Herr Minister, Sie haben auch die neuen Fahrkartenangebote angesprochen. Es gibt das günstige Ticket für Schülerinnen und Schüler und die Freifahrt für die Landesbeamten und Landesbeschäftigten. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Das erkennen wir an. Es gibt da aber ein großes Aber: Das schafft auch neue Probleme und Ungerechtigkeiten.
Beim Schülerticket ergeben sich gleich mehrere Ungerechtigkeiten. Zum einen wird die Fahrt zur Schule in manchen Städten teuer als vorher. Wer gar nicht hessenweit fahren
will, was er jetzt darf, sondern einfach nur zur Schule, der hat nichts von diesem Mehrnutzen. Er bezahlt nur mehr. Teilweise sind das 20 %.
Herr Wiegel, ich erkläre Ihnen das gerne. Wenn ich regelmäßig von Frankfurt nach Köln fahre und dafür 50 € bezahle und mir dann gesagt wird, dass das Ticket jetzt 20 € teurer wird, dass ich für diesen Preis aber gleich weiter nach Amsterdam fahren kann, wenn ich aber gar nicht nach Amsterdam muss, dann freue ich mich doch nicht darüber, dass ich jetzt theoretisch kostenfrei nach Amsterdam fahren kann. Vielmehr ärgere ich mich darüber, dass ich für meine notwendige regelmäßige Fahrt von Frankfurt nach Köln mehr bezahlen muss. So ist das auch mit dem Schülerticket.
Es ergeben sich weitere Ungerechtigkeiten bei den Schülern. Wer mehr als 3 km von der weiterführenden Schule weg wohnt, bekommt die hessenweite Freifahrt quasi geschenkt. Die Kinder, auf die das nicht zutrifft und deren Eltern sich das Ticket nicht leisten können, sind von der Mobilität ausgeschlossen. Sie können dann eben nicht – –
Herr Boddenberg, Sie können nicht quer durch das Hessenland fahren. Auch das ist natürlich eine Ungerechtigkeit.
Was ist denn mit den Schülern, die, warum auch immer, eine weiter entfernte Schule besuchen? Das kann pädagogisch notwendig sein, oder es kann sein, dass sie umgezogen sind. Aber im Umkreis von 3 km gibt es eine näher gelegene Schule. Was ist denn mit denen? – Da entstehen neue Ungerechtigkeiten.
Man muss auch sagen, dass das Schülerticket für viele Familien schwer bezahlbar ist. Ja, 31 € ist ein guter Preis für eine Monatskarte im Vergleich zu den völlig überteuerten Preisen, insbesondere im Rhein-Main-Gebiet. Aber für Eltern, die jeden Euro umdrehen müssen, ist das noch sehr viel Geld. Das gilt insbesondere, wenn es mehrere Kinder betrifft.
Zum Vergleich: Der im Hartz-VI-Regelsatz für einen Erwachsenen vorgesehene Anteil für die gesamte Mobilität beträgt 26 €. Das sind 5 € weniger als für das Ticket, wie es jetzt beschlossen wurde.
Ich finde, das sollten Sie nicht einfach abtun. Herr Minister, Sie haben Mobilität als elementares Freiheitsrecht bezeichnet. Sie haben aber mit keinem Wort die Kosten der Mobilität erwähnt. Erst die Bezahlbarkeit für alle bedeutet Zugänglichkeit für alle.
In diesem Sinne sind die neuen Angebote für die Schülerinnen und Schüler, für die Landesbeamten und die Landesbeschäftigten gut. Für alle anderen wird das Fahren mit Bus und Bahnen aber weiterhin immer teurer. Die zehn Minuten dauernde Straßenbahnfahrt von Kaufungen nach Kassel kostet mittlerweile knapp 4 €. Die kurze Busfahrt von Bad Vilbel über die Stadtgrenze nach Frankfurt kostet
sogar fast 5 € pro Weg. Eine rabattierte Monatskarte für Frankfurt-Pass-Inhaber, also Menschen mit geringem Einkommen, kostet stolze 61 € im Monat und gilt dann nur für Frankfurt. Eine Pendlerin von Darmstadt nach Frankfurt bezahlt rund 180 € im Monat.
Diese Preise sperren viele Menschen von Mobilität aus. Es wird die freie Fahrt für einige geben. Es gibt aber immer teurere Fahrscheine für alle anderen. Das ist nicht gerecht. Herr Minister, das habe ich in Ihrer Vision für das Jahr 2035 vermisst. Wir brauchen günstige Fahrpreise für alle. Am besten hätten wir den Nulltarif, und das nicht erst im Jahr 2035.
