Protocol of the Session on March 4, 2015

Die Krone setzt dem Ganzen die Vorstellung auf, die wir mit den sogenannten Terminservicestellen haben. Die Poli

tik hat nach einer langen Diskussion zwischen CDU und SPD im Koalitionsvertrag verankert, dass es bei den Kassenärztlichen Vereinigungen sogenannte Terminservicestellen geben soll, die dafür sorgen, wenn ein Patient bei einem Facharzt keinen Termin bekommt, dass er einen bekommt.

Wie sieht die Realität aus? – Ich sehe einmal davon ab, dass ich die Kollegen der Großen Koalition in Berlin gefragt habe, wie das genau vonstattengehen soll. Sie haben mir keine Antwort gegeben und gesagt, es sei Sache der Kassenärztlichen Vereinigung, diese „grandiose“ Idee umzusetzen.

Auf der einen Seite sagen Sie uns: Wir haben im Ballungsraum zu viele Fachärzte, die müssen wir verlagern, die müssen da weg. – Für Wiesbaden würde das bedeuten, dass wir von ca. 400 Praxen auf 200 herunterschmelzen. Ich sage das, um nur einmal ein Gefühl dafür zu vermitteln, um welche Größenordnung es geht.

Auf der anderen Seite, in der Realität sieht es doch so aus, dass schon jetzt die Praxen überfüllt sind. Dann wollen Sie diese Plätze auch noch in den ländlichen Raum verlagern. Das kann nicht funktionieren.

Dann sagen Sie noch: Wer dann keinen Termin bekommt, darf bei der Terminservicestelle anrufen. Dann muss die Kassenärztliche Vereinigung schauen, wo sie einen Termin herschaufelt. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie hier betreiben, ist Politik aus dem Tollhaus. Abstruser kann man es nicht machen.

(Beifall bei der FDP)

Woran liegt es, dass es zum Teil überfüllte Wartezimmer gibt? – Herr Kollege Spies, das liegt sicherlich nicht daran, dass die Ärzte ihren Versorgungsauftrag nicht erfüllen. Das werden Sie nachher sagen. Das bestreite ich.

Das liegt daran, dass sich die Patienten sehr wohl überlegen, wohin sie gehen. Sie wollen nicht zu einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der möglicherweise freie Termine hat. Vielmehr wollen sie z. B. zu einem Hals-Nasen-OhrenArzt, der ihnen empfohlen wurde, von dem sie seit Jahren behandelt werden und zu dem sie ein Vertrauensverhältnis haben. Sie wollen nicht einfach zugewiesen werden.

Ja, das stimmt. Es gibt bei Ärzten, die einen guten Ruf haben und die z. B. auf einer Bestenliste stehen, mehr Nachfrage als bei Ärzten, die nicht darauf stehen. Es ist zum Schluss das gute Recht des Patienten, sich den Arzt frei auszusuchen und nicht irgendeinen zugewiesen zu bekommen. Das ist ein System, das kann man mit den Freien Demokraten definitiv nicht machen.

(Beifall bei der FDP)

Insofern wollen wir das, was Staatsminister Grüttner längere Zeit versucht hat. Wir hoffen, dass dieser Gesetzentwurf im Bundestag und im Bundesrat nicht durchkommen wird und dass er vom Grund her verändert wird. Denn eines kann nicht sein: Die Versorgung im ländlichen Raum wird man nicht dadurch schaffen, dass man im Ballungsraum Plätze rechnerisch abbaut und sie transferiert, wenn denn passieren würde, was nicht passieren wird. Damit würde man, wie gesagt, Politik am Reißbrett machen.

Das muss geändert werden. Herr Grüttner, Sie haben einen Vorschlag gemacht. Er hat uns gut gefallen. Setzen Sie sich dafür ein, dass Ihr Vorschlag Gehör findet. Herr Kollege, stimmen Sie nicht dem zu, was die Koalition jetzt

von Ihnen erzwingen will. Wir merken, welcher Druck von Berlin aus auf die Hessische Landesregierung ausgeübt wird.

Es ist nicht im Sinne der hessischen Patientinnen und Patienten, wenn hier durch politische Spielchen, um eine Koalition in Berlin zusammenzuhalten, Druck nach dem Motto ausgeübt wird: Das müsst ihr jetzt schlucken, ansonsten hat die Koalition in Berlin ein Problem. – Es geht um die hessischen Bürgerinnen und Bürger und um hessische Interessen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben sich für die hessischen Interessen einzusetzen. Das ist Ihr Auftrag.

