Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Staatsministerin Puttrich, herzlichen Dank für Ihre Regierungserklärung
und herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier und heute einmal mit etwas mehr Zeit darüber zu sprechen, was Europa für uns bedeutet und wie wir das Projekt europäische Einigung bewerten und weiter voranbringen können.
Die Europawoche 2015 ist ein guter Anlass, zu reflektieren und zu hinterfragen, was Europa heute konkret für uns bedeutet. Es ist auch in diesem Jahr wieder ein tolles Programm geworden, das Europa eine Woche lang in der Gesellschaft, besonders auch in den Schulen, in den Mittelpunkt rückt. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem zum einen die schrecklichen Nachrichten von den toten Flüchtlingen im Mittelmeer den Ruf nach einem besseren und solidarischeren Handeln der EU verstärken. Aber zum anderen feiern in ganz Europa Parteien, die die Europäische Union infrage stellen, Wahlerfolge. Dazu kommt noch der Eindruck, dass Russland ein Interesse an einer Destabilisierung der EU hat und dementsprechend handelt. Die Europawoche bietet die Gelegenheit, an die Grundlagen der Gemeinschaft zu erinnern, erreichte Erfolge ins Bewusstsein zu rufen und die aktuellen Herausforderungen zu benennen.
Es lohnt sich, daran zu erinnern, auf welchen Säulen der Prozess der europäischen Einigung fußt. Nach meiner Überzeugung sind es drei Säulen, aus denen sich alles ableiten lässt, alles europäische Handeln vielleicht auch ableiten lassen muss.
Erstens. Europa verbindet eine gemeinsame, zum Teil tragische Geschichte, die Europa zuallererst als Friedensunion erfordert. Ich zitiere Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“
Dieses gemeinsame Ziel eines nicht selbstverständlichen Friedens war und bleibt die wichtigste Säule der europäischen Einigung.
Zweitens. Europa ist eine Wertegemeinschaft, die sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auf universale Menschenrechte, auf Toleranz und auf Freiheit gründet. Diese Werte speisen sich aus unserer hellenistisch-römischen und jüdisch-christlichen Tradition, und sie stiften den Sinn und das Band unseres Zusammenlebens. Dieser Konsens in Europa muss die zweite starke Säule der Integration sein.
Die dritte Säule ist die Wirtschaftsunion. Der gemeinsame Markt bringt gegenseitige Vorteile und schafft die Möglichkeit, in der weltweiten Wirtschaftspolitik als Partner wahrgenommen zu werden. Die erfolgreiche europäische Wirtschaft macht es möglich, dass wir in Europa unseren Bürgerinnen und Bürgern selbst in den Krisenländern soziale Leistungen bieten können, die im Rest der Welt sonst kaum zu finden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind drei starke Säulen, auf die sich unserer Überzeugung nach Europa gründet. Diese Säulen haben sich entwickelt, sind in den Jahren stärker geworden. Sie stehen stabil. Sie stehen stabil, ob
Ich möchte nun gern auf die Herausforderungen im Einzelnen eingehen. Ich glaube, dass wir Instrumente in der Hand haben, um ihnen zu begegnen – zum einen mittels Erinnerung und Information, zum anderen durch konkretes politisches Handeln. Die Friedensunion ist aus einer europäischen Geschichte unzähliger, unfassbar grausamer Kriege gewachsen. Die Geschichte europäischer Konflikte hat im Zweiten Weltkrieg einen traurigen Tiefpunkt erreicht. Dass sich auf den Ruinen dieser Geschichte eine Gemeinsamkeit entwickelt hat, die zu Frieden geführt hat, und wir nun seit 70 Jahren in Frieden und Freiheit in Europa leben können, ist etwas ganz Besonderes. Eigentlich bleibt es ein Wunder, dass sich die Feinde von einst, allen voran Frankreich und Deutschland, im Frieden zusammengefunden haben.
Ein Glücksfall ist die Aussöhnung mit Polen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einer tiefen Partnerschaft zwischen dem wiedervereinten Deutschland und der Republik Polen geworden ist.
Die Europäische Union hat 2012 den Friedensnobelpreis erhalten. Bei der Preisverleihung begründete das norwegische Nobelkomitee seine Entscheidung mit der stabilisierenden Rolle der EU bei der Umwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem Kontinent des Friedens. Die größte Errungenschaft der EU sei ihr erfolgreicher Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte.
