Protocol of the Session on July 16, 2014

Ich will einmal einen Sprung machen und versuchen, dies an einer einzigen Person zu verdeutlichen, nämlich an Franz Marc, dem berühmten deutschen Expressionisten, der voller internationaler Freundschaften war, ein Europäer, wenn man so will, der sich sofort freiwillig zum Krieg gemeldet, den Ersten Weltkrieg aber auch sehr schnell als „europäischen Bürgerkrieg“ benannt hat. Er fiel noch im Jahr 1914.

Klar ist auch: Auch Deutschland trug Verantwortung für diesen Krieg. Immerhin war Deutschland zu dieser Zeit eine der fünf Großmächte, geografisch sensibel in der Mittellage in Europa. Das Gleichgewicht dieser fünf Großmächte war äußerst labil. Funktionierende internationale Organisationen, die etwas hätten kanalisieren oder eindämmen können, gab es nicht.

Das Ende des 19. Jahrhunderts und der Anfang des 20. Jahrhunderts waren zum einen durch einen Zusammenschluss von Teilstaaten zu Nationalstaaten – Italien und Deutschland – und zum anderen durch die Erosion von Großmächten – Österreich und Ungarn, das Osmanische Reich und das Zarenreich – und damit durch die Gründung vieler neuer kleiner Nationalstaaten charakterisiert. Es gab das Rennen um die Kolonien, den Imperialismus, den sogenannten Platz an der Sonne, der in der ganzen Welt gewünscht war.

Parallel dazu gab es einen Wettlauf der Rüstung zu Lande und zur See mit riesigen Kriegsflotten. Alle Versuche, Rüstungsbeschränkungen durch Verhandlungen zu erreichen, sind nicht zuletzt in den eigenen Kabinetten der jeweiligen Länder gescheitert. Damit einhergehend gab es eine Risikobereitschaft in Europa, die bei 10 Millionen Toten und über 20 Millionen Verwundeten geendet hat.

Diese sogenannte Urkatastrophe war der erste industrialisierte Krieg in Europa und in der Welt. Erstmals ist die Luft zum Kriegsschauplatz geworden. Zu den großen und schweren Schiffen traten erstmals U-Boote, und erstmals kam in diesem Krieg auch Giftgas zum Einsatz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt aber nicht, wenn wir von Industrialisierung des Krieges sprachen, dass dieser Krieg den Tod und das Sterben nicht unmittelbar physisch und sinnlich wahrnehmbar geschehen ließ. Bei den Stellungskriegen bei Verdun, an der Somme, bei Langemarck und bei Ypern lagen die kämpfenden Soldaten über Monate neben Hunderttausenden sterbenden und toten Soldaten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Erste Weltkrieg hatte Folgen: eine gescheiterte Demokratie, Nationalismus, Totalitarismus, den Zweiten Weltkrieg. Das heißt nicht, dass nicht auch aus den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs gelernt worden wäre. Ein Beispiel, von dem ich sage, dort ist gelernt worden, wenn auch mit Hürden und Schmerzen, ist der Jugoslawienkonflikt in den Neunziger

jahren. Die Ukrainekrise wird hoffentlich auch ein Zeichen des Lernens werden, auch wenn der Nationalismus dort wieder ein beachtlicher Faktor ist.

Die Erinnerung ist die Aufgabe jeder einzelnen Generation – immer neu zu erkämpfen und neu zu verteidigen. Es gibt heute so gut wie keine Zeitzeugen aus dieser Zeit mehr. Es gibt aber aufgeschriebene persönliche Zeugnisse, es gibt Gedenkstätten, und es gibt Gedenktage.

Ich will Jean-Claude Juncker mit einem Satz zitieren, den er 2008 anlässlich des Volkstrauertags im Deutschen Bundestag gesagt hat:

Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen.

Das leitet mich zur letzten Bemerkung über: Wir brauchen eine Wertschätzung, eine Achtung und eine Stärkung supranationaler Organisationen, die den Frieden erhalten. Wir brauchen Besonnenheit, wir brauchen den Primat der Diplomatie. Wir brauchen den Respekt vor dem Völkerrecht, und wir brauchen Weitblick.

Wir brauchen keine eindimensionale Ideologie, sondern wir brauchen die Einsicht in Komplexität internationaler Verhältnisse, und wir brauchen den vertieften Blick in die Geschichte. Meine Damen und Herren, dann hätten wir gelernt.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Danke schön. – Als Nächster hat Kollege van Ooyen, DIE LINKE, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Wolff, in Ihren Schlussfolgerungen stimme ich Ihnen sicherlich zu. Ich finde es beeindruckend, dass sich der Hessische Landtag mit Krieg und den Konsequenzen der Weltkriege beschäftigt. Allerdings darf nur das Erinnern an die Toten nicht das Ende der notwendigen Konsequenzen sein, wie es der schwarz-grüne Antrag eigentlich vorsieht.

