Protocol of the Session on July 17, 2014

Von einem flächendeckenden Ganztagsangebot sind wir in Hessen meilenweit entfernt. Von den über 1.000 Grundschulen sind es gerade einmal sechs, die echte und gebundene Ganztagsschulen nach dem sogenannten Profil 3 sind. Andere Angebote gehen oft nur bis 14:30 Uhr oder werden nur an bestimmten Tagen oder nur für bestimmte Jahrgänge angeboten. Sie sind nicht mehr als eine Übermittagsbetreuung.

Selbst wenn man alle irgendwie gearteten Nachmittagsangebote an allen hessischen Grundschulen zusammennimmt, sind es immer noch weniger als ein Drittel aller Schulen. Der Pakt für den Nachmittag, den die Landesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung angekündigt hat, ist leider eine Mogelpackung.

Von einem Ausbau der echten Ganztagsschulen kann überhaupt keine Rede sein. Das Land will nur bis 14:30 Uhr ein Angebot schaffen. Danach wollen Sie die Verantwortung auf die Kommunen abschieben. Es wird überhaupt nicht möglich sein, sich in allen Kommunen bis 17:00 Uhr um die Betreuung und um deren Finanzierung kümmern zu können. Dazu hat sich der Hessische Städtetag auch sehr kritisch geäußert. Meine Damen und Herren, was Sie planen, ist kein ganztägiges Schulangebot, sondern Flickschusterei.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Pakt ist der klägliche Versuch, die Verantwortung für den nicht stattfindenden Ausbau von echten Ganztagsschulen den Kommunen in die Schuhe zu schieben. Notwendig wäre es, den Ganztagsschulausbau endlich konsequent voranzubringen. Klar ist aber auch, dass das bis Anfang September nicht machbar ist. Deshalb werden auch dieses Jahr viele Eltern auf außerschulische Angebote zurückgreifen müssen, und auch die stehen nicht ausreichend zur Verfügung.

Das ist kein neues Phänomen, aber das Problem verschärft sich gerade noch. Durch den Rechtsanspruch auf die U-3-Betreuung, der seit August 2013 besteht, sind die Kommunen nämlich gezwungen, einen anderen, ebenso dringlichen Betreuungsbedarf zu decken, nämlich den der Kinder unter drei Jahren. Dort gibt es nämlich einen gesetzlichen Betreuungsanspruch, den Schulkinder mit ihrer Einschulung verlieren.

Das Problem ist, dass an vielen Orten weder genügend Räumlichkeiten noch genügend Personal zur Verfügung stehen. Der Erzieherinnenberuf gehört aufgrund der schlechten Bezahlung, der hohen Arbeitsbelastung und der viel zu geringen gesellschaftlichen Anerkennung nicht gerade zu den attraktivsten Ausbildungsberufen. Auch das müsste dringend geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Was tun die Kommunen also? Sie ziehen Personal aus der Hortbetreuung ab und setzen es für die U-3-Betreuung ein. Ebenso wird mit den Räumlichkeiten verfahren. Wir haben also eine Situation, dass es trotz steigender Nachfrage nicht mehr Hortplätze geben wird, sondern stellenweise sogar weniger.

Besonders dramatisch ist die Situation in Frankfurt. Dort gehen Eltern von Hort zu Hort und hören überall nur, dass die Plätze belegt und die Wartelisten lang sind. Dort haben wir teilweise fünfmal mehr Bewerber als Plätze.

In Frankfurt-Bockenheim hat sich deshalb eine Hortinitiative gegründet, um gemeinsam nach einer Notlösung zu suchen. Um ein Beispiel zu nennen: Alleine an der dortigen Franckeschule fehlen nach Angabe der Initiative bei 109 Schülern etwa 40 Hortplätze. Deshalb wurde dort eine Demonstration organisiert, zu der mehrere Hundert Menschen aus verschiedenen Stadtteilen kamen.

Diesen Menschen bleiben nur noch knappe acht Wochen Zeit, um irgendeine Lösung für ihr Betreuungsproblem zu finden. Ich bin sehr gespannt, was Sie ihnen sagen werden, was sie mit ihren Kindern ab 11:30 Uhr machen sollen.

Da hilft es relativ wenig, wenn die schwarz-grüne Regierung in Frankfurt erklärt, man habe doch eine Betreuungsquote von über 50 %. Dieser statistische Wert nutzt nämlich denjenigen, die ab September keinen Betreuungsplatz haben, leider überhaupt nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Das ist sehr schön, ich wollte Sie gerade daran erinnern.

