Protocol of the Session on December 12, 2017

Manchmal frage ich mich schon, warum Herr Minister AlWazir unbedingt Wirtschaftsminister werden wollte. Entweder will er nichts ändern, oder er kann es nicht. Ich frage mich: Für was wollte er dieses Amt, wenn er an wichtigen Stellen überhaupt keine Veränderungen bewirkt hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Denn auch bei der Energiewende sieht es schlecht aus. Laut aktueller Bundesländervergleichsstudie belegt Hessen nur noch Platz 14 und hat sich damit um zwei Plätze verschlechtert. Hinter Hessen sind nur noch Berlin – bekanntlich ein Stadtstaat – und das Saarland. Ich finde: Dazu hätte es keine zwei grünen Minister im Energie- und Umweltministerium gebraucht, sondern das hätte die FDP auch ganz allein geschafft.

Wir brauchen ein groß angelegtes Investitionsprogramm, auch damit die Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen dem Ballungsraum Rhein-Main und den ländlichen Regionen nicht immer weiter wächst. Der ländliche Raum braucht eine vernünftige Verkehrsanbindung, einen Breitbandausbau, öffentliche Infrastrukturen und den Erhalt kleiner Schulen.

Was er nicht braucht, Herr Ministerpräsident, ist die Offensive „Land hat Zukunft – Heimat Hessen“, die neueste Selbstvermarktungs- und PR-Kampagne der Landesregierung, die der Ministerpräsident und sein Stellvertreter gerade vorgestellt haben. Sie haben ohnehin längst laufende Projekte angesprochen und zusammengerechnet, dass für das Programm in den nächsten zwei Jahren 1,8 Milliarden € zur Verfügung stünden, wovon ein Großteil, nämlich 1,3 Milliarden €, aus dem Kommunalen Finanzausgleich stammt. Das heißt, die Kommunen zahlen auch noch für die Selbstdarstellung der Landesregierung. Das ist wirklich dreist.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist doch immer so!)

Zuerst hat der Finanzminister dafür gesorgt, dass die Kommunen unterfinanziert sind, damit er den Landeshaushalt entlasten konnte. Dann hat er die Kommunen in ein sogenanntes Schutzschirmprogramm gedrängt, ein Kürzungsdiktat, das im Wesentlichen darin bestand, öffentliche Leistungen zu kürzen und die Gebühren zu erhöhen. Jetzt, wo selbst das nicht mehr reicht, um die Kassenkredite abzubauen, bietet er mit vermeintlich großzügiger Geste eine Art Bad Bank für die Kommunen an. All das brauchten wir aber überhaupt nicht, wenn die Kommunen genug Geld hätten, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Es ist Aufgabe des Landes, sie damit auszustatten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die öffentliche Infrastruktur wird seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren, und zwar immer, wie es der Ministerpräsident eben wieder getan hat, im Namen der Haushaltskonsolidierung, der Schuldenbremse, der schwarzen Null und der Generationengerechtigkeit. Aber: Was ist daran „gerecht“, wenn über Jahre und Jahrzehnte wichtige Investitionen in die Infrastruktur unterlassen werden? Was ist daran für die kommenden Generationen „gerecht“? Was ist daran „gerecht“, wenn über Jahre die Steuern für Reiche gesenkt und gleichzeitig in den Kommunen Schwimmbäder geschlossen werden? Sie mögen das „Konsolidierung“ nennen; wir nennen das Sozialabbau.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wer die Hoffnung hatte, das Schwarz-Grün wenigstens in Sachen Gleichstellung etwas tun würde, wurde ebenfalls enttäuscht. Dem schwarz-grünen Kabinett gehören drei Ministerinnen und nur noch eine Staatssekretärin an. Da war sogar Schwarz-Gelb besser, und das zu unterbieten, ist schon bemerkenswert.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Wie die Antworten der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Kollegin Gnadl gezeigt haben, gibt es weiterhin Ministerien, in denen die Führungsriege praktisch frauenfreie Zonen sind. Weder im Innenministerium noch im grün geführten Wirtschaftsministerium gibt es Frauen auf Abteilungsleiterebene oder an der Hausspitze, im Finanzministerium auch nicht, und im für Frauenfragen zuständi

gen Ministerium sieht es ähnlich düster aus. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Forderung nach Gleichstellung endlich ernst, und fangen Sie am besten direkt bei sich und in Ihren Ministerien an.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Sie haben über Jahre den Personalabbau in der Landesverwaltung vorangetrieben. Sie haben die Tarifgemeinschaft der Länder verlassen; heute stehen die Beamtinnen und Beamten in Hessen schlechter da als in anderen Bundesländern. Aber während wichtige Bereiche, wie HessenForst oder die Straßenverkehrsverwaltung, unter Einsparungen und unter Personalabbau leiden, darf sich die überflüssigste aller Behörden über mehr Personal und mehr Mittel freuen.

