Deshalb ist eine Anhörung des Landtags erforderlich: Und wenn sie nur dazu führt, dass wir unseren Erkenntnisstand verbessern, aber auch in der Öffentlichkeit einen rationalen Umgang damit erreichen, der zumindest frei von unzutreffenden Ängsten ist, die mit der Substanz gar nichts zu tun haben, sondern erst durch Bilder medial erzeugt werden. Wir müssen nicht warten, bis woanders eine Anhörung ausgewertet wurde, das können wir auch einfach allein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einem Punkt kommen, bei dem ich persönlich überhaupt kein Verständnis dafür habe, wie wir mit Cannabisprodukten umgehen.
Soviel Papier brauchen Sie, wenn Sie aus der Datenbank Netline die Liste der Überschriften wissenschaftlicher Untersuchungen zum medizinischen Einsatz von Cannabis heraussuchen. Das sind nicht die Artikel – dafür bräuchten Sie 400 Aktenordner. Dies ist nur die Liste der Überschriften.
Niemand kann heute ernsthaft mehr bestreiten, dass es eine ganze Reihe von Fällen gibt, in denen Cannabis ein gutes, vielleicht sogar hervorragendes Medikament ist, um Schwerkranke, chronisch Kranke, Krebspatienten, Patienten mit neurologischen Erkrankungen oder mit schlimmen Schmerzen gut zu behandeln. Daran kann es keinen Zweifel geben.
Nicht nur das, meine Damen und Herren – es kann auch den mentalen Zustand, also die Veränderung, die Schwerkranke z. B. durch starke Schmerzmittel erfahren, deutlich bessern, weil die Geistestrübung durch starke Opiate deutlich weniger eintritt, wenn man verschiedene Medikamente kombiniert. Das gilt für Chemotherapie, für Strahlentherapie, das gilt bei Hepatitis, das gilt für Anorexia nervosa oder für chronische Schmerzzustände. Die Liste der Indikation ist lang und wird ständig länger.
In diesem Land machen wir es Menschen, denen ein so einfaches Medikament, das Sie in Colorado und Washington in kleinen Plastiktütchen kaufen können, unerträglich schwer, ein solches Medikament adäquat zu nutzen.
Wir müssen die Frage, ob wir eine Droge zum Rauschmittelkonsum zulassen wollen, ernsthaft und differenziert prüfen. Die Frage, ob wir Menschen ein offenkundig gutes und wirksames Medikament vorenthalten, sollten wir nicht mehr prüfen, wenn wir wissen, wie viel gefährlichere Medikamente wir den Menschen sehr viel entspannter zugänglich machen. Ich glaube, das ist eine Herausforderung, der man sich gleich stellen kann. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag führte am 5. November dieses Jahres eine öffentliche Anhörung zum Betäubungsmittelgesetz durch. Experten aus Justiz, Polizei, Medizin und Sozialarbeit wurden unter anderem zu Vor- und Nachteilen einer Straffreiheit von Besitz und Vertrieb von Cannabis befragt. Diese Anhörung wird derzeit von den Fraktionen ausgewertet, und es bleibt abzuwarten, ob gesetzgeberische Initiativen folgen.
Eine Änderung des gesetzlichen Rahmens kann ausschließlich auf Bundesebene erfolgen. Daher ist es konsequent, dass auch wir erst einmal dieses Material auswerten. Falls danach noch Informationsbedarf besteht, können im Landtag spezielle Fragen von Experten beantwortet werden. Insofern stehen wir einer Expertenanhörung ganz offen und locker gegenüber. Wenn irgendjemand Fragen hat, dann machen wir das hier auch.
Ohne den Bundesgesetzgeber können weder Land noch interessierte Kommunen einen sogenannten Modellversuch einer Cannabisfreigabe durchführen. Man sollte hier auch seriös argumentieren und keine falschen Erwartungen wecken.