Doch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist der Frieden in Europa erneut bedroht: eine bestenfalls brüchige und fragile Waffenruhe in der Ukraine direkt an unseren Grenzen, das Säbelrasseln und verbale Drohungen Russlands gegenüber Mitgliedern der EU, unglaubliches Leid und unglaubliche Grausamkeit im syrischen Bürgerkrieg, im Jemen, in Libyen und durch die Extremisten und Terroristen des Islamischen Staates, spürbare Bedrohungen durch Extremisten in Europa, die mit brutaler Gewalt Angst und Schrecken verbreiten und den freien Gesellschaften einen Krieg aufzwingen wollen.
All das bedeutet: Der Frieden ist nicht selbstverständlich. Wir brauchen das Mittel der Erinnerung und der Information, um die Säule der Friedensunion zu stärken. Die Europawoche trägt dazu ganz wesentlich bei. Wenn ich das Programm lese, finde ich unzählige Veranstaltungen, die daran erinnern, dass unser Frieden nicht selbstverständlich ist. Besonders dankbar bin ich in diesem Zusammenhang für die Bereitschaft von Zeitzeugen des Krieges, gerade unseren Kindern zu erklären und sie daran zu erinnern, welch hohes Gut der Frieden ist.
Ich finde es auch gut, dass wir immer wieder aktuelle Jahrestage, wie z. B. kürzlich den 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und Buchenwald, zum Anlass ernsthaften Erinnerns nehmen.
Wir müssen aber auch politische Antworten auf die Bedrohung des Friedens geben. Für die Ukraine kann es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben. Hierfür brauchen wir die Diplomatie. Für ihre Bemühungen und jeden – wenn auch kleinen und vielleicht fragilen – Erfolg bin ich Kanzlerin Merkel, Präsident Hollande und anderen Beteiligten sehr dankbar.
Wir brauchen aber auch dort Sanktionen, wo gutes Zureden und der Appell an Menschlichkeit und Vernunft nicht ausreichen. Auch wenn es für manche in Europa schwer ist – ich denke an unsere exportorientierte Wirtschaft oder die Landwirtschaft, denen wichtige Absatzmärkte fehlen –, müssen wir hier entschlossen bleiben und dürfen nicht zurückweichen. Wir müssen zusammenhalten und zusammenbleiben. Das sage ich ausdrücklich auch unseren Freunden in Athen.
Ich bin auch davon überzeugt, dass Europa militärisch stark und handlungsfähig sein muss. Unsere Schwäche bringt andere in die Versuchung, auf veraltete Verhaltensmuster zurückzugreifen, die langfristig nur Leid, Elend und Unfreiheit bringen. Daher brauchen wir nach meiner Überzeugung mehr Integration im Bereich der Verteidigung und mittelfristig eine europäische Armee zur Verteidigung der Friedensunion.
Wir brauchen aber auch eine klare und entschlossene Antwort auf den extremistischen Terror im Nahen Osten und in unserer Mitte. Dem Islamischen Staat muss mit Härte begegnet werden. Wir müssen alles tun, damit sich vor Ort die gemäßigten Kräfte durchsetzen. Wir dürfen die massenhafte Tötung von Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Haltung nicht hinnehmen.
Wir brauchen Sicherheit, Freiheit und Toleranz in unserer Mitte. Erst letzte Woche wurde in Frankreich ein Anschlag auf zwei Kirchen in letzter Minute vereitelt, was vor einigen Monaten bei den schrecklichen Anschlägen in Paris leider nicht gelungen ist.
Wir müssen die Balance von Sicherheit und Freiheit immer neu austarieren und den Bedrohungen anpassen. Dazu gehören ein starker Staat und ein funktionsfähiger Sicherheitsapparat. Dazu gehört nach Überzeugung der CDU auch die Vorratsdatenspeicherung – in einem verträglichen Umfang. Dazu gehören aber auch konsequente Integration und die geistige Auseinandersetzung mit extremistischen Ideologien. Präventionsprogramme gegen den Extremismus müssen in ganz Europa ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, Frieden in Europa schaffen wir, indem wir deutlich machen, dass uns mehr verbindet, als uns trennt.
