Protocol of the Session on August 29, 2017

Trauen wir uns doch einfach mal, Mobilität neu zu denken. Wie stellen wir uns Hessen im Jahr 2030 vor? Wie werden wir in Zukunft reisen? Wie kommen wir auf die Arbeit, zur Uni oder zum Arzt? Wie werden Waren und Güter bewegt? Schon da stellt sich die Frage: Woher wissen wir eigentlich, wo und wie wir in Zukunft arbeiten? Müssen Studenten in 15 Jahren wirklich noch in Hörsälen sitzen, oder werden sie ihren Unterricht durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung erhalten? Vielleicht gibt es dann gar keine klassischen Präsenzuniversitäten mehr.

Wir haben dazu ein wenig von Ihnen gehört im Zusammenhang mit den Bildern, die Sie skizziert haben. Ich könnte diese Beispiele mit Ihnen zusammen weiter voranbringen. Es wäre sogar gut, wenn wir uns dieser Aufgabe einmal parteiübergreifend widmen würden. Im Moment sieht die Realität jedoch noch etwas anders aus. Täglich pendeln 350.000 Menschen nach Frankfurt, um dort zu arbeiten. 90.000 Frankfurter verlassen täglich die Stadt, um irgendwo anders zu arbeiten. Wo aber werden diese Menschen in 15 Jahren ihre Jobs haben?

Ich bin in vielen Punkten nicht einer Meinung mit Frau Wissler. Es stimmt jedoch, dass das Wohnen, das Leben, das Arbeiten und der Verkehr in einem direkten Zusammenhang gesehen werden müssen. Im Moment wird viel zu viel an Lebenszeit und an Energie damit verschwendet, von seinem Wohnort, von seinem Lebensumfeld dorthin zu kommen, wo man arbeitet. Genau dort müssen wir neu denken. Wir müssen den ländlichen Raum mit den Ballungsräumen zusammen denken, nur so werden wir dort Lösungen finden.

(Beifall bei der FDP)

Herr Staatsminister Al-Wazir, Sie haben in Ihrer Rede – manchmal ist es ja ganz gut, wenn man eine Rede nicht schon am Abend zuvor erhält; ich habe sie erst heute Morgen zu lesen bekommen – sehr viel dazu gesagt, was diese Landesregierung jetzt endlich machen will.

Dieser jahrzehntelange Stillstand, der nun endlich ein Ende hat, Herr Boddenberg – –

(Michael Boddenberg (CDU): Ihr Fraktionsvorsitzender hatte mich angesprochen!)

Deswegen habe ich Sie angesprochen. Ganz ehrlich, Herr Boddenberg: Hätten wir jemals als Koalitionspartner so viel Kritik an Ihnen geübt – das hätte mit Sicherheit eine Koalitionsrunde nach sich gezogen.

Herr Al-Wazir, die CDU regiert in diesem Land seit 1999, und für all das, was Sie kritisiert haben – für vieles zumindest –, ist dann auch die CDU verantwortlich. Das ist ja eine schöne Argumentation eines Staatsministers.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Bod- denberg (CDU))

Ich will mich mit diesen Dingen aber gar nicht so sehr befassen, sondern mich vielmehr den Zukunftsfragen widmen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir sagen: Das Ganze wird eher in Richtung Mobilitätsdienstleistungen gehen. Es geht um die Fragen: Was brauchst du? Brauchst du es schnell? Brauchst du es abends? Mit Gepäck? Mit wie vielen Personen? Brauchst du einen Schlafplatz? Brauchst du eine Arbeitsumgebung? – Die Mobilitätsangebote werden verkehrsträgerübergreifend sein. Wenn wir uns mit den Modellen, die Sie ebenfalls skizziert haben, etwas näher auseinandersetzen, dann wissen wir genau, vor welchen Herausforderungen wir stehen.

Mit alten Lösungsansätzen kommen wir da nicht weiter. Sie allerdings sind leider recht schnell wieder in die alten Reflexe zurückgefallen und haben noch viel schneller Ihre Errungenschaften hervorgehoben: das Fahrradfahren, das Zu-Fuß-Gehen, die Citybahn usw. Der Kollege SchäferGümbel hat Ihnen sehr schön noch einmal dargelegt, was Sie alles nicht gesagt haben. Sie haben beispielsweise nicht gesagt, dass es einen Landesstraßenbau gibt, der jedes Jahr

mindestens 185 Millionen € benötigte, Sie aber gerade mal 99 Millionen € in den Haushalt einstellen, sich dann aber hierhin stellen und sagen, Sie könnten auch Beton.

Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Beton zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass viele Menschen, die von Durchgangsverkehren belastet sind, auf eine Umgehungsstraße warten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Diese Menschen haben ein Recht darauf, dass endlich Landesstraßen gebaut werden, um diese Kommunen zu entlasten.

