Protocol of the Session on February 6, 2014

Es ist auch nicht das erste Mal. Vor einiger Zeit haben Sie gefordert, Deutschland brauche weniger und nicht mehr Muslime. Dem Berliner Senat haben Sie vorgeworfen, er würde das „Zigeunerproblem nicht lösen“ wollen. Ich will darauf hinweisen: Ein Stockwerk unter uns haben wir gerade eine Ausstellung zum Thema Antiziganismus.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Die Formulierung, etwas „lösen“ zu wollen, und das auf eine Bevölkerungsgruppe zu beziehen – Herr Irmer, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte halte ich das für absolut ungeheuerlich.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Im „Wetzlar Kurier“ werden in jeder Ausgabe Ressentiments geschürt und Vorurteile verbreitet. Im Januar: „Islamische Verbände haben Grundgesetz nicht verstanden“, in der aktuellen Ausgabe machen Sie seitenweise Stimmung gegen Asylbewerber. Da kann einem wirklich schlecht werden.

Der Herr Ministerpräsident – er ist nicht da, es scheint ihm nicht so sehr am Herzen zu liegen – erklärt noch am Dienstag, er wolle die Willkommenskultur in Hessen stärken. Da frage ich: Warum, bitte, ist Herr Irmer dann immer noch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU? Warum sorgt Herr Bouffier als Landesvorsitzender der CDU nicht dafür, dass der „Wetzlar Kurier“ endlich eingestellt wird? Warum lässt er es zu, dass immer weiter solche Hetze im Lahn-Dill-Kreis verbreitet wird?

(Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Hans- Jürgen Irmer (CDU))

Sie reden von Willkommenskultur und lassen es zu, dass Herr Irmer all das konterkariert. Sie finden nie die Kraft, sich von solchen Aussagen zu distanzieren. Im Gegenteil, Sie befördern ihn auch noch und machen ihn wieder zum bildungspolitischen Sprecher – nachdem er zurückgetreten war, unter anderem wegen des islamischen Religionsunterrichts.

Ganz offensichtlich ist das Ihr Beitrag zum Schulfrieden. Sie benennen einen Sprecher, mit dem sich sowohl die Landesschülervertretung als auch die GEW nicht mehr treffen wollten, nach all den verbalen Ausfällen gegen Homosexuelle, Migranten und Muslime. Sie wollten sich nicht mehr mit ihm treffen.

Meine Damen und Herren, das macht Ihr ganzes Gerede von wegen neuem Dialog der Regierung mit der Opposition, Dialog über die Bildungspolitik doch völlig zunichte. Wer der Opposition ernsthaft die Hand reichen will, der schickt doch nicht Herrn Irmer.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wenn das der neue Stil ist, dann gute Nacht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, das ist jetzt auch einer Ihrer neuen Partner. Der gehört auch dazu.

(Günter Rudolph (SPD): Damit haben die kein Problem!)

Ich habe wirklich gehofft, Sie finden heute den Mut, diese Äußerungen zurückzuweisen, sich klar davon zu distanzieren. Ich weiß, Sie teilen diese Äußerungen nicht. Jetzt aber legen Sie einen Antrag vor, der mich vermuten lässt, dass Sie unserem Antrag nicht zustimmen werden.

Ich komme zum Schluss. Ich finde, Sie sollten sich einen Satz zu Herzen nehmen, den Herr von Bebenburg heute in der „Frankfurter Rundschau“ geschrieben hat, womit er Ihr Auftreten von gestern kommentiert hat. Er schreibt – und ich finde, Sie sollten sich das zu Herzen nehmen –: „Öffentliche Selbstverleugnung ist … kein Gewinn für die politische Kultur.“

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Danke schön, Frau Wissler. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Bellino zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für uns ist klar:

Menschenrechte und gelebte Humanität stehen im Mittelpunkt hessischer Asyl- und Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass Flüchtlinge in Hessen eine humane Lebensperspektive und ausreichend Schutz finden. Das Land Hessen wird sicherstellen, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden...