Sie haben Ypern angesprochen. Ich war in Ypern. Ich war in den Kasematten von Verdun und weiß, dass man darüber nicht nur den Spruch fällen darf: Gut, dass wir einmal darüber geredet haben.

Ich will in meinem Beitrag nicht über Kriegstote und über militärische Barbarei jammern, sondern an diejenigen erinnern, die sich entschieden gegen Krieg und Kriegsvorbereitungen gewehrt haben und sich auch heute gegen Aufrüstung, Rüstungsexporte und Militarisierung unserer Gesellschaft zur Wehr setzen.

Damals wurden sie als Utopisten, Friedensheulsusen, Friedenshetzer, Träumer und unmännliche Naivlinge diffamiert, die von einer wirklichen Welt der Lebenskämpfe und Kriege keine Ahnung hätten. Man begegnete ihnen jedoch nicht nur mit Spott, sondern auch mit bösartigen Anfeindungen, weil man sie für politisch gefährlich hielt.

Tatsächlich waren die bürgerlichen Pazifistinnen und Pazifisten am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine bombenden Terroristen, vor denen sich der Staat

fürchten musste. Es waren auch keine revolutionären Kämpfer, die den Militärstaat aushebeln wollten. Vielmehr handelte es sich um bürgerliche Honoratioren, deren Anliegen fraglos hochpolitisch war. Ich will an Alfred Hermann Fried, Ludwig Quidde, Alva Myrdal und natürlich auch an Bertha von Suttner erinnern, die am 21. Juni 1914, also kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, starb.

Allerdings schienen in den Vorkriegsjahren etliche Entwicklungen in Europa im Sinne der Friedenserhaltung zu wirken. Bürgerliche Pazifistinnen und Pazifisten in England, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Schweden – ich will an Alfred Nobel erinnern und gleichzeitig fragen, was aus dem von ihm gestifteten Friedenspreis geworden ist, das finde ich eher abstrus – und Deutschland pflegten auf persönlicher Basis internationale Kontakte. In den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 wurde die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichtshofs beschlossen, der 1913 in Den Haag in den Friedenspalast einzog und seine Arbeit begann – ein Vorläufer der heutigen UN-Konvention.

Die Anhänger des Militarismus begriffen allein schon die Propagierung der Idee des Friedens als einen Generalangriff auf das eigene Weltbild. Sie drohte das Fundament des nationalen Machtstaats, also des Militärs, und der „kriegerischen Kultur“ insgesamt zu erschüttern. Als Beispiele nenne ich auch Rosa Luxemburg und den einzigen Abgeordneten, der gegen die Kriegskredite im Jahr 1914 stimmte, Karl Liebknecht. Sie stehen für ihre antimilitaristische Überzeugung und wurden eingesperrt bzw. später ermordet.

Die Antikriegsidee bestimmte den Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die Kundgebungen von September 1913 bis Juli 1914 waren große Massenveranstaltungen, bei denen die Menschen, übrigens auch die bürgerlichen Friedensanhänger, auf die Durchsetzung einer friedlichen Politik durch die Sozialdemokratie hofften. Dies war dann mit dem 4. August 1914 zur Illusion geworden.

Ich will nicht alle Schritte der pazifistischen und Friedensbewegung nachzeichnen. Aber der gravierende Einschnitt nach Faschismus und Zweitem Weltkrieg war von einer aktiven, auch öffentlich wahrnehmbaren Friedensbewegung geprägt. Deswegen bleiben Ostermärsche und Friedensaktionen, auch aktuell, ein Zeichen für eine radikale Gegenkultur in unserem Land.

Neben den öffentlichen Aktionen gegen Krieg und Militarisierung hat die Friedensbewegung in der Bundesrepublik immerhin ein grundsätzlich pazifistisches Klima geschaffen. Die „Drückeberger“ wurden anerkannte Zivildienstleistende, selbst in der Bundeswehr wuchs die Zahl der Kriegsdienstverweigerer, und nunmehr wächst auch die Zahl der Aussteiger aus der Bundeswehr.

Antikriegsstimmung im Land ist sicherlich ein wichtiges Verdienst der Friedensbewegung. Auch wenn es nur zu einigen Ereignissen gelang, tatsächlich Massen gegen die Kriege zu mobilisieren, ist die massive pazifistische Grundstimmung im Land ein wichtiger Nährboden für die Arbeit der Friedensbewegung.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Sinne sollten wir den Anfängen der Friedensbewegung unseren Respekt zollen. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus – das sollte unsere Leitidee bleiben.

Aber wir registrieren auch, dass die militärische Definition der EU und die neue Selbstbeschreibung der deutschen Nation etwas mit dem dominanter werdenden Westeuropa und besonders Deutschland in der Welt zu tun haben – und so mit der neuen Weltordnungsvorstellung der NATO.

Glaubt man Bundespräsident Gauck und Verteidigungsministerin von der Leyen, dann ruft der südliche Kontinent neuerdings virulente Sicherheitsinteressen Europas auf den Plan. Die offizielle Argumentation schreckt nicht davor zurück, die Boatpeople im Mittelmeer als Problem für Europa zu nennen.