Damit bin ich unmittelbar bei der zweiten Säule der europäischen Einigung: der Werteunion. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Europa nur funktionieren kann, wenn wir uns über die fundamentalen Antworten auf die grundlegenden Fragen einig sind. Konflikte in Details können Sie nur dann einem Kompromiss zugänglich machen, wenn Sie sich über übergeordnete Werte und Ziele einig sind.
Die Werte unserer europäischen Gesellschaft fußen auf einer langen gemeinsamen Geschichte und auf gemeinsamen Traditionen. Wesentlich sind hier unsere geschichtlichen Wurzeln, von der griechischen und der römischen Kultur über Humanismus, Reformation und Aufklärung – zum Teil durch schreckliche Kriege – bis zur europäischen und zur deutschen Einigung, und unsere kulturelle und religiöse Prägung durch das Christentum mit seinen unterschiedlichen Konfessionen, was nicht heißt, dass die anderen Re
Daraus ist ein gesellschaftlicher Konsens in Europa entstanden, der von allen Staaten der Europäischen Union geteilt wird. Eckpunkte dieses Konsenses sind Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit der Rede, der Presse und der Religion sowie Toleranz. Diese Werte, die uns einen, müssen immer weiterentwickelt, auf die konkrete Herausforderung angewandt und an die nächste Generation weitergegeben werden.
Doch diese Wertebasis steht unter Beschuss: von Linksextremisten, die mit Verweis auf vermeintlich edle Ziele in Frankfurt Polizeiautos anzünden und damit die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten, die das System umstürzen und die Demokratie vernichten wollen.
Die Wertebasis steht aber genauso unter Beschuss von rechten Demagogen – von Le Pen über Wilders bis zu denen in Dresden –, die unter Verweis auf vermeintlich traditionelle Werte Toleranz und Humanität aufgeben. Unsere Wertebasis ist mehr als herausgefordert, wenn im Mittelmeer Hunderte Menschen auf der Flucht ertrinken. Staatsministerin Puttrich hat in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, dass Europa hier Verantwortung übernehmen und handeln muss.
Ich verstehe den Gipfel auch als einen ersten Schritt in diese Richtung. Die Herausforderung durch die Flüchtlinge und durch das große Leid werden wir nur gemeinsam bewältigen können. Es wird besonders deutlich, wie dringend Europa hier einig sein und gemeinsam handeln muss. Dies ist die Stunde der Solidarität der Europäer – auch mit den Flüchtlingen.
Ich bedauere sehr, dass der Entschließungsantrag der LINKEN so kurzfristig eingereicht wurde und wir daher eigentlich keine Möglichkeit haben, sinnvoll darüber zu beraten. Mein Appell ist, dass man – wenn man es wirklich ernst meint – diesen Antrag an den Ausschuss überweist und nicht hier darüber abstimmen lässt.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Bringen Sie doch einen ein! Ihr würdet doch nie zustimmen!)
Es mag immer wieder Gründe geben, warum man sich über die EU ärgert. Die EU muss wirklich nicht alles regeln. Doch was uns Europäer verbindet, sind nicht die einzelnen Verordnungen, sondern die gemeinsamen Werte. Angesichts der Wahlen in Großbritannien ist es mir ein Bedürfnis, zu sagen – das möchte ich hier auch ansprechen –: Großbritannien gehört zu Europa. Gern können wir über den weiteren gemeinsamen Weg streiten, doch es soll weiterhin ein gemeinsamer Weg sein.
Entscheidend ist, dass wir Europäer uns nicht erneut in Nationalstaaten isolieren, sondern weiterhin neugierig aufeinander zugehen und unsere Nachbarn kennen- und verstehen lernen. Frau Beer, daher halte ich es ebenfalls nicht für eine gute Idee, dass der Deutschunterricht in Frankreich reduziert wird.
Das ist etwas, was eigentlich jeder machen kann. Ich probiere es gerade mit Polnisch. Das ist eine Herausforderung.
Das sind persönliche Beiträge zum Zusammenwachsen Europas. Jeder kann etwas tun, auch wenn es nur darin besteht, die Sprache eines Nachbarn zu lernen.