Das ist der Chef eines Konzerns, der gerade einen Rekordgewinn erzielt hat, der eine Dividendenerhöhung in Aussicht gestellt hat, und der erklärt, die privaten Haushalte sollen das zahlen, weil die Industrie das nicht bezahlen möchte.
So viel zum Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie: Das ist das Gesicht der deutschen Chemiebranche. Ich glaube, solche Äußerungen tragen auch dazu bei, dass die deutsche Chemiebranche eben nicht den besten Ruf in Deutschland hat, meine Damen und Herren.
Auch die Pharmaindustrie stellt sicher viele wichtige und nützliche Produkte her; das ist unbestritten. Die Pharmaindustrie besteht nicht aus selbstlosen Akteuren, bei der die Heilung von Menschen an erster Stelle steht, sondern sie besteht aus Aktiengesellschaften, die profitorientiert sind, und das ist im Gesundheitsbereich besonders heikel.
Nur 10 % der Forschungsaufwendungen der Pharmaunternehmen fließen in 90 % der globalen Gesundheitsprobleme. Die Behandlung von Wohlstandskrankheiten und weitgehend nutzlose Nahrungsergänzungsmittel sind Umsatzbringer. Hier wird viel geforscht und entwickelt und viel Aufwand in teure Scheininnovationen gesteckt. Das ganze Elend – der Kollege Lenders hat es eben angesprochen – zeigt sich aktuell in der Ebola-Epidemie auf dem afrikanischen Kontinent, die schlimme Ausmaße annimmt, aber in den reichen Staaten nicht existiert und damit kaum renditeträchtig ist.
Es lohnt sich also schlicht für die Pharmakonzerne nicht. Ich finde, die Ebola-Epidemie zeigt in erschreckender Weise, was passiert, wenn man alles dem Markt überlässt. Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen gerettet werden können, wenn man viel schneller die Entwicklung der Medikamente vorangebracht hätte, dann ist die Ausbreitung von Ebola in Afrika auch ein Armutszeugnis für die weltweite Pharmaindustrie.
Weltweit wird gerade an 183 neuen Medikamenten gegen die in den Industrieländern verbreiteten koronaren Herzerkrankungen gearbeitet.
Gegen die in den Entwicklungsländern verbreitete Malaria sind gerade einmal 17 Medikamente in der Pipeline. An einem Ebola-Impfstoff wird nur in einer Firma in der Schweiz gearbeitet; er ist noch in einer sehr frühen Phase. Es ist völlig unklar, wann er überhaupt je auf den Markt kommen wird.
Kurzum: Nur 1 % der in den letzten zehn Jahren neu zugelassenen Medikamente zielt genau auf die sogenannten vernachlässigten Infektionskrankheiten, die gerade in den armen Weltregionen wüten. Dafür treiben wissenschaftlich zum Teil sehr fragwürdige Präparate Blüten.
Manchmal schaden Medikamente mehr, als sie nutzen. Sie werden mit Millionenaufwand beworben. Wir wissen mittlerweile, dass neue Krankheitsbilder sogar erfunden werden, um Medikamente abzusetzen.
Ich empfehle Ihnen ein sehr gutes Buch des Wissenschaftsjournalisten Jörg Blech. Er hat das Buch „Die Krankheitserfinder“ geschrieben. Darin legt er sehr gut dar, dass die pharmazeutische Industrie eben nicht nur Medikamente entwickelt, sondern die Krankheitsbilder, die damit behandelt werden, gleich mit – gerade im Bereich der Psychopharmaka. Es ist es sehr interessantes Buch. Das lege ich Ihnen sehr ans Herz.
Unter diesen Umständen ist auch zu bewerten, inwieweit es gesellschaftlich verantwortlich ist, die Medizinforschung allein der Privatwirtschaft zu überlassen. Es ist
wichtig, dass es unabhängige Forschung gibt, insbesondere an den Hochschulen, die frei von Profitinteressen und wirtschaftlichen Erwägungen sein müssen.
In Hessen haben wir eine sehr starke Vermischung, gerade durch die Drittmittelabhängigkeit der Hochschulen und das Sponsoring ganzer Lehrstühle, als wären sie ein Stadion. Ich finde auch, die im Antrag gelobten Industrieinitiativen, Netzwerke und Cluster sind oft Wirtschaftsverbände mit Hochschulanschluss. Deswegen sehen wir die ganze „House of …“-Strategie sehr kritisch. Das will ich nur sagen, auch weil wir kritisch sehen, mit wem da zusammengearbeitet wird.
Wenn ein Unternehmen wie Sanofi immer wieder in die Kritik gerät, unter anderem wegen Indikationshopping, dass nämlich Medikamente vom Markt genommen werden, nur um den gleichen Wirkstoff mit neuem Namen wieder für ein anderes Krankheitsbild zu einem deutlich höheren Preis anzubieten, dann sind wir der Meinung: Das Land muss genau hinschauen, mit wem man zusammenarbeitet, welchen Cluster man fördert. Es gibt hier eine Verantwortung, die das Land Hessen wahrnehmen muss, eben auch die ökonomische und soziale Integrität von Unternehmen zu prüfen.