(Beifall bei der FDP)

Ich will zum zweiten Teil des Tagesordnungspunktes, nämlich zu der Frage, welche Struktur wir im Gesundheitssystem in Hessen haben, nur kurz darauf eingehen, dass wir mit der Antwort auf unsere Große Anfrage einmal neben der Tatsache, dass wir der wichtigste Pharmastandort in Deutschland sind, auch festgestellt haben, dass wir eine große Anzahl niedergelassener Ärzte und eine gute Versorgungsstruktur haben und dass wir aufgrund der Daten- und Faktenlage alles dafür tun müssen, dass sich die Situation nicht verschlechtert.

Ich sage Ihnen: Wenn dieser Gesetzentwurf als Gesetz so in Kraft tritt, dann wird es nicht nur einen Kahlschlag im ambulanten Bereich geben. Es werden dann Arztpraxen wegfallen. Von Teilen der Politik wird gewollt, dass es eine Verlagerung aus dem ambulanten Bereich heraus in die Krankenhäuser geben soll. Das ist das, was Sie planen. Denn Sie sind fest davon überzeugt – Herr Kollege Bartelt, Sie sind es Gott sei Dank nicht, das weiß ich, aber andere in diesem Haus sind davon fest überzeugt –, dass die Behandlung im Krankenhaus zum Schluss günstiger ist. Da bekommt man irgendeinen Arzt zugewiesen, so wie es früher im Osten war.

Aber wir wissen aufgrund der Zahlen, der Daten und der Fakten, dass der ambulante Bereich der deutlich kostengünstigere ist. Wir sollten alles daransetzen, dass dieser Bereich nicht noch unattraktiver wird. Es würden dann noch mehr Ärzte in andere Berufe gehen. Wir brauchen die Mediziner im Beruf des Arztes, nicht in den Krankenkassen, nicht in der Pharmaindustrie und nicht in der Schweiz oder in Österreich. Sie müssen hier behandeln. Das machen sie nur, wenn es hier gute Rahmenbedingungen dafür gibt. Das brauchen wir.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb habe ich an die Hessische Landesregierung eine Bitte. Ich richte das gerade an die Kollegen der CDU und an Sie, Herr Gesundheitsminister, aber auch an Sie, Herr Kollege Dr. Bartelt, weil ich weiß, dass Sie mit hoher Fachkompetenz diesen Bereich verantworten. Wenn dieses Gesetz so in Kraft tritt, wird es im ambulanten Bereich einen Kahlschlag geben. Es geht um 2.700 Arztpraxen. Sie werden den Bürgerinnen und Bürgern dann erklären müssen, wie Sie das verantworten können, was dann eintreten wird. Ich halte das, was hier geplant ist, für einen Skandal. Ich sage Ihnen auch, das werden Ihnen die Patienten nicht vergessen, wenn das so kommt.

Nutzen Sie also Ihren Einfluss. Sie haben Verantwortung. Sie können hier über den Bundesrat etwas stoppen. Das sollten Sie jetzt auch tun. Lassen Sie nicht zu, dass diese irrsinnigen Ideen aus dem Bundesgesundheitsministerium

jetzt in Deutschland Realität werden. Sie wären ein Schaden für unseren Standort. Sie wären ein Schaden für die hessischen Bürgerinnen und Bürger. Das sollten wir mit uns nicht machen lassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Spies, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Florian Rentsch,

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GÜNEN – Florian Rentsch (FDP): Wir kennen uns jetzt 13 Jahre!)

das waren ja Schauergeschichten, mein lieber Mann. Der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung steht bevor. Patienten werden gezwungen, sich fremden, ihnen völlig unbekannten und in der Regel inkompetenten Ärzten auszuliefern. Das Grauen förmlich – nein, nicht DDR, die haben Sie nicht genannt, nein, finsterster Ostblock droht uns dort, wie in den Fünfzigerjahren, als die Menschen massenhaft dahinsiechten, weil niemand mehr da ist, um sich um ihre Behandlung zu kümmern. Mein lieber Mann.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LIN- KEN – Florian Rentsch (FDP): Besser hätte ich es nicht sagen können! – Demonstrativer Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Im gesundheitspolitischen Bereich ist das immer dann relativ verbreitet, wenn es um die Interessen bestimmter Lobbygruppen geht. Manche politischen Gruppierungen empfinden es in besonderer Weise als ihre Aufgabe, die Interessen dieser Lobbygruppen wahrzunehmen. Dafür finanziert die Lobbygruppe im Wahlkampf auch große Wahlkampfveranstaltungen mit FDP-Politikern. Das hat auch nichts genutzt. Ich sage voraus: Auch dieser Beitrag wird die FDP nicht retten, nicht einmal in Bezug auf Ärzte.

