Protocol of the Session on November 23, 2017

Wir haben drittens diesen G-8-Murks, den Sie angerichtet haben, revidiert.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Da sind die Einstiege gemacht worden – zu dem Chaos, das Sie vorher angestellt hatten.

Ich komme zum Thema Konstruktivität der Regierung in demokratischen Verhältnissen. Ich sage noch einmal: Hier ist die erste Gewalt. Dieser Landtag hat mit Mehrheit die Rückkehr des Bundeslandes Hessen in die Tarifgemeinschaft der deutschen Länder beschlossen. Dann hat sich ein gewissen Innenminister Volker Bouffier hierhin gestellt und als „Bestimmer“ erklärt, dass der Hessische Landtag hier beschließen könne, was er wolle, er würde es niemals umsetzen – und so war es.

(Zurufe von der SPD)

Das ist der Punkt Ihres inakzeptablen Demokratieverständnisses, wenn Sie nicht die Mehrheit haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN so- wie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ihr regierungsautoritäres Demokratieverständnis ist Teil des Problems, in aller Klarheit.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage Ihnen: Wenn Sie von dem Baum nicht irgendwann herunterkommen, dann wird es in der Tat schwierig. Denn Sie können sich nicht immer hierhin stellen und in Sonntagsreden so tun, als wären Sie derjenige, der Leute verbindet, aber dann, wenn es um die Sache geht, anschließend das Gegenteil tun. Das werden wir zumindest nicht akzeptieren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das ist ein Politikstil, der so etwas von gestern ist wie wenige andere, die ich in den letzten Jahren erlebt habe.

Damit komme ich zum eigentlichen Problem, wenn wir über das Thema Minderheit reden. Wenn wir über das Thema Minderheit reden, dann wird das Problem auffällig, das schon in den letzten vier Jahren ein Riesenproblem in Berlin war: dass die Unionsfamilie bei zentralen Fragen in sich inhaltlich zerrissen ist wie keine andere Partei und Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei Migrationsfragen, bei europäischen Fragen, insbesondere bezüglich des Euros und vielem anderen mehr – der Riss geht mitten durch Ihre Linie: die Willsch‘en auf der einen Seite, der Sozialflügel auf der anderen Seite, die bayerische CSU mit ihren unterschiedlichsten Teilfraktio

nen. Sie müssten in der Tat ein paar Positionen bei sich klären, die mehr sind als Überschriften. Das ist doch Ihr Kernproblem. Deswegen scheuen Sie, überhaupt über diese Variante nachzudenken.

Noch einmal: Mir geht es darum, Denkräume zu eröffnen, wenn ich über die Minderheitenoption rede.

Damit komme ich zum größten und aus meiner Sicht wichtigsten Thema überhaupt. Wenn ich eine Klammer in dieser Periode im Deutschen Bundestag sehe, die Fraktionen und Parteien zusammenführen kann, dann sind es die großen europäischen Fragen. Ich glaube, dass wenige außer dem französischen Staatspräsidenten Macron verstanden haben, bei all der Kritik, die man an bestimmten Teilelementen haben kann, dass die Frage des Zusammenhalts Europas nach dem Brexit große Herausforderungen mit sich bringt, die wir ganz ausdrücklich bei der Neukonstruierung des Euros haben werden oder bei der Frage, wie wir einen Finanz- und Sozialpakt in der Europäischen Union hinbekommen. Was für ein Bild: Die Staatschefs aller Länder Europas versammeln sich, um die Sozialunion zu gründen. Wer fehlt? Die Bundesrepublik Deutschland. – Das darf nicht passieren.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wenn es in der nächsten Periode eine Klammer gibt, dann ist es die europäische Frage. Das rufe ich Ihnen so nebenbei zu: Wenn es einen Grund gibt, in dieser Periode vor dem Hintergrund der gemachten Erfahrungen mit Ihnen zu gehen – nicht mit Ihnen als Person, sondern in der Struktur der letzten Monate –, dann sind es diese Fragen. Denn die europäische Frage wird mehr als alles andere in den nächsten Jahren entscheiden, welche Form von Handlungsfähigkeiten wir überhaupt noch im demokratisch-liberalen System haben werden im Vergleich zu dem Anwachsen staatsautoritärer Systeme auf der ganzen Welt.

Europa ist in der Tat umgeben von vielen Krisenherden. Europa hat in den letzten Jahren leider zu wenig Handlungsfähigkeit bewiesen. Natürlich gibt es auch in unseren eigenen Reihen muntere Debatten darüber, was die richtige Antwort ist. Es gibt sie mit am schärfsten in Ihren Reihen.