So steht es im Koalitionsvertrag, so haben wir es in den letzten Jahren gehalten, und so werden wir es auch in Zukunft tun – im Bund, im Land und in den Kommunen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erinnere an dieser Stelle an die Einrichtung der Härtefallkommission – vor vielen Jahren, zu einer Zeit, als die CDU mit absoluter Mehrheit hier die Regierung stellte. Die Härtefallkommission wurde und wird dann tätig, wenn alle juristischen, alle gerichtlichen Schritte ausgehandelt sind, um zu prüfen, was man auf humanitärer Ebene noch tun kann. Ich erinnere an die damals und auch heute nahezu einstimmig gefassten Beschlüsse dieser Härtefallkommission, wenn es darum geht, Problemfälle zu bewerten. Ich erinnere an das behutsame Vorgehen der jeweiligen Innenminister in Hessen, wenn es um die Rückführung von Asylbewerbern ging und geht. Ich erinnere an das Stillhalten der Ausländerbehörden in den Fällen, in denen zwar eine Ausreisepflicht besteht, aber ein Petitionsverfahren anhängig ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das hat aber etwas mit der Kultur zu tun, wie wir dieses Politikfeld in der Vergangenheit behandelt haben und in der Zukunft behandeln werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich erinnere an die Bleiberechtsregelungen, die zu schaffen nötig war, da es zu „Überhängen“ an Menschen kam, die zwar nicht mehr hier sein sollten, nicht mehr hier sein durften, denen man trotzdem geholfen hat, weil sie beispielsweise seit zehn Jahre in Deutschland waren und nicht ohne Weiteres zurückgeführt werden konnten.

All das ist mit der entsprechenden Begleitung von CDUMinistern und CDU-Abgeordneten – übrigens auch von FDP-Abgeordneten und jetzt von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – geschehen. Das wird auch so bleiben. Das hat etwas damit zu tun, dass wir dieses Thema in humanitärer Weise behandeln.

Ich frage mich, wie groß bei Ihnen die Not sein muss, wenn Sie jetzt anfangen, Kreistagsbeschlüsse zu kommentieren. Frau Kollegin Wissler, Sie haben das, was in einem Kreistag debattiert wurde, zwar als Aufhänger für Ihren Antrag genommen, in Ihrem Redebeitrag haben Sie aber mit keinem Satz auf diese Debatte hingewiesen, sondern haben, wie ich meine, Unterstellungen abgesondert, die nicht zu diesem Thema passen.

Sie fordern die Einstellung des „Wetzlar Kuriers“. Ich weiß nicht, welches Gesellschaftsbild Sie haben. Keine Regierung, kein Ministerpräsident kann das Erscheinen einer Zeitung einstellen. In der Bundesrepublik Deutschland und mit der CDU geht das nicht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): CDU-Landesvorsitzender!)

Vielleicht haben Sie ein anderes Gesellschaftssystem vor Augen, aber mit Blick auf die Pressefreiheit kann bei uns niemand auf die Idee kommen, zu sagen, eine Zeitung wird eingestellt.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Frau Wissler, meine Damen und Herren von der LINKEN, damit erreichen Sie Ihr Ziel nicht, einen Keil in die Koalition zu treiben. Darum geht es Ihnen doch in Wirklichkeit. Es gelingt Ihnen auch nicht, uns – oder einige von uns – in die Ecke der Inhumanen zu stellen.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Noch bedeutsamer ist aber: Mit dieser Debattenkultur werden Sie dem Thema nicht gerecht. Sie schaden den Menschen sogar, für die Sie sich hier angeblich einsetzen.

