Protocol of the Session on April 25, 2018

Der hier viel gelobte hessische Modellversuch, der den erleichterten Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ermöglicht, kann mit 235 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in ganz Hessen natürlich nur ein Anfang sein. Aber es ist ein Anfang, und das erkennen wir an. Die Analyse in Ih

rem Antrag teilen wir aber nicht. Sie stellen es so dar, als sei es der „schlechte Ruf“, der die Berufsausbildung im Vergleich zu einem Studium für viele junge Menschen unattraktiv macht. Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag:

Der Landtag betont, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig sind.

Meine Damen und Herren, das sind sie in der Praxis aber nicht, wenn man sich die Gehälter und die Aufstiegschancen anschaut. Das kann man bedauern; das wird sich aber nicht dadurch ändern, dass Sie heute mit Mehrheit beschließen, „dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig sind“.

(Beifall bei der LINKEN)

Wäre dem nämlich so, würden beispielsweise Erzieherinnen und Erzieher nicht viel weniger verdienen als Lehrerinnen und Lehrer. Aber davon können die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen nur träumen. Das ist an die Adresse von CDU und GRÜNEN sowie an die Adresse der Landesregierung gerichtet; das wäre ein ganz konkreter Schritt, um tatsächlich etwas zu tun in Sachen Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Setzen Sie sich doch dafür ein, dass Menschen in sozialen Berufen und in Pflegeberufen endlich angemessen bezahlt werden. Das wäre ein konkreter Schritt zur Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Nennen Sie doch einmal einen Berufsstand, der nicht mehr verdienen soll!)

Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gebe einen empfundenen „höheren Stellenwert“ des Hochschulabschlusses gegenüber der Berufsausbildung, und beklagen dies. Sie können doch nicht die Augen vor der Realität verschließen: Dieser höhere Stellenwert des Hochschulabschlusses wird nicht empfunden, sondern ist real vorhanden. Dieser zeigt sich in der Bezahlung und in den Perspektiven.

Übrigens – auch das will ich anmerken – kommen die meisten Teilnehmer Ihres Modellversuchs aus sozialen Berufen und aus Pflegeberufen, wo das Einkommen mit Berufsausbildung besonders schlecht und Aufstiegschancen kaum vorhanden sind. Eine Gehaltsstudie aus dem letzten Jahr besagt, dass ein Akademiker im Schnitt mit nur 31 Lebensjahren einen gleich alten Menschen mit Berufsausbildung beim bis dahin erzielten Lebenseinkommen überholt hat. Bis zur Rente wird dieser „Durchschnittsakademiker“ rund ein Drittel mehr Geld verdient haben als jemand, der eine Berufsausbildung absolviert hat. Obwohl die Gefahr von Altersarmut auch für höher Qualifizierte steigt und ein Studium und eine hohe Qualifikation heute natürlich kein Garant mehr dafür sind, dass man einen Arbeitsplatz hat, schon gar nicht einen unbefristeten, ist diese Gefahr für Menschen, die einen Hochschulabschluss, eine akademische Bildung, haben, noch immer deutlich geringer.

Daher könnten wir als Landtag noch so oft beschließen, dass die berufliche und akademische Bildung doch vollkommen „gleichwertig“ seien. Sie sind es leider nicht, weder beim Gehalt noch bei den Aufstiegschancen. Sie brauchen sich doch nur die Gehaltsspreizungen zwischen Akademikern und beruflich Qualifizierten anzuschauen. Darin liegt natürlich ein Grund, dass immer mehr Menschen studieren wollen.

