Protocol of the Session on April 29, 2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Internet in Verbindung mit dem technischen Fortschritt verändert unsere Gesellschaft in einem bisher nicht gekannten Tempo. Ohne Unterlass jagt eine Innovation, eine Weiterentwicklung, positive und negative, die nächste. Was heute aktuell ist, kann morgen schon überholt sein. Das gilt insbesondere für den Menschen selbst. Manche sind in diese Zeit hineingeboren, sind mit der Geschwindigkeit der stetigen Veränderung vertraut. Andere dagegen können mit diesen Entwicklungen nicht mithalten. Der digitale Wandel stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Das Netz hält großartige Chancen bereit und ebenso erhebliche Risiken. Wir tragen die Verantwortung für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in der virtuellen Welt.

Mit der vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage „Verbraucherinnen und Verbraucher im Netz schützen – Freiheit des Internets mit Datenschutz sichern“ haben wir erstmals einen sehr guten Überblick über die beeindruckende Vielfalt, die sich bei einem umfassenden Blick auf das Thema des Verbraucherschutzes im Internet ergibt. Die Antwort auf die Große Anfrage kann in vielerlei Hinsicht für die weitere parlamentarische Arbeit verwendet werden. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Haus sehr herzlichen für die umfangreiche Antwort bedanken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, einen Teil Ihrer Ausführungen teile und befürworte ich. Das aus der Beantwortung ersichtliche Engagement der Landesregierung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher ist lobenswert. Ich denke etwa an die Internetseite „Verbraucherfenster“ oder an die in den Bundesrat eingebrachten Initiativen für ein verbessertes Schutzniveau sowie die initiierten Präventionsprogramme von Verbraucherzentralen und Polizei.

Dennoch hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle weitere Informationen und Differenzierungen gewünscht. Wie die Antwort zeigt, ergeben sich auch Grenzen staatlicher Aufsicht. Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen nicht nur Internetangebote von Anbietern mit Sitz in Hessen oder Deutschland, wodurch die Anbieter bei ihrer Tätigkeit bei uns keiner staatlichen Aufsicht unterliegen. Die Antwort zeigt deutlich, dass Datenschutz und Datensicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Internet nicht allein auf Länder- oder Bundesebene gelöst werden können.

Viele Gesetzesinitiativen sind zu begrüßen. Aber diese bieten nur Schutz, wenn es weitere Regelungen auf europäischer Ebene oder gar weltweit gibt. Dies zeigt gleichzeitig das Spannungsfeld: Wie kann wirklicher Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht werden, wenn eine nationale Lösung nicht ausreicht? Eine Datenschutzgrundordnung auf Europaebene im Rahmen der EU-Datenschutzreform wäre dringend erforderlich.

(Beifall bei der SPD)

Der Einsatz der Landesregierung hierfür ist erfreulich. Eine stärkere Verbraucherpolitik auf EU-Ebene ist notwendig, aber EU-Regelungen dürfen nicht zu einer Absenkung des Verbraucherschutzniveaus in Deutschland führen. Hier müssen wir alle wachsam sein. Trotz vieler Projekte und

Initiativen bleibt viel zu tun, z. B. Voreinstellungen zur Sicherheit bei sozialen Netzwerken festzulegen und verpflichtende Löschfunktionen umzusetzen.

Neue Kriminalitätsformen im Internet und das Internet als Tatmittel stellen die Bekämpfung der Kriminalität vor besondere Herausforderungen. Die Strafbarkeit der Datenhehlerei ist als Gesetz eingebracht und sollte schnell umgesetzt werden. Bedingt durch die rasante technische Entwicklung sind Gesetze ständig zu erneuern und die neuesten Entwicklungen einzuarbeiten. Das Telemediengesetz und das Telekommunikationsgesetz sind dringend anzupassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich besonders hervorheben: Die Arbeit der Hessischen Verbraucherzentrale und des DHB – Netzwerk Haushalt sind hervorragend, insbesondere bei der Information der Verbraucherinnen und Verbraucher zu allen Themen rund ums Internet.