Zugriffsrechte auf Bodenschätze und Landnutzung in Afrika aber sind Kriegsziele. Afrika, das ist nicht die Zone selbstloser Entwicklungshilfe. Deutschland ist insgesamt reichlich unwissend – und, wie ich finde, uninteressiert – bezüglich der ethnisch aufgeladenen bewaffneten Konflikte in den verschiedensten afrikanischen Staaten.

Es ist wichtig für uns, sich mit den Friedensgefährdungen des 21. Jahrhunderts umfassender auseinanderzusetzen. So wichtig es ist, sich gegen den steigenden Waffenexport zu stellen, so wichtig ist es auch, zu sagen, warum es ihn gibt. Die bipolare Welt ist vergangen, neue Militärbündnisse kommen auf. Ehemals pazifistische Staaten, die im pazifischen Raum neue wirtschaftliche Dynamiken erleben, rüsten auf. Die Welt soll neu aufgeteilt werden. Nicht mit gerechten Handelsbeziehungen, sondern vermittels des Rückgriffs auf militärische Stärke sollen nationale Interessen gewahrt werden. Wir müssen sagen, welche Rolle der Zugriff auf und die Ausbeutung von Bodenschätzen und welche Rolle die Expansion in neue Märkte, die Schaffung neuer Absatzmärkte in der strategischen Sicherheitspolitik wirklich spielen.

Diese Erneuerung und Gemeinsamkeit ist eine Reaktion auf die Veränderungen einer multipolar gewordenen Welt, die sich vollzogen hat, weil keine Friedensdividende aus dem Ende des Kalten Krieges gezogen wurde. Natürlich sind Waffenlieferungen in Konfliktgebiete unmoralisch, und wir kennen seit den Kriegen gegen Afghanistan, den Irak, gegen Libyen, Sudan, Mali und Syrien einen gewalttätigen islamistischen Fundamentalismus mit verheerenden Folgen. Natürlich sind nicht alle bewaffneten Konflikte rein ökonomisch zu deuten oder zu lösen. Aber eine große Friedensgefährdung geht von der globalen Gerechtigkeitsfrage aus.

Verweigerte Lebens- und Entwicklungschancen, gestohlene Gemeinwohlorientierung andernorts – davon profitieren wir als Exportnation mit unseren Wachstumsraten. Das Volk wird überrumpelt, die etablierten Parteien, aber auch die bürgerliche Presse vermeiden es, die Demokratiegefährdungen und militaristisch ausgeprägten Dominanzansprüche der EU anzusprechen.

Deutschland sollte aus historischer Erfahrung eine wichtige friedensstiftende Diplomatie entwickeln, statt damit aufzuwarten, als erwachsene Nation kämpfende Soldaten ins Ausland zu schicken. Ziviler Friedensdienstleistender – das wäre eine ethisch und moralisch noble Rolle. Als größte europäische Wirtschaftsmacht sollte Deutschland den Primat der zivilen Konfliktlösung an die UN zurückgeben, anstatt sich im Verbund mit anderen EU-Staaten einer kohärenten zivil-militärischen modernen Kriegsführungsfähigkeit zu befleißigen.

Mein Eindruck und mein Wunsch ist: Nehmt die Vorschläge für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa – sicher

lich auch unter Einbeziehung Russlands – auf. Lasst Rationalität walten. Wir brauchen eine globale Sicherheitsarchitektur für das 21. Jahrhundert, um mit den Verwerfungen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung friedlich fertig werden zu können.

Jetzt herrschen die Große Koalition und ein schärferer Ton. Als erwachsene Nation müsse Deutschland kriegsführungsfähig und zu zivil-militärischen Out-of-Area-Einsätzen bereit sein – sagt Frau von der Leyen.

Wir werden öffentlich über eine zivilisierte Friedenskultur, globale Verantwortung und nicht militärische Sicherheitspolitik sprechen, damit auch in den Parlamenten darum gerungen wird. Rüstungsexporte wollen wir verbieten; denn jede Waffe findet ihren Krieg. Neben den USA sind wir der größte Waffenexporteur der Welt.

DIE LINKE fordert Programme, mit denen die Rüstungsindustrie umgebaut und die Beschäftigung gesichert wird. Wir müssen die atomaren Waffen endlich abschaffen, auch in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege van Ooyen, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Die Kampfdrohnen von heute sind die Chemiewaffen des Ersten Weltkrieges, beides muss geächtet werden.

Als Lehren aus den verheerenden Kriegen brauchen wir eine grundlegend andere Politik. Hessen hat das in der Verfassung formuliert:

Der Krieg ist geächtet.

Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen nicht die Rückkehr des Krieges in die Politik, sondern eine sozial gerechte Politik, an deren Ende dann hoffentlich ein besseres Leben für alle steht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. – Als Nächster spricht Kollege Spies, SPDFraktion.