(Lachen bei der SPD und der LINKEN)

Das Thema – das habe ich eingangs an dem einen oder anderen Punkt festgemacht – verdient eine sachliche und ausgewogene Debatte, eine Debatte, die deutlich macht, dass Hilfe allen denen zu gewähren ist, die auf Hilfe angewiesen sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe darauf hingewiesen, was wir an der Stelle getan haben und tun. Wir müssen uns in unserem Staat aber auch erlauben können, einzugreifen, wenn es zu einem Missbrauch kommt. Man muss beide Seiten der Medaille betrachten. Ich darf zitieren: „Wir müssen gegen Missbrauch kämpfen, aber wir müssen auch an unseren Grundrechten festhalten. Es gibt ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme.“ Das sagte nicht Hans-Jürgen Irmer, sondern das sagte die EU-Justizkommissarin Reding. Sie sagte weiter: „Wenn es Missbrauch gibt, muss dieser vom betroffenen Mitgliedstaat bekämpft werden.“

Ich zitiere den nordrhein-westfälischen Minister Jäger, SPD-Mitglied: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unser Asylrecht nicht durch den Verdacht des gezielten Missbrauchs in Misskredit gerät.“ Herr Kollege Rudolph, ist das ein „Fehlverhalten“, wie Sie es vorhin attestiert haben? Ich darf den SPD-Innenexperten Michael Hartmann zitieren, der ein konsequentes Durchgreifen gegen gezielten Asylmissbrauch fordert. „Hier sollte mit der nötigen Strenge ein Signal gesetzt werden“, sagte er im Südwestfunk. Der SPD-Politiker sprach unter anderem von „gewissenlosen Banden“.

Herr Bellino, Sie müssen zum Schluss kommen.

All das haben wir in der bisherigen Debatte nicht gehört. Das darf deshalb an dieser Stelle gesagt werden.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, indem ich feststelle, dass Deutschland und Hessen weiterhin jedem Schutz gewähren, der verfolgt wird oder aufgrund bestimmter gesundheitlicher Leiden in seinem Heimatland mit starken Einschränkungen konfrontiert wäre oder nicht überleben würde. Deshalb erinnere ich an den gestern in großer Einmütigkeit gefassten Beschluss, dass wir eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung unterstützen. Ich sage aber auch – das ist der letzte Satz –, dass es nach wie vor gilt, den Missbrauch zu bekämpfen, wo auch immer er auftritt: im Steuerrecht, im Baurecht oder eben im Asylrecht. Daher haben die EU-Kommissarin, die ich zitiert habe, der SPD-Minister Jäger, der SPD-Innenpolitiker Hartmann und Hans-Jürgen Irmer recht.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Danke, Herr Bellino. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Herr Kaufmann zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wünschte mir schon, dass uns der Anlass für diese Debatte nicht zusammengebracht hätte, und der bisherige Verlauf derselben gibt mir wenig Mut, das festzuhalten, was ich eigentlich festhalten wollte: Am Ende könnte die Debatte hilfreich sein, nämlich dann, wenn man sich auf gemeinsame Prinzipien festlegt.

Ich will zu Beginn einige Selbstverständlichkeiten festhalten. Jeder Mensch ist frei in Gedanken und Rede. Das gilt selbstverständlich auch für jeden Abgeordneten. Jede Fraktion in diesem Hause ist frei, ihre Funktionen nach eigener Entscheidung zu besetzen. Aber alle, die ich jetzt angesprochen habe, sollten bei ihren Entscheidungen zugleich verantwortlich handeln. Das heißt, bei allen Entscheidungen und Äußerungen sollte man immer mitbedenken, welche Wirkung man erzielen will und welche Wirkung man – möglicherweise unbeabsichtigt – erzielen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Gerade zu Letzterem gehört natürlich, dass es höchst kontraproduktiv, für Demokraten sogar peinlich ist – wenn man es nicht sogar als politisches Problem bezeichnen muss –, wenn auf Äußerungen Applaus von der falschen Seite kommt. Denn bei allem, was verantwortlich handelnde Menschen, wie Politiker, von sich geben, sollte stets deutlich werden und erkennbar bleiben, dass noch nicht einmal der Hauch eines Eindrucks der Nähe zu rechtsextremistischen Parteien und Ideologien wahrnehmbar ist. Das ist aus meiner Sicht wichtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)