Für jede und jeden muss es eine gesetzliche Mindestrente geben, die vor Armut im Alter schützt. Die gesetzliche Rente muss wieder den Lebensstandard sichern, ohne dass die Betroffenen auf die private Vorsorge verwiesen werden. Nach einem harten Arbeitsleben muss man sorgenfrei und in Würde in den Ruhestand gehen können.
Dass das geht, sieht man in Österreich. Dort zahlen die Arbeitgeber 12,55 % des Lohns in die Rentenkasse ein. Dort gibt es auch eine Erwerbstätigenversicherung. Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Freiberufler und selbstverständlich Abgeordnete, Ministerinnen und Minister sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. Mit 65 Jahren geht jeder abschlagsfrei in die Rente.
In der Vergangenheit waren 22 % der Verstorbenen jünger als 70 Jahre. Vor allem die Armen müssen früher sterben. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen. Die armen Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen. Darum ist jede Forderung nach einem Renteneintritt erst mit 67 Jahren oder noch später zynisch. Armen Menschen werden dadurch nicht einmal ein paar Jahre Ruhestand gegönnt.
„Ei, ei, ei!“ ist alles, was Ihnen dazu einfällt. Sie wollen die Welt nur so sehen, wie Sie sie sehen: aus dem Blickwinkel derer, denen es gut geht. Versuchen Sie einmal, den Blickwinkel derer einzunehmen, denen es nicht gut geht. Dann würden Sie sich hier vielleicht das „Ei, ei, ei!“ verkneifen.
Auch die einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln gibt es in Österreich. In Österreich erhält ein Single, wenn er nur einen Cent Rentenanspruch hat, mindestens 1.038 € Rente; mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1.167 €. Für solche Reformen sollte sich Hessen auch auf der Bundesebene starkmachen.
Bis dahin hat die Landesregierung die Verantwortung, die Folgen der Armut erträglich zu machen. Das bedeutet, sie muss alles dafür tun, damit eine Teilhabe auch für arme Menschen möglich ist. Sie hat gemeinsam mit den Kommunen die Aufgabe, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Sie muss dafür sorgen, dass die Menschen den Zugang zu den ihnen zustehenden Sozialleistungen erhalten. Sie muss Mobilität ermöglichen, und sie muss dafür sorgen, dass sie barrierefrei und kostenlos ist – eventuell vorübergehend durch eine Teilhabekarte, mittelfristig in Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Verkehrsverbünden durch ein Umlageverfahren.
Meine Damen und Herren, die Statistik zeigt deutlich, der ältere, über 65 Jahre alte Teil der Bevölkerung lebt eher in den ländlich strukturierten Regionen Hessens. Dies bedeutet aber, dass sie die mangelhafte Infrastruktur mit voller Wucht trifft. Eigentlich wollte die Landesregierung regionale Atlanten zur gesundheitlichen Versorgung herausgeben; daraus ist aber anscheinend nichts geworden. Somit kann ich nur auf die Zahlen von vor drei bis vier Jahren eingehen.
Schon damals war fast ein Drittel der Hausärztinnen und -ärzte 60 Jahre und älter. 2017 suchen bereits 1.102 Ärztinnen und Ärzte einen Nachfolger. 2020 sollen es 1.575 sein. Wenn Hausärzte mit 65 Jahren ihre Praxis abgeben, liegt der Wiederbesetzungsbedarf im Jahr 2020 in Hessen bei 40 %. Das ist fast die Hälfte. Es wird Zeit, dass wir da einmal in die Puschen kommen und uns ernsthaft Gedanken machen und Lösungen finden.
Bereits jetzt ist es in nicht wenigen Kommunen schwierig, einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu finden. Fragen Sie erst einmal, wie schwierig es sein kann, wenn Sie Leiter einer Senioreneinrichtung sind, dann jemanden zu finden – vor allen Dingen dann, wenn der Kollege oder die Kollegin, die es macht, in den Ruhestand geht. Jemanden zu finden, der noch Kapazitäten frei hat und vielleicht auch noch
Hausbesuche bei bettlägerigen oder nicht mobilen Patientinnen und Patienten macht, ist kaum mehr möglich.
