Protocol of the Session on April 28, 2015

Frau Ministerin, leider ist Deutschland am Donnerstag hier nicht in einer Vorreiterrolle gewesen.

Eine europaweite Regelung bräuchten wir auch dringend bei der Verteilung der Asylsuchenden zwischen den Mitgliedstaaten. Wir als Freie Demokraten haben immer einen europäischen Verteilungsschlüssel – wie etwa den Verteilungsschlüssel zwischen den Bundesländern in Deutschland – vorgeschlagen. Das würde die Länder an den Außengrenzen der Europäischen Union entlasten. Es wären dann auch Länder gefordert, die zurzeit fast keine Asylbewerber aufnehmen, und wir hätten die Möglichkeit, dass auch die Landesgrenzen nicht dichtgemacht werden.

Aber auch hier ist der Bundesinnenminister wieder nicht Vorreiter, sondern eher Bremser. Frau Puttrich, auch hier wieder vermisse ich, dass Sie die Möglichkeiten ergreifen, die Sie als Landesministerin haben, auf eine europäische Initiative zu drängen. Warum nicht eine Initiative der europäischen Regionen an dieser Stelle, eine Initiative, die nicht nur auf eine Willkommenskultur hinarbeitet, sondern die auch eine Flüchtlingsaufnahme nach Leistungsfähigkeit anstrebt und von unten, von der Basis dieses Europas befördert wird? Eine Initiative, die Sie meines Erachtens gerade auch deswegen glaubhaft anstoßen könnten, weil Sie selbst in Ihrer Regierungserklärung die Stärke Hessens im Vergleich zu so vielen Mitgliedstaaten in Europa hervorgehoben haben.

Möglicherweise aber kann man eine solche Initiative leider nicht von einer Landesregierung erwarten, die sich schon mit einem hessischen Asylgipfel schwertut, um die Kommunen und die ehrenamtlichen Helfer sowie alle, die sich dankenswerterweise aufopfernd um die hier ankommenden Flüchtlinge und Asylsuchenden kümmern, zu unterstützen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, es sollten gerade die Regionen sein, die sich dafür einsetzen, dass die Ländergrenzen am Rande der Europäischen Union nicht dichtgemacht werden. Denn letztendlich ist es diese Situation der Abschottung, die dazu führt, dass die Flüchtlinge auf den Weg über das Meer und damit auf den unsichersten aller Wege verwiesen werden.

Frau Puttrich, meines Erachtens zeigt das auch, dass die Fragen der Flüchtlings- und Asylpolitik sinnvollerweise nur zusammen mit einer gemeinsamen Zuwanderungspolitik diskutiert werden können. Denn sicherlich kommt ein Großteil der Menschen, gerade aktuell, wegen Krieg und Verfolgung, aber es kommen eben auch viele schlicht wegen Hunger und Zukunftsperspektiven, die sie sich für sich und ihre Familien bei uns in Europa erhoffen. Da ist die Europäische Union schlicht auch aufgrund der Attraktivität ihrer Werte – die Sie selbst betont haben, Frau Ministerin – natürlich ein Ziel für Flucht und Zuwanderung: Rechtsstaat und eben keine Willkür, Demokratie statt Diktatoren und Korruption, Freiheits- und Bürgerrechte, die bei uns garantiert sind, und Chancen, die sich letztendlich aufgrund von Einsatz- und Leistungsbereitschaft im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ergeben.

Deswegen sage ich es an dieser Stelle für die Freien Demokraten noch einmal sehr deutlich: Wir brauchen endlich ein europäisches Zuwanderungsrecht, ein Punktesystem, das qualifizierte Zuwanderung ermöglicht. Auch angesichts der demografischen Entwicklung ist das letztendlich für uns wichtig – aber es würde auch all diesen Menschen die Möglichkeit geben, nach bekannten und fairen, nach transparenten Regeln eine Chance auf Zuwanderung zu haben und nicht noch teuer bezahlten Schleppern ausgeliefert zu sein, die ihr Leben aufs Spiel setzen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Ministerin, daher unterstütze ich es sehr, wenn Sie eine pragmatische Behandlung im Hinblick auf ein Einwanderungsgesetz fordern. Ich würde mir wünschen – und Sie haben dabei jede Unterstützung der Freien Demokraten, die Sie gebrauchen können –, dass Sie dies nicht nur fordern, sondern wirklich Druck ausüben würden, insbesondere um Ihre eigene Partei bei dieser Frage aus der Bunkermentalität herauszuholen.

