Protocol of the Session on April 25, 2018

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Staatsminister Wintermeyer.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch aus Sicht der Landesregierung haben die in der öffentlichen Anhörung vorgetragenen Standpunkte, die überwiegend bereits Gegenstand der Beratungen der Enquetekommission waren, keine zwingende Notwendigkeit ergeben, die gemeinsamen Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP zu ergänzen oder zu verändern. Insofern kann ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, auf meine Anmerkungen zu den zentralen Reformanliegen dieser Gesetzentwürfe zu verweisen, die ich am 15. Dezember 2017 im Rahmen der ersten Lesung im Plenum gemacht habe.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Einige Anmerkungen zum Verfahren: Nach abschließender Beschlussfassung in dritter Lesung durch dieses Haus wird die Landesregierung den Abstimmungstag für alle Gesetzentwürfe, über die wir heute in zweiter Lesung abstimmen, durch Rechtsverordnung offiziell festlegen. Darüber hinaus wird die Landesregierung den Abstimmungstag, den Wortlaut der vom Landtag beschlossenen Gesetze sowie den von ihr festgelegten Wortlaut des Stimmzettels unverzüglich durch die Veröffentlichung im „Staatsanzeiger für das Land Hessen“ bekannt geben – leider nicht in digitaler Form, Herr Wilken; denn das ist, obwohl wir in einer zunehmend digitalisierten Welt leben, aufgrund unserer Verfassung leider bis heute nicht zulässig.

Eine sinnvolle Teilnahme an der Volksabstimmung setzt eine hinreichende Unterrichtung der Stimmberechtigten über die jeweiligen Abstimmungsgegenstände voraus. Das Volksabstimmungsgesetz sieht deshalb vor, dass die Gemeinden den Stimmberechtigten zusammen mit der Wahlbenachrichtigung eine Unterrichtung über den Gegenstand der Volksabstimmung zusenden. Sie enthält den Wortlaut der vom Landtag beschlossenen Gesetze, eine Gegenüberstellung der betroffenen Bestimmungen vor und nach der Verfassungsänderung, eine Wiedergabe des Ergebnisses der Schlussabstimmung im Landtag, einen Musterstimmzettel und, sofern der Landtag eine Erläuterung des Gesetzes beschlossen hat, auch diese. Diese Erläuterung sollte, wie die Begründung der verfassungsändernden Gesetze, kurz, sachlich und dabei anschaulich und allgemein verständlich formuliert sein.

Der einheitliche Stimmzettel wird so gestaltet sein, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, entweder über alle vom Landtag beschlossenen Gesetze einheitlich abzustimmen oder über jedes Gesetz einzeln. Damit wird dem Gesichtspunkt eines möglich einfachen Abstimmungsverfahrens ebenso Rechnung getragen wie dem Bedürfnis, differenziert über die Verfassungsänderungen abstimmen zu können.

Die Landesregierung ist zuversichtlich, dass der aktuelle Verfassungsreformprozess erfolgreich abgeschlossen werden kann. Voraussetzung hierfür bleibt aber, dass die die Verfassungsänderungen tragenden politischen Kräfte, aber auch die am Verfassungsreformprozess beteiligten Institutionen und Verbände der Zivilgesellschaft nicht darin nachlassen, aktiv für eine breite Zustimmung der hessischen Bürgerinnen und Bürger zu werben. Sie wissen, eine möglichst hohe Beteiligung des Volkes legitimiert die geänderte Verfassung in besonderem Maße. Wir, die Hessi

sche Landesregierung, wollen daran mitwirken. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die dritte Lesung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Wintermeyer – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Nach § 12 Abs. 2 GOHLT werden verfassungsändernde Gesetze in drei Lesungen beraten. Die Tagesordnungspunkte 6 bis 24 sowie die dazugehörigen Änderungsanträge werden daher zur Vorbereitung der dritten Lesung an den Hauptausschuss zurücküberwiesen. – So machen wir das.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Hessischen Kinderund Jugendhilfegesetzbuches (HKJGB) – Drucks. 19/6283 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 68:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Fachkräftegewinnung für Kindertagesstätten hat höchste Priorität – Drucks. 19/6288 –

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs hat nun Kollege Rock von der FDP-Fraktion das Wort. Die vereinbarte Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten je Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben bereits gestern sehr intensiv über das Thema frühkindliche Bildung diskutiert. Wir haben über zwei Gesetzentwürfe gesprochen: über einen Gesetzentwurf von SchwarzGrün und über einen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion.