Die Beratung durch starke Verbraucherverbände, beispielsweise bei oftmals unberechtigten Abmahnungen, Urheberrechtsverletzungen und Abofallen, ist wichtig. Die stärkere finanzielle Förderung der Verbraucherberatung ist nach vielen Jahren der Kürzung von Finanzmitteln dringend notwendig, wie in fast allen einzelnen Antworten auf die Große Anfrage die institutionelle Förderung betont wird. Mir ist dies etwas zu viel Eigenlob.

Daneben gibt es allerdings Kritikpunkte. So verfügen die Behörden des Landes zurzeit kaum über aussagekräftige Statistiken, die sich mit den strafbaren Handlungen im Internet befassen. Zwar betont die Landesregierung mehrfach die Bedeutung des Internets in unserer Zeit, etwa durch die einleitende Aussage, das Internet sei ein gesamtgesellschaftlicher Kreativ-, Wirtschafts- und Sozialraum. Doch scheint die Entwicklung dieses Raumes wesentlich schneller zuzunehmen als das politische Bewusstsein. Für diesen grundsätzlich freien Raum sind einerseits die notwendigen netzspezifischen Schranken zu formulieren sowie andererseits die Straftaten zur Dokumentation und als Grundlage zu erfassen, um konkrete Maßnahmen einzuleiten.

Interessant an der Antwort auf unsere Große Anfrage ist zudem, wie die Landesregierung auf die Open-Data-Kriterien eingeht. Es gibt Bundesländer, die diese bei der Veröffentlichung von Dokumenten beachten. Ich hoffe, dass sich die Landesregierung noch einmal mit den Open-Data-Kriterien auseinandersetzt und diese verbindlich vorgibt.

(Beifall bei der SPD)

Die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher im Hinblick auf veränderte und sich kontinuierlich weiterentwickelnde Chancen und Risiken der digitalen Gesellschaft sowie der Ausbau der Medienkompetenz und die Schaffung verbraucherfreundlicher Regelungen sind von zentraler Bedeutung.

Die digitale Kompetenzlücke bei vielen Menschen muss entschieden verringert werden. Wenn wir also das Internet als Raum zu einem für den Nutzer sicheren Ort ausgestalten wollen, müssen wir bei den Menschen ansetzen. Wir können darauf vertrauen, dass jeder Mensch die Gefahren erkennt oder vorhersieht und danach selbstständig und eigenverantwortlich Präventionsmaßnahmen einleitet. Oder wir gehen davon aus, dass eine Vielzahl von Menschen diesen virtuellen Raum unvorbereitet betritt und Gefahren nicht erkennt. Kompetenz im Umgang mit neuen Medien müssen wir alle erst lernen.

Ein geeignetes Umfeld für die Vermittlung umfassender Medienkompetenz ist die Schule. Keine Frage, natürlich gibt es auch hier Programme, die im schulischen Rahmen stattfinden. Doch erscheinen mir diese eher als spezielle Angebote auf freiwilliger Basis. Wir brauchen aber eine feste Verankerung in den Lehrplänen. Es könnte bereits während der Ausbildung von Lehrern ein verpflichtender Schwerpunkt auf Medienkompetenz liegen.

(Beifall bei der SPD)

Da sollten wir ansetzen. Medien-, Informations- und Datenschutzkompetenz als Schlüsselqualifikationen gehören in die Lehrpläne aller Schulformen und müssen verpflichtend für alle Studiengänge und Ausbildungsberufe sein. Es gibt viele Angebote des Landes und der Verbraucherzentralen, die sich auch an Erwachsene richten. Allerdings bezweifle ich, dass diese Angebote den Nutzern bekannt sind.