Meine Damen und Herren, Grundlage der Drogenpolitik dieser Landespolitik ist, durch Prävention, Aufklärung und Ausstiegshilfen möglichst viele Menschen vom Drogenkonsum abzuhalten bzw. sie wieder davon zu befreien. Dies drückt der Koalitionsvertrag zwischen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus:
Ziel unserer Suchthilfepolitik ist es, durch Prävention, Aufklärung und Beratung den Einstieg in den Drogenmissbrauch zu verhindern, zumindest aber zu verringern. Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass es Drogenkonsumenten gibt, die es vor gesundheitlichen Schäden zu schützen gilt.
Suchtprävention und Ausstiegshilfen stellen für uns einen Schwerpunkt der Gesundheitspolitik dar. Hierbei stehen wir vor schwierigen Herausforderungen. Es werden ständig neue synthetische Drogen angeboten. Die nichtstofflichen
Drogen wie Glücksspiel und Eintauchen in virtuelle Welten auf dem PC und der Verlust der Wahrnehmung der Realität und der Verlust vieler sozialer Kontakte nehmen in der Drogenpolitik an Bedeutung zu.
Sogenannte gesellschaftlich akzeptierte Drogen – Alkohol, Nikotin, Psychopharmaka – verursachen nach wie vor zahlenmäßig wie kostenmäßig die größten Schäden. Insofern ist es wichtig, uns dies in Erinnerung zu rufen und auch hier Schwerpunkte zu setzen.
Behandlung der Heroinsüchtigen – die schädlichste Form der Drogensucht – soll auf allen Ebenen möglichst vielen Menschen angeboten werden. Das ist sowohl die drogenfreie Hilfe, das ist die Substitutionstherapie mit Methadon und Subutex, und das ist auch die Heroinvergabe unter strengen Kontrollen und unter psychosozialer Begleitung. Möglichst vielen Menschen soll dies zugutekommen.
Die Bewertung gesundheitlicher Auswirkungen von Cannabis sollte faktenorientiert sein. Weder Übertreibungen noch Dämonisierung, aber auch Verharmlosung sind nicht hilfreich. Ich zitiere jetzt bewusst einen Wissenschaftler, der hinsichtlich Straffreiheit eine andere Meinung als ich vertritt – er ist entschieden für eine Freigabe. Der Brite David Nutt, der die britische Regierung berät, äußerte sich kürzlich im „Tagesspiegel“:
Die Unfallgefahr beim Autofahren wird durch Cannabiskonsum verdoppelt. Die Leistungsfähigkeit und die Aufmerksamkeit werden geschwächt, und das Risiko, schwere schizophrenieähnliche Symptome zu erleiden, steigt erheblich.
Innerhalb einer politischen Partei oder auch einer Koalition können durch Faktenbewertung ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Das ist ganz normal bei einem solch schwierigen Thema. Es muss aber auf jeden Fall unser Ziel sein, Drogenkonsum insgesamt zu reduzieren, da der Suchtgeschädigte nicht nur sich selbst, sondern auch die Gemeinschaft erheblich schädigt.
Wir sind offen für Diskussionen über den besten Weg. Die CDU Hessen hat in der Vergangenheit oft neue Wege politisch angestoßen und umgesetzt. Herr Kollege Bocklet hat es hier bereits genannt aus gemeinsamen Erfahrungen aus der Stadtverordnetenversammlung. Die Oberbürgermeister Frankfurts, Walter Wallmann und Petra Roth, haben in den Achtzigerjahren die Methadonsubstitution eingeführt. Sie haben seinerzeit sterile Spritzenbestecke für Heroinsüchtige verteilt, was damals sehr strittig diskutiert wurde, bzw. vor zehn Jahren die Heroinambulanz für die Heroinvergabe unter sehr strenger Kontrolle und psychosozialer Begleitung eingerichtet. Das hat damals auch lokalen Widerstand erzeugt. Aber wir beide haben den Konsens angestrebt, und wir haben ihn auch gefunden. Wir werden das in Hessen genauso machen.
Meine Damen und Herren, was den medizinischen Einsatz von Cannabis anbelangt, so wird hier eine Diskussionsebene aufgebaut, die meines Erachtens schon längst gelöst worden ist. Wenn ein Arzt einen Patienten mit Cannabis
behandeln möchte, dies verantworten und kontrollieren kann, so kann er über die Internationale Apotheke zugelassene Medikamente aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten verordnen. Das ist überhaupt kein Problem. Er kann auch eine individuelle Rezeptur geben. Aber der erste Weg ist wahrscheinlich der bessere mit kontrollierten, zugelassenen Medikamenten.
das es ohne Ihre Debatte gar nicht geben würde. Der verantwortliche Mediziner kann das sehr gut lösen.
