb ist es wichtig, dass morgen möglichst viele Menschen im ganzen Land auf die Straße gehen und sich an den Kundgebungen des DGB zum Tag der Arbeit beteiligen.

Ich will darauf hinweisen – ich komme zum Schluss –, dass die LINKE am morgigen 1. Mai ihre bundesweite Kampagne „Das muss drin sein“ startet für gute Arbeit, gegen Befristungen, Leiharbeit und Überlastung, für ein sicheres Leben, gegen zu hohe Mieten und Energiekosten. Wir laden alle Menschen ein, sich daran zu beteiligen; denn in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt muss gelten: Gute Arbeit, gutes Leben, das muss drin sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Kollegin Wissler. – Das Wort hat der Abg. Günter Schork, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Plenarrunde Ende März haben wir uns im Rahmen der Diskussion in diesem Haus über das Thema „Bündnis Ausbildung Hessen“ unterhalten. Wir haben die Vielzahl der Einzelmaßnahmen, die in diesem „Bündnis Ausbildung Hessen“ vereinbart sind, diskutiert. All die Punkte, die der Kollege Lenders angesprochen hat, sind in diesem Ausbildungsbündnis enthalten. Das haben wir in der letzten Plenardebatte hier ausführlich diskutiert.

Heute reden wir über die Initiative Pro Abschluss. Diese Initiative ist ein Bestandteil des „Bündnisses Ausbildung Hessen“. Es ist nicht die alleinige, sondern es ist eine von vielen Initiativen, und ich glaube auch, dass es eine wichtige Vereinbarung innerhalb des Bündnisses ist. Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass das, was wir dort vereinbart haben und die Landesregierung mit einer Vielzahl von Verbänden vereinbart hat, wofür wir dankbar sind, auch tatsächlich mit Leben gefüllt wird.

Es geht nicht darum, das hier zu feiern, sondern es geht darum, dass wir hier als Hessischer Landtag zeigen, dass das ein wichtiges Programm ist, dass uns das Anliegen am Herzen liegt, dass wir es parlamentarisch unterstützen und dass wir es auch bekannt machen und all denen, an die sich das Programm richtet, deutlich machen, dass es wichtig und notwendig ist, dass sie sich beteiligen, dass sie ihre Bedenken zurückstellen und dass sie sagen: Jawohl, das ist eine vernünftige Maßnahme, um Beschäftigte ohne fundierte Ausbildung in die Qualifizierung zu bringen und zu einem Berufsabschluss zu führen.

Davon profitieren nicht nur die Beschäftigten. Auch das dürfte klar sein. Eine gute Ausbildung, eine gute Qualifizierung erhöhen mit Sicherheit die Chance, den Arbeits

platz zu erhalten, und minimieren das Risiko, in einer Krisensituation als Erster auf die Straße gesetzt zu werden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es wichtig, dass wir all denen, die in Beschäftigung sind, die uns fragen: „Warum soll ich eine Ausbildung denn machen?“, deutlich machen, dass es auch für ihre persönliche Entwicklung notwendig, richtig und gut ist, wenn sie diese Ausbildung durchlaufen.

An zweiter Stelle stehen die Unternehmen. Auch für diese ist die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter ein Vorteil. Wir alle wissen, dass wir zu wenige Facharbeiter haben. Die Unternehmen beklagen dies zu Recht. Dann müssen die Unternehmen aber ihre Verpflichtung auch wahrnehmen und dazu beitragen, dass Facharbeiter ausgebildet und gewonnen werden. Das kommt am Ende des Tages den Unternehmen wieder zugute. Deswegen haben wir die Unternehmen davon zu überzeugen, dass sie ihren Beitrag zu diesem Programm leisten müssen.

(Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)

Wer am Montag – wie ich – auf der Auftaktveranstaltung war, konnte dort zur Kenntnis nehmen, dass die Industrieund Handelskammern sehr wohl hinter diesem Programm stehen. Auf der Veranstaltung wurde als positives Beispiel der Werdegang eines jungen Mannes dargestellt, der in einem Unternehmen die Nachqualifizierung bereits durchlaufen und einen Beruf erlernt hat. Es wurde sehr deutlich, dass es eine Vielzahl von Unternehmen gibt, die bereit sind, gemeinsam mit allen Beteiligten, gemeinsam mit uns diesen Weg zu gehen, damit der genannte Personenkreis eine Verbesserung seiner Qualifikation und einen Berufsabschluss erlangt. Insofern geht es um ein maßgeschneidertes Programm für eine bestimmte Zielgruppe – ein Baustein innerhalb des „Bündnisses Ausbildung Hessen“. Über die Einzelheiten hat Herr Kollege Bocklet gesprochen, sodass es nicht notwendig ist, dass ich das alles wiederhole.

Ich glaube, aus den Beiträgen der CDU-Fraktion, unseres Koalitionspartners, der Landesregierung, aber auch aus den Wortbeiträgen meiner Vorredner von den Oppositionsfraktionen ist deutlich geworden, dass dies ein gutes Programm, ein notwendiges Programm ist und es an uns allen liegt, bei unseren Besuchen von Unternehmen in unseren Wahlkreisen dafür Sorge zu tragen, dass dieses Programm bekannt wird, dass es eine Akzeptanz findet und dass sich möglichst viele daran beteiligen, damit es am Ende zu einem Erfolg wird – für die, die sich qualifizieren, für die Unternehmen und damit am Ende für unsere Politik und für unser Land.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Minister Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es sehr deutlich zu sagen: Hessen wird laut „regio pro“ – das ist eine von der Landesregierung geförderte Beschäf

tigungsprognose – zukünftig nicht genug Fachkräfte haben. Dem hessischen Arbeitsmarkt werden im Jahre 2020 etwa 90.000 Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung fehlen – übrigens doppelt so viele, wie an Akademikern fehlen werden; da geht man von 44.000 fehlenden Fachkräften aus.

Genau da setzen wir an. Die Nachqualifizierung ist ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, denn die Menschen, die wir adressieren, sind bereits auf dem Arbeitsmarkt. Sie wissen, was sie leisten können. Auch deren Arbeitgeber wissen, was diese Menschen leisten können. Ich glaube, das ist ein Punkt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in Hessen ca. 400.000 Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und auch nicht auf dem Weg dorthin sind. Von diesen 400.000 Menschen sind etwa 340.000 erwerbstätig. Ich will das ausdrücklich sagen, weil von der FDP-Fraktion und der Linksfraktion zum Teil behauptet wurde, wir würden uns nicht genug um die kümmern, die arbeitslos sind. Natürlich kümmern wir uns weiterhin um die 60.000 Arbeitslosen. Das tun die Arbeitsagenturen und die Jobcenter. Dafür gibt es die Eingliederungsmittel. Wir diskutieren auf dem Bildungsgipfel auch über die Reform des Übergangssystems. Selbstverständlich kümmern wir uns ganz besonders um diese Personengruppe. Aber, seien Sie ehrlich: Hätte ich von „Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung“ gesprochen, dann hätten Sie vor dieser Debatte wahrscheinlich nicht gewusst, dass 60.000 dieser Menschen arbeitslos sind und 340.000 einen Arbeitsplatz haben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Doch! Das haben wir bereits vor drei Jahren gesagt!)

Deswegen wollen wir den Fokus auf die Nachqualifizierung derer legen, die bereits in einem Job sind. Das heißt nicht, dass wir die anderen vernachlässigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich wundere mich ein bisschen. Ich weiß ja, dass es Aufgabe der Opposition ist, zu kritisieren. Das habe ich lange getan. Aber an einem bestimmten Punkt auch einmal zu sagen, dass etwas vielleicht nicht ganz schlecht ist, macht eine Opposition nicht schwächer, sondern stärker.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das hat sie doch gesagt, Herr Al-Wazir! – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Ich habe gesagt, dass es eine richtige Initiative war!)