Dabei hat keine Behörde in den letzten Jahren so sehr für ihre eigene Abschaffung geworben wie das hessische Landesamt für Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz wird dem Auftrag, die Verfassung zu schützen, überhaupt nicht gerecht. Das zeigt auch die Geschichte des NSU: Rechte Strukturen wurden nicht bekämpft, Hinweisen wurde nicht nachgegangen. Meine Damen und Herren, der sogenannte Verfassungsschutz hat keine Sicherheitslücken, sondern dieser Verfassungsschutz ist eine Sicherheitslücke im Kampf gegen Neonazis.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem findet unter Schwarz-Grün ein massiver Stellenaufbau statt: von 250 auf 390 Stellen. Das Landesamt für Verfassungsschutz bekommt nicht nur mehr Geld, sondern immer mehr Befugnisse. Mit dem schwarz-grünen Gesetzentwurf zum Thema Verfassungsschutz sollen mithilfe des Staatstrojaners, der Onlinedurchsuchung noch mehr Daten ausgespäht werden. Dieses Werkzeug einem Geheimdienst in die Hände zu geben, um die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu bespitzeln, ist unverantwortlich. In die Abgründe dieser Behörde konnten wir im NSU-Untersuchungsausschuss drei Jahre lang schauen. Es ist einfach nur gruselig, was Sie hier vorschlagen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.

Statt zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts und für Demokratie zu fördern und zu unterstützen, will Schwarz-Grün in Hessen die sogenannte Extremismusklausel wieder einführen, die aus guten Gründen bundesweit abgeschafft wurde. Schwarz-Grün, so steht es im Gesetzentwurf, will neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Demokratieprojekten und Bildungseinrichtungen vom Verfassungsschutz überprüfen lassen, wenn diese Gelder des Landes bekommen. Die Träger sind darüber zu Recht empört. Sie sehen sich einem Generalverdacht ausgesetzt und sprechen von einem Vertrauensbruch. Es sei unerklärlich, warum das Land nun Trägern – wie der Diakonie oder auch Sport- und Feuerwehrverbänden – derart misstraue.

Man muss sich das einmal vorstellen: Die Bildungsstätte Anne Frank, die Workshops gegen Rechtsextremismus und für Zivilcourage anbietet, soll ihre neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab jetzt von einem Landesamt für Verfassungsschutz überprüfen lassen, das Andreas Temme beschäftigt hat, das offenkundig Hinweisen auf Waffen, Sprengstoffvorräte und Untergrundstrukturen der Neonazis nicht nachgegangen ist, das Akten vernichtet und V-Leute als Straftäter geschützt hat. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das Schlimme ist: Es ist ihr Ernst!)

Was sagen die GRÜNEN dazu? „Die Veränderungen seien nicht abgesprochen und in dieser Form nicht nötig“, sagt der innenpolitische Sprecher der GRÜNEN, Jürgen Frömmrich. Den Gesetzentwurf haben CDU und GRÜNE aber gemeinsam in den Landtag eingebracht. Der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN hat ihn eigenhändig unterschrieben. Herr Frömmrich hat ihn gemeinsam mit dem Innenminister der Presse vorgestellt und dabei die „grüne Handschrift“ im Entwurf gelobt. Da stellt sich doch die Frage: Lesen die GRÜNEN die Gesetzentwürfe, bevor sie sie in den Landtag einbringen? Lesen Sie die Gesetzentwürfe, bevor Sie sie vehement auf Ihrem Parteitag gegen die Basis verteidigen? Herr Wagner, woher soll denn die „grüne Handschrift“ kommen, wenn Sie den Gesetzentwurf nicht einmal gelesen, geschweige denn, geschrieben haben?

