Die Firma Siemens hat angekündigt, 7.000 Stellen abzubauen, davon mehr als 3.000 in Deutschland. Mehrere Standorte werden komplett infrage gestellt. Davon sind nicht nur diese Tausenden Menschen und ihre Familien betroffen, sondern zusätzlich auch noch Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sowie Zulieferbetriebe. Ganze Regionen wie z. B. um Görlitz bangen um einen ihren größten Arbeitgeber.
Auch der hessische Standort Offenbach, wo Gaskraftwerke geplant und vertrieben werden, soll mit den Standorten Wien und Erlangen zusammengelegt werden – und zwar in Franken. 847 Beschäftigte und deren Familien sind alleine in Offenbach betroffen. Deshalb muss sich auch der Hessische Landtag damit befassen, wenn ein solch massiver Stellenabbau droht.
Warum aber tut man diesen Menschen das an? Nein, liebe FDP, die Energiewende ist nicht das Problem von Siemens.
Der Konzern stellt Windkraftanlagen und viele andere Produkte in diesem Bereich her. Und für die Gefährdung des Standortes Offenbach ist die Energiewende schon mal gar nicht verantwortlich, weil dort fast nur für den außereuro
Ja, die Unternehmensführung von Siemens hat aber jahrelang den Anschluss an das 21. Jahrhundert und den gesellschaftlichen Wandel gerade im Umwelt-, Industrie- und Energiesektor verschlafen. Es kann doch nicht sein, dass unternehmerische Versäumnisse zulasten der Beschäftigten gehen, während die Vorstände Millionengehälter beziehen.
Dass die Nachfrage nach Teilen für Großkraftwerke sinkt, war länger absehbar. Das finden wir im Sinne der Dezentralisierung der Energieerzeugung auch richtig. Aber Siemens müsste für einen Standort mit Hunderten Ingenieuren, Vertrieblern und anderen erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern doch eine sinnvolle andere Verwendung haben und darf sie nicht auf die Straße setzen.
Stattdessen amputiert Siemens-Chef Joe Kaeser jetzt zum wiederholten Mal seinen Konzern durch Kürzungen und Stellenabbau. Regelmäßig wird der Fachkräftemangel beklagt, und dann will man hoch qualifizierte Beschäftigte entlassen – und das ohne jede finanzielle Not.
Erst in der Woche vor dieser Ankündigung hat Siemens seine Geschäftszahlen vorgelegt: Es wurde mitgeteilt, dass das Unternehmen Umsatz und Gewinn erneut erheblich gesteigert hat, nämlich um 11 %, und das nun nutzt, um mehr Dividende an seine Aktionäre auszuschütten. Der Gewinn beträgt nun über 6 Milliarden € im Jahr. Gleichzeitig wird mit der Existenz Tausender Beschäftigter gespielt, um die Aktionäre zufriedenzustellen und Geschäftsberichte aufzuhübschen, indem die Rendite weiter nach oben getrieben wird. Das ist gut für die Bonuszahlungen der Vorstände, aber gesellschaftlich ein Skandal, was Siemens hier tut.
Auch das Werk in Offenbach leidet nicht, schon gar nicht unter der Energiewende. Es ist ausgelastet und schreibt keine roten Zahlen – ganz im Gegenteil, dort werden riesige Projekte abgewickelt, und die Mitarbeiter leisten alleine in Offenbach über 4.000 Überstunden pro Jahr. Trotzdem wurde den Beschäftigten erklärt, dass man in Offenbach nach jetzigem Planungsstand die Mitarbeiterzahl null anstrebt, also den ganzen Standort schließen will.
Das ist eine Katastrophe für Offenbach, nachdem schon so viele Industriebetriebe wegfielen. Und es ist eine Katastrophe für die Beschäftigten; denn die dürfen dann höchstens noch an einen anderen Standort wechseln – und der nächste Siemens-Standort ist in Erlangen, mehr als zwei Stunden entfernt. Für Teilzeitkräfte, Menschen mit kleinen Kindern, Menschen mit Behinderungen, aber auch für viele andere ist das einfach keine Option, sie stehen dann vor dem Nichts. Das ist absolut inakzeptabel.
