Protocol of the Session on September 28, 2017

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gnadl. – Als Nächstem erteile ich Herrn Kollegen Alexander Bauer für die Fraktion der CDU das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wahlrecht ist eines der fundamentalen Rechte in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Jeder deutsche Staatsangehörige, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Bundesrepublik eine Wohnung innehat oder sich dort gewöhnlich aufhält, ist wahlberechtigt – so das Bundeswahlgesetz, § 12.

Demnach ist das Wahlrecht ein Bürgerrecht und kein Menschenrecht. Einschränkungen sind möglich. Sie bedürfen jedoch eines besonderen rechtfertigenden Grundes. Es sind all jene ausgeschlossen, die infolge eines Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzen, und auch jene, die für die Besorgung all ihrer Angelegenheiten einen Betreuer bestellt bekommen haben – so das Bundeswahlgesetz, § 13, und die entsprechenden Landeswahlgesetze.

Eine solche Betreuung betrifft Menschen, die aufgrund einer Krankheit oder einer Behinderung keine einzige Angelegenheit mehr selbst besorgen können. Sie kann nur unter strengen Voraussetzungen angeordnet werden und betrifft

daher eine recht überschaubare Zahl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es sind nur Personen betroffen, für die eine endgültige und nicht nur vorläufige Betreuung für alle Angelegenheiten angeordnet wurde. Heute haben demnach nahezu alle behinderten Menschen in Deutschland das Wahlrecht. Menschen mit teilweiser Betreuung können wählen; sogar Komapatienten mit Aussicht auf Heilungschancen sind wahlberechtigt. 2013 kam das Bundesinnenministerium im Rahmen eines Wahlprüfverfahrens aufgrund eines Einspruchs zur Bundestagswahl unter Einbeziehung des Justiz- und des Sozialministeriums zu dem Ergebnis, dass es sich um eine gesetzlich niedergelegte, objektive und angemessene Einschränkung handele, die zulässig sei. Gemäß der Beschlussempfehlung dieses Wahlprüfungsausschusses hat infolgedessen auch der Deutsche Bundestag den Wahleinspruch zurückgewiesen.

Der Wahlprüfungsausschuss hat bei Totalbetreuung die Auffassung vertreten, dass es verfassungskonform sei, dass diese Menschen kein Wahlrecht haben. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist immer davon ausgegangen, dass der Wahlakt Teil der Willensbildung des Volkes ist, also eine verantwortliche und selbstbestimmte Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger – so ist es in der Gesetzesliteratur nachzulesen. Das heißt, der Bürger muss demnach vollumfänglich handlungs- und entscheidungsfähig sein. Zugegeben, diese von mir genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stammen aus den Jahren 1973 und 1984; sie liegen also deutlich vor dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Die Behindertenrechtskonvention ist seit 2008 Bestandteil unserer deutschen Rechtsordnung. Ich denke aber, dass wir gut beraten sind, wenn wir zunächst einmal abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht über die seit 2014 anhängige Wahlprüfungsbeschwerde von Betroffenen entscheiden wird, die aufgrund eines Wahlrechtsausschlusses nicht an der Bundestagswahl 2013 teilnehmen konnten. Mit einer Entscheidung dieses anhängigen Verfahrens, die genau diese Sachfrage klären möge, wird nach Auskunft einer Sprecherin des Verfassungsgerichts noch in diesem Jahr zu rechnen sein. So lange sollte man zunächst einmal abwarten können, bevor man sich dieses ernsten Themas annimmt – keine Frage.

Was den zweiten Teil der Initiative von den LINKEN betrifft, nämlich das Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, so ist die Gesetzeslage doch mehr als eindeutig.

Unser Grundgesetz lässt es schlicht nicht zu, dass Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft wählen können. Nach Art. 20 unseres Grundgesetzes ist das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt der Staatsgewalt.