Wir haben vom Staatsminister nur wenig über den Warenund Güterverkehr gehört. Wir wissen, dass die Zahl der transportierten Waren und Güter weiter zunehmen wird. Aufgrund seiner zentralen Lage ist Hessen das Transitland Nummer eins. Das betont jeder. Meine Damen und Herren, mit dem Flughafen Frankfurt haben wir den größten europäischen Umschlagplatz für Luftfracht.

Was tun wir aber dafür, um Waren und Güter intelligenter zu transportieren, um Standzeiten zu vermeiden und um die Sicherheit im Güterverkehr zu erhöhen? Der Lang-Lkw ist einer der Lösungsansätze. Das wurde von den GRÜNEN bisher aber immer als Teufelszeug verurteilt.

Meine Damen und Herren, wir können uns gerne über Huckepacksysteme unterhalten. Ich glaube, dass wir dabei gar nicht so weit auseinander sind. Wir sollten uns aber noch einmal darüber unterhalten, wie solche Huckepacksysteme wirklich wettbewerbsfähig werden.

Meine Damen und Herren, wenn man in die Zukunft schaut, muss man nicht über irgendwelche Vakuumröhren spekulieren, die in irgendwelchen Wüsten oder in den USA entstehen werden. Die Zukunft, über die wir sprechen wollen, ist viel näher als das, was Sie hier teilweise skizziert haben. Im nächsten Jahr werden Bosch und Daimler ein Roboter-Taxi auf den Markt bringen. In vier Jahren sollen diese serienreif im Einsatz sein. Ab 2025 werden sie voll autonom gesteuert werden.

Meine Damen und Herren, bei der Anhörung haben wir gehört, dass das autonome Fahren in weiter Zukunft vielleicht eine Chance hat. – Estland macht das bereits. Das Fahrzeug gibt es auch hier in Deutschland. Lassen Sie uns endlich ein Pilotprojekt anstoßen mit gesteuerten Mikrobussen für den ÖPNV. Das kann eine echte Innovation sein. Diese Landesregierung hat diese Vorstöße von uns bisher immer nur abgelehnt.

(Beifall bei der FDP)

Die digitale Mobilität – Digitalität 4.0 – bietet Deutschland und Hessen große Chancen. Wir wollen diese Chancen ergreifen und Hessen zum Innovationsführer im Bereich der Mobilität machen. Wir glauben, dass Start-ups und Gründer einen großen Beitrag dazu leisten können, mit neuen kreativen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren.

Facebook, Google und Amazon gehören heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt und stoßen in immer neue Geschäftsbereiche vor. Wie werden denn Facebook und Google in dieser Mobilitätswelt unterwegs sein? Schaffen wir es denn in Deutschland, eigene Champions, eigene Weltmarktführer in dieser digitalen Welt zu etablieren, oder schaffen wir es nicht?

Wir haben in Hessen z. B. mit dem HoLM die allerbesten Voraussetzungen dafür, um gerade solch einer neuen Startup-Kultur einen Boden zu liefern und einen Rahmen zu geben.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für autonomes und vernetztes Fahren machen. Wo findet das aber eigentlich in Hessen statt? Mit welchen Projekten will sich Hessen als Standort für digitale Verkehrswirtschaft etablieren? Bis auf wenige Skizzen am Anfang Ihrer Rede, Herr Staatsminister, sind Sie heute Antworten schuldig geblieben.

(Beifall bei der FDP)

Diese neuen Mobilitätsanforderungen und Mobilitätskonzepte erfordern neues Denken auch in der Raum- und Stadtplanung. Das ist heute bereits von den Kollegen gesagt worden. Wenn Autos ihren Gast abladen und autonom weiterfahren, brauchen wir nicht nur weniger Parkplätze, sondern es entstehen auch neue Anforderungen. Diese Fahrzeuge stehen dann zwar nicht mehr auf einem Parkplatz, aber sie sind immer in Bewegung. Das heißt, sie sind permanent im Stadtraum.

Außerdem brauchen wir neue Anlaufpunkte für solche Mikrobusse. Unter Umständen brauchen wir auch so etwas wie einen Drohnenparkplatz oder ein Drohnenparkcenter für die Warenversorgung. Das hat direkt etwas mit Stadtplanung zu tun. Das bleibt nicht auf der Straße hängen. Da werden wir deutlich mehr machen müssen. Sie haben das skizziert. Ich bin durchaus willens, solch einen Weg gemeinsam mit Ihnen zu gehen und mich auf eine Diskussion mit Ihnen einzulassen. Dann müssen Sie aber auch sagen, wie Sie konkret weiter voranschreiten wollen, wie denn eine solche Infrastruktur in Hessen aussehen soll.

Herr Al-Wazir, ich finde, Ihre Rede hat auf ein Problem hingewiesen, das ich auch bei Frau Wissler sehe, bei der ich aber schon alle Hoffnung aufgegeben habe. Sie befindet sich sehr stark in ihren alten Strickmustern. Sie ist sehr darauf fixiert, das Seelenheil sei der kostenlose ÖPNV für alle. Die Frage, wie das in Hessen finanziert werden soll, muss Frau Wissler wahrscheinlich nie beantworten. Das ist aber auch gut so.