(Beifall bei der FDP)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine gemeinsame Haltung ist auch bei der Außen- und Sicherheitspolitik wichtig. Frau Ministerin Puttrich, Sie haben den Ukrainekonflikt mit Russland angesprochen. Wichtig hier – ja, völlig richtig –: eine geschlossene Haltung. Wir als Europäer dürfen uns nicht spalten lassen, auch nicht von der griechischen Regierung, die momentan wirklich keine Gelegenheit auslässt, Drohpotenzial aufzubauen.

Mittlerweile zeigen die Sanktionen Wirkung. Die Sanktionen stehen auch nicht im Widerspruch dazu, dass wir auch gegenüber der Ukraine drängen müssen, die Vereinbarungen aus Minsk einzuhalten und z. B. zügig neues Verfassungsrecht vorzulegen und zu beschließen.

Aber ich finde es wichtig, an dieser Stelle nochmals darauf hinzuweisen, dass wir vor allen Dingen den Gesprächsfaden zur Zivilgesellschaft aufrechterhalten müssen. Im Dezember war ich in Moskau. Ich habe dort mit NGOs und mit vielen politisch Aktiven gesprochen. Es ist deren innigster Wunsch, gerade weil sie sich in einer Atmosphäre der Bespitzelung, Einschüchterung und sogar Bedrohung für ein anderes Russland einsetzen, dass wir, erstens, bei den Sanktionen bleiben und, zweitens, über Gespräche und Besuche deutlich machen, dass es Veränderungsmöglichkeiten gibt. Wir müssen diese mutigen Menschen stärken. Frau Puttrich, ich finde, auch die Hessische Landesregierung hätte über ihre Partnerschaft zu Jaroslawl hier eine Möglichkeit, die bislang sträflich vernachlässigt wird.

(Beifall bei der FDP)

Insgesamt gilt es ohnehin, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiter voranzutreiben. Das fängt schon bei der Beschaffung an, geht aber sicherlich auch auf eine schnellere und damit glaubhaftere Reaktionsmöglichkeit hin, die wir in Europa brauchen.

Meine Damen und Herren, Gemeinsamkeit gilt es auch bei einem Thema zu bewahren, bei dem ich mittlerweile leider sehr häufig den Ruf nach Flexibilisierung des Regelwerks höre. Ich meine damit die Stabilitätsunion. Ein stabiler Euro, stabile Finanzen im Staatshaushalt, sorgsamer Umgang mit Steuergeld: sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist die Grundlage für Stabilität in Europa,

(Beifall bei der FDP)

und zwar in jedem europäischen Staat. Da ist jeder aufgerufen, seine Hausaufgaben zu machen, auch Griechenland, sehr geehrter Herr Kollege van Ooyen.

Jeder von uns möchte, dass die Griechen in der Eurozone bleiben. Aber für die Freien Demokraten sage ich Ihnen ganz deutlich: nicht um jeden Preis.

(Beifall bei der FDP)

