Protocol of the Session on May 30, 2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich gebe zu, es gibt einen gewissen Nachholbedarf, was das Einbinden von Menschen nicht deutscher Herkunft in unsere Ehrenamtsstruktur betrifft. Das hat viele Gründe. Das kann auch nicht verordnet werden. Das ist teilweise unserer deutschen Vereinskultur geschuldet. Ich meine das gar nicht als Vorwurf, sondern als Beschreibung der Situation und des Zustandes, dass da noch ein Stück gesellschaftlicher Annäherung zu leisten ist, die man nicht verordnen kann. Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen müssen, und wir werden voneinander lernen müssen. Das wird zum Teil vom Land unterstützt, nämlich durch Werbekampagnen für die Feuerwehren und durch den Aktionsplan, wenn es um Sport mit Flüchtlingen geht.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, sich schon in jüngeren Jahren bewusst zu machen, was es heißt, älter zu werden, gegebenenfalls einmal auf Unterstützung und Pflege angewiesen zu sein. Die meisten von uns neigen dazu, den Gedanken an das Alter, vielleicht auch an Demenz oder Pflegebedürftigkeit, ganz weit nach hinten zu drängen. Das hilft aber nicht. Wer nicht schon in jungen Jahren sterben will, der muss sich mit diesen Gedanken vertraut machen und muss dafür sorgen, dass auch in seinem Denken dieser Teil des Lebens Platz greift, weil er dazugehört.

Hierbei bietet die Landesregierung durchaus Unterstützung für die Menschen an, die diese Unterstützung annehmen wollen, z. B. in Bezug auf Wohnraum. Gerade im Alter – aber nicht nur dann – ist es wichtig, barrierearm zu wohnen und zu leben. Das ist nicht nur für ältere Menschen wichtig, sondern auch für Menschen mit Behinderungen, egal, wie alt sie sind. Auch für Familien ist es durchaus angenehm, barrierearm zu wohnen und barrierearm zu leben. Das ist ein Qualitätsmerkmal, das hilft, selbstbestimmt und eigenständig zu leben. Auch hier ist Bewusstseinsbildung aus meiner Sicht ein wichtiges Merkmal.

Viele Maßnahmen lassen sich bereits beim Bau von Häusern ohne große Mehrkosten umsetzen. Wenn hinterher teuer umgerüstet werden muss, dann geht es ins Geld. Das einfachste Beispiel hierfür sind die Türen. Da wird häufig ohne ersichtlichen Grund