Ich dachte mir so etwas. – Es reicht nicht aus, in Sonntagsreden über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reden. Der Ausbau der Ganztagsschulen muss beschleunigt werden. Bis dahin muss das Land die Kommunen dabei unterstützen, Lösungen für den Übergang zu finden. Denn wir wollen, dass der erste Schultag ein glücklicher Tag für Kinder und Eltern wird und keine Sorgen und Ängste auslöst. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. – Als Nächste spricht Kollegin Müller-Klepper, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank der LINKEN für diese Aktuelle Stunde, denn sie bietet Gelegenheit, erfolgreiche Regierungspolitik darzustellen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihren düsteren Schilderungen zum Trotz: Hessen steht mit seinem Betreuungsangebot für die Grundschulkinder gut da. 95 % der Grundschulen bieten Betreuung an. Das ist eine hervorragende Quote.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Quote ist konsequent erarbeitet worden, zum einen durch die gezielte Schwerpunktsetzung auf den Ausbau der Ganztagsangebote. Was sich hier seit 1999 getan hat, kann sich sehen lassen. Wir lassen uns das von Ihnen nicht schlechtreden.

Das Ganztagsprogramm des Landes hat zu deutlichen Verbesserungen geführt. Die Angebote haben sich von 138 auf 917 mehr als versechsfacht. Vor allem Grundschulen wurden in den letzten Jahren neu in das Programm aufgenommen. Es war eine rasante Aufholjagd. Wir haben bundesweit eine führende Rolle beim Ausbau der Ganztagsangebote. 42 % der Schülerinnen und Schüler nehmen Ganztagsangebote wahr. Anfang der 2000er-Jahre waren es knapp 14 %. Wir liegen mit dem aktuellen Wert deutlich über dem bundesdeutschen Schnitt von gerade 32 %. Meine Damen und Herren, das ist die Realität, nicht das Zerrbild, das Sie zeichnen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen haben wir eine hohe Angebotsdichte, weil wir parallel zum Ganztagsprogramm den Ausbau der Betreuungsangebote an Grundschulen durch die Schulträger unterstützen.

Hier ist eine vielfältige Angebotslandschaft entstanden. Doch wir sind noch nicht am Ziel. Und auch in diesem Punkt gibt uns die Aktuelle Stunde Gelegenheit, darzulegen, dass die Regierungskoalition mit einem ambitionierten Vorhaben – es ist eines unserer zentralen Projekte in dieser Legislaturperiode – schon längst unterwegs ist. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen und werden mit dem Pakt für den Nachmittag das Optimum erreichen. Für jedes Grundschulkind soll es die Möglichkeit einer Betreuung von 7:30 Uhr bis 17 Uhr geben. Wir geben diese Betreuungsgarantie, und wir werden sie durch eine Ausweitung der Angebote einlösen, wie wir auch die Unterrichtsabdeckung garantieren, zuverlässig und systematisch. Dies wird in Zusammenarbeit mit den Kommunen geschehen, mit den freien und privaten Trägern. Ob Elterninitiative, Trägerverein oder kommunales Angebot: Das, was gewachsen ist und sich bewährt hat, wird in den Pakt für den Nachmittag eingebunden. Gerade diese Vielfalt ermöglicht individuelle Lösungen, die für Kinder gut sind und die Eltern zufriedenstellen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So, wie wir im Kindergartenbereich Vollversorgung haben, sehr geehrte Frau Wissler, so, wie der Rechtsanspruch auf einen U-3-Platz in Hessen allen Unkenrufen zum Trotz umgesetzt wird, so soll auch für jedes Grundschulkind die Betreuung bedarfsgerecht garantiert sein, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich ist und es mit der Einschulung keinen Bruch gibt. Die Betreuungsgarantie eröffnet den Eltern eine Option. Sie birgt aber keine Verpflichtung. Hierin unterscheiden wir uns deutlich von SPD und LINKEN. Wir lehnen die Einengung auf die Ganztagsschule als Betreuungsform ab. Wir wollen kein Einheitsmodell überstülpen, sondern Pluralität, und wir wollen Wahlfreiheit garantieren. Eltern können sich für die Betreuung entscheiden, müssen es aber nicht. Zwangsbeglückung entspricht nicht unserem Menschenbild.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wir entsprechen damit den Wünschen der Eltern. Alle Umfragen zeigen, dass sie flexible, freiwillige Angebote wollen. Ziel ist nicht die Rundumbetreuung außerhalb des Elternhauses, sondern die Möglichkeit, Betreuung in Anspruch zu nehmen, wenn sie gebraucht wird, die verläss

lich, wohnortnah und im Zeitfenster mit dem Job kompatibel ist.

