Protocol of the Session on June 1, 2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für alle, die hierherkommen und bleiben dürfen, werden wir sorgen. Herr Roth hat gefragt, ob wir sonst keine Probleme hätten. Wir haben von Anfang an die Herausforderung gesehen und auch definiert. Wir haben uns gefragt: Wie gelingt es, dass die Flüchtlinge, die hierherkommen, gut aufgenommen und gut versorgt werden? Wir geben ihnen eine Integrationsperspektive, wir bieten Sprachkurse und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen an. Wir haben Maßnahmen im Wohnungsbau ergriffen. Denken Sie an das Programm InteA in den Schulen und daran, dass wir Tausende zusätzlicher Lehrer eingestellt haben.

All das ist doch nicht deshalb getan, weil wir gedacht haben, wir hätten zu viel Geld, sondern deshalb, weil wir uns die Frage gestellt haben, welche Herausforderungen auf uns warten. Deshalb haben wir einen Aktionsplan I und einen Aktionsplan II aufgelegt. Mit dem Aktionsplan II haben wir nachgesteuert. Wir haben evaluiert und festgestellt, welche Probleme und Herausforderungen es vor Ort bei den Kommunen gibt. Bei den Pauschalen wurde nachgebessert, und sie werden länger gewährt. Ich erinnere außerdem an die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge, an die Psychotrauma-Behandlungen und vieles andere mehr.

Keiner wird sich hierher stellen und sagen, alles sei toll, alles sei super, alles sei beendet. Im Gegenteil, das ist ein langjähriger Prozess. Wir befinden uns in einem Marathonlauf und haben die ersten Kilometer zurückgelegt. Es bleiben aber noch viele, viele Kilometer, die zurückzulegen sind. Das wird eine harte, anstrengende und übrigens auch finanzpolitisch große Herausforderung. Die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind aber bereit, diesen Weg zu gehen. Die Integration muss gelingen. Es gibt dazu keine Alternative.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Sie unterstellen in Ihrem Antrag, Hessen sei nicht solidarisch, Hessen würde vor allem auf Abschiebung und auf Ausgrenzung von Flüchtlingen setzen. Diese Aussage ist völlig absurd – insbesondere wenn man bedenkt, dass durch den Aktionsplan II 1,6 Milliarden € zur Verfügung gestellt wurden, wenn man bedenkt, dass wir behutsame Verfahren gefunden haben, selbst für kritische Länder, wie z. B. Afghanistan, wo die Bundesregierung etwas anderes macht als wir. Da Sie das alles wissen, dürfen Sie dieses Bild nicht stellen. Daher wehre ich mich gegen das, was Sie hier tun.

Wir gehen wirklich mit größter Sorgfalt vor. Wir legen umfangreiche Finanzprogramme auf und verfolgen umfangreiche Integrationspläne. Das ist die Realität in Hessen. Hier wird nicht mutwillig, sondern nach rechtsstaatlichen Verfahren abgeschoben. Hier wird nicht ausgegrenzt, sondern versucht, alles zu tun, damit diese Menschen gut integriert werden. Das ist die Realität in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Bocklet, was sagen Sie zur Darmstädter Initiative?)

Vielen Dank, Herr Bocklet. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Öztürk. Sie haben fünf Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich schlage vor, dass wir zum Inhalt dieses Antrags zurückkommen und keine weiteren Nebelkerzen werfen, wie es Frau Wallmann und Herr Bocklet zu tun versucht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht einfach darum: Wenn man sagt, dass die Initiativen der Menschen vor Ort, die Initiativen von Ehrenamtlern, für diesen Landtag von Wert sind, dann ist es selbstverständlich, dass man über diese Initiativen diskutiert und nicht so tut, als ob der Bürgerwille vor Ort nichts wert sei. Sonst brauchen wir uns nämlich nicht mehr darüber zu beschweren, dass die Politikverdrossenheit immer mehr um sich greift, und brauchen uns auch nicht mehr zu fragen, warum sich die Menschen nicht mehr mit der Politik identifizieren.

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute haben wir die Möglichkeit, den Bedarf vor Ort aufzugreifen und durch Zustimmung zu dem Antrag der LINKEN zu signalisieren: Wir nehmen den Willen, mehr geflüchtete Menschen aufzunehmen, zur Kenntnis und unterstützen diese Initiative. – Das wäre die logische Konsequenz, wenn man das ernst nähme, was Sie hier immer wieder sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kommunen Marburg und Darmstadt haben Beschlüsse gefasst, mit denen – im Rahmen der Solidarität mit Europa – ganz klar der Wille zum Ausdruck gebracht wird, geflüchtete Menschen, die beispielsweise in Ländern wie Griechenland oder Italien in unwürdigen Zuständen untergebracht sind, aufzunehmen, zu integrieren, ihnen eine Chance geben, weil man bei dem Verteil-Klein-Klein, bei den Verteilaktionen nicht weiter tatenlos zuschauen möchte. Was ist daran verwerflich? Das frage ich Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das frage ich Sie, weil Sie auf der einen Seite das Ehrenamt loben und auszeichnen wollen, auf der anderen Seite aber mehr Solidarität in Europa fordern, z. B. in der letzten Regierungserklärung. Wenn jetzt konkrete Initiativen diesen Wunsch äußern, Flüchtlinge in den Kommunen aufzunehmen, was ist daran verwerflich? Warum diskutieren Sie die ganze Zeit über die Asylpolitik im Allgemeinen, wenn es um eine konkrete Bereitschaft zur Aufnahme von Menschen vor Ort geht? Seien Sie doch einmal ehrlich. Bekennen Sie sich dazu, ob Sie den Menschen sichere Wege nach Europa und nach Hessen verschaffen wollen. Oder möchten Sie sich eher bei Sonntagsreden aufhalten und den Menschen den Eindruck geben, Sie würden eine solidarische Flüchtlingspolitik betreiben, obwohl unter dem Strich gar nichts dabei herauskommt?