Wenn die bisherige hausärztliche Versorgung nicht mehr funktioniert, erscheint am Horizont die Wunderwaffe der Telemedizin. Ich kann mir vorstellen: Wenn Assistentinnen bei älteren Menschen vor Ort sind, über das Internet Daten übermitteln und mit dem Arzt oder der Ärztin Kontakt aufnehmen, kann das hilfreich sein. Ich sage dies bewusst in der weiblichen Form, weil hier wieder eine Berufsgruppe geschaffen wird, die so wenig verdienen wird, dass das nur Frauen machen werden.
Es wird aber nur in bestimmten Fällen möglich sein, dass die Seniorinnen und Senioren ihre Daten selbst übermitteln. Die Anzahl der über Achtzigjährigen, die Onlinebanking machen und mit ihren Enkelinnen chatten, ist eben noch nicht so hoch.
Diejenigen sind von Informationen und Zugängen abgehängt, die keinen Internetzugang haben. Das sind viele arme Menschen und viele Seniorinnen und Senioren. Da hilft es nicht, wenn die Tagesschau auf ihre App verweist, wenn man keine Ahnung hat, was das ist.
Aktuell schließen viele Sparkassen ihre Filialen in den Wohngebieten – auch diejenigen, die nur noch mit einem Terminal ausgestattet sind. Dies führt dazu, dass Seniorinnen und Senioren ihre Geldgeschäfte nicht mehr selbstständig erledigen können oder lange, beschwerliche Wege mit Bussen und Bahnen vor sich haben. Wenn man kein Onlinebanking nutzen will oder kann, erhöhen sich die Kontoführungsgebühren eklatant. Das trifft wieder Menschen mit geringer Rente.
In ihren Stadtteilen und Wohnorten finden sich keine Einkaufsmöglichkeiten mehr. Sie sind darauf angewiesen, dass Kinder oder Enkel mit ihnen einkaufen gehen oder ihnen die Einkäufe mitbringen. All dies schränkt die Selbstständigkeit stark ein. Das geht auch nur dann, wenn die Kinder oder Enkel überhaupt da sind und nicht irgendwo anders aus beruflichen Gründen – heute muss man ja flexibel sein – leben. Dann bleibt nur der teure Bringdienst oder, wenn man Glück hat, die ehrenamtliche Hilfe von der Kirche oder dem Generationenverein.
Hier ist das Land gefordert, für eine gute Infrastruktur zu sorgen und die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Wenn sie auch von der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert werden muss, hat aber das Land die Aufgabe, den Rahmen dafür zu schaffen – auch für vernünftige Bereitschaftsdienste und wohnortnahe Krankenhäuser. Das tun Sie aber nicht. Im ersten Fall will sich die Landesregierung nicht mit der KV anlegen, und im zweiten Fall ist der Sozialminister sowieso der Meinung, dass kleinere Häuser auf dem Land geschlossen gehören. Das trifft aber ganz besonders die ältere Bevölkerung.
Flächendeckend in Hessen benötigen Seniorinnen und Senioren Anlaufstellen, wo sie Beratung bezüglich Hilfen und sozialer Fragen erhalten, wo es Angebote für Jung und Alt gibt, wo sie sich an Aktivitäten beteiligen können, wo sie Hilfe oder Hilfe zur Selbsthilfe erhalten oder wo auch nur Treffpunkte sind, wo sie nicht immer viel Geld ausgeben müssen und einmal einen Kaffee trinken können, das Gespräch suchen oder ein Gesellschaftsspiel spielen können.