Summa summarum: Es ist viel getan worden. Es gibt viel Engagement, vielerorts wird der Bedarf gedeckt. Das verdient Anerkennung und kein Lamento, das Sie hier aufführen. Wir tun Grundlegendes, damit es noch besser wird: Mit dem Pakt für den Nachmittag wird das Angebot für die Grundschulkinder zu einem flächendeckenden und dichten Betreuungsnetz vervollkommnet werden. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. – Als Nächster hat Kollege Greilich, FDPFraktion, das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt wohl niemanden in diesem Hause, der die Forderung nach mehr Hort- und Betreuungsplätzen angesichts des stetig wachsenden Bedarfs zurückweisen würde, es sei denn, man würde die Augen vor der Lebenswirklichkeit verschließen und die Bedürfnisse von Familien im Blick auf gesellschaftlichen Wandel, wachsende Mobilität oder veränderte Familienstrukturen ignorieren.

Die Frage nach Betreuungsangeboten darf Eltern aber nicht einfach vor die Entscheidung stellen, ob sie einer Arbeit nachgehen können oder nicht, weil ihre Kinder im Grundschulalter um 11:30 Uhr wieder vor der Tür stehen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf nicht mit dem Eintritt ins Schulalter enden, nachdem wir in den letzten Jahren – Frau Kollegin Müller-Klepper hat dankenswerterweise darauf hingewiesen – große Kraftanstrengungen unternommen haben, um die Betreuung von Kindern im Alter bis zu sechs Jahren sicherzustellen.

Aber die reine Forderung nach mehr Hortplätzen greift zu kurz. Was wichtig ist, ist eine gute und qualitativ hochwertige Betreuung, keine bloße Aufbewahrung von Kindern. Deswegen sehen Sie es mir nach, Frau Kollegin MüllerKlepper: Wir blicken nach wie vor sehr skeptisch auf den angekündigten Pakt für den Nachmittag, der noch immer in seiner Ankündigung verharrt. Auch von Ihnen ist leider nichts Konkretes dazugekommen. Bis auf Ankündigungen hat diese Landesregierung bzw. diese Koalition bisher nichts vorgelegt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Manfred Pentz (CDU): Da sind wir ganz locker! Wir haben noch viereinhalb Jahre!)

Sie haben immer Zeit, Herr Pentz. Nur ist die Zeit irgendwann abgelaufen, und dann wird es Ihre Bilanz sein, mit der wir uns befassen. Was sich dort abzeichnet, sieht nicht besonders gut aus; denn Ihre Praxis spricht gegen Sie.

Der Ausbau der Ganztagsangebote nach einem klaren pädagogischen Konzept, das wäre das Gebot der Stunde. Wir müssen qualitativ hochwertige Rahmenbedingungen schaffen, d. h. zusätzliche Betreuungs- und Bildungsangebote, um eben von der reinen Aufbewahrungsbetreuung wegzukommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen, dass alle Schulformen von dem Ausbau der Ganztagsangebote profitieren können. Aus diesem Grunde haben wir in der letzten Wahlperiode gemeinsam den Ausbau von Ganztagsschulen vorangetrieben: durchschnittlich 115 zusätzliche Stellen pro Jahr. Das lässt sich sehen und gehört mit Sicherheit zu den Aufgaben, die fortgesetzt werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

An der Stelle sagen wir allerdings, dass es nicht reicht, sich die Erfolge der Vergangenheit der schwarz-gelben Koalition ans Revers zu heften, sondern es muss auch in die Zukunft gearbeitet werden, und da bremst diese Koalition, Frau Müller-Klepper.

Wir konnten in der Vergangenheit nicht mehr machen, weil wir mehr Geld gebraucht hätten, wenn man dort mehr als 115 zusätzliche Stellen hätte hineinschieben wollen. Das war nicht leistbar. Die Situation hat sich aber geändert: Jetzt ist es so, dass Ihnen der Wille fehlt, dort mehr zu tun, obwohl es möglich wäre.

(Beifall bei der FDP)

Ich will es zitieren. Bundesbildungsministerin Wanka, Ihre Parteifreundin, hat in einer Pressekonferenz am 27. Mai 2014 wörtlich gesagt:

Mir war wichtig, dass die zusätzlichen Mittel tatsächlich bei den Schülern und Studierenden ankommen. Das ist gelungen und jetzt auch verbindlich von den Ländern zugesagt.

Ja, was denn nun, meine Damen und Herren? Hat Frau Wanka etwas Unzutreffendes mitgeteilt – dann würde es mich interessieren, ob es diese Vereinbarung nicht gab –, oder betreiben Sie Wortbruch, indem Sie diese Gelder komplett in den Hochschulbereich schieben und den Schulen nichts zur Verfügung stellen?