Dass so etwas geht, haben Sie selbst mit Ihrer kreativen Ausgestaltung rund um das Landesticket bewiesen. Damit haben Sie gezeigt, dass so etwas möglich ist.
Ich will natürlich auch über die Situation der Beschäftigten sprechen. Herr Minister, das haben Sie leider nicht getan. Es geht um die Busfahrerinnen und Busfahrer, die durch abenteuerliche Regelungen mit unbezahlten Pausen und geteilten Schichten bei 14 Stunden Arbeit schnell unter den gesetzlichen Mindestlohn kommen, und das bei diesem sehr verantwortungsvollen Job.
Das ist die Folge des Wettbewerbs und der Ausschreibungspraxis auf dem Rücken der Beschäftigten. Mittlerweile gibt es alle paar Monate Probleme mit Busunternehmen irgendwo in Hessen. Es kommt zu Pleiten, Pech und Personalmangel. Ganz aktuell gibt es das im Landkreis Waldeck-Frankenberg. Aber auch die Menschen in Bad Homburg, in Oberursel, in Frankfurt-Höchst, im MainTaunus-Kreis, in Friedberg und anderswo in Hessen, die auf einen verlässlichen Busverkehr angewiesen sind, haben schon unter diesem Billigwettbewerb gelitten.
Mit den Ausschreibungen hat man keines der versprochenen Ziele erreicht. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Das hat zu deutlichen Lohneinbußen geführt. Das hat zu einem Massensterben mittelständischer Verkehrsunternehmen bei einem wachsenden Einfluss internationaler Konzerne geführt, die, oh Wunder, ihre Monopolstellung mittlerweile ausnutzen, um drastische Preissteigerungen durchzusetzen.
Das ÖPNV-Angebot stagniert derweil. Die Fahrpreise befinden sich im bundesweiten Vergleich auf Spitzenniveau. Wir sagen deshalb: Mobilität als Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle, und zwar nicht nur dort, wo der Markt versagt, sondern überall.
Es kann doch nicht sein, dass sich die Privaten die Rosinen herauspicken und der Staat für den Rest verantwortlich ist.
Deswegen sagen wir auch: Die Privatisierung der Buslinien ist genauso falsch wie die der Bahnen oder der Autobahnen. Gerade bei den Straßen hat uns der aktuelle Fall A 1 mobil ein weiteres Mal aufgezeigt, dass die Privatisierung der Infrastruktur ein Fehler ist. Gewinne werden privatisiert, die Verluste der Allgemeinheit übertragen. Die de facto beschlossene Privatisierung der Bundesautobahnen hat weiteren ÖPP-Projekten Tür und Tor geöffnet. Diese Privatisierung öffentlicher Infrastruktur lehnen wir ab, und zwar bei Buslinien, bei Bahnen und bei Autobahnen.
Es ist die Aufgabe der öffentlichen Hand, für zuverlässige und gut ausgebaute Verkehrsverbindungen zu sorgen. Insbesondere beim ÖPNV muss da mehr passieren. Auf dem Land gibt es in vielen Landstrichen praktisch keinen funktionalen ÖPNV. In den Ballungsgebieten platzen die Züge aus allen Nähten. Hier und da gibt es eine neue Buslinie. Aber es gibt nicht den großen Wurf. Viele der laufenden Ausbauprojekte, eigentlich alle, sind Jahrzehnte alt.
Es gibt da also eine ganze Menge zu tun. Sammeltaxis, Carsharing, Mitnahmemodelle können einen guten ÖPNV ergänzen. Sie dürfen ihn aber nicht ersetzen.
Auch hinsichtlich des Themas Barrierefreiheit gibt es noch viel zu tun. Da geht es viel zu langsam voran. Auch das kam in Ihrer Vision für das Jahr 2035 leider nicht vor. Dabei ist Barrierefreiheit natürlich wichtig, um Mobilität für alle zu garantieren.
Das gilt für alle Lebensbereiche, aber natürlich auch für Busse und Bahnen. Hier muss etwas passieren. Umständliche Rampen an den Zügen können nur eine Übergangslösung sein.
Herr Minister, auch für das Radfahren gilt: Da wird sehr viel geredet und öffentlichkeitswirksam geworben, im Alltag jedoch bleibt das Radfahren oft genug eine Zumutung. Die vom Land unterfinanzierten Kommunen haben keine Mittel für eine zusammenhängende Planung von Radnetzen. Sie müssen sich mit Stückwerk begnügen, wenn die Straßen sowieso saniert werden. Dann kommt es oft zu den berüchtigten und irgendwann im Nichts endenden Fahrradwegen, die überdies noch gefährlich sind. Ich sage mal so: Wenn wir in Hessen wenigstens so viele Radschnellwege hätten, wie Sie dieses Wort vorhin in Ihrer Regierungserklärung erwähnt haben, Herr Minister, dann wäre schon eine ganze Menge gewonnen.
Lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen, nämlich den Flughafen. Herr Minister, es ist schön, dass wir jetzt wissen, dass Sie auch „Beton können“, wie Sie es gerade in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben. Das wissen wir und die Menschen in der Region leider schon, seitdem Sie das Terminal 3 am Frankfurter Flughafen durchgewunken haben. Ja, Sie können sogar auch Flughafenausbau, sehr zum Leidwesen der Menschen in der Region.
Sie begleiten das ungebremste Wachstum des Frankfurter Flughafens mit Placebo-Maßnahmen, ob das nun die freiwilligen Lärmverschiebungen sind, die momentan gerne mal ausfallen, weil sie derzeit nicht so recht ins Konzept passen, oder eine Lärmobergrenze, mit der es noch lauter werden könnte, als es heute ohnehin schon ist. Nein, aktiver Lärmschutz muss heißen: eine Reduzierung der Flugbewegungen und ein echtes achtstündiges Nachtflugverbot. Der Flughafen im Ballungsraum – und mit ihm seine Arbeitsplätze – kann nur dann eine Zukunft haben, wenn er menschenverträglich gestaltet ist.
Alles in allem bleibt mir zu sagen: Ja, die Verkehrspolitik unter den FDP-Ministern war schlechter, aber gemessen an den Versprechen, die die GRÜNEN gegeben haben, nämlich die Durchsetzung einer Verkehrswende, bleibt Ihre
Meine Damen und Herren, normalerweise sollte man, wenn man in einer Debatte gesprochen hat, bis zum Ende der Aussprache bleiben und zuhören. Normalerweise mache ich das auch, nur heute bitte ich um Verständnis, dass ich schon früher gehe. Heute findet in Offenbach eine Demonstration gegen die Abschiebung von Schülern nach Afghanistan statt. Diese Demonstration wurde organisiert von Mitschülern und von Lehrern, unter anderem auch mit Unterstützung durch den DGB.
In Offenbach sind mittlerweile über 70 Schüler von einer Abschiebung nach Afghanistan bedroht. Ich finde, es kann nicht sein, dass vom Auswärtigen Amt offiziell eine akute Reisewarnung ausgesprochen wird, zugleich aber Schülerinnen und Schüler in dieses unsichere Land abgeschoben werden sollen. Jedes Kind, jeder Jugendliche verdient ein Recht auf Bildung, auf Unversehrtheit und auf eine gute Zukunft.
Da wir diese Forderung nach einem Bleiberecht natürlich unterstützen, weil Afghanistan kein sicheres Land ist, werde ich mich jetzt auf den Weg nach Offenbach machen, um an dieser Demonstration teilzunehmen.
(Judith Lannert (CDU): Frau Kollegin, hier ist Ihr Job während des Plenums! Das kann doch nicht wahr sein!)
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Judith Lan- nert (CDU): Das kann doch jetzt wohl nicht wahr sein! – Weitere Zurufe)
Vielen Dank, Frau Abg. Wissler. – Als Nächster spricht der Kollege Lenders für die Fraktion der Freien Demokraten. Bitte schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Staatsminister, am Anfang Ihrer Rede habe ich wirklich gedacht, dass Sie ein Bild skizzieren, wie sich diese Landesregierung zukünftig Mobilität in Hessen vorstellt – das haben Sie mit vielen Bildern untermauert –, und dass wir mal nicht dieses Klein-Klein hören nach dem Motto: „Ihr habt früher alles falsch gemacht“, sondern dass wir uns an eine etwas andere Diskussionskultur gewöhnen können. Dann haben Sie mich allerdings relativ schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, indem Sie in alte Denkmuster zurückgefallen sind.
Trauen wir uns doch einfach mal, Mobilität neu zu denken. Wie stellen wir uns Hessen im Jahr 2030 vor? Wie werden wir in Zukunft reisen? Wie kommen wir auf die Arbeit, zur Uni oder zum Arzt? Wie werden Waren und Güter bewegt? Schon da stellt sich die Frage: Woher wissen wir eigentlich, wo und wie wir in Zukunft arbeiten? Müssen Studenten in 15 Jahren wirklich noch in Hörsälen sitzen, oder werden sie ihren Unterricht durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung erhalten? Vielleicht gibt es dann gar keine klassischen Präsenzuniversitäten mehr.