Auch wenn es in inzwischen hoffentlich allen kreisfreien Städten und Kreisen Pflegestützpunkte gibt, ist dies nicht
ausreichend für eine gute Versorgung. Notwendig ist gerade eine gute Infrastruktur für demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen. Hier gibt es mehr Lücken als Versorgung. Da würde eine Informationsreise nach Rheinland-Pfalz die Augen öffnen, was man im Bereich Pflege, Demenzerkrankung und Pflegewohngemeinschaften alles machen kann und sollte.
Die Landesregierung hat sich im letzten Jahr bei der Änderung des Gesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen massiv geweigert, die Möglichkeiten für trägerorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften zu eröffnen. Ich habe nicht verstanden, was das soll. Wenn der Sozialminister die Anzahl der Anzuhörenden bei der Novellierung des Gesetzes als Beleg anführt, dass sich das Gesetz bewährt hat, frage ich mich: Was haben Sie, Herr Sozialminister, mit den zahlreichen Schreiben der Verbände gemacht, die die Politik dringend gebeten haben, das Gesetz so zu ändern, dass trägerorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften eine Chance haben? – Haben Sie sie in den Müll geworfen und ignoriert? – Man kann doch nicht so ignorant sein und dies noch als Bestätigung der eigenen Verhinderungspolitik darstellen. Das, was Sie da machen, geht nicht.
Warum dürfen Hessinnen und Hessen nicht in den Genuss eines betreuten Wohnens kommen, wenn sie älter sind und lieber in einer kleinen Wohnung statt in einem großen Heim leben wollen? Die Atmosphäre in den Pflegewohngemeinschaften entspricht meist eher den gewohnten Lebens- und Wohnstandards. Die Möglichkeiten, individuell auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen, sind da viel größer.
Der Kahlschlag beim sozialen Wohnungsbau trifft besonders die älteren Mieterinnen und Mieter. Bei 13.000 Wohnungen, die jährlich aus der Sozialbindung herausfallen, hilft es wenig, wenn jährlich 3.000 neue Sozialwohnungen in Hessen entstehen. Wichtig wäre an dieser Stelle, dass sie dann aber bezahlbar und barrierefrei sind. Beides ist meistens nicht der Fall.
Ein Aspekt des Alters ist auch das Angewiesensein auf Pflege. Das trifft etwa 15 % der über 65-Jährigen. Die Leistungen, die die Menschen erbringen, die dort pflegen, kann man gar nicht hoch genug anerkennen und anrechnen. Aber das tun wir immer wieder auch nur, indem wir ihnen warme Worte gewähren. Da gibt es viel mehr zu tun.
Es gibt in allen Bundesländern inzwischen einen Fachkräftemangel in der Altenpflege. Man braucht oft die Unterstützung, auch wenn man zu Hause pflegt. Ein Stellenangebot für eine examinierte Altenpflegefachkraft wird im Bundesdurchschnitt fünf Monate lang nicht besetzt. Es dauert rund 70 % länger als bei anderen Berufen. Die Schere zwischen Bedarf und Fachkräften geht weiter auseinander. Dazu kommt, dass viele demnächst in die Rente gehen werden.
Eine deutliche Mahnung an die Politik wie die Pflegeeinrichtungen ist die Flucht der Beschäftigten in die Teilzeit. Das sind im stationären Pflegebereich bereits mehr als die Hälfte der Fachkräfte. In den Pflegeeinrichtungen nimmt die Arbeit pro Bewohner zu, weil die Menschen erst später im Alter in die Einrichtungen kommen, weil die Krankenhäuser schneller entlassen und weil es mehr demenzerkrankte und multimorbide Bewohnerinnen und Bewohner
Der Druck in der Pflege nimmt weiter zu. Fehlende Kräfte führen zu einer Arbeitsverdichtung, der dadurch Einhalt geboten werden muss, dass mehr Menschen in der Pflege beschäftigt werden. Das bedeutet aber auch: Wir müssen mehr aktiv Werbung für diesen Beruf machen, und wir müssen die Rahmenbedingungen für diesen Beruf deutlich verbessern.
