Protocol of the Session on March 4, 2015

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank.

(Zuruf)

Herr Staatsminister, möchten Sie etwas zu diesem Tagesordnungspunkt sagen? – Ich sehe gerade, inzwischen ist die Wortmeldung da. Als Nächste spricht Frau Kollegin Wissler, DIE LINKE.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Rede doch als Staatsministerin!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unsere öffentliche Verkehrsinfrastruktur ist zunehmend marode und verfällt. Bundesweit wurden innerhalb des letzten Jahres drei Autobahnbrücken gesperrt – nicht nur die Schiersteiner Brücke –, Straßen müssten dringend saniert werden, und vor allem sind viele Bahnhöfe und Bahnanlagen völlig heruntergekommen.

Es gibt einen enormen Sanierungs- und Investitionsstau. Auch dies ist eine Folge der sogenannten Schuldenbremse, der schwarzen Null und der dahinter stehenden Logik des Kaputtsparens.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird immer gerne von Generationengerechtigkeit geredet, dass man kommenden Generationen angeblich keine Schulden vererben wolle. Nachfolgende Generationen aber brauchen vor allem eines, nämlich eine funktionierende Infrastruktur. Wenn heute keine Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden, wird das ein schweres Erbe für kommende Generationen. Deshalb brauchen wir mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur, aber dieses Geld muss auch zielgerichtet eingesetzt werden und nicht immer weiter dahin gehend, den Automobilverkehr und den Flugverkehr zu stärken. Wir brauchen in allererster Linie einen Ausbau des ÖPNV.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD hat ihren Antrag mit dem Begriff „Verkehrswende“ überschrieben. Aber nach Lektüre des Antrags drängt sich mir ein bisschen der Eindruck auf, dass die SPD den Begriff der Verkehrswende ganz anders verwendet, als das gemeinhin getan wird. Unter Verkehrswende versteht man eigentlich eine Abkehr von der Privilegierung des Automobil- und Flugverkehrs und den verstärkten Ausbau des ÖPNV, nicht aber einen weiteren Ausbau von Straßen und Flughäfen – was die SPD in Hessen immer unterstützt und gefordert hat.

Die Verkehrswende ist eine Forderung der alternativen Verkehrspolitik, die seit Jahrzehnten vor allem aus ökologischen und wachstumskritischen Bewegungen erhoben wird, als Alternative zur autogerechten Stadt.

In Ihrem Antrag schreiben Sie von der SPD in erster Linie über Landesstraßen, über Straßeninstandsetzung und über den Logistikstandort Hessen. Was Sie fordern, ist keine Verkehrswende, sondern Sie wollen mehr Geld für die bisherige Verkehrspolitik. Sie werfen der Regierung in erster Linie vor, die alte Verkehrspolitik nicht richtig zu machen, schlagen aber selbst keine Verkehrswende vor.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Wende würde eine 180-Grad-Drehung bedeuten, im Autofahrervokabular einen U-Turn, eine Abkehr vom Pkw- und Lkw-Verkehr, aber auch eine Abkehr von den ständig wachsenden Verkehrsströmen sowie ein Ende der

immer weiteren Flächenversiegelung für neue Straßen, der weitgehenden Verlärmung, des ständig zunehmenden Energieverbrauchs und CO2-Ausstoßes.

Demgegenüber meint die Verkehrswende lebenswerte Städte und einen Schutz der Umwelt bei gleichzeitig garantierter Mobilität in Stadt und Land. Zudem ist die Verkehrswende ein dringend nötiger Beitrag zur Energiewende, denn der Anteil des Verkehrs am Energieverbrauch in Hessen beträgt 45 %. Ich glaube, es ist vollkommen illusorisch, die Energiewende stemmen zu wollen, ohne etwas an der Verkehrspolitik zu ändern.

Deshalb, liebe SPD: Sie sagen, Schwarz-Grün verschlafe die Verkehrswende, aber leider ist Ihre Antwort eine konventionelle Verkehrspolitik, welche die Politik von Beton und Straßen sowie den Ausbau von Flughäfen befürwortet, ob in Frankfurt oder in Kassel-Calden.