(Beifall bei der FDP)

Herr Al-Wazir, Sie haben das aber leider auch gemacht. Nach einem guten Anfang sind Sie anschließend in ein grünes Strickmuster zurückgefallen. Bei Ihnen sieht es so aus, dass Ihr Seelenheil die Elektromobilität ist. Ich finde es übrigens sehr spannend, dass Herr Kollege Caspar an dieser Stelle eine andere Position einnimmt. Die SPD hat dankenswerterweise deutlich differenzierter gesagt, dass wir uns technologieoffen in eine solche Diskussion hineinbegeben sollen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wie denn sonst?)

Meine Damen und Herren, Zukunft und Technologieoffenheit wird bei den GRÜNEN offenbar eher von Parteitagsbeschlüssen bestimmt, als dass sie von Vernunft getrieben ist.

(Beifall bei der FDP)

Wir vertrauen auf die Innovationskraft von Ingenieuren und Entwicklern. Wir beginnen die Debatte nicht mit einer Verbotsdiskussion, wie dies die GRÜNEN machen. Wir stehen für Innovations- und Technologieoffenheit.

Meine Damen und Herren, deshalb gehört auch für uns der Diesel ganz klar dazu. Herr Al-Wazir, ich habe gehört, was Sie zur Dieseltechnologie gesagt haben. Das hört sich manchmal doch sehr anders an. Ich sage aber für uns Freie Demokraten: Fahrverbote wird es mit uns nicht geben; denn diese sind nichts anderes als eine Enteignung.

(Beifall bei der FDP)

Außerdem sehen wir in der Dieseltechnologie durchaus eine gute Zukunft, weil der Diesel dazu beiträgt, die CO2Ziele Deutschlands zu erreichen. – Herr Lenders hat gesagt, dass der Diesel dazu beiträgt, die CO2-Ziele Deutschlands zu erreichen. Nicht, dass mir nachher wieder dumme Fragen gestellt werden.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Außerdem ist der Diesel für die Menschen bezahlbar.

Meine Damen und Herren, wir sind gegen Fahrverbote, weil diese Zehntausende Pendler in Hessen treffen und damit die Menschen bestraft werden würden, die am wenigsten etwas für die aktuelle Situation können.

Herr Al-Wazir, statt hier das Märchen vom bösen Diesel zu erzählen, sollten Sie einmal sagen, dass der Verkehrssektor seit 1990, also schon länger, als die CDU regiert, die Stickoxidemissionen um 70 % gesenkt hat. Noch nie waren die Autos so umweltfreundlich wie heute. Ihr Ansatz ist aber eher, das Auto zu verteufeln und anderen Technologien als dem Elektroauto eine Absage und Verbote zu erteilen.

Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser Fakten Angst und Hysterie schürt, handelt unverantwortlich.

(Beifall bei der FDP)

Die Bürger haben für solche Geisterfahrerdiskussionen, die meilenweit an der Realität vorbei sind, kein Verständnis. Herr Boddenberg, so komisch ist das nicht. Wir müssen für die Menschen, die ein Dieselfahrzeug haben – ich lasse Ihre Zwischenfrage gleich gern zu; lassen Sie mich nur diesen Satz zu Ende bringen, dann dürfen Sie –, Antworten finden. Demjenigen, der noch ein Dieselfahrzeug fährt, werden überhaupt keine Antworten zur Frage des Wertverlusts gegeben vom Dieselgipfel, der maßgeblich von dieser Bundesregierung betrieben worden ist.

Jetzt lasse ich gerne eine Zwischenfrage zu.

Herr Kollege, Sie haben von Geisterfahrern gesprochen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage. Wer ist denn das aus Ihrer Sicht? Ist Ihnen bekannt, dass es eine Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland gibt?

Wenn ich darf, stelle ich noch eine zweite Frage: Hat denn die FDP eine Antwort auf dieses Verfahren bzw. auf die Notwendigkeiten, die sich aus der Überschreitung von Grenzwerten ergeben?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr gute Frage!)

Herr Boddenberg, es ist vor allem für ein hessisches Unternehmen ein Riesenproblem, dass die Europäische Union diese Pakete zusammengeschnürt hat. Aber wir müssen auch klar sagen: Sollte es nicht gelingen, den Diesel in den Fahrzeugflotten zu etablieren, dann werden Unternehmen wie Opel immense Strafzahlungen zu leisten haben, weil sie es im Flottenverbund nicht hinbekommen. Das ist einer der Gründe, warum sich General Motors damit beschäftigt hat: Ist der Diesel, ist die Fahrzeugindustrie in Europa zukünftig noch ein Geschäftsmodell, das man wirtschaftlich betreiben kann, oder ist sie keines mehr? – General Motors ist nach vielen Überlegungen zu dem Schluss gekommen: Mit dem, was die Europäische Union da vorhat, muss Schluss sein.