Kollege Schäfer-Gümbel, das ist ja richtig, aber man sollte nicht immer das Haar in der Suppe suchen. Hessen ist das erste Bundesland, das ein solches Konzept vorlegt. Das heißt im Umkehrschluss, in 14 anderen Bundesländern, in denen die SPD regiert, gibt es dieses Konzept bisher nicht. Da kann man doch einmal sagen: Das ist nicht so schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer- Gümbel (SPD): Selbstverliebt bis zum Anschlag! Er ist von uns nicht genug gelobt worden! – Janine Wissler (DIE LINKE): Tarek, entschuldige, dass wir dich nicht ausreichend gewürdigt haben!)

Ist okay. – Wir haben damit eine Vorreiterfunktion. Das Programm wollen wir zum Erfolg führen. Ich will ausdrücklich sagen: Wir müssen Werbung für dieses Konzept machen, denn die 340.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nicht jeden Tag Zeit, tagsüber in eine Nachqualifizierung zu gehen. Das heißt, wir müssen mit den Bildungsträgern über die Frage reden, auch abends oder am Wochenende Angebote zu machen. Wir müssen – was das angeht – mit den Arbeitgebern über eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten reden. Wir müssen natürlich auch die Beschäftigten dafür interessieren. Manchmal ist die öffentliche Wahrnehmung eines Themas umgekehrt proportional zu seiner Wichtigkeit. Ich halte das für eines der wichtigsten Themen – sowohl mit Blick auf die soziale Teilhabe als auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir werden pro Landkreis und pro kreisfreier Stadt mindestens einen Bildungscoach haben. Frau Gnadl, diese Bildungscoaches sollen auf kleine und mittlere Unternehmen zugehen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Die Großunternehmen haben zwar einen Anspruch auf einen Qualifizierungsscheck, aber sie haben eigene Abteilungen, die sich darum kümmern. Wir wollen die kleinen und mittleren Unternehmen ganz besonders für diesen Bereich sensibilisieren.

Zusätzlich haben wir in Kassel, Gießen und in Frankfurt Stellen der mobilen Nachqualifizierungsberatung. Ich will ausdrücklich sagen: Wir machen das gemeinsam mit der mobilen Anerkennungsberatung. Das heißt, wir werden in Zukunft flächendeckende Angebote haben, was die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, die Nachqualifizierungen und die Bildungscoaches angeht. Das gibt es so in keinem anderen Bundesland. Ich finde, da kann man einmal sagen, dass das ein guter Tag für das Land ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir bauen hessenweite Strukturen auf. Wir verankern flächendeckende Beratungsangebote. Wir fördern die individuelle Nachqualifizierung. Wir arbeiten mit der Anerkennungsberatung zusammen. Wir setzen das gemeinsam mit den Kammern, mit den Arbeitsagenturen und mit den Bildungsträgern vor Ort um.

Das Ganze wird aber nur funktionieren, wenn es am Ende eine entsprechende öffentliche Wahrnehmung gibt: dass die Beschäftigten wissen, dass sie davon ganz konkret profitieren, denn es sichert sie vor Arbeitslosigkeit, und es ermöglicht ihnen Aufstiegschancen, und dass die Unternehmen wissen, dass sie davon profitieren, denn das ist ein Teil ihrer Fachkräftesicherung – ein Teil, Herr Lenders, natürlich nicht alles. Herr Lenders, wo sind Sie denn?

(Jürgen Lenders (FDP): Wie immer hinter Ihnen! – Heiterkeit)

Nachqualifizierungen sind ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, weil sie – insgesamt gesehen – einerseits eine soziale Teilhabe und andererseits eine Sicherung des Wirtschaftsstandorts Hessen bedeutet. In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie alle mit mir gemeinsam viel Werbung für dieses Programm machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde durchgeführt.

Bevor ich die nächste Aktuelle Stunde aufrufe, teile ich mit, dass ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Fertigstellung der A 49, Drucks. 19/1914, eingegangen ist. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 79, und wir rufen ihn jetzt mit Tagesordnungspunkt 66 auf. – Kein Widerspruch, dann wird so verfahren.