Wir sind gespannt, wie die Landesregierung das Pflegestärkungsgesetz II umsetzen will, das erstmals die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Pflegepersonals in Pflegeeinrichtungen normiert. Damit sollte man eben nicht bis 2020 warten – auch wenn ich der Hoffnung bin, dass wir bis dahin eine hoffentlich neue und sozialere Landesregierung haben.
Besonders stiefmütterlich werden in Hessen die Altenpflegeschulen vom Land behandelt, wobei diese den Nachwuchs, der so dringend gebraucht wird, gut und umfassend ausbilden sollen. Trotz des Altenpflegegesetzes werden den Altenpflegeschulen die angemessenen Kosten nicht erstattet, auch wenn der Minister immer wieder stereotyp das Gegenteil behauptet.
Die geringe Erhöhung war weder sachgerecht noch ausreichend. Man sollte sich besser an der Förderung der Gesundheit und Krankenpflege orientieren, wenn man dort über die Kosten nachdenkt. Außerdem braucht man finanzielle Mittel, um über die Ausbildung und den Beruf zu informieren und Seiteneinsteigerinnen die Möglichkeit zu geben, die Ausbildung zu absolvieren.
Es bleiben Fragen. Eine davon ist: Wo ist denn Oma? – Der Lehnstuhl ist leer, wenn die Enkelin zu Besuch kommt. Ist Oma beim Flaschensammeln oder bei ihrem Minijob im Supermarkt, um ihre schmale Rente aufzubessern?
Ist das der neue Blick aufs Alter? – Diesen möchte ich nicht haben müssen. Leider ist das aber die Realität in diesem Land.
Vielen Dank, Frau Schott. – Als Nächster spricht Herr René Rock, Abgeordneter der Freien Demokraten. Bitte sehr. – Fraktionsvorsitzender, Entschuldigung.
(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Seufzen des Abg. René Rock (FDP) – Allgemeine Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Ist das die Bürde des Amtes?)
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich an dieser Stelle geäußert, wie ich mich geäußert habe, weil es jetzt nicht um meine persönliche Einstellung zu irgendetwas geht, sondern weil ich einfach feststelle, dass wir heute wieder eine Regierungserklärung besprechen, die in einer Abfolge von Regierungserklärungen steht, die
(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN – Lachen bei der CDU – Zuruf von der CDU: So kann man sich täuschen!)
Das ist vielleicht noch nicht bei jedem Abgeordneten der Regierungsfraktionen angekommen, aber bei der Opposition ist es mehr als deutlich geworden, und ich will Ihnen auch deutlich machen, warum.
Was sagen Sie? Die gehen nicht freiwillig. – Gut, aber es gibt in eineinhalb Jahren Wahl, und die Wählerinnen und Wähler können sich einmal im Monat dienstags ein Bild darüber machen, was diese Landesregierung vorhat. Bei dieser wichtigen Frage der Senioren und des Alterns in Hessen haben Sie es wieder deutlich gemacht.
Ich will es Ihnen an drei Beispielen noch einmal erklären. Wir haben es mit einer der größten Herausforderungen, die wir in der Politik haben, zu tun: der Gesellschaft, die älter wird. Wir haben uns, glaube ich, über alle Fraktionen und alle Parteien hinweg in unseren Gremien und Fachausschüssen intensiv damit beschäftigt und an Lösungen getüftelt, vielleicht jeder so ein bisschen aus seiner politischen Richtung.
Aber was legt uns die Landesregierung dazu vor? Also, der Minister hat ja nicht alles vorgelesen, was in der Rede stand. Er hat aus triftigen Gründen vielleicht das eine oder andere weggelassen. Aber eines der Themen war die Qualifizierung ehrenamtlicher Pflegebegleiter. Es hört sich zuerst einmal gut an, dass das Land Hessen das unterstützt. Das Land Hessen fördert diese Maßnahme mit 40.000 €. Das ist nicht einmal die Stelle einer Sozialarbeiterin. – Das ist hessische Seniorenpolitik.