Natürlich muss nicht ein jeder Abitur machen und studieren, aber dieser Anreiz ist da. Dass Menschen für sich best

mögliche Zukunftsperspektiven haben wollen und sie diese eher darin sehen, dass sie ein Studium absolvieren, weil die Gehaltsaussichten danach besser sind, ist doch logisch. Deswegen helfen uns keine Anträge weiter, die besagen, es sei alles „gleichwertig“, und letztlich die Wirklichkeit negieren, sondern man muss sich dafür einsetzen, dass die Krankenschwester eben nicht so viel weniger verdient als der Arzt – die eine hat eine Ausbildung, der andere hat ein Studium. Gegen diese Gehaltsunterschiede muss man ganz konkret vorgehen. Das müsste man dann auch praktisch umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Und darauf warten wir noch!)

Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung hat vor allem eine erhebliche soziale Komponente; denn in unserem Schulsystem wirkt sich die soziale Herkunft nach wie vor erheblich aus. Um das zu ändern, muss man eigentlich viel früher ansetzen – Frau Kollegin Habermann hat dies angesprochen –: längeres gemeinsames Lernen, statt Kinder bereits nach der 4. Klasse auf unterschiedliche Schulformen aufzuteilen und in so jungem Alter derart weitreichende Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen, die später oft schwer zu verändern sind.

„Akademikerkinder dominieren mehr denn je die Universitäten“, titelte die Zeitung „Die Welt“ im letzten Sommer in Bezug auf die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks und kommt zum Schluss: „Der Mittelstand gerät auch an den Hochschulen in Bedrängnis.“ Die Studierenden, bei denen beide Eltern eine Berufsausbildung, aber keinen Studienabschluss absolviert haben, werden anteilig immer weniger. Woran das liegt, kann man aus der Sozialerhebung auch klar erkennen: Für 86 % der Befragten sind die Eltern die Haupteinnahmequelle. Während eine kleine Minderheit wohlhabender Studierender vielleicht mehr Geld zur Verfügung hat, stagniert das Budget der allermeisten Studierenden bei 700 bis 800 € – bei gerade in den Hochschulstädten rasant steigenden Lebenshaltungskosten und Mieten. Daher wäre jetzt das BAföG gefragt. Das BAföG ist eine große bildungspolitische Errungenschaft der sozialliberalen Koalition der Siebzigerjahre; doch dieses Instrument wird seiner Aufgabe, soziale Härten abzufedern, leider immer weniger gerecht.

(Michael Boddenberg (CDU): Also das BAföG verdoppeln? Wie viele Milliarden haben Sie schon ausgegeben? – Gegenruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie wollen also gar nichts ausgeben!)

Herr Boddenberg, ich sage Ihnen einmal: 250 € sieht der BAföG-Satz beispielsweise fürs Wohnen vor. Wir beide kommen aus Frankfurt. Ich wage einmal zu sagen: Für 250 € bekommt man in Frankfurt mit viel Glück einen Tiefgaragenplatz.

Auch hier wird doch wieder deutlich: Wer Eltern mit einem starken finanziellen Background hat, der hat eine ganz andere Möglichkeit.

(Michael Boddenberg (CDU): Wollen Sie die Eltern enteignen, oder was? – Holger Bellino (CDU): Im Sozialismus gibt es keine Tiefgaragen!)

Aber es gibt eben auch Menschen, die nach der Schule eher in den Beruf gehen, eher Geld verdienen, weil ein Studium natürlich eine enorme finanzielle Belastung ist.

Auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Deutschen Bundestag zur Höhe des BAföG-Höchstsatzes antwortet die

Bundesregierung, dass „mögliche finanzielle Beschränkungen bei der Lebensführung … für Studierende angesichts der durch den Studienabschluss erheblich verbesserten beruflichen Chancen und Einkommensperspektiven hinnehmbar“ seien. Also, auch die Bundesregierung sagt: Wer studiert, hat bessere Gehaltsaussichten. – Aber eigentlich weiß das auch jeder außer Schwarz-Grün, die etwas anderes in den Antrag geschrieben haben.

Ich will noch einmal sagen: Der pauschalierte Höchstsatz beim BAföG liegt bei 735 €. 69 % der Studierenden gehen neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nach. Das ist der höchste Wert, der jemals gemessen wurde.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist ja unglaublich!)