Aber dass Europa das zentrale Element der Lösung zentraler Fragen ist, das muss ich doch der Partei Konrad Adenauers nicht erklären. Wenn es einen Grund gibt, zusammenzuarbeiten, dann den. Ich sehe wenig andere, weil ich nicht weiß, wo es herkommen soll.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit will ich zum Ende kommen und zu Ihrem Apell zum Thema demokratisches Miteinander. Ja, es wäre aller Ehren wert, in einem anderen Verhältnis miteinander zusammenzuarbeiten, das sich nicht nur an der Linie festmacht. Manchmal blitzt es auf, dass es hinkommt, aber an vielen Stellen nicht. Der Grundsatz seit Roland Koch – Mehrheit ist Wahrheit – sollte nicht das bestimmende Element im Hessischen Landtag und anderswo sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der für mich bedeutendste Ministerpräsident unseres Landes, Georg August Zinn, hat den denkwürdigen und wichtigen Satz gesagt: Demokratie ist mehr als eine Staatsform. Demokratie ist eine Lebenshaltung. – Das setzt in der Tat den wechselseitigen Respekt voraus, den wir alle gelegent

lich miteinander vermissen lassen. Da nehme ich mich ausdrücklich nicht aus. Daran zu arbeiten, wäre in der Tat ein Teil der Voraussetzung dafür, dass die Aufgaben gelöst werden können, die alle vor uns liegen, die in den nächsten Jahren nicht kleiner werden. Aber das setzt ganz ausdrücklich voraus, dass die, die sich für die „Bestimmer“ halten, sich endlich an die eigenen Maßstäbe halten. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Als Nächster hat sich für die Landesregierung Herr Staatsminister Al-Wazir gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schäfer-Gümbel hat gerade gesagt, wenn ich mich recht erinnere, ich hätte am Montag ganz bewusst AfD und SPD in eine Reihe gestellt.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die FDP auch!)

Ich will Ihnen ausdrücklich sagen, dass ich das nicht gemacht habe. Ich will Ihnen aus meiner Sicht sagen, was am Montag nach dem Platzen von Jamaika mein Kommentar zur Lage war.

Mit der AfD verbietet sich jede Zusammenarbeit. Das ist eine Partei, die als Antisystempartei angetreten ist. Sie will dieses Parlament, in das sie eingezogen ist, im Grunde gar nicht. Insofern ist völlig klar, dass sie von Anfang an selbst gesagt hat, dass sie keinerlei Verantwortung übernehmen will.

Die Partei DIE LINKE hat gegen Ende des Wahlkampfs Ähnliches getan, wenn ich mir die Reden von Sahra Wagenknecht so betrachte.

(Beifall des Abg. Gerhard Merz (SPD) – Janine Wissler (DIE LINKE): Wie bitte?)

Das ist ja eine Debatte, die wir schon seit Längerem führen. Dazu ist zu sagen, dass man durchaus als AntiparteienPartei beginnen kann – ich weiß ja, wie die GRÜNEN 1982 hier eingezogen sind. Aber irgendwann muss man sich schon die Frage stellen, ob man das Schöne, Wahre und Gute immer nur fordern möchte oder ob man auch in der Realität etwas verändern möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das ist aber eine Debatte, die Sie intern führen müssen. Unbestritten steht momentan aber wohl auch die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag für keinerlei Regierungskonstellation zur Verfügung.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die SPD – das weiß ich – hat an der Großen Koalition gelitten.

(Zuruf von der LINKEN: Hat verloren!)

Sie hat dabei auch Prozente verloren. Ich habe am Samstag auf unserem Parteitag, als wir über diese Frage debattiert haben, gesagt, dass man sich einmal vergegenwärtigen sollte, dass Rot und Grün zusammen keine 30 % mehr bekommen haben. Natürlich muss das eine Partei innerlich umtreiben. Dass dann am Wahlabend, um den Laden zusammenzuhalten – so interpretiere ich das –, sofort gesagt wurde: „Wir sind raus“, kann ich in gewissem Maße verstehen.

Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben angesprochen, dass teilweise Sachen gesagt worden seien, die Sie an frühere und vergangene Zeiten erinnerten, was die Sozialdemokraten angehe.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Das werden Sie von mir nicht gehört haben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das habe ich auch nicht gesagt!)

Ich bin geschichtsbewusst genug,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wenn Sie „Landesverrat“ sagen würden, wäre auch was los! Das haben andere getan!)

um zu wissen, dass die Stichworte Bismarck und Erster Weltkrieg, der allfällige Vorwurf gegenüber Sozialdemokraten, sie seien „vaterlandslose Gesellen“, immer Versuche waren, sie außerhalb des politischen Systems zu stellen. So etwas käme mir niemals über die Lippen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das käme mir nie über die Lippen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Aber – Entschuldigung – die Demokratie hat ein Problem, wenn an diesem Montag die vierte Fraktion des Deutschen Bundestages sagt, sie wolle nicht regieren. Am Ende haben wir im Deutschen Bundestag eine Mehrheit, die keine Verantwortung übernehmen will. Darüber sprechen wir heute.