In unserem Gesetzentwurf finden Sie einiges von dem wieder, worüber wir bereits im Zusammenhang mit anderen Gesetzentwürfen diskutiert haben. Ich möchte trotzdem noch einmal darstellen, warum wir das Thema frühkindliche Bildung für ein so wichtiges politisches Feld halten. Kinder haben die höchste Aufnahmefähigkeit im Alter von null bis sechs Jahren. Die Bereitschaft, Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, ist im Vergleich zu späteren Lebensphasen überwältigend groß. Die Fähigkeit, Sprachen zu erlernen, und der Antrieb, der Kinder neugierig macht und ihnen Möglichkeiten eröffnet, sind in dieser Zeit am stärksten ausgeprägt. Darum glaube ich, dass es unsere Kinder verdient haben, in dieser Zeit, in der sie in Einrichtungen der Kommunen oder der freien Träger untergebracht sind, entsprechend gefördert zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Sie müssen sich das einmal vorstellen: 93 % der Kinder in Hessen besuchen Kitas. Über 60 % der Kinder, die eine solche Einrichtung besuchen, befinden sich dort mehr als sieben Stunden pro Tag – wie ein Arbeitstag. Über die Hälfte der Kinder, die mehr als sieben Stunden pro Tag in diesen Einrichtungen sind, verbringen sogar mehr als neun Stunden dort.

Damit haben sich die Herausforderungen, vor die sich diese Einrichtungen gestellt sehen, verändert. Ich habe mehr als 50 Kitas in unserem Land besucht. Man sieht, sie sind unterschiedlich aufgestellt. Sie stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Darum ist es auch nicht möglich, ein Gesetz zu formulieren, das allen Kitas in gleicher Weise Vorschriften für ihr Handeln machen kann. Aber wir können Mindeststandards definieren. Wir können Ressourcen zur Verfügung stellen, um die Chancen unserer Kinder zu verbessern.

Es gibt fünf Kriterien für Qualität:

Das eine ist die Fachkraft-Kind-Relation. Das hört sich technisch an. Es geht darum, wie groß die Gruppe ist und wie viele Erzieher in einer Gruppe sind, wie viel Zeit eine Erzieherin oder ein Erzieher hat, sich mit einem Kind zu beschäftigen. Es geht darum, welche Möglichkeit ein Erzieher oder eine Erzieherin hat, eine Beziehung zu einem Kind aufzubauen, sich um dessen Stärken und Schwächen zu kümmern und Anreize zu setzen. Der zentrale Bestandteil von Qualität ist, wie viel Zeit eine Erzieherin oder ein Erzieher hat, sich um ein Kind zu kümmern.

Das Nächste ist die Frage des pädagogischen Konzepts. Es geht darum, wie Konzepte für die spezielle Einrichtung erarbeitet werden können. Dazu benötigt man Zeit. Dazu muss eine Leitung freigestellt werden. Man braucht Vorbereitungszeit.

Das Nächste ist die Frage der Aktivitäten. Gibt es Förderung im Bewegungsbereich, gibt es musische Förderung? Finden Ausflüge statt, gibt es regelmäßigen Besuch in der Natur, im Wald? Welche Aktivitäten reizen die Kinder an, um Erfahrungen zu sammeln? Und natürlich: Mit welchen Materialien arbeiten sie, haben sie Bücher, haben sie Möglichkeiten, MINT-Themen zu fördern? Welche Materialien stehen zur Verfügung? – Diese Qualitätskriterien werden gemessen.