Ich hätte jetzt gern noch etwas dazu gesagt, dass man generell den Einfluss der Pharmaindustrie in der Gesundheitspolitik zurückdrängen muss. Das ist der eigentliche Kostentreiber im Gesundheitssystem. Es ist ein Problem, wenn Milliarden Euro aus den Sozialversicherungen quasi in die Taschen der Konzerne fließen.
Zu Ihrem Antrag. Er beinhaltet eine unkritische Lobhudelei hinsichtlich der Landesregierung und der Chemie- und Pharmaindustrie. Der Antrag ist völlig substanzlos. Deswegen werden wir ihm auch nicht zustimmen. Er nützt, vielleicht mit Ausnahme der Papierindustrie, niemandem. – Vielen Dank.
Frau Kollegin Wissler, vielen Dank. – Ich würde gerne der Landesregierung das Wort geben. Herr Grüttner.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vermute einmal, dass die Präsidentin deswegen etwas irritiert geschaut hat, weil sie meinte, dass Ressortkollege Al-Wazir ans Rednerpult geht. Sie sehen daran sehr deutlich – das macht dieser Antrag auch deutlich –, dass das weit über eine eindimensionale Betrachtung hinausgeht. Denn er beinhaltet sowohl wirtschaftspolitische und damit auch industriepolitische als auch gesundheitspolitische und damit letztendlich insgesamt gesellschaftspolitische Aspekte.
Da gibt es gar kein Vertun. Deswegen haben Redner unterschiedlicher Bereiche aus den Regierungsfraktionen dazu gesprochen.
Ich bin den Regierungsfraktionen sehr dankbar, dass sie diesen Antrag gestellt haben. Denn er bietet genau die Möglichkeit, das, was Frau Wissler zum Ende ihrer Rede dargestellt hat, schlicht und einfach geradezurücken. Wenn wir über Fragestellungen des Chemiestandortes und des Pharmastandortes sprechen, dann dürfen wir nicht darin verfallen – es geht um Fragen der Pharmaindustrie –, ausschließlich die Kosten der Arzneimittel darzustellen. Vielmehr ist es notwendig, zu verdeutlichen, welchen Beitrag die Chemie- und Pharmaindustrie für die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere in unserem Bundesland leistet.
Wer tatsächlich der Mär verfällt, zu sagen, es würde ein Arzneimittel vom Markt genommen, um es mit dem gleichen Wirkstoff wieder auf den Markt zu bringen, um damit möglicherweise ein anderes Krankheitsbild zu behandeln oder möglicherweise eine andere Situation zu haben, hat von dem System des Arzneimittelmarktes in Deutschland keine Ahnung. Er hat überhaupt keine Ahnung.
Da geht es eben nicht um die Frage, wie man Arzneimittel entwickelt. Wenn man so argumentiert, hat man keine Ahnung, was Nutzenbewertung bedeutet. Man hat keine Ahnung, welche Arbeit dahintersteckt, ein Arzneimittel zur Marktreife zu bringen und auf dem Markt tatsächlich zu etablieren. Dann ist die Frage der Höhe des Erstattungspreises überhaupt noch nicht geklärt. Das ist der Punkt, an dem man ansetzen muss.
Deswegen bin ich sehr dankbar, dass es diesen Antrag gibt. Denn dieser Antrag bringt ein klares Bekenntnis zu dieser Branche in Hessen zum Ausdruck, die eine überragende Bedeutung für unser Land hat. Das ist gut.
Herr Kollege Frankenberger, das kann man gar nicht oft genug machen. Von mir aus könnte ein solches Bekenntnis zu unserem Industrie- und Wirtschaftsstandort in Hessen während jeder Plenarsitzungsrunde stattfinden.
Im Übrigen gab das Ihnen die Gelegenheit, darzustellen, dass Sie Praxistage gemacht haben. Das ist ein Praktikum. Ab und zu haben wir bei uns in den Ressorts und in den Fraktionen auch Praktikanten. Wir wissen, dass wir damit sehr gut umgehen können. Wir wissen, dass man damit tatsächlich den einen oder anderen Erkenntnisfortschritt gewinnen kann.
Allerdings wird an dieser Stelle eines sehr deutlich: Entgegen der Aussage der Frau Kollegin Wissler müssen wir sagen, dass die Gesundheitsindustrie insgesamt, die etwas weiter als die Chemie- und Pharmaindustrie gefasst ist, der Arbeitsplatzgarant in Hessen ist. Rund 77.000 Menschen
Wir haben in Hessen hohe Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Wir müssen sehen, dass das beibehalten wird.