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte es für nicht nachvollziehbar, dass man der CDU überhaupt vertraut. Aber dass man ihr offenbar blind vertraut, übersteigt meine Vorstellungskraft. Auch wenn Sie jetzt – offensichtlich aufgrund des öffentlichen Drucks – zurückrudern: Wer die Bürgerrechte verteidigen will, der muss diesen Gesetzentwurf ablehnen. Das hat auch der Parteitag der GRÜNEN mit Mehrheitsbeschluss getan. Deswegen erneut die Aufforderung: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück. Er gefährdet die Bürgerrechte; er darf so nicht verabschiedet werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich will ein weiteres Thema ansprechen. In den Haushaltsentwurf sind über 5 Millionen € für den Betrieb des neuen Abschiebeknasts eingestellt. Hinzu kommen zehn neue Stellen für die Abschiebeverwaltung – und das alles, um Menschen zu inhaftieren, die kein Verbrechen begangen haben, die niemanden geschädigt haben. Sie sind einfach nur in dieses Land gekommen. Flucht ist kein Verbrechen, und deshalb lehnen wir diesen Abschiebeknast ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zusätzlichen Mittel für Abschiebungen und für angeblich freiwillige Ausreisen könnte man für eine verbesserte Aufnahmestruktur nutzen, z. B. ohne Schikanen wie die Wohnsitzauflage. Das Magazin „Kontraste“ hat berichtet, dass Flüchtlinge zur freiwilligen Ausreise gedrängt werden, bevor überhaupt über ihren Asylantrag entschieden wird. Ich finde, dem sollten Sie einmal nachgehen, Herr Minister Al-Wazir, statt Journalisten anzupöbeln, die kritische Fragen stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gipfel des Zynismus ist ein Plakat des Regierungspräsidiums Darmstadt. Ähnlich wie bei einem Glücksspiel in einem Reisemagazin heißt es dort – Zitat –:

Ihre Chance zur freiwilligen Rückkehr Afghanistan, Pakistan, Türkei: 1.000 € zusätzlich pro ausreisepflichtiger Person bei Ausreisen bis 31.12.2017. Sprechen Sie uns an.

Es ist so zynisch, Lebensgefahr als „Chance“ zu verkaufen und 1.000 € draufzulegen, wenn die Menschen auch noch mitten im Winter – ohne Dach über dem Kopf – ausreisen. Und dann noch die Länder: nach Afghanistan, Pakistan, in die Türkei, wo gerade Zehntausende Menschen unschuldig in Haft sitzen. Es hat doch einen Grund, warum so ein hoher Anteil der Asylsuchenden aktuell aus der Türkei kommt. Ich will an der Stelle anmerken, dass das Regierungspräsidium Darmstadt von einer grünen Regierungspräsidentin geleitet wird.

Meine Damen und Herren, am letzten Mittwoch wurden erneut Menschen von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschoben. Wir haben gemeinsam mit vielen anderen dagegen demonstriert. Auch Hessen beteiligt sich an diesen Sammelabschiebungen, obwohl sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter verschlechtert und sogar das Bundesverkehrsministerium ausdrücklich vor Landungen in Kabul warnt. Ein in diesem Jahr abgeschobener Afghane wurde vor einigen Monaten bei einem Bombenanschlag schwer verletzt. Wir halten es für unverantwortlich, Menschen in ein Kriegsgebiet abzuschieben, auch noch mitten im Winter, wo sie keine Unterkunft, keine medizinische Versorgung und überhaupt keine Sicherheit haben.

Vor einigen Monaten hat die Landesregierung auf die Anfrage der LINKEN geantwortet, dass die Hälfte der bis dahin aus Hessen abgeschobenen Afghanen 14 bis 30 Jahre in Deutschland gelebt hat. Abgeschoben wurden unter anderem ein 29-Jähriger, der seit 26 Jahren in Deutschland lebte, und ein 52-Jähriger, der seit 30 Jahren in Deutschland lebte. Und warum? – Weil man durch diese gefährliche Symbolpolitik offensichtlich Zugeständnisse an den Rechtspopulismus machen will.