(Beifall bei der FDP)

Genau mit den Themen beschäftigt sich unser Gesetzentwurf. Genau diese Bereiche arbeitet er auf und will er stärken. Genau in die Themen wollen wir investieren. Wir wollen bis Ende 2024 über 700 Millionen € investieren. Wir wollen 7.000 Erzieherinnen und Erzieher mehr in die Einrichtungen bekommen. Das ist eine Riesenherausforderung, sie ist aber dem Thema angemessen. Es geht um nicht mehr oder weniger als um die Zukunft unserer Kinder und damit um die Zukunft von uns allen.

(Beifall bei der FDP)

Man könnte noch viel mehr tun. Wenn man Geld hätte, dann könnte man noch viel mehr tun. Man könnte jede Kita zu einem Familienzentrum weiterentwickeln, man könnte bauliche Mindestvorschriften erlassen. Sie müssen sich vorstellen, es gibt viele Kitas, die einmal als Halbtags-Kita geplant worden sind, dann wurden Räume weggenommen, dann wurden weitere Gruppen in diese Kitas integriert. Das würde man bei Schulen heutzutage gar nicht zulassen. Es gibt unheimlich viel Bedarf, den wir noch sehen.

Es wäre schön, wenn in Kitas frisch gekocht würde. Die Kitas und die Grundschulen sind die einzigen Orte, in denen die Gesellschaft noch zusammen ist. Dort haben sie die Kommune noch zusammen. Dort interagieren sie noch undifferenziert nach Leistungsfähigkeit. Dort haben sie ihre Kommune noch zusammen. Da könnte noch sehr viel

mehr passieren, da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Wir haben uns erst einmal mit den Kernthemen beschäftigt und wollen dort unsere Ressourcen einsetzen. Ich akzeptiere, dass die Koalition und die SPD darüber hinaus noch andere Dinge im Blick haben. Die SPD hat sehr stark die Finanzierung der Kommunen und deren finanzielle Belastbarkeit im Blick. Ich sage: Ich nehme nur die Qualität in den Blick und wünsche mir, dass die Kommune diesen Weg mitgeht. Sie sollte auch die Qualität im Blick haben. Der Investitionsbedarf ist so groß, dass wir alle gemeinsam in unsere Ressourcen investieren müssen und nicht die Diskussion führen sollten, wer bezahlt. Wir alle müssen in dieses Zukunftsthema investieren.

(Beifall bei der FDP)

Das Geld ist das eine Thema, über das man immer streiten kann. Das andere Thema ist die Frage, woher die guten Erzieherinnen und Erzieher kommen sollen, die diese Arbeit leisten sollen. Da müssen wir uns mehr anstrengen. Wir müssen uns überlegen, was wir noch tun können, um das voranzutreiben.

Die Familienministerkonferenz hat im Mai 2017 dazu schon Beschlüsse gefasst. Man kann sich anschauen, was davon umgesetzt ist und was wirkt. Wir fordern einen runden Tisch für das Thema. Wir fordern, dass man sich genau Gedanken darüber macht, was man tun kann. Aus unserer Sicht gibt es ein wichtiges Thema, nämlich in der Ausbildung schon eine Vergütung zu zahlen, um den Zugang zu diesem Beruf zu erweitern. Fünf Jahre lang eine Ausbildung ohne Bezahlung zu machen, das kann sich nicht jeder leisten. Eine Vergütung im Wettbewerb um gute Kräfte ist aus unserer Sicht zwingend notwendig. Da müssen wir Lösungen finden.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben eine große Anzahl von Menschen, die die Ausbildung abgeschlossen haben, aber nicht in dem Beruf arbeiten. Wir müssen also überlegen, wie diese Personen früh mit der Praxis in Bezug gebracht werden. Wir müssen überlegen, wie wir Personen, die dort gearbeitet haben und in die Familienpause gegangen sind, dazu gewinnen können, dass sie wieder zurückkommen. Das sind immer noch zu wenige, die das tun.