Wir können, wie bei Kindern und Jugendlichen, auch bei Erwachsenen nicht automatisch ein Bewusstsein für die Probleme im Netz voraussetzen. Medien- und Datenschutzkompetenz sind der Schlüssel zur digitalen Teilhabe. Wir müssen es hinbekommen, gleichberechtigte Teilhabe am Internet endlich für alle zu gewährleisten.

Wer über fundierte Kenntnisse verfügt, bewegt sich letztlich sicherer und selbstbewusster. Dies ist ein weitreichender gesellschaftlicher Anspruch und für uns zugleich ein Auftrag. In einer Zeit, in der sich immer mehr gesellschaftliche Prozesse ins Netz verlagern, in der dieser Wandel in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vor sich geht, können wir es uns nicht leisten, einzelne Bevölkerungsgruppen außen vor zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist daher wichtig, dass die Landesregierung einen Schwerpunkt bei der Förderung der Medienkompetenz setzt.

Werte Kolleginnen und Kollegen, meine persönliche Vision ab 2019 wäre, dass wir dann unter einer rot-grünen Landesregierung das gemeinsame Ziel für Hessen haben, zum Medienkompetenzland Nummer eins zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Freiheit des Internets gehören Schutz und Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer. Diese haben einen Schutzanspruch. Verbraucherpolitik hat einen Schutzauftrag. Wir müssen den Herausforderungen des Verbraucherschutzes im Internet mit einem angemessenen Maß an Regulierung, wo dies sinnvoll ist, und mit Unterstützung und Beratung der Verbraucherinnen und Verbraucher, wo immer dies möglich ist, begegnen. Verbraucherschutz muss den Risiken aus den sich ständig neu entwickelnden und erweiternden Nutzungsmöglichkeiten des Internets für Verbraucherinnen und Verbraucher begegnen und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Internet stärken.

Ich komme zum Schluss. Das Ziel der Landesregierung, die Möglichkeiten des Internets in allen Lebensbereichen bestmöglich nutzbar zu machen, ist hoch. Wir werden Sie an der Erreichung des Ziels und den Initiativen, die die Landesregierung aufgrund der Antwort ergreifen will, messen. Messen werden Sie vor allem daran, inwieweit der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gehalten oder sogar verbessert werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löber. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Goldbach für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeldet. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 30.000 Jahren hat ein Steinzeitmensch in einer Höhle im französischen Chauvet in der Region Ardèche Nashörner und Hyänen an eine Höhlenwand gemalt. Seitdem haben die Menschen viele Bilder produziert, auf Pergament und dann auf Papier gemalt, und sie haben Musik komponiert. Sie haben am Anfang die Noten auf Papier geschrieben und dann erst auf Schellackplatten und Schallplatten aufgenommen, heute haben wir CDs. Jetzt stellen Sie sich vor, sämtliche Daten – –

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte etwas mehr Ruhe.

Stellen Sie sich vor, was in diesen 30.000 Jahren, seit unser Freund seine Bilder an die Höhlenwände gemalt hat, an Daten zusammengekommen ist, die die Menschheit produziert hat. Das ist genau die Datenmenge, die allein im Jahr 2015 neu gespeichert werden wird. Damit kann man sich ein Bild machen, was das für Mengen sind und wie viel mehr das heutzutage ist als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Es ist unstrittig, dass die Daten, die heute gespeichert werden, und ein Großteil davon im Internet, geschützt werden müssen. Es ist auch unstrittig, dass dem Staat dabei eine immense Funktion zukommt. Wir stellen auch immer wieder die Frage, wie weit die Eigenverantwortung der Nutzerinnen und Nutzer im Internet geht, um ihre eigenen Daten zu schützen.

Eigentlich hat die mündige Bürgerin und der mündige Bürger das Recht, im Internet so viel zur Verfügung zu stellen, wie sie oder er möchte. Die Anbieter müssen aber auch gesetzlich dazu verpflichtet werden, von sich aus den höchstmöglichen Datenschutz zu gewähren. Die Nutzer müssen Abweichungen von dem höchstmöglichen Datenschutz ausdrücklich zustimmen und nicht umgekehrt.