Deshalb leben viele Afghanen dauerhaft in Angst. In Offenbach haben Hunderte Schüler demonstriert, weil 70 Mitschüler aus Afghanistan von Abschiebung bedroht sind. Und warum? – Weil sie 18 geworden sind. Was für die meisten Jugendlichen ein Grund zur Freude ist, ist für diese Jugendlichen eine Katastrophe, weil das ihr Bleiberecht gefährdet. Mit dieser Abschiebepolitik treffen Sie nicht nur die unmittelbar Betroffenen; sie versetzen alle Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Panik.

Deshalb: Das Auswärtige Amt muss endlich zu einer realistischen Lageeinschätzung kommen, damit diese Abschiebungen nicht mehr möglich sind. Aber auch die Landesregierungen müssen ihre rechtlichen Spielräume nutzen und dürfen sich nicht daran beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Grundgesetz steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – „des Menschen“, nicht „des Deutschen“. Deshalb muss diese unmenschliche Abschiebepolitik aufhören und der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge endlich wieder ermöglicht werden.

Meine Damen und Herren, ich habe heute viel über bröckelnde Fassaden gesprochen. Das ist aber nicht nur ein Problem bei Gebäuden, das gibt es auch bei Politikern und auch bei Ministerpräsidenten. Mit Schwarz-Grün wollte sich Volker Bouffier einen neuen Anstrich geben, weg vom schwarzen Sheriff, weg von den Skandalen, hin zum landesväterlichen Ministerpräsidenten. Das Problem ist aber, Herr Bouffier: Wenn sich innen nichts geändert hat, kann das auch ein neuer Anstrich nicht dauerhaft übertünchen.

Ich finde, das wurde sehr deutlich, als der Ministerpräsident als „Bestimmer“ allein entschieden hat, seinem Tankstellenkumpel Roland Koch die Wilhelm-Leuschner-Medaille zu verleihen – ausgerechnet Koch, der für schwarze Kassen, für Sozialabbau und für ausländerfeindliche Wahlkämpfe steht.

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben wieder davon gesprochen, dass Sie die Gesellschaft zusammenführen wollen. Sie wollten die Gesellschaft zusammenführen – und Sie zeichnen jemanden aus, der diese Wahlkämpfe gemacht hat, an denen Sie natürlich auch beteiligt waren, der die gefährlichen Stimmungen in dieser Gesellschaft geschürt hat, die dazu beigetragen haben, dass sich Menschen beleidigt und ausgegrenzt gefühlt haben. Sie haben jemanden wie Herrn Irmer auch noch nach Berlin befördert. Sie reden von gesellschaftlichem Zusammenhalt. Aber es ist doch Ihre Partei, die immer wieder in Wahlkämpfen diese Gesellschaft gespalten hat und gefährliche Stimmung geschürt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird immer wieder deutlich, dass sich in der HessenCDU nichts verändert hat – auch nicht durch die Regierung mit den GRÜNEN. Das hat auch der NSU-Untersuchungsausschuss gezeigt.

Wie sagte sein heutiger Stellvertreter Al-Wazir vor einigen Jahren so treffend:

Bouffier ist halt doch nicht Landesvater, sondern Nachlassverwalter von Roland Koch, …

Herr Minister, das Einzige, was sich wirklich verändert hat, ist, dass die GRÜNEN diesen Unsinn der CDU jetzt als grüne Politik verkaufen und sich damit selbst an der Nachlassverwaltung von Roland Koch beteiligen. Wenn Bouffier Koch die Leuschner-Medaille verleiht, dann schweigen die Landtags-GRÜNEN dazu, und sie bringen sogar noch einen Antrag in den Landtag ein, dass der Landtag diese Entscheidung möglichst nicht kommentieren soll. Was ist das für ein Demokratieverständnis?

Die GRÜNEN stimmen einem Abschiebeknast und Asylrechtsverschärfungen im Bundesrat zu. Sie bauen Überwachung aus und beschneiden Bürgerrechte. Sie lassen zu, dass Ryanair mit Rabatten an den Flughafen Frankfurt gelockt wird.

Meine Damen und Herren, was Hessen braucht, ist ein Politikwechsel für mehr soziale Gerechtigkeit, und dazu leistet dieser Doppelhaushalt leider keinen Beitrag. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Weiter, weiter!)

Danke, Frau Wissler. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich ihr Vorsitzender, Herr Wagner, zu Wort gemeldet. Bitte sehr.