Durchschnittlich sind es zwei Tage die Woche, die Studierende arbeiten gehen. Die fehlen natürlich beim Studium und verlängern die Studienzeiten. Das fällt Studierenden besonders schwer, wenn sie zuvor bereits eine Berufsausbildung gemacht haben. Wenn sie schon Geld verdient haben, wenn sie vielleicht mitten im Leben stehen, wenn sie schon Kinder haben, dann ist es erst einmal ein schwieriger Schritt, zu sagen: „Ich gehe jetzt noch an die Hochschule und mache ein Studium“, wenn man BAföG-Sätze hat, von denen man faktisch nicht leben kann. Deswegen wäre es so wichtig, dass wir das BAföG ausbauen. Statt solcher sinnlosen Programme wie das Deutschland-Stipendium, das wieder die soziale Auslese verschärft, brauchen wir einen Ausbau des BAföG. Das ist gerade für die beruflich Qualifizierten ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern ist es gut, dass 235 junge Menschen im Modellversuch sind. An dieser Stelle und zum Abschluss möchte ich noch einmal ausdrücklichen Dank an die Hochschulen sagen, die sich um bestmögliche Unterstützung ihrer Studierenden bemühen, und das trotz einer chronischen Unterfinanzierung, die diese Landesregierung leider zu verantworten hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat der Wissenschaftsminister, Staatsminister Boris Rhein. Bitte sehr.

(Holger Bellino (CDU): Jetzt kommt wieder Sachkunde in den Plenarsaal!)

Herr Präsident, meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf mich für die großzügige Worterteilung herzlich bei Ihnen bedanken. Frau Wissler, ich hatte jetzt fast gehofft, dass Sie ganz zum Ende Ihrer Rede der Landesregierung danken, dass sie diesen Modellversuch möglich gemacht hat.

(Holger Bellino (CDU): Das hat sie vergessen!)

Aber Sie haben den Hochschulen gedankt, und ich finde es auch sehr wichtig, das zu tun. Dem Dank will ich mich anschließen; denn, das will ich sehr deutlich sagen, die Hochschulen haben diesen Modellversuch am Anfang natürlich nicht bejubelt. Aber wir haben mit ihnen daran gearbeitet,

wir haben erörtert, wie man ihn umsetzen kann. Am Ende sind sie diejenigen, die ihn umsetzen, und das machen sie ganz großartig. Ich bin ausdrücklich auch dafür dankbar, wie sie das tun.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das muss ins Protokoll, Frau Wissler hat geklatscht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn Sie etwas Richtiges sagen, klatsche ich auch! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Vielen Dank.

Das muss aber natürlich auch vor dem Hintergrund dessen gesehen werden, dass der Wissenschaftsrat sich zu der Sache eingelassen hat. Im Jahr 2014 hat er Empfehlungen zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung ausgesprochen, ausgerechnet hier in Hessen; das war in seiner Sitzung in Darmstadt. In diesen Empfehlungen heißt es – ich will das jetzt zitieren –, dass „im Rahmen einer Berufsausbildung Studierfähigkeit erworben werden kann“, dass es keine Veranlassung gibt, „zusätzlich zum Ausbildungsabschluss eine mehrjährige Berufserfahrung zu verlangen“, und dass er den Ländern empfiehlt, „die Regelungen für den Hochschulzugang von Studieninteressierten ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung weiterzuentwickeln“.

Ein Jahr später hat Hessen exakt das umgesetzt, und seitdem können junge Menschen in Hessen mit einer abgeschlossenen Berufsschulausbildung, ohne dass sie Berufserfahrung haben und ohne dass sie ein Abitur haben, ein Studium aufnehmen, wenn sie ihre berufliche Ausbildung mindestens mit der Note 2,5 abgeschlossen haben.