Immerhin – darauf ist richtigerweise hingewiesen worden – verantwortet die SPD natürlich auch die Verkehrspolitik der Großen Koalition im Bund. Damit sind Sie auch für diese unfassbar dämliche „Ausländermaut“ verantwortlich, die nun einmal im Koalitionsvertrag festgelegt ist,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Da kann ich Ihnen leider nicht widersprechen!)

die nur dem dumpfen Bauchgefühl mancher Stammtische dienen soll. Die CSU macht Stimmung nach dem Motto: „Die Ausländer fahren unsere Straßen kaputt.“ – Verkehrspolitisch würde ich mir als Erstes von der SPD auf Bundesebene wünschen, dieses absolute Nonsens-Projekt zu stoppen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will jetzt die Autobahnen und regionale Straßen teilprivatisieren.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein, das ist falsch!)

Dahinter steckt eine fatale Logik: Angeblich könne sich der Staat die Sanierungen und Investitionen ins Straßennetz nicht leisten. Dann aber zu überlegen, den privaten Investoren noch eine Rendite obendrauf zu legen – dass dies nicht funktionieren kann und nicht billiger wird, ist doch eigentlich logisch. Am Ende wird entweder die öffentliche Hand oder der Bürger die Rendite der Konzerne bezahlen.

Richtig, Herr Schäfer-Gümbel, Sie nennen es nicht Privatisierung, sondern ÖPP, öffentlich-private Partnerschaften.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist noch schlimmer als Privatisierung!)

Wir nennen es Privatisierung, weil den ach, so selbstlosen Investoren hohe Renditen garantiert werden. Dabei könnte sich der Staat im Moment praktisch zinsfrei Geld an den Kapitalmärkten leihen.

Aber Schäubles heilige schwarze Null ist offenbar wichtiger als jegliche Vernunft. Ich will noch einmal deutlich machen, dass der Bundesrechnungshof es nachgerechnet hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass die bisherigen Autobahn-ÖPP-Projekte „unwirtschaftlich“ seien. Alleine bei fünf letztes Jahr untersuchten Projekten – unter anderem die A 4 an der hessischen Landesgrenze bei Eisenach – habe der Staat 2 Milliarden € mehr bezahlt, als es kon

ventionell der Fall gewesen wäre. Das ist also ein Geschenk an die Konzerne, am Ende bezahlt von uns allen.

Wir reden über fünf ÖPP-Projekte auf Autobahnen, bei denen 2 Milliarden € versenkt werden, während die Bundesregierung bei den Regionalisierungsmitteln für den Schienenregionalverkehr nun umso härter mit den Ländern feilscht. Auch hier ist es inhaltlich richtig, wenn die SPD fordert, dass es bei den Regionalisierungsmitteln eine Erhöhung auf 8,5 Milliarden € geben müsse, was als Bedarf der Länder festgestellt wurde. Sinnvoller und zielführender wäre es allerdings, wenn die SPD das auch als Regierungspartei im Bund mittragen würde.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Klar ist aber auch: Eine Landesregierung, die keine eigenen Mittel in den ÖPNV steckt, sondern nur Zuschüsse vom Bund an die Verbünde weiterverteilt, kann sich nicht weit aus dem Fenster lehnen; denn so inakzeptabel die drohende Leistungskürzung beim Schienenverkehr wäre, so klar ist auch: Für eine Verkehrswende brauchen wir nicht nur den Erhalt des Status quo, sondern eine erhebliche Ausweitung des Angebots.

Deshalb wäre es dringend notwendig, dass die GRÜNEN das einlösen, was sie in ihrem Wahlprogramm gefordert haben, nämlich dass endlich auch in Hessen Landesmittel für den ÖPNV bereitgestellt werden müssen. Das könnten Sie jetzt umsetzen, und das sollten Sie auch tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist eben keine nachhaltige Lösung, die stetig zunehmenden Pkw- und Lkw-Verkehrsströme auf immer größere und immer breitere Straßen zu verteilen. Stattdessen muss der Straßenverkehr dringend reduziert werden. Die Idee einer Erhöhung der Lkw-Maut ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch müssen wir über Dienstwagenprivilegien sprechen, und wie PS-Protze besser zur Kasse gebeten werden können.