Ich will da eines sehr deutlich machen: Frau Wissler, Sie haben gerade eben Herrn Kley zitiert. Wir begrüßen ausdrücklich das, was wir in der letzten Ausgabe der „Zeit“ gelesen haben, nämlich die geplante Übernahme eines Laborausrüsters aus den USA durch die Firma Merck. Mit diesem Zukauf würde Merck nach Angaben des eigenen Unternehmens zu einem der führenden Anbieter rund um Gesundheit und Biotechnologie. Zudem wird die Firma Merck in eine andere Größenordnung vorstoßen. Sie hat ihren Heimathafen in Hessen.
Das ist eine Entwicklung, die wir ausdrücklich begrüßen. Wir werden uns auch damit auseinanderzusetzen haben, welche Herausforderungen auf die Pharma- und Chemieunternehmen in Hessen zukommen und wie sie letztendlich zukunftsfest gemacht werden können.
In diesem Zusammenhang stellten sich eine ganze Reihe Fragen. Dabei geht es um Fragen, wie die: Welche Arzneimittelinnovationen braucht das Gesundheitssystem? Wie können wir sie finanzieren? Welche Perspektiven hat die Pharmaindustrie in Deutschland und in Hessen in einem globalen Wettbewerb? Wie muss die Branche auf sich ändernde politische und auch regulatorische Rahmenbedingungen im Gesundheitsmarkt reagieren? Wie können Innovationslücken geschlossen werden? Wie stellt sich die Branche mit Blick auf sich abzeichnende verstärkte Konzentrationsprozesse auf? Es geht aber auch um die Frage, wie kleine und mittelständische Pharmaunternehmen im Wettbewerb mit großen Pharmaunternehmen bestehen.
Welche Korrekturmaßnahmen sind beispielsweise bei der frühen Bewertung des Nutzens der Arzneimittelinnovationen erforderlich? – Damit sind wir im Kerngebiet des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes, denn natürlich setzen wir uns damit auseinander. Wir sind damit auch im Kerngebiet einer Arbeitsgruppe der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen, die sich mit den Partnern damit beschäftigt. Deswegen sind die „Houses of …“ und deren Partner ein ganz wesentlicher Bestandteil. Denn wir brauchen die Erfahrung unserer Partner, die vor Ort forschen und Innovationen auf den Weg bringen. Letzten Endes bringen sie das auf Marktreife.
Wenn wir das aufgrund der bundesgesetzlichen Vorgaben regulatorisch betrachten, sehen wir, dass es Veränderungsbedarf gibt. Ich bin sehr dankbar, dass die Vorgängerregierung das angefangen hat und dass die jetzige Regierung in Hessen genau an dieser Stelle weiterarbeitet. Insbesondere was das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz anbelangt, versucht sie, zu Veränderungen und zu Vereinfachungen zu kommen. Das geschieht nicht unter dem Gesichtspunkt: Alles muss auf den Markt. – Die Nutzenbewertung muss im Interesse der Arzneimittelsicherheit und der Versorgung mit innovativen Produkten künftig dazu führen, dass die Pharmaindustrie in Hessen eine Chance hat, ihre Leistungsfähigkeit so unter Beweis zu stellen, dass sie Arzneimittel marktreif machen kann und sie dann auf den Markt gebracht werden können. Das ist das Entscheidende, das wir dabei brauchen.
Man muss dabei einen Aspekt berücksichtigen, der bisher überhaupt noch keine Rolle gespielt hat: Wir sind in Hessen und in Deutschland Europameister beispielsweise hinsichtlich des Anzeigens klinischer Prüfungen. Es gibt ungefähr 1.500 Anzeigen klinischer Prüfungen pro Jahr. Bei einem Drittel davon sind hessische Ärzte an der Prüfung beteiligt. Etwa 90 Einrichtungen in Hessen sind mit der Organisation klinischer Prüfungen beschäftigt. Die Hälfte davon tritt als sogenannte Sponsoren auf. Das heißt, das sind Firmen, die die Verantwortung für die klinische Prüfung tragen und sie letztendlich finanzieren.
Wir haben in Hessen 45 Auftragsforschungsinstitute, die zum großen Teil mit der Organisation und der Auswertung klinischer Prüfungen beauftragt werden. Dabei handelt es sich um kleine bis ganz kleine Betriebe. Wenn die die Prüfaufträge nicht mehr bekommen, werden Arbeitsplätze vernichtet.
Wir sind letztendlich mit den kleinen und mittleren, aber auch bis hin zu den weltweit agierenden Auftragsforschungsunternehmen mit ihren europäischen Niederlassungen im Rhein-Main-Gebiet auf diesem Gebiet führend, und zwar getreu dem Motto: An Hessen führt kein Weg vorbei. – Dabei habe ich die 1.000 Prüfärzte, die wir in Hessen haben, noch gar nicht genannt.