Dieses Staatsvolk wird laut Grundgesetz von den Deutschen, also von den deutschen Staatsangehörigen, gebildet. Voraussetzung für das Wahlrecht ist also die Eigenschaft, Deutscher im Sinne des Art. 116 Grundgesetz zu sein. Gleiches gilt für die entsprechenden Länderverfassungen über Art. 28 unseres Grundgesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Sache glasklar entschieden. Ich darf aus einer Entscheidung aus dem Jahr 1990 zitieren:

Auch andere Regelungen des Grundgesetzes, die einen Bezug zum Volk aufweisen, lassen keinerlei

Zweifel daran, dass Staatsvolk das deutsche Volk ist: …

Meine Damen und Herren, wir reden hier über grundlegende Verfassungswerte, die nicht geändert werden dürfen. Vorschläge, wie sie auch von der Integrationsbeauftragten gemacht werden, Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit das kommunale Wahlrecht einzuräumen, sind nach der jetzigen Gesetzeslage schlicht verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1990 auch ausgeführt, als einzige Möglichkeit bleibe der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit.

Wenn wir uns die Integrationspolitik der vergangenen Jahre anschauen, dann stellen wir fest, dass das durchaus auch geschehen ist. Heute bestehen keine allzu großen Hürden mehr, dass Menschen, die dauerhaft hier leben, auch Deutsche werden.

Meine Damen und Herren, wir Christdemokraten werben dafür, dass Menschen, die sich hier integriert haben und die sich zu diesem Land, zu unseren Werten und zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung insgesamt bekennen, Deutsche werden – mit allen Rechten und mit allen Pflichten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )

Die Voraussetzungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sind inzwischen wahrlich zumutbar. Was wir jedoch nicht wollen – das sage ich ausdrücklich an die Adresse der Linksfraktion gerichtet –, ist diese Ideologie von „No Borders – No Nations“. Diese linke Ideologie wollen wir auf keinen Fall; denn dadurch würde das staatsbürgerliche Recht schlicht auf der Resterampe verramscht.

Für uns Christdemokraten ist die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft keine Eintrittskarte für Integrationsbemühungen, sondern der Abschluss eines erfolgreichen Integrationsprozesses. Dementsprechend kann es nach geltender Gesetzeslage, die wir auch nicht ändern wollen, kein Wahlrecht für nicht deutsche Staatsbürger geben. Ich denke, das ist eine gute Sache.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bauer. – Als Nächster hat sich Kollege Dr. Blechschmidt für die Fraktion der Freien Demokraten gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, wir müssen zwei Themen voneinander trennen, wie dies alle Vorredner bereits gesagt haben. Bei dem einen Thema muss man juristisch diskutieren, bei dem anderen Thema kann man juristisch diskutieren. Es besteht der Bedarf, in der weiteren Beratung weitere Aspekte zu prüfen, wie dies bereits angeklungen ist.

Zunächst möchte ich das Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ansprechen. Dabei möchte ich auf das aufbauen, was der Kollege Bauer angesprochen hat. Die Vertreterin der SPD hat darauf hingewiesen, dass das seit dem Jahr 1992 im Grundgesetz normierte aktive und passive Wahlrecht für Unionsbürger bei Wahlen auf

kommunaler Ebene mit Wahlen auf staatlicher Ebene nicht vergleichbar ist. Kommunalparlamente sind keine Parlamente im staatsrechtlichen Sinne, sondern Exekutivorgane. Dazu stehen wir auch. Ich denke, wir alle wünschen uns mehr aktive Teilnahme auch in diesem Bereich. Das steht nicht in Abrede. Wir müssen hier aber über ein allgemeines Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit diskutieren.