Der Hochschulzugang ist, wie gesagt, prüfungsfrei, was ihn von der alten Situation unterscheidet, und er gilt für alle gestuften Studiengänge. Hessen ist mit diesem Weg, den wir zunächst als Modellversuch angelegt haben – ich sage auch gleich, warum –, Vorreiter in Deutschland. Das macht uns schon sehr glücklich und auch stolz. Er hat eine Durchlässigkeit von Bildungsabschlüssen und Bildungswegen zwischen akademischer und beruflicher Bildung geschaffen, wie es sie sonst nirgendwo in Deutschland gibt. Insoweit hat das Thema natürlich hohe Aktualität.

(Beifall des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben uns entschlossen, es zunächst einmal in einem Modellversuch zu machen. Das hat zwei einfache Gründe. Der eine Grund ist: Was wir hier machen, ist eine Abweichung von den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz. Zum Zweiten ist das ein so weitgehender Weg, dass es richtig ist, dass wir sagen, wir wollen das auf seinen Erfolg und auf seine Richtigkeit evaluieren lassen. Ich bin sehr dankbar – das ist das zweite Mal –, dass das wieder eine Hochschule macht, die Justus-Liebig-Universität unter Prof. Hense, den wir ausgewählt haben, der das mit hoher Kompetenz machen wird.

Die ersten Ergebnisse und Rückmeldungen der Hochschulen über die Studierfähigkeit der beruflich Qualifizierten – ich habe eben etwas zur Rolle der Hochschulen gesagt – sind vielversprechend. Das mag damit zu tun haben, dass wir es bei der Note 2,5 in der Regel mit den besten 50 % zu tun haben, die dann kommen. Aber sie sind so

vielversprechend – ich muss es vorsichtig sagen; man macht eine Evaluierung nicht, um das Ergebnis vorwegzunehmen –, dass ich, Stand heute, sehr deutlich sagen würde, dass wir nach Ende des Sommersemesters 2021 – das ist der Endzeitpunkt der Evaluierung; der Modellversuch an sich ist unbegrenzt, wir haben da keine zeitliche Begrenzung oder Begrenzung in der Sache vorgenommen – von einer Verstetigung und möglicherweise auch von einer Erweiterung ausgehen können.

Wenn ich „Erweiterung“ sage, dann meine ich damit, dass im Augenblick durchaus auch private Hochschulen Interesse äußern, diesen Weg mitzugehen. Das muss man sich aber erst einmal genau anschauen. Deswegen haben wir entschieden, es machen zunächst einmal nur die staatlichen Hochschulen.

Meine Damen und Herren, im Wintersemester 2016/17 hatten wir rund 85 Einschreibungen, im Wintersemester 2017/18 haben sich die Einschreibungen auf 150 verdoppelt, davon 35 an den Universitäten und 115 an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Und, das macht einen Frankfurter besonders glücklich: Spitzenreiter ist mit 33 Immatrikulationen die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Frankfurt, gefolgt von der THM mit 30 und der Fachhochschule Fulda mit 21.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das hat LOEWE wachsen lassen!)

Frau Wissler, das gibt mir doch eine wunderbare Gelegenheit. Das wollte ich gestern nicht mehr sagen, sonst hätte ich möglicherweise eine zweite Runde verursacht. Sie haben bei der Debatte über LOEWE gestern erzählt: Die haben zu wenig, die haben noch mehr, und die haben noch weniger. – Liebe Frau Wissler, das Geheimnis des Erfolgs von LOEWE ist, das es wettbewerblich orientiert ist, dass nicht der Staat hingeht und das Geld ausschüttet, sondern dass man sich bewirbt, dass ein Expertengremium auswählt und dass auf dieser Basis am Ende eine Entscheidung getroffen wird.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Janine Wissler (DIE LINKE): Wettbewerb!)

Wir machen genau das nicht, was Sozialisten und Linke gerne machen, nämlich hingehen und glauben, zu entscheiden, was richtig ist. Nein, das haben wir anders gemacht, und deswegen funktioniert LOEWE so gut.