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Was die Abschiebungen betrifft, möchte ich daran erinnern, dass heute im Bundestag von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Antrag eingebracht werden wird, mit dem man einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan fordert. Es wird eine namentliche Abstimmung dazu geben. Wie sich die Bundes-GRÜNEN dazu positionieren werden, ist mir klar. Wie sich die Landes-GRÜNEN hierzu im November positioniert haben, ist mir auch klar.

Wenn hier irgendjemand sagt, man würde Wählerinnen und Wähler verlieren: Man sollte nicht so laut reden, wenn man im Glashaus sitzt, Herr Kollege Bocklet. Das war wirklich das Allerletzte, wenn ich das einmal so sagen darf.

Ich finde es wichtig, dass der Landtag auf das eingeht, was die Initiativen hier in Hessen fordern. Sie wollen ein Relocation-Programm. Ich finde es richtig, dass man ein neues Landesaufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge auflegt; denn überall, wo man mit Flüchtlingen zu tun hat, sei es bei Besuchergruppen oder bei privaten Begegnungen, hört man oft Aussagen wie diese: „Ich bin jetzt in Deutschland, ich habe es geschafft, Leib und Leben zu retten, ich habe mich hier integriert, ich lerne Deutsch, aber meine Frau ist noch in der Türkei, meine Kinder sind noch in Türkei.“ Von Frauen hört man oft: Ich bin alleine geflüchtet, mein Mann ist noch in Syrien, bzw. mein Mann ist noch in der Türkei. – Wir haben die Familienzusammenführung ausgesetzt, indem wir einem Teil der Leute subsidiären Schutz gewähren.

Das ist ein ganz konkretes Problem, mit dem die Menschen jeden Tag zu uns Politikerinnen und Politikern kommen, und es ist unsere Aufgabe, eine Antwort darauf zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb fordere ich von der Landesregierung, die gute Idee, die sie hatte, nämlich das Landesaufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge, neu aufzusetzen und da keine finanziellen Hürden zu schaffen, damit Menschen, die Verpflichtungserklärungen abgeben, nicht in einer schwierigen Lage sind. Vielmehr sollte man diese Landesaufnahmeprogramme finanziell so ausstatten, dass kein Dritter darunter leiden muss.

Ich finde, es wird auch Zeit, dass man sich auf der Bundesebene für ein Bundesaufnahmeprogramm einsetzt; denn was die 1 Million Flüchtlinge betrifft, von denen Sie hier reden, muss ich sagen: Wenn Sie ganz ehrlich sind, müssen Sie zugeben, wir haben sie nicht aktiv aufgenommen. Wir haben keine Programme aufgelegt, mit denen wir den Leuten aktiv und legal den Weg zu uns geebnet haben, sondern sie sind selbst gekommen, und wir haben die Grenzen aufgrund der humanitären Notlage nicht geschlossen.

Das war richtig. Aber es wird Zeit, dass man jetzt aktive, legale Aufnahmeprogramme – Resettlement-Programme, Relocation-Programme – auflegt, damit die Menschen, da der Krieg in Syrien noch nicht vorbei ist, legale Wege finden und sich nicht in diese Boote setzen und im Mittelmeer ertrinken. Das ist mein Appell an Sie.

Lassen Sie also das parteipolitische Klein-Klein, den Pingpongball zwischen sich und der LINKEN hin- und herzuschlagen.

(Michael Boddenberg (CDU): Parteipolitisches Klein-Klein können Sie nicht mehr! Aber demnächst wahrscheinlich wieder!)

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Es ist wichtig, dass wir legale Wege schaffen. Das liegt in Ihrer Hand. Sie sind im Bund in der Verantwortung. Hier sind Sie ebenfalls in der Verantwortung. Meine Damen und Herren, machen Sie etwas, und werfen Sie keine Nebelkerzen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Staatsminister Beuth. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin den Kollegen und der Kollegin sehr dankbar, die die Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit hier noch einmal erörtert haben. Das erlaubt mir, mich auf ein paar wenige Punkte zu konzentrieren, auch wenn ich durch die Stellungnahme für die Landesregierung eine weitere Debatte auslöse. Das war jetzt aber nicht zu ändern; denn es ist angemessen, dass ich dem Parlament für die Regierung Rede und Antwort stehe.