(Beifall bei der FDP)

Insofern kommt man nicht darum herum, juristisch zu werden und sich das anzuschauen, was im Grundgesetz steht. Ich möchte aufbauend auf das, was Vorredner sehr differenziert gesagt haben und was Herr Bauer meines Erachtens am prägnantesten dargelegt hat, sagen, dass auch nach Auffassung der FDP eine etwaige Änderung des Grundgesetzes gegen das meines Erachtens auch durch die Ewigkeitsklausel geschützte Demokratieprinzip verstößt. Schließlich sind das aktive und passive Wahlrecht Ausdruck der in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz niedergelegten Volkssouveränität. Das Wahlrecht, mit dem das Volk die ihm zukommende Staatsgewalt ausübt, setzt nach der Konzeption des Grundgesetzes die Eigenschaft des Deutschen voraus. Das ist sehr deutlich geworden in dem Beitrag meines Vorredners und ist zudem sehr juristisch angesprochen worden von der Vertreterin der GRÜNEN. Diese Auffassung vertritt auch die FDP. Insofern lehnen wir das ab.

(Beifall bei der FDP)

Etwas anders sehen wir den Zungenschlag – hierbei sehen wir auch voller Erwartung der Beratung entgegen – beim Wahlrecht für betreute Menschen. Das, was heute diskutiert wird, baut ja auf die Kritik auf, die schon im Rahmen des Bundestagswahlkampfs von Verena Bentele vorgetragen worden ist, die kritisiert hat, dass die Vollbetreuten das Wahlrecht nicht ausüben dürfen. Eine entsprechende Regelung gibt es im Bundesgesetz analog zum Landesgesetz. Da sehen wir auch Aufklärungsbedarf. Deshalb hat Herr Kollege Hahn hierzu eine Anfrage gestellt; denn für uns ist es wichtig, zu wissen, wie viele Vollbetreute es gibt. Dieser Terminus technicus ist heute erfreulicherweise auch schon einmal von einer Vertreterin der SPD diskutiert worden. Vollbetreuung ist etwas Besonderes und Außergewöhnliches. Deshalb würden wir gerne wissen, wie viele Vollbetreute es in Hessen gibt, die von einer eventuellen Änderung im Wahlrecht betroffen wären.

Ich persönlich vertrete die Auffassung, dass wir selbst dann, wenn es nur fünf oder sechs Vollbetreute gäbe, über diese Sache diskutieren müssten. Jeder Einzelne, der sein Wahlrecht nicht ausüben kann, weil er unter Vollbetreuung steht, ist einer zu viel. Deshalb müssen wir in diesem Bereich aktiv werden. In der Beratung werden wir die eine oder andere Problematik noch erörtern müssen, weil meines Erachtens eine alleinige Änderung des Gesetzestextes – so interpretiere ich den Gesetzentwurf – zu kurz greift.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir müssen darüber reden. Im Gesetzentwurf ist das nicht geregelt. In der Beratung müssen wir berücksichtigen, dass keinerlei Vorkehrungen getroffen worden sind, damit voll betreute Menschen ihr Wahlrecht ausüben können. Dabei stellen sich auch noch Fragen der praktischen Umsetzung, über die wir auch noch beraten müssen. So fehlt etwa eine Regelung über Wahlunterlagen in leichter Sprache oder zur

Bereitstellung von Kommunikationshilfen. Hierzu möchte ich einige Beispiele anführen.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Wir sind da ergebnisoffen. Wir sind der Auffassung, dass das Wahlrecht insbesondere in Anbetracht dessen, was heute Vormittag diskutiert wurde, auszuüben ist, egal ob viele oder wenige betroffen sind, egal ob es viele oder wenige Betreute gibt. Wir sehen einen akuten Handlungsbedarf und wollen einmal schauen, was in den Beratungen noch als Problempunkt auftaucht, was wir dann parlamentarisch lösen müssen. Wie gesagt, da sind wir ergebnisoffen und freuen uns, dass die Anfrage des Abg. Hahn eine Rolle spielt. Außerdem freuen wir uns auf die parlamentarische Beratung im Ausschuss. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Blechschmidt. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Beuth. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Frage der ersatzlosen Aufhebung der im Landtagswahlrecht und Kommunalwahlrecht geregelten Wahlrechtsausschlüsse ist die Hessische Landesregierung sehr kritisch eingestellt. Ich gebe Herrn Kollegen Blechschmidt uneingeschränkt recht, dass es nicht auf die Zahlen ankommt, sondern auf die inhaltliche Bewertung.