Der Grundsatz aus dem Grundgesetz „Eigentum verpflichtet“ ist auf die Beschäftigten und das gesellschaftliche Gemeinwohl anzuwenden. Es kann doch nicht sein, dass sich Siemens seine Großprojekte überall in der Welt durch Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung absichern lässt, der Staat also die Gewinne sichern darf, man selbst aber nicht bereit ist, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Die treuen Beschäftigten waren in den Krisenjahren von Siemens diejenigen, die den Laden am Laufen hielten, während der Vorstand sich mit einem der größten Korruptions- und Schmiergeldskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte beschäftigte.
Dann wird den Beschäftigten das Ganze auch noch per Videobotschaft mitgeteilt. Den Beschäftigten wurde per Videobotschaft mitgeteilt, dass man seit einem Jahr an diesem Kahlschlagkonzept arbeitet, ohne dass der Betriebsrat überhaupt eingebunden wurde.
Die Beschäftigten bei Siemens in Deutschland arbeiten länger und verdienen weniger. Dafür wurde ihnen Sicherheit versprochen, und jetzt sollen sie die Leidtragenden sein, obwohl der Laden brummt. Deswegen sagen wir: Bestehende verbindliche Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließen, wie das Radolfzell-II-Abkommen müssen eingehalten werden.
Ich appelliere an die Landesregierung, sich an die Seite der Beschäftigten zu stellen und sich für den Erhalt der Arbeitsplätze in Offenbach einzusetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Beschäftigten dort gegen ihre Kolleginnen und Kollegen in Wien oder in Erlangen ausgespielt werden.
Ja, wir brauchen Industriearbeitsplätze in Hessen; denn die Wertschöpfung findet eben nicht an der Börse statt, sondern wird erarbeitet von Menschen in den Betrieben.
Wir fordern Siemens auf, Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu übernehmen; aber auch gegenüber den Regionen, in denen der Konzern seit Jahrzehnten aktiv ist.
Wir stehen solidarisch an der Seite der Beschäftigten in Offenbach und an allen anderen Siemens-Standorten, die zu Recht auf die Straße gehen, die gerade um ihre Arbeitsplätze kämpfen, und wir wünschen ihnen viel Erfolg. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächster spricht Herr Kollege Decker für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wieder einmal versucht ein international tätiger Konzern, unternehmerische Versäumnisse zu korrigieren, indem er die Beschäftigten die Zeche zahlen lassen will. Hier dürfen wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir reden von 7.000 Stellen, allein in Offenbach von 700 Stellen. Dagegen muss entschieden vorgegangen werden.
Ich begrüße für die SPD-Fraktion sehr herzlich auf der Tribüne die Vertreter des Betriebsrats aus Offenbach. Seien Sie gewiss, dass wir alles daransetzen werden, um Ihnen zu helfen, den Kampf um die Arbeitsplätze dort fortzuführen.
Meine Damen und Herren, dass die konventionellen Großkraftwerke, wie Siemens sie baut, beim globalen Umstieg auf die erneuerbaren Energien nicht mehr in gewohntem Umfang gebraucht werden, ist keine wirkliche Überraschung mehr. Das hat sich bereits seit vielen Jahren abgezeichnet. Dass das Management von Siemens offensichtlich nicht imstande ist, angemessen darauf zu reagieren, das kann einen nur wundern. Es muss einen sogar erschüttern, dass ein solcher weltweit agierender Betrieb nicht in der Lage ist, hier für Alternativen zu sorgen.
