Protocol of the Session on October 16, 2014

Damit gehen die Träger, die soziale Dienstleistungen in Hessen anbieten, sehr viel verantwortungsvoller mit dem Thema um als Sie mit Ihrer Politik in diesem Haus.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Aktuelle Stunde zu Tagesordnungspunkt 74 abgehalten.

Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend keine Abschiebung in von Ebola betroffene Länder, Drucks. 19/ 1022. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 86 und kann nach Tagesordnungspunkt 75 aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden. – Auch da sehe ich Einverständnis.

Außerdem eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend unbegleitete minderjährige Flüchtlinge weiterhin vorbildlich betreuen, Drucks. 19/1023. Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 87 und wird ebenfalls nach Tagesordnungspunkt 75 aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt. – Das ist der Fall.

Weiterhin eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Terminal 3 am Frankfurter Flughafen: Vorhaben kritisch prüfen, Drucks. 19/1024. Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 88 und kann mit Tagesordnungspunkt 50 aufgerufen werden. – So machen wir das.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 75 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Flüchtlingsgipfel in Bund und Land – Zahl un- begleiteter Minderjähriger steigt – Flüchtlinge und Kommunen nicht im Regen stehen lassen) – Drucks. 19/1003 –

Als erste Wortmeldung habe ich den Kollegen Rentsch, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation der Flüchtlinge in Hessen, in der Bundesrepublik wie auch insgesamt in Europa, die aus den Krisengebieten der Welt zu uns kommen, ist weiterhin besorgniserregend.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir wissen, wenn wir die Bilder sehen, welche Verpflichtung wir als Deutsche und als Hessen haben. Angesichts der Bilder, die in den letzten Tagen durch die Medien geisterten – auch aus anderen Bundesländern, Gott sei Dank nicht aus Hessen –, was in Bayern passiert ist und was gestern zu einer sehr intensiven Debatte im Bayerischen Landtag geführt hat, wo sich aus meiner Sicht der Bayerische Ministerpräsident zu Recht dafür entschuldigt hat, was in Bayern passiert ist, sollte das Mahnung für uns sein, dass es nicht zu solchen Zuständen in Hessen kommt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Situation zeigt aber, wie sensibel mit diesem Thema umzugehen ist und dass es natürlich auch eine Herausfor

derung für die öffentliche Hand ist, sich diesem Thema zu stellen; denn eins ist klar – und das kann man wohl über die Parteigrenzen hinweg feststellen –: Wir haben alle nicht mit einer solchen Zunahme der Krisenherde auf der Welt gerechnet, die so schnell angewachsen sind und dazu führen, dass wir jetzt in der Verpflichtung sind. Aber nun wissen wir, dass es so ist, und müssen deshalb jetzt auch mit diesem Umstand verantwortungsvoll umgehen.

(Beifall bei der FDP)

2014 betrug die Zahl der Erstanträge 200.000, während es 2007 noch knapp 20.000 waren. Das bedeutet, dass wir auf dem Niveau von 1980 liegen. Das zeigen auf der anderen Seite auch die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der damaligen Flüchtlingspolitik, auf die Deutschland nicht vorbereitet war, die vor Ort zu massiven Problemen und Verwerfungen geführt und natürlich auch eine Ausländerfeindlichkeit gefördert hat. Das muss Mahnung für uns sein, dass so etwas nie wieder eintreten darf.

(Beifall bei der FDP)

Und was ist die Conclusio? Die Conclusio kann nur sein, dass wir, wenn Menschen zu uns kommen, sofort mit einer intensiven Integrationspolitik beginnen und nicht die Erwartung haben, dass diese Menschen in sechs bis zwölf Monaten wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Das ist illusionär und ist auch ein Tenor gewesen, den die CSUKollegen in der gestrigen Landtagsdebatte immer wieder proklamiert haben. Das ist inhaltlich falsch, aber es suggeriert Menschen auch ein falsches Bild. Das führt am Schluss zu Enttäuschungen. Deshalb kann ich nur sagen: Nur eine intensive Integrationspolitik kann uns davon abhalten, dass solche Fehler passieren.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Herr Sozialminister, deshalb halte ich – neben der ausdrücklich zu erwähnenden Tatsache, dass Sie sich für mehr Gelder in diesem Bereich eingesetzt haben und der Haushalt vom Hessischen Landtag aufgrund Ihres Engagements so verabschiedet werden wird – Ihr Engagement in Richtung Bund für richtig, dort mit einem Asylgipfel zu agieren. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was wir in Hessen zu verlieren haben, wenn wir so etwas auch in Hessen umsetzen und die Beteiligten, die bei diesem Thema vor Ort verantwortlich sind, an einen Tisch holen.

Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang den Kollegen Wagner zitieren, der in einer Fernsehsendung in der letzten Woche gemeinsam mit uns etwas sehr Richtiges gesagt hat, nämlich dass unter den demokratischen Fraktionen ein Konsens bestehen müsse, dass wir uns bei der Integrationspolitik und diesem Thema nicht auseinanderdividieren lassen sollten.

Ich halte es für richtig, dass Sie dieses Angebot gemacht haben. Aber die Konsequenz aus diesem Angebot ist eben auch, dass sich die Regierungsfraktionen in dieser Frage nicht abschotten, sondern die Vorschläge aller Fraktionen dieses Landtags gehört werden sollten, damit auch alle die Verantwortung tragen. Nur ein gemeinsamer Konsens führt dazu, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, nicht aber Gespräche, die allein Sie in Ihrem Privileg als regierungstragende Fraktionen in dieser Frage führen. Wer dieses Thema ernst nimmt, lädt auch andere Fraktionen zur Beteiligung ein und lässt uns gemeinsam darüber diskutieren und streiten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Es wäre ein Gebot der Vernunft, in dieser Frage so vorzugehen. Es wäre auch ein Gebot der Vernunft, die beteiligten Institutionen, die Verbände, die Flüchtlingsverbände, die Kommunen usw. an einen Tisch zu holen.

Deswegen will ich zwei Punkte herausgreifen. Es kann nicht ein Thema des Zufalls sein, ob man in Hessen in einen Kreis wie den Kreis Bergstraße – mit einem grünen Dezernenten, das will ich ausdrücklich sagen – kommt, der beim Thema Integrationsarbeit sehr früh bzw. sofort anfängt, Deutschkurse durchzuführen, damit diese Menschen integriert werden, oder aber in einen anderen Kreis kommt, der bei diesem Thema überhaupt kein Engagement an den Tag legt. Es kann keine Frage des Zufalls sein, sondern es muss eine Frage von gesteuerter Politik sein, und diese Verantwortung liegt bei uns und bei niemand anderem, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aus dieser Verantwortung können wir uns nicht zurückziehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abg. der SPD)

Ein zweiter Punkt. Ich glaube, dass der von uns gestellte Antrag zum Thema unbegleiteter Flüchtlinge ein sehr, sehr wichtiger Antrag ist. Wenn junge Menschen nach Deutschland kommen, die ihre Eltern nicht mehr dabei haben oder sie möglicherweise auf der Flucht verloren haben, tragen wir eine besondere Verantwortung diesen jungen Menschen und Kindern gegenüber.

Herr Kollege Rentsch, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen in den letzten Wochen auch in der Erstaufnahmeeinrichtung waren und sich das angeschaut haben. In den Gesprächen, die wir auch mit jungen Menschen geführt haben, die ihre Eltern verloren haben, kann ich nur sagen: Dieser Personengruppe ist eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen – alles andere wäre verantwortungslos –, und für die brauchen wir eine konzeptionelle Arbeit und nicht nur einen Antrag nach dem Motto: Es ist schon alles gut.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Cárdenas, DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Was ist zu tun, um Asylsuchende menschenwürdig unterzubringen? Was kann und muss die Landesregierung leisten, um Flüchtlingspolitik in Hessen human zu gestalten? Kaum eine Plenarwoche vergeht, in der wir nicht darüber reden. Und auch die FDP hat dieses Thema, wie wir gerade gesehen haben, inzwischen zur Chefsache erklärt. Das begrüßen wir natürlich ausdrücklich.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Was aber macht die Landesregierung? Sie verweist auf gestiegene Asylbewerberzahlen, klopft sich auf die Schulter und klopft der Bundesregierung auf die Schulter, weil wir schon so viele Flüchtlinge aufgenommen hätten.