Die Solidarität wird dort überfordert, wo Reformbereitschaft unterfordert wird. Sehr geehrter Herr van Ooyen, Reformbereitschaft meint nicht Sparen um des Sparens willen, sondern Reformbereitschaft meint, die Prozesse anzukurbeln, die in Griechenland Wettbewerb und Wachstum schaffen, und damit zu zeigen, dass man bereit ist, Anstrengungen zu unternehmen – weil man weiß, die europäischen Steuerzahler sind an dieser Stelle solidarisch und werden es auch weiter sein. Mit Verlaub, das sind auch Mitgliedstaaten, die ein wesentlich geringeres Wohlstandsniveau haben, als das in Griechenland der Fall ist. Mit Verlaub, das sind auch Mitgliedstaaten, die ein wesentlich geringeres Wohlstandsniveau haben, als das in Griechenland der Fall ist.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wollen Sie dahin? – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Herr Kollege van Ooyen, die größere Gefahr als der Grexit ist ein politischer Dominoeffekt auf andere Länder. Wenn wir an dieser Stelle anfangen, die eigenen Regularien aufzukündigen, dann werden sich andere Länder, die weit größer sind und in der Europäischen Union weit druckvoller agieren, wie z. B. Italien, wie z. B. Frankreich, an dieser Stelle die entsprechenden Freiheiten herausnehmen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist dem Herrn van Ooyen aber völlig egal!)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wir geben hier als Bundesrepublik auch die falschen Signale. Bundesbankgewinne nicht mehr in Schuldentilgung zu investieren, ein Rentenpaket zu beschließen, das teuer und nicht einmal durchfinanziert ist, das gibt auch in Richtung Griechenland die falschen Signale. Wenn Deutschland seine gegenwärtige Stärke für sich selbst als selbstverständlich versteht, dann beginnt es, von heute an diese Stärke zu verlieren.

(Beifall bei der FDP)

Zu weiteren Wachstumschancen, die wir brauchen, gehört unserer Meinung nach auch ein gesamteuropäischer Energiemarkt. Das ist eine gesamteuropäische Energieinfrastruktur, das bedeutet Wettbewerb der Energiequellen statt riesiger, milliardenschwerer Subventionspakete. Manch einer mag es noch nicht gemerkt haben: Auch in der Frage der Energie ist Deutschland keine Insel. Unserer Meinung nach sollte man nicht über Subventionen, sondern über CO2-Zertifikate steuern. Das hätte den Vorteil, dass die deutsche Wirtschaft nicht weiter mit zum Teil doppelt so hohen Energiepreisen belastet würde,

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und es würde uns auch von der Energieversorgung z. B. durch Importe aus Russland unabhängiger machen.

(Beifall bei der FDP)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Zukunftschancen erwarten wir auch durch das Investitionspaket, das Minis

terin Puttrich erwähnt hat. Aber wir müssen uns schon vor Augen führen, dass von den 315 Milliarden €, die hier immer im Mund geführt werden, gerade 21 Milliarden € real existieren, und das auch noch zulasten von Innovationsund Zukunftsprojekten wie Horizon 2020. – Weil ich den Zwischenruf aus der GRÜNEN-Fraktion vernommen habe, Frau Kollegin Dorn: 21 Milliarden € in diesem hochgelobten Investitionsprogramm, aber 23 Milliarden € Subventionen für das EEG allein in Deutschland. Wie viel könnte man mit diesen 23 Milliarden € hebeln, wenn man sie nur für Wachstum einsetzen wollte?

(Beifall bei der FDP)

Das Investitionspaket ist gut, aber es wird darauf ankommen, vor allem privates Kapital freizumachen. Es wird darauf ankommen, private Investoren zu finden, die die Differenz von 21 Milliarden € zu 315 Milliarden € ausmachen. Das bedeutet natürlich auch, dass wir für solche Investoren mehr Vertrauen schaffen müssen, insbesondere in die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen. Das bedeutet für uns als Freie Demokraten aber auch, dass wir eine neue Welle des Gründergeistes nicht nur in Deutschland, sondern in der Europäischen Union brauchen, wo wieder unterstützt wird, dass Menschen nicht nur eigenes Kapital in die Hand nehmen, sondern auch eigene Leistung, eigenen Einsatz erbringen, um im wahrsten Sinne des Wortes in Europa etwas zu unternehmen.

(Beifall bei der FDP)

Dabei ist das Thema der Digitalisierung, das Sie aufgegriffen haben, Frau Puttrich, sicherlich ein sehr wichtiges, ein herausragendes. Aber auch hier greifen Sie wiederum zu kurz. Als Grundlage dafür, die Chancen der Digitalisierung angehen zu können, brauchen wir endlich eine eigene Europäische Datenschutzgrundverordnung. Wir haben Nachbesserungsbedarf bei unseren Geheimdiensten. Das kann doch jeder greifen, wenn er nur die Zeitungen liest; er muss nicht einmal im entsprechenden Untersuchungsausschuss in Berlin sitzen. Wir brauchen eine unabhängige Infrastruktur. Das geht weit über den Breitbandausbau hinaus, das betrifft insbesondere unsere Serverstruktur. Es ist doch ein Witz, wenn wir die Daten auch deutscher Behörden, bis hin zum Bundeskanzleramt, gerade in Notsituationen über amerikanische Server leiten. Da wird zum Mitlesen geradezu aufgefordert. Nein, wir brauchen nicht nur die Datenschutzgrundverordnung, wir brauchen auch ein transatlantisches Datenschutzabkommen. Das wäre eine wichtige gemeinsame europäische Regelung, gerade im Zusammenhang mit dem TTIP, das Sie hier erwähnt haben.