(Florian Rentsch (FDP): Was?)

Denn worüber reden wir bei der Sicherstellung der ambulanten Versorgung? Wir reden darüber, dass eine öffentliche Aufgabe, eine vor allen Dingen öffentliche Aufgabe, die sich aus den Grundrechten ergibt und die der Staat sinnvoll erfüllen sollte, von der damit beauftragten Körperschaft öffentlichen Rechts als Selbstverwaltung in der Vergangenheit nicht erfolgreich bestritten wurde. Darüber reden wir. Wir reden darüber, dass Leute um Wochen und Monate auf einen Arzttermin vertröstet werden – Leute, die 15 % ihres Einkommens dafür abdrücken, dass sie ordentlich versorgt werden. Das ist ein unerträglicher Zustand, und darüber reden wir.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Nachdem jahrelang versucht wurde, der Selbstverwaltung mit freundlichen Anregungen und Hinweisen Hilfsmittel zu geben, um sich darum zu kümmern, sie es aber nicht tun wollte oder konnte, hat endlich, endlich der Gesetzgeber an dieser Stelle mehr Verantwortung übernommen. Ich glaube, es reicht noch nicht, was da getan wurde. Aber immer

hin ist das ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Es wird nämlich dafür gesorgt, dass die Menschen einen Anspruch auf eine ordentliche, zeitnahe Behandlung haben und dass die Kassenärztliche Vereinigung als der Träger dieser Versorgung auch Instrumente erhält, um dem nachzukommen. Das allerdings ist ein großer Fortschritt durch das Versorgungsstrukturgesetz.

Meine Damen und Herren, dann höre ich vom MVZ. Das MVZ ist der Ort, an dem niemand mehr einen Arzt aufsuchen kann, sondern nur noch Zuweisungsärzte bekommt.

Eigenartig. Ich kenne ein paar MVZ. Ich besuche die regelmäßig. Wenn ich mit denen rede, die dort arbeiten, und wenn ich mit Patienten rede, die dorthin gegangen sind, dann stelle ich ganz überrascht fest: Dort kann man anrufen. Da kann man einen Termin ausmachen. Da kann man sogar einen Termin mit dem Arzt ausmachen, zu dem man gehen möchte.

Ich glaube, dass der Begriff der freien Arztwahl mit: „Ich rufe an und suche mir den Arzt aus, von dem ich behandelt werden möchte“, adäquat umschrieben ist. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, warum an dieser Stelle solche Schauergeschichten aufgetischt werden.

Nein, die Einführung der Terminservicestellen – also der Anspruch des Patienten, innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Arzt zu bekommen – ist ein wichtiger Fortschritt. Das schafft Verlässlichkeit für die Patienten. Das erleichtert die Aufgabenerfüllung durch die Kassenärztliche Vereinigung, denn sie hätte das schon lange sicherstellen müssen. Endlich erhält sie Instrumente. Insgesamt schafft das eine deutlich bessere Versorgung. Deshalb sollten wir alle diese Regelung entschieden begrüßen.

(Beifall der Abg. Günter Rudolph und Torsten War- necke (SPD))

Aber woher kommt das mit den Wartezeiten? – Da werden wir uns nicht einig werden. Das Problem dabei ist, dass diejenigen, die über die Zahlen verfügen, sie nicht herausrücken. Ich würde gerne die Frage, in welchem Umfang die Ärzte tatsächlich 90 % ihrer Arbeitszeit für 90 % der Versicherten zur Verfügung stellen, nämlich für die Kassenpatienten, einmal systematisch überprüfen. Ich würde gerne einmal wissen, wie viel Zeit niedergelassene Kolleginnen und Kollegen für Kassenpatienten in der Kassenarztversorgung aufwenden, wie viel Zeit sie für Privatpatienten aufwenden und wie viel Zeit sie insbesondere für IGeL-Leistungen aufwenden, also für Dinge, die man nicht braucht, den Patienten aber unter grenzwertiger Ausschöpfung des Vertrauens in ärztliche Empfehlungen noch obendrauf setzt und sie selbst bezahlen lässt. Welchen Umfang haben diese einzelnen Zeitbereiche?