Wir müssen unbedingt noch weit mehr Geflüchtete aufnehmen, meine Damen und Herren. Zurzeit sind zusätzlich die Desorganisation des Flüchtlingsschutzes in Deutschland und der fehlende politische Wille, die Flüchtlingsaufnahme menschenwürdig zu gestalten, das Hauptproblem.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar – so mahnt das Bundesverfassungsgericht. Welchen Stellenwert aber hat die Menschenwürde, wenn seit Montag dieser Woche in einer vom Rat der Europäischen Union initiierten Operation zwei Wochen lang unter freundlicher Mitwirkung von Frontex und der Bundespolizei in ganz Europa Jagd auf Menschen ohne Aufenthaltstitel gemacht wird? Welchen Stellenwert räumen wir der Menschenwürde ein, wenn wir auf Mindeststandards bei den Flüchtlingsunterkünften verzichten und damit die Entstehung von Umständen zulassen, in denen Asylsuchende von Wachleuten gequält und misshandelt werden?

Die Flüchtlingspolitik ist ein Fiasko – nicht nur in Hessen, auch im Bund, auch in Europa. Sie ist ein Durcheinander bruchstückhafter und schlecht durchdachter Zuständigkeiten. Flüchtlingsaufnahme als Gemeinschaftsaufgabe: Diese schöne Idee existiert nur auf dem Papier oder auf unterer Ebene in vielen Kommunen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wird ein Flüchtlingsgipfel, wie er von der FDP gefordert wird, die existierenden Probleme lösen? Ich habe meine Zweifel. Ein solcher Gipfel wird zu einer reinen Showveranstaltung verkommen, solange der politische Wille fehlt, reale Veränderungen herbeizuführen, die Geld kosten.

Solange es nur bei Betroffenheitsbekundungen bleibt, solange es kein Umdenken gibt und Flüchtlingsaufnahme ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung betrieben wird, solange ist jeder Flüchtlingsgipfel zum Scheitern verurteilt, Herr Rentsch.

Meine Damen und Herren, in der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ war im Detail nachzulesen, dass Asylsuchende in Bayern in den Erstaufnahmeeinrichtungen mittlerweile nicht einmal mehr ein Bett bekommen. Sie schlafen auf dem Boden oder draußen auf den Grünflächen. Für jede Essensausgabe müssen sie zwei Stunden anstehen, insgesamt sechs Stunden am Tag. Duschen und Toiletten sind so verdreckt, dass sie unbenutzbar sind. Und den Journalisten, die die Zustände dokumentieren wollen, wird der Zutritt verwehrt. Das sind Verhältnisse, die ohne Weiteres mit der Aufnahmesituation von Asylsuchenden in Italien oder Griechenland konkurrieren können. Ich will solche Zustände in Hessen nicht sehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen ist der bislang einzige einigermaßen funktionierende Bereich hessischer Asylpolitik, nämlich die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ebenfalls am Kollabieren, weil nicht in ausreichender Zahl Wohngruppen geschaffen werden. Über Monate hinweg werden Minderjährige in Hotels „geparkt“ und warten darauf, endlich zur Ruhe kommen zu können.

Wir fordern die Landesregierung auf, jetzt zu handeln, bevor die Situation weiter eskaliert, und auch in diesem Bereich für eine menschenwürdige Behandlung der Geflüchteten zu sorgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu unserem Antrag betreffend Abschiebestopp in EbolaGebiete. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass derzeit auch das Bundesinnenministerium die Aussetzung für angemessen hält. Andere Bundesländer wie Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben bereits einen Abschiebestopp erlassen. Ich freue mich sehr, dass die Regierungsfraktionen unser Anliegen aufgenommen haben und ebenfalls einen Antrag auf Abschiebestopp vorgelegt haben. Wir werden diesem Antrag natürlich ebenfalls zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir möchten trotzdem unseren Antrag aufrechterhalten, weil er weiter geht. Er umfasst mindestens sechs Monate. Außerdem wollen wir auch gerne eine Auskunft haben, wie viele Menschen es eigentlich betrifft. – Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Turgut Yük- sel (SPD))

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Öztürk, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.