Wir hatten in den Jahren 2015 und 2016 enorm hohe Flüchtlingszahlen. Sie alle kennen sie: Über 100.000 Flüchtlinge sind in Hessen angekommen, und fast 80.000 haben wir aufgenommen. In diesem Jahr sind bisher über 6.000 Menschen in unsere Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gekommen. Fast 4.000 davon sind bis zum 25. Mai dieses Jahres in Hessen geblieben.

Angesichts dieser Zahlen müssen wir noch einmal deutlich feststellen: Deutschland – aber auch Hessen – hat in Sachen Humanität wirklich keinen Nachholbedarf. Was das ist, brauchen wir uns hier von den LINKEN nicht erklären zu lassen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir von Humanität sprechen, müssen wir auch deutlich sagen – das haben die Kollegen schon angedeutet –, Humanität ist ein europäischer Grundwert. Wir haben in den Jahren 2015 und 2016 viel an humanitärer Hilfe für Flüchtlinge leisten müssen. Wir hätten uns gewünscht, dass unsere europäischen Partner, die an vielen Stellen mit uns zusammenarbeiten, auch in dieser Frage sehr eng mit uns zusammengearbeitet und ein genauso humanitäres Gesicht wie Deutschland gezeigt hätten. Das haben wir allerdings vermisst.

Ich finde, wir können für das, was in den vergangenen zwei Jahren erreicht worden ist, sehr dankbar sein. Die ehrenamtlich Tätigen haben dafür gesorgt, dass die Menschen in unserem Land aufgenommen worden sind: vom Katastrophenschutz über die Feuerwehr, die Hilfsorganisationen, die Flüchtlingsinitiativen, die Kirchen, die kulturellen Organisationen und die Vereine bis zum Sport. Aber ich will betonen, dass auch die Schulen, die Betriebe und unsere Verwaltungen Großartiges geleistet haben. Wir haben insgesamt ein großes Engagement und eine große Hilfsbereitschaft gezeigt.

Meine Damen und Herren, Hessen hat ein großes Herz gezeigt. Das lassen wir uns auch durch linke Anträge nicht nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Aber es war auch richtig – das muss man deutlich sagen –, dass wir die Zugangszahlen in den Griff bekommen haben. Die Zugangszahlen sind zurückgegangen, wie ich eben anhand der Zugangszahlen aus dem Jahr 2017 illustrieren konnte. Die gesellschaftliche Akzeptanz für die Aufnahme vieler weiterer Flüchtlinge war in Gefahr. Herr Kollege Bocklet, deshalb ging es völlig unabhängig von der Frage, ob es eine weitere Aufnahmefähigkeit gab, um die Akzeptanz im Lande, die sozusagen verloren zu gehen drohte. Deswegen war es wichtig, dass die Bundesregierung, im Einverständnis mit den europäischen Partnern, bei der Zugangsbegrenzung erfolgreich war.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Gut so!)

Die Balkanroute ist geschlossen worden. Es wurde ein Abkommen mit der Türkei getroffen. Wir verstehen es mittlerweile als eine gemeinsame europäische Aufgabe, uns um das Ablegen von Schlauchboten in Libyen zu kümmern. Der sicherste Weg, zu verhindern, dass jemand im Mittelmeer ertrinkt, besteht nämlich darin, dafür zu sorgen, dass niemand mehr in ein Schlauchboot steigt und losfährt. Das müssen wir erreichen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten, und dafür müssen wir unsere wirtschaftliche Kraft einsetzen. Dafür müssen wir unsere diplomatische Kraft einsetzen, und dafür müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten.

Das gilt im Übrigen auch im Hinblick auf die Transferwege in Afrika selbst, durch die ein großer Druck auf die Länder an der nordafrikanischen Küste erzeugt wird, wenn es uns, auch durch unsere wirtschaftliche Unterstützung, nicht gelingt, dort Perspektiven für die Menschen aufzuzeigen, damit sie sich gar nicht erst in Bewegung setzen. Das ist der sicherste Weg, um das Fluchtelend zu verhindern. Aber es ist auch ein schwierigerer Weg; da brauchen wir uns nichts vorzumachen.

Wir werden uns bis dahin noch mit vielen Fragen auseinandersetzen müssen, die mit diesem Punkt zusammenhängen. Das Relocation-Programm wird in Hessen im Rahmen der europäischen Absprachen, so, wie sie getroffen worden sind, konsequent umgesetzt.

Ich kann menschlich und auch politisch nachvollziehen, dass größere Städte Symbole schaffen, indem sie erklären: Wir wollen ein Extraprogramm auflegen. – Ich kann das Symbol verstehen. Aber ich finde es, ehrlich gesagt, nicht ganz fair, wenn um eines politischen Symbols wegen andere, die dann sozusagen die Kostenträger sind, das bezahlen sollen.

(Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): Das sind doch die Gleichen!)

Deswegen ist es wichtig, dass wir im europäischen Kontext eingebettet bleiben.