Das Unternehmen hat wertvolle Zeit verstreichen lassen. Sehenden Auges hat es die Zeit verstreichen lassen und will jetzt mit einem radikalen Personalabbau antworten, um die Bilanz und die Dividende der Aktionäre aufzubessern. Auch das spricht Bände.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei übersieht das Management von Siemens ganz offensichtlich, dass ein Konzern dieser Größe nicht nur der Kapitalseite verpflichtet ist, sondern auch seinen Beschäftigten und deren Familien. Wenn man ins Grundgesetz schaut, sieht man, dass dort etwas von „Eigentum und Kapital verpflichten“ steht. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die hoch qualifizierten Fachleute, die am Standort Offenbach hervorragende Arbeit leisten, werden so zu einer namenlosen Manövriermasse degradiert, und das kann es nicht sein. Es geht um wertvolle Arbeitsplätze, um Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten dort hervorragende Arbeit leisten. Sie einfach auf die Art und Weise regelrecht kaltzustellen, das kann man in diesem Hause nicht durchgehen lassen.
Deswegen will ich im Namen unseres Fraktionsvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, aber auch im Namen der gesamten Fraktion sagen, dass wir uns ausdrücklich mit den Siemens-Beschäftigten, mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften, die gegen diesen billigen Versuch der Bilanzoptimierung Widerstand leisten, solidarisieren.
Auch wenn der Konzern im weltweiten Wettbewerb steht, dürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Unternehmensführung sicherlich intelligentere Lösungen erwarten als nur einen personellen Kahlschlag. Die SPD steht an der Seite der Beschäftigten von Siemens und ist bereit, alle Beteiligten bei einer Suche nach einem intelligenten Ausgleich der Interessen zu unterstützen, und zwar ganz im Sinne der Siemensianerinnen und Siemensianer, ganz im Sinne der Stadt Offenbach und ganz im Sinne des Industriestandorts Hessen.
Wir appellieren ebenfalls an die Landesregierung: Tun Sie alles, was in Ihren Möglichkeiten steht, damit dieser Standort mit seinen 700 Beschäftigten erhalten bleibt. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Kollege Decker. – Als Nächster spricht Herr Kollege Kasseckert für die Fraktion der CDU. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“, das ist ein Zitat von Werner von Siemens, zugegebenermaßen am Ende des 19. Jahrhunderts, aber am Beginn einer Erfolgsgeschichte der heutigen Siemens AG, die weltweit etwa 370.000 Beschäftigte zählt.
Es wäre gut – das will ich vorwegschicken; deshalb solidarisieren wir uns ähnlich wie die Vorredner selbstverständlich mit den Beschäftigten der Siemens AG am Standort Offenbach, aber auch an anderen Standorten in der Bundesrepublik –, wenn sich auch die heutigen Vorstände der Siemens AG an diese Verantwortung, an diese Unternehmensphilosophie von Werner von Siemens erinnern würden.
Natürlich ist es richtig, dass sich die Welt seit dem Zitat von Werner von Siemens verändert hat. Die Globalisierung hat uns mit allen Kontinenten näher zusammengebracht, aber natürlich auch den Wettbewerb aus diesen Kontinenten nach Europa, nach Deutschland gebracht. 24 Stunden/ sieben Tage können wir unsere Waren und die Dienstleistungen rund um den Globus vermarkten. Wir stehen damit natürlich auch im Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften, mit anderen Kulturen, auch mit Arbeitsbedingungen in anderen Volkswirtschaften. Dazu zählen natürlich Lohn- und Arbeitsplatzkosten, die bekanntermaßen am Standort Deutschland relativ hoch sind.
Aber auch das muss man sagen: Die Unternehmenskultur und das Koordinatensystem für den Erfolg in den Großunternehmen haben sich verändert. Das, was Werner von Siemens seinerzeit als Unternehmensphilosophie für sich ausgemacht hat und auch später in den Regeln der sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard festgeschrieben wurde, wurde verdrängt von Wertschöpfung, von Rendite, Dividende oder den Forderungen der Aktionäre.