Meine Damen und Herren, die in der Diskussion im Umgang mit Cannabis von Teilen der Polizei vorgetragenen Erfahrungen müssen wir ernst nehmen. Das tun wir auch. Es ist natürlich entmutigend, wenn ein Polizist beim Fund von Cannabis eine Strafanzeige stellen muss, aufwendige staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, zum Teil mit Begutachtung, folgen, aber ohne Konsequenzen bleiben. Ob und welche gesetzgeberischen Folgen zu einer Verbesserung dieser Situation führen, das müssen wir sorgfältig analysieren und prüfen. Auch da sind wir offen und werden auch einmal die Experten befragen.
Hierbei ist aber auch zu bedenken, dass die Legalisierung nicht der einzige mögliche Weg ist. Es ist zu bedenken, dass die Legalisierung des Vertriebs von Cannabis in den Niederlanden in den Coffeeshops dort heute viel differenzierter gesehen wird als vor der Einführung vor 40 Jahren, als das damals in der niederländischen Gesellschaft noch über politische Parteien hinaus Konsens gewesen war. „Amsterdam will sein Image als Drogenparadies loswerden“, so das Zitat aus unterschiedlichen Medien wie der „Bild“-Zeitung und der „FAZ“. Die Hälfte der Coffeeshops wird geschlossen. Mindestabstände zur nächsten Kindertagesstätte oder Schule sind vorgeschrieben worden. – Es wird dafür sicherlich Gründe geben, und das muss man in die Überlegungen mit einbeziehen.
Wir werden die Unterlagen der Anhörung auf Bundesebene sehr sorgfältig und vorurteilsfrei auswerten. Politische Beschlüsse müssen überlegt werden, sind abzuwarten. Wir halten aber überzeugt am Ziel fest. Was immer der bessere Weg ist, das Ziel muss es aber sein, dass immer weniger Menschen gesundheitliche und psychische Schäden durch Drogen, unabhängig von welcher, erleiden mögen. Dafür werden wir kämpfen. – Herzlichen Dank.
Danke, Herr Dr. Bartelt. – Für die Landesregierung hat sich Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann gemeldet.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte um die Legalisierung von Dro
gen, insbesondere von Cannabis, ist nicht neu. Seit jeher gibt es Befürworter und Gegner der bisherigen Drogenpolitik, und wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt in diesen Fragen keinen Königsweg.
Der Kollege Spies hat das historisch noch einmal begründet. In jeder Gesellschaft gibt es Drogen. Es gibt eine unterschiedliche Betrachtung, und jeder reagiert auch ein bisschen anders darauf, weil auch das kulturpolitisch bedingt ist.
In Deutschland gibt es jetzt mehrere Initiativen, die sich wieder intensiver mit dem Thema beschäftigen: die Resolution deutscher Strafrechtsprofessoren Anfang November, die Debatte im Gesundheitsausschuss, die Gesundheitsdezernentin Frau Heilig in Frankfurt hat angekündigt, ein neues Projekt anmelden zu wollen, und heute, ganz aktuell, der „Stern“, der mit mehreren Seiten einen speziellen Bereich beleuchtet.
Meine Damen und Herren, die zentrale Grundlage der Drogenpolitik in Deutschland ist das Betäubungsmittelgesetz. In diesem Bundesgesetz hat sich Deutschland für das Konzept einer umfassenden Kontrolle des Umgangs mit Betäubungsmitteln und deren strafrechtlichen Absicherung entschieden. Ein Ziel des Betäubungsmittelgesetzes ist es, die menschliche Gesundheit des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Betäubungsmitteln zu bewahren.
Dieser Zielsetzung dienen auch die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, und durch das Betäubungsmittelgesetz soll die Verfügbarkeit von Drogen, die als ein wesentlicher Risikofaktor für den Einstieg in den Drogenkonsum gesehen wird, beschränkt werden.