(Beifall bei der FDP)

Sie wissen, dass dieses TTIP uns wichtig ist, dass wir Freihandelsabkommen insgesamt als wichtig empfinden. Man kann es auf die kurze Formel bringen: mehr Export, mehr Wachstum, mehr Jobs, und das nahezu in allen Branchen, Herr van Ooyen, und gerade für gering und mittelqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine Chance für den Mittelstand, insbesondere durch die Beseitigung der nicht tarifären Hindernisse. Frau Ministerin Puttrich, es sind gar nicht so sehr die Zölle, die Sie erwähnt haben, sondern es geht darum, über gemeinsame technische Standards, über die Anerkennung von Zertifizierung und eine koordinierte Normierung insbesondere für den Mittelstand einen Markteintritt in den USA endlich rentabel zu machen. Dabei wäre gleichzeitig auch die Möglich

keit des Schutzes geistigen Eigentums gegeben, und es ergäben sich Chancen von Hightech bis hin zur Landwirtschaft.

(Beifall bei der FDP)

Ich freue mich daher, dass sich alle anderen Fraktionen in diesem Hause dem Vorschlag der Freien Demokraten angeschlossen haben, hierzu eine Anhörung durchzuführen. Hier wird hoffentlich vieles korrigiert werden können, was an Fehl- und Halbinformationen auch heute in diesem Saal wieder diskutiert wurde, sodass ich es mir verkneife, jetzt darauf einzugehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mir ist zum Abschluss wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass auch wir Länder als Regionen in Europa eine erhebliche Rolle spielen. Deswegen war es richtig, die Landesvertretung in Brüssel auszubauen. In der letzten Legislaturperiode gab es durchaus Kritik an dieser Entscheidung. Deswegen war es richtig, eine neue Landesvertretung zu beziehen, wo wir besser, sichtbarer, auch mit wesentlich mehr Partnern arbeiten und damit das Netz stärker machen können, wie Sie es genannt haben, Frau Puttrich. Ich würde mir aber wünschen, dass Hessen auch wesentlich hörbarer aus dieser Landesvertretung heraus arbeiten würde.

(Beifall bei der FDP)

Das wäre z. B. eine hörbare Unterstützung des Europaparlaments bei der Zentralisierung der Aufsichtsbehörden im Finanzmarktbereich in Frankfurt. Man könnte dann auch gleich das BaFin von Bonn nach Frankfurt umsiedeln.

Das wäre aber auch z. B. ein Eingehen auf meines Erachtens sehr rückschrittliche Entwicklungen in unserem Nachbarland und Partnerland Frankreich im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht.

Frau Beer, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme gleich zum Schluss. – Die Erteilung von Fremdsprachen, gerade auch Deutsch, als elitär und damit als verzichtbar zu beschreiben – Frau Kollegin Puttrich, wenn nicht die Sprache Grundlage ist, die Kultur und das Kennenlernen des Gegenübers zu befördern, wenn nicht die Sprache Grundlage ist, Europa im Herzen zu tragen, dann weiß ich nicht, was. Hier hätte ich gern eine deutliche Stimme gerade auch der Europaministerin vernommen.

(Beifall bei der FDP)

Summa summarum: Ja, wir brauchen an vielen Stellen mehr Europa. Ja, Hessen kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Aber, Frau Ministerin Puttrich, dann muss diese Landesregierung wesentlich ambitionierter auftreten. Dann muss sie insbesondere nicht nur Strategien schreiben, sondern auch Taten folgen lassen, gerade weil wir Europa im Herzen tragen.

(Beifall bei der FDP)