Ohne Zweifel ist es so, dass an manchen Stellen das Versorgungsproblem daran liegt – der Widerspruch zwischen Überversorgung nach Planzahl und Unterversorgung nach der Wahrnehmung der Patienten –, dass manche niedergelassenen Kollegen gerade einmal 20 % ihrer Arbeitszeit für das aufwenden, wofür sie zu 90 % bezahlt werden – und ansonsten irgendetwas anderes tun, mit dem sich mehr Geld verdienen lässt. Meine Damen und Herren, das kann aber doch keine Rechtfertigung dafür sein, dass wir tatenlos zusehen, wie Patienten monatelang auf einen Arzttermin warten. Nein.

(Beifall bei der SPD)

Genau dieses Problem wird endlich angegangen. Wenn wir dazu einmal adäquate Zahlen bekämen, wie viel Zeit die Ärzte für welchen Teil der Tätigkeit aufwenden, dann, lieber Florian Rentsch, müsstest auch du mir zugestehen, dass bei dieser Frage das Problem tatsächlich auf der ärztlichen Ebene liegt.

Wenn wir zu der Frage kommen, warum junge Ärztinnen und Ärzte nicht in die Fläche gehen, dann ist der Versuch, das Ganze mit Geld – und sonst gar nichts – regeln zu wollen, kläglich gescheitert. Das wundert einen auch nicht. Denn die verdienen nämlich auch so genug.

Das Problem der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in ländlichen Räumen hat doch nichts damit zu tun, dass man damit nicht genug Geld verdienen würde. Das hat etwas damit zu tun, welche Arbeitszeiten man dort verrichten muss. Denn Versorgung im ländlichen Raum heißt zwar nicht mehr sieben Tage die Woche 24 Stunden, bedeutet aber doch einen erheblichen Aufwand. Das hat damit zu tun, dass ein immer größer werdender Teil insbesondere junger Ärztinnen sehr viel mehr Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf legt; und junge Ärzte inzwischen auch. Das hat damit zu tun, dass die Alleinverdiener-Hausarztmodelle aus den Fünfzigerjahren in Zukunft nicht mehr tragfähig sind.

Ich hätte eigentlich gedacht, dass eine Partei wie die FDP, die sich einmal als modern verstanden hat, sich auch einen vorsichtigen Blick auf die Zukunftsmodelle junger Generationen erlaubt – statt die Sätze der uralten Männer des ärztlichen Standes nachzuplappern, die immer noch in Kategorien der Alleinverdienerarztpraxis mit mithelfender Ehefrau denken. Diese Struktur wird es nicht mehr geben. Deshalb brauchen wir eine andere Versorgungsorganisation, sonst wird es im ländlichen Raum nicht gelingen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Nicht, weil ich persönlich das möchte oder die SPD, sondern weil es das einzige Verfahren ist, um sicherzustellen, dass jungen Ärztinnen und Ärzten geregelte Arbeitszeiten angeboten werden können, dass flexible Arbeitszeiten angeboten werden können, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichergestellt werden kann: genau deshalb brauchen wir die Möglichkeit, dass insbesondere jüngere Ärztinnen und Ärzte in Angestelltenverhältnissen arbeiten können, in denen sie vernünftige Arbeitszeiten planen können – indem man das gemeinsam organisiert oder indem es für einen organisiert wird.

Die Struktur, in der Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich als Angestellte arbeiten, nennt man MVZ. Das ist genau die Einrichtung, in deren Rahmen wir flexible Arbeitszeiten anbieten können.

Wie war das früher? Wenn jüngere Ärztinnen und Ärzte in ihrer Weiterbildungszeit eine Stelle bekamen, dann war das eine Stelle im Krankenhaus. Das hieß: 60 Stunden die Woche Dienst und Rufbereitschaft. Wenn sie eine Stelle in einer Praxis bekamen, bedeutete das eine Arbeitsbelastung in gleicher Höhe. Auch heute noch ist es nur sehr schwer möglich, im Betrieb einer Einzelpraxis zu nennenswerten zeitlichen Handhabbarkeiten zu kommen.