Protocol of the Session on September 12, 2018

Damit hat sich der Eindruck bestätigt, dass das Gesetz aus dem Jahre 2014 die drängenden Probleme nicht beseitigt und in der Praxis eben keine wahrnehmbaren Auswirkungen hat.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Wir legen Ihnen einen guten Gesetzentwurf vor, der sich an der Wirklichkeit in diesem Lande orientiert und für viele Menschen Verbesserungen bringen könnte. Wir hoffen, dass sich in Sachen faire Vergabe etwas tut in Hessen – für die Menschen in Hessen, für die Menschen anderswo, für gute Arbeit und für ökologisch nachhaltiges Wirtschaften.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die Fraktion der SPD spricht nun Frau Kollegin Barth. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe meine erste Rede im Hessischen Landtag zum Thema Vergabe und Tariftreue gehalten, und so, wie es aussieht, halte ich meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode ebenfalls zu diesem Thema. Das ist kein Zufall; denn das aktuelle Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz ist ein schlechtes Gesetz.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Al-Wazir, inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es ein Zufall ist, dass Sie die für März 2018 im Gesetz angekündigte Evaluierung noch nicht vorgelegt haben. Im Gesetz steht nun einmal „März 2018“, nicht „Oktober 2018“ oder „November 2018“. Wie ich von verschiedenen Stellen erfuhr, wurde erst vor den Sommerferien damit begonnen, langsam Stellungnahmen einzuholen. Nein, das ist kein Zufall. Eher haben Sie wohl damals, als das Gesetz ge

schrieben wurde, einen Fehler gemacht und nicht gemerkt, dass der Zeitpunkt für die Evaluation nur sechs Monate vor einer Landtagswahl liegt. Zu diesem Zeitpunkt zugeben zu müssen, dass das Gesetz gravierende Fehler enthält, wollen Sie nun um jeden Preis vermeiden.

Der gravierendste Fehler ist, dass das Gesetz – außer im Falle von Beschwerden unterlegener Bieter – keine Überprüfung vorsieht, weil eine Prüfbehörde fehlt. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Das beste Gesetz nutzt nichts, wenn es nicht kontrolliert wird.

(Beifall bei der SPD)

Ein Indikator sind z. B. die Durchschnittslöhne im Baugewerbe in Hessen, die nach den Zahlen der SOKA-BAU 2017 mit 15,77 € weit unter dem Ecklohn von derzeit 20,63 € liegen. Immer wieder stoßen wir auf Fälle, gerade auf öffentlichen Baustellen, wo Arbeiter um ihren Lohn betrogen werden. Ende Juni stand ich gemeinsam mit 20 rumänischen Wanderarbeitern vor der Geschäftsstelle der GWH in Frankfurt-Rödelheim, weil die Arbeiter auf einer Baustelle der GWH und der gewobau in Neu-Isenburg um ihren Lohn betrogen wurden. Bei der GWH wusste man gar nichts davon, dass der Auftrag, den man an einen Subunternehmer weitergegeben hatte, nochmals weitergegeben worden war.

Bemerkenswert war übrigens auch, dass mir einer der Geschäftsführer der GWH in Frankfurt ausdrücklich erlaubt hat, dass ich seine Aussage in einem Gespräch in der Betriebskantine, er würde sich eigene Kontrollen durch das Land wünschen, zitieren darf. Es ist bestürzend, dass sich solche Fälle in Hessen immer und immer wieder ereignen – gerade auf Baustellen der öffentlichen Hand, die doch Vorbild sein sollte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Bitte verweisen Sie hier nicht auf den Zoll. Der spielt dabei zwar eine wichtige Rolle, aber andere Bundesländer – das Saarland, Bremen und Nordrhein-Westfalen – haben erkannt, dass der Zoll mit seinen Vor-Ort-Prüfungen allein hier nicht zielführend handeln kann, und haben daher eigene Prüfbehörden eingerichtet.

Gestern las ich in der Zeitung, dass Herr Finanzminister Schäfer 50 neue Steuerprüfer eingestellt hat. „Steuerfahndung rüstet auf“, titelte die „FNP“. Ich zitiere weiter:

Finanzminister Schäfer hält den ganzen Aufwand für notwendig, um mit den immer neuen Maschen der Steuersünder Schritt halten zu können. „Wenn wir stehen bleiben, werden wir zurückfallen“, …

Ich wünschte, Herr Staatsminister Al-Wazir, Sie würden sich diese Einstellung Ihres Kollegen zu eigen machen.

(Beifall bei der SPD)

Doch Sie bleiben stur. Vor allem: Sie bleiben passiv. Die Einrichtung einer Prüfbehörde wäre nach unserer Meinung keine Schikane, im Gegenteil. Ein ehrlicher Unternehmer – oft Mittelständler – hat nichts zu befürchten. Für den ehrlichen Unternehmer würde ein Mehr an Kontrollen einen Schutz vor Schmutz- und Billigkonkurrenz mit ihren Dumpinglöhnen bedeuten, bei denen er nicht mithalten kann, weil er sich gegenüber seinen Mitarbeitern anständig verhält. Das haben mir viele Mittelständler in den letzten Jahren im Gespräch bestätigt.