Vor allem aber müssen wir in die Alternativen investieren, und das ist der ÖPNV: neue Strecken für den Schienengüterverkehr, und zwar nach heutigem Stand des Lärmschutzes. Wir brauchen eine Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe, eine Stärkung der Innenstädte, statt den Einzelhandel auf der grünen Wiese anzusiedeln und damit neue Verkehrsströme zu provozieren.

Auf dem Land muss vielerorts erst einmal wieder ein grundlegendes Verkehrsangebot geschaffen werden. Wir haben die Situation, dass es vor allem nach der Bahnreform 1994 Streckenstilllegungen gab. Viele Orte wurden vom Bahnverkehr abgeschnitten, mittlerweile hat mehr als ein Viertel aller Hessen keinen Anschluss mehr ans Schienennetz. Da reichen drei Schulbusse am Tag eben nicht, um den ländlichen Raum attraktiv zu halten.

Ich will einen Punkt ganz besonders betonen, den Zustand der Bahnhöfe. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bahnhöfe attraktiv und vor allem auch für jeden nutzbar sind. Hier rede ich über die Barrierefreiheit von Bahnhöfen,

(Beifall bei der LINKEN)

die gerade in Hessen noch ein großes Problem ist, sodass Menschen mit Rollstühlen, Menschen, die blind oder gehörlos sind, aber auch Menschen mit Kinderwagen usw. die Bahnhöfe kaum nutzen können. Mittlerweile sind zwar fast drei Viertel aller Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei.

Es gibt aber große Unterschiede zwischen den Bundesländern.

2009 hat die Bundesregierung die Zahlen veröffentlicht, wonach Hessen auf dem drittletzten Platz ist mit nur 54 % barrierefreier Bahnhöfe. Damit liegt Hessen weit unter dem deutschen Mittelwert. Auch wenn es jetzt ein Programm gibt, die Bahnhöfe zu sanieren und barrierefrei umzubauen, so betrifft das nur einen Bruchteil der Bahnhöfe, die wir in Hessen haben. Ich denke, dass Bahnhöfe nicht die versifftesten, dreckigsten und heruntergekommensten Gebäude der Stadt sein sollten, sondern sie sollten Visitenkarten sein. Das sind die Orte, wo die Menschen ankommen, wo man sich wohlfühlen muss. Deswegen heißt ein attraktives Bahnangebot auch gute Bahnhöfe und vor allem barrierefreie Bahnhöfe.

(Beifall bei der LINKEN)

Der ÖPNV in Hessen ist chronisch unterfinanziert. Das merkt man auch an den Preisen, die insbesondere beim RMV viel zu hoch sind.

Meine Damen und Herren, zur Verkehrswende gehört auch: In Städten muss dafür gesorgt werden, dass es attraktiver wird, Wege zu Fuß zurückzulegen. Auch das Radfahren muss attraktiver gestaltet werden. Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat im bundesweiten ADFC-Städteranking gerade den traurigen letzten Platz bei der Fahrradfreundlichkeit der Großstädte belegt – und ich muss aus meiner Erfahrung sagen: Dieser letzte Platz ist voll verdient.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Eines der drastischsten Beispiele für die vorherrschende Betonpolitik in Hessen ist sicher der Ausbau des Frankfurter Flughafens. Wir werden heute noch über Terminal 3 reden. Wir sind der Meinung, die Grenzen der Belastbarkeit sind schon lange überschritten. Deswegen darf es keinen weiteren Ausbau geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich halte es für richtig, schwarz-grüne Verkehrspolitik zu kritisieren. Ich glaube, wir sollten das aber nicht mit den Rezepten von gestern machen, nämlich dem immer weiteren Ausbau des Automobil- und des Flugverkehrs, sondern Verkehrswende bedeutet eine Reduzierung von Verkehrsströmen und vor allem die Stärkung des ÖPNV. Das wäre eine sinnvolle Verkehrswende. – Vielen Dank.