Deshalb möchte ich zunächst einmal klarstellen, dass Wahlrechtsausschlüsse nach unserem Landesrecht nicht danach beurteilt werden, ob jemand behindert ist oder nicht behindert ist, sondern allein aufgrund der Frage, ob für die Besorgung aller Angelegenheiten jemandem schon ein Betreuer zu Gericht bestellt ist. Danach entsprechen unsere Wahlrechtsausschlüsse den Regelungen des § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz. Das wiederum will ich hier noch einmal deutlich machen, weil es dazu eine Rechtsprechung gibt und weil es außerdem eine entsprechende Befassung durch das Bundesverfassungsgericht gab. Es sollte klugerweise die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden, weil wir erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung die grundgesetzlichen Regeln entsprechend bewerten wird.

Herr Kollege Dr. Wilken, in Ihrem Gesetzentwurf erwähnen Sie eine interdisziplinäre Studie des Bundesarbeitsministeriums. Schade ist nur, dass Sie nicht erwähnt haben, dass die Studie zu dem Ergebnis kommt – damit sind wir bei der Frage der Qualität und nicht mehr nur bei den Zahlen –, dass eine vollständige Aufhebung der von Ihnen kritisierten Regelung weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich geboten und auch nicht zu empfehlen sei und kein unmittelbarer Handlungsbedarf für eine Gesetzesänderung bestehe. Ich will das der Vollständigkeit halber erwähnen, weil der Eindruck vermittelt worden ist, dass gerade diese Studie ein Beleg dafür sei, dass man etwas ändern müsse.

Ich will noch darauf hinweisen, dass wir in der juristischen Diskussion auch den Art. 74 der Hessischen Verfassung, in dem die Stimmrechtsausschlüsse geregelt sind, beachten müssen.

Zu Ihrem Antrag will ich kurz sagen: Das ist kein neuer Einfall, sondern das Aufkochen einer Initiative von vor zwei Jahren durch die Fraktion DIE LINKE. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit einem allgemeinen Ausländerwahlrecht auf kommunaler und auf Landesebene bereits befasst und es abgelehnt. Auch das will ich hier noch einmal in Erinnerung rufen. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in einer Entscheidung aus dem Jahre 1989:

Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen staatsbürgerlichen Status, der einerseits gleiche Pflichten, zum anderen und insbesondere aber auch die Rechte begründet, durch deren Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitimation erfährt.

Ich finde, in dieser Formulierung kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte am Ende eben an der Staatsangehörigkeit festgemacht werden muss. Deshalb können wir darauf als Voraussetzung für die Gewährung eines Wahlrechts nicht verzichten.

Ich will zum Abschluss noch sagen, dass ich auch den politischen Ansatz für falsch halte, weil er im Prinzip die Regeln und die Aufgaben der Integration völlig auf den Kopf stellt. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die Erlangung sowohl der Staatsbürgerschaft als auch – damit einhergehend – des Wahlrechts am Ende eines Integrationsprozesses stehen, nicht am Anfang. Andersherum wäre es nach meinem Eindruck und nach meiner Ansicht der falsche Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir überweisen sowohl den Gesetzentwurf als auch den Antrag an den Innenausschuss. Ergänzend ist beantragt, beide Initiativen mitberatend an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss zu überweisen. – Damit besteht Einverständnis. Dann verfahren wir so.

Meine Damen und Herren, ich darf noch darauf hinweisen, dass der Untersuchungsausschuss 19/2 unmittelbar nach der Mittagspause, also unmittelbar nach Wiedereintritt in die Tagesordnung, im Sitzungsraum 115 S zusammenkommt.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14:35 Uhr.

(Unterbrechung von 13:34 bis 14:36 Uhr)