Leider ist das Thema Prüfbehörde auch in dem neuen Gesetzesänderungsvorschlag der LINKEN nicht ideal gelöst. Die Kontrollen werden nach dem Vorschlag der LINKEN von der Prüfbehörde lediglich angeordnet, sie sind aber dann von den öffentlichen Auftraggebern durchzuführen. Wir brauchen aber eine Behörde, die selbst prüft und nicht nur anordnet; denn Kompetenzwirrwarr ist zum einen nicht hilfreich, zum anderen dürfen wir den Kommunen nicht noch mehr Arbeit aufbürden.

(Beifall bei der SPD)

Einer unserer Punkte wäre zudem ein Mehr an Unterstützung kommunaler Beschaffungsstellen bei Ausschreibungen; denn hier stellt sich das Problem, dass viele dieser Vergabestellen nicht in der Lage sind, das Vergaberecht richtig zu nutzen. Da ist der Vorschlag der LINKEN eher kontraproduktiv.

Die Ausgestaltung der Prüfbehörde ist einer unserer Kritikpunkte an diesem Gesetzentwurf, weshalb wir uns bei der Abstimmung enthalten werden, auch wenn wir vom Grundsatz natürlich absolut in dieselbe Richtung argumentieren.

Auch manches andere ist hier nicht sauber geklärt. So ist ein vergabespezifischer Mindestlohn von 12 € pro Stunde selbst dem DGB zu viel, wie wir in der Anhörung erfahren haben. Ich glaube, dass Sie damit auch das Tarifgefüge durcheinanderbringen würden.

Dritter Punkt. Öffentliche Ausschreibungen bereits ab einem Auftragswert von 500 € durchzuführen – wenn ich das richtig gelesen habe – ist im Übrigen, freundlich ausgedrückt, schwierig.

(Jürgen Lenders (FDP): Das war sehr freundlich!)

Das wollen Sie hoffentlich niemandem zumuten; denn das ist wirklich über das Ziel hinausgeschossen.

Noch einmal zurück zu der Anhörung. Herr Staatsminister Al-Wazir, auch hier müssten Ihnen doch die Ohren geklingelt haben; denn in den meisten Stellungnahmen der Anzuhörenden wurde Ihre noch immer fehlende Evaluierung bemängelt. Über die Gründe Ihrer Nachlässigkeit habe ich bereits zu Beginn meiner Rede gesprochen. Es wäre ehrlicher gewesen, wenn wir vor der Wahl hätten reinen Tisch machen können; denn auch das dürfte für manchen, der im öffentlichen Sektor tätig ist, wahlentscheidend sein.

Wir werden uns also bei diesem Gesetzesvorschlag enthalten, kündigen aber jetzt schon an, dass wir uns nach der Wahl umgehend wieder dieses Themas annehmen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Danke, Frau Kollegin Barth. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Kinkel vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es stimmt, die öffentliche Hand hat eine wichtige Marktmacht, sei es bei der Beschaffung von Ausstattung,

bei Investitionen in Infrastruktur, bei öffentlichen Aufträgen, die die Kommunen oder auch die Eigenbetriebe ausschreiben, oder bei der Vergabe von Dienstleistungen.

Deshalb ist es auch ausdrücklich richtig, dass die öffentliche Hand ihre Marktmacht nutzen muss, damit soziale und ökologische Komponenten bei dieser Beschaffung berücksichtigt werden. Damit kann die öffentliche Hand Vorbild für Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Diese gebündelte Marktmacht kann Anreize z. B. für die Produktion umweltfreundlicher Produkte bieten.

Aus diesen Gründen haben wir 2015 das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz verabschiedet, im dem explizit festgeschrieben wird, dass bei öffentlichen Aufträgen „grundsätzlich die Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung Bezug auf den Beschaffungsgegenstand und dessen Auswirkungen auf das ökologische, soziale und wirtschaftliche Gefüge zu berücksichtigen“ sind. Das steht im § 2 des Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes, und das ist ein kluger Ansatz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne ermöglicht unser Vergabegesetz dem Land und den Kommunen neben der Wirtschaftlichkeit auch die Anwendung sozialer und ökologischer Kriterien. Das Land ermöglicht den Auftraggebern auch – das ist wichtig –, die Einhaltung der Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der Tariftreue, nachzuprüfen. Der Auftraggeber darf unangekündigt Einsicht in die Geschäftsunterlagen nehmen, um genau diese Einhaltung der Tariftreueregelung nachzuprüfen. Das sind ein wichtiger Schritt und ein Instrument, um Verstößen vorzubeugen oder sie aufzudecken.