Ein Teil der Anerkennung ist die Frage, welche Arbeitsbedingungen Erzieherinnen und Erzieher haben. Das ist ein Kernansatz im Gesetz. Wenn die Qualität besser ist, können die Erzieherinnen und Erzieher das machen, was sie gerne tun, nämlich mehr Zeit mit den Kindern verbringen. Dann ist der Beruf auch attraktiver. Das ist auch ein Teil des Pakets, wie wir mehr Menschen dafür gewinnen können, dort mitzuarbeiten.

Jetzt ist meine Redezeit leider zu Ende. Ich kann Sie alle nur bitten: Nehmen Sie dieses Thema in den Fokus. Es ist das Zukunftsthema in unserem Land. Wir haben Vorschläge unterbreitet, die wir für gut halten. Wir hoffen, dass Sie nach der Anhörung diesem Gesetzentwurf zustimmen können.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock.

Bevor ich Herrn Kollegen Merz das Wort erteile, möchte ich auf der Besuchertribüne ganz herzlich Herrn Wolfgang Lohmann begrüßen. Er ist Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder. Seien Sie herzlich willkommen im Hessischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Nun hat Herr Kollege Merz von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass zwischen den Fraktionen dieses Hauses, zwischen den einen mehr und den anderen weniger, das Thema der Verbesserung der Qualität in unseren Kinderbetreuungseinrichtungen zum Gegenstand eines edlen Wettbewerbs geworden ist.

Wir haben dies zu einem der Schwerpunkte unseres Gesetzentwurfs gemacht. Darauf hat Kollege Rock eben hingewiesen. Lieber René Rock, der andere, oder einer der anderen Schwerpunkte, der in unserem Gesetzentwurf eine Rolle spielt, hat nun exakt etwas damit zu tun. Die Frage der Finanzausstattung der Kommunen ist die Conditio sine qua non für eine Verbesserung des Personaleinsatzes, was wiederum eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Verbesserung der pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen ist.

Ohne eine solide Finanzierung – darauf weise ich seit Jahren hin – im Bereich der Betriebskosten wird es keine Verbesserung, weder bei der Quantität noch bei der Qualität, der frühkindlichen Bildung in Hessen geben.

(Beifall der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Das sind nicht zwei verschiedene Dinge, sondern Dinge, die untrennbar zusammengehören. Deswegen sind sie in unserem Gesetzentwurf auch gleich prominent ausgebildet.

Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie in Ihrem Beitrag die verschiedenen Dimensionen von Qualität angerissen haben. Dazu gehören die Beziehungsarbeit, die Förderung der Sprachkenntnisse, die musisch-kreative Bildung und vieles andere mehr. Dazu gehört auch die unterschiedliche pädagogische Ausprägung von Montessori bis Waldkindergarten und wieder zurück. Da gibt es sehr vieles, was uns lieb und teuer sein sollte. Wir sollten diese Vielfalt auch erhalten, das ist ohne jede Frage richtig.

Ich will das Thema deswegen ansprechen, weil der Minister gestern von dem Dualismus von Prozessqualität und Strukturqualität gesprochen hat. Herr Minister, ich habe gelesen, was Frau Becker-Stoll geschrieben hat. Sie werden auch gehört haben, was Frau Bock-Famulla dazu gesagt hat. Sie hat in der Anhörung auch sehr viel über Prozessqualität gesprochen. Wenn ich Ihnen das noch einmal vor die Haustür legen darf: Beide haben betont, wie es auch gar nicht anders sein kann, dass das, was wir als Strukturqualität beschreiben, was im Wesentlichen auch die Frage des Personaleinsatzes ist, die Voraussetzung für Prozessqualität ist. Ohne vernünftige Personalausstattung kann ich Beziehungsarbeit, beispielsweise bei den unter Dreijährigen, nicht so machen, wie es gewünscht und notwendig wäre. Insofern war das der Versuch eines Ablenkungsmanövers, Herr Minister. Ich bin dankbar, dass ich jetzt die Gelegenheit habe, noch einmal darauf zu antworten.