Eine besondere Aufgabe – das sagte die Kollegin schon, das finde ich völlig richtig – kommt dabei auf uns zu, die Kinder und Jugendlichen zu schützen, wenn sie sich im Internet bewegen. Ein Großteil dieses Schutzes besteht in der Präventionsarbeit, also Aufklärung und Medienkompetenz. Konkret heißt das: Wenn unsere Kinder und Jugendlichen am Computer sitzen, im Internet surfen und irgendwelche Spiele spielen, dann müssen wir erreichen, dass sie nicht nur das sehen, was gerade vor ihnen auf dem Bildschirm erscheint, sondern sie müssen auch wissen, dass sie vielleicht die Rechte der Fotos, die sie gerade auf Instagram eingestellt haben, verlieren. Sie müssen wissen, dass jede

ihrer Suchanfragen gespeichert wird und sie später passgenau Werbeangebote von den Anbietern bekommen.

Es gibt im Übrigen Programme, wie beispielsweise die Freeware CyberGhost, die das Surfverhalten komplett verschlüsseln und anonymisieren. Das wissen aber die wenigsten. Solche Dinge müssen wir unseren Kindern beibringen.

Ich möchte einmal zwei drastische Beispiele anführen, in denen die Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen ganz besonders stark eingeschränkt werden. Es gibt eine neue Barbie – Barbie kennen wir alle, die gab es schon, als ich noch Kind war. Ich durfte als Kind nicht damit spielen, weil sie nicht pädagogisch wertvoll war, aber ich habe dann bei meiner Freundin mit Barbies gespielt.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich habe mit Autos gespielt!)

Also, meine Töchter haben auch mit diesem Damen gespielt. Die sind zwar scheußlich gewesen, aber harmlos, wirklich harmlos. Jetzt aber hat Mattel etwas ganz Neues herausgebracht, und zwar eine Barbie, die heißt Hello Barbie. Die ist über Wi-Fi verbunden und kann die Gespräche mit Kindern aufzeichnen. Das heißt, diese Puppe antwortet den Kindern, spricht mit ihnen, und was die Kinder sagen, wird aufgezeichnet. Die Idee dahinter ist, dass die Puppe sich daran erinnern soll, was die Kinder ihr erzählt haben, und ein Algorithmus entscheidet dann, welche Antwort wiederum die Barbie darauf gibt. Das ganz Dolle daran ist, dass die Kontrolle der Daten bei den Eltern liegen soll. Das heißt, die Eltern können später abrufen, welche Gespräche ihre Kinder mit der Puppe geführt haben.

(Michael Boddenberg (CDU): Und damit gleich zum Psychologen!)

Genau.

(Michael Boddenberg (CDU): Gibts das auch für Jungs?)

Das muss man sich einmal vorstellen. Das heißt, dann müssen wir überlegen, wie der Staat eingreift, um die Kinder vor ihren Eltern zu schützen. Solche Dinge bietet uns die Spielzeugindustrie an. Das ist unerhört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderes Beispiel heißt nicht Hello, sondern Hallo und kommt von Facebook, und zwar haben die eine neue Telefon-App. Mit der versuchen sie, an unsere Telefondaten heranzukommen, was so eigentlich nicht möglich ist. Sie fordern vor der Installation – das geht nur auf Android-Geräten – sehr viele Berechtigungen ein. Das kennen wir alle: Wenn wir eine neue App einrichten, kommen Berechtigungen, wo man meistens einfach drüberklickt. Man muss z. B. der Aufnahme von Bildern und Videos zustimmen, Audio aufnehmen, Dateien ohne Benachrichtigungen herunterladen.

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Löber zu?

(Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte!)

Bitte, Frau Löber.