Heute diskutieren wir über den Entwurf der LINKEN für ein Vergabegesetz, der in der Anhörung – das muss man so deutlich sagen – durchgefallen ist, und zwar bei fast allen Expertinnen und Experten. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass von mehreren Anzuhörenden Kritik an der formalen Ausgestaltung des Gesetzentwurfs geäußert wurde. Die unbestimmten Rechtsbegriffe, wie die fehlende Definition im § 11 – die „marktüblichen standardisierten Leistungen“; was ist das? –, wurden nicht geklärt. Es gab in dem Gesetzentwurf einander zuwiderlaufende Bestimmungen. Die Sanktionsmöglichkeiten in § 13 sind nicht konkretisiert. Es ist nicht klar, wer welche Richtlinien erstellen soll und wer mit „zuständigen Stellen“ gemeint ist.

Grundsätzlich wird von vielen Anzuhörenden die fehlende Vollzugsfähigkeit bemängelt. Das sind die formalen Kritiken, die Sie durchaus, wenn Sie es mit Ihrem Gesetzentwurf ernst gemeint hätten, zwischen der ersten und der zweiten Lesung hätten umsetzen können. Aber die Mühe haben Sie sich offensichtlich nicht gemacht. Deshalb bleibt es ein schlechter Gesetzentwurf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Aber auch inhaltlich wurde der Gesetzentwurf umfangreich kritisiert, unter anderem von dem Städte- und Gemeindebund und von den Landkreisen, in denen Parteien unterschiedlicher Couleur – wahrscheinlich nicht DIE LINKE, aber alle anderen Parteien – vertreten sind. Diese lehnen den Gesetzentwurf ab und sagen, dass sich das jetzt geltende HVTG grundsätzlich bewährt hat.

Was bei der Anhörung auch herauskam, ist, dass das Augenmerk auf den Tariftreue- und auf den Lohn- und Sozial

standards liegen muss. Deshalb befinden wir uns gerade in der Evaluierung des bestehenden Vergabegesetzes. Deshalb werden wir dann auch genau schauen, ob diese Tariftreueregelungen greifen und ob bzw. wie sie weiterentwickelt werden müssen.

Klar ist auch: Der größer werdende Niedriglohnsektor, auch bedingt durch den Rückgang der Tarifbindung, ist ein Problem. Wir haben in dieser Woche schon darüber gesprochen, dass Hessen wirtschaftlich gut dasteht. Meine feste Überzeugung ist, dass auch die Menschen von diesem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren müssen. Genau da ist der Vorschlag der LINKEN eigentlich erstaunlich; denn – im Gegensatz zu den Regelungen in unserem Gesetzentwurf – die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere was die Tariftreue und die Tarifverträge im ÖPNV betrifft, wird sich durch ihren Gesetzentwurf wesentlich verschlechtern.

Des Weiteren schlagen Sie die Einrichtung einer Prüfbehörde vor und beschreiben diese in der Begründung folgendermaßen – ich zitiere –:

Die Prüfbehörde ist … der bei der Zollverwaltung angesiedelten Finanzkontrolle Schwarzarbeit nachgebildet.

Das heißt, wir sollen in Hessen eine zweite Prüfbehörde gründen, die strafrechtlichen Verstößen nachgeht, schlichtweg weil der Bund seine Arbeit nicht richtig macht. Sehr geehrte Damen und Herren, das finde ich schon erstaunlich. Man muss ganz deutlich sagen: Wenn rechtswidrige Zustände auf Baustellen herrschen, wenn kein Lohn gezahlt wird, wenn Beschäftigte unter dem Mindestlohn arbeiten müssen, ist es Aufgabe des Zolls, dort zu prüfen und dort gegen die Verstöße vorzugehen, auch mit rechtlichen Konsequenzen gegenüber den Arbeitgebern.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Hessen fordert mehr Mindestlohnkontrollen, damit der Mindestlohn eben nicht nur festgesetzt, sondern auch durchgesetzt wird. Frau Kollegin Barth, wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es, dass Sie sich mit der gleichen Vehemenz gegenüber Ihrem SPD-Bundesfinanzminister dafür einsetzen, dass diese Kontrollen und die zuständigen Stellen bei den Zollbehörden aufgestockt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Eine Kleine Anfrage der GRÜNEN im Bundestag hat gezeigt: Im Jahr 2015 wurden bei 10 % der Kontrollen im Baugewerbe deutschlandweit Verstöße aufgedeckt. Damit weisen das Baugewerbe und das Baunebengewerbe die meisten Verstöße gegen das Mindestlohngesetz, gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und gegen die Lohnuntergrenze in der Leiharbeitsbranche auf. Alleine diese Zahlen müssen doch dazu führen, dass der Zoll, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, endlich ordentlich ausgestattet wird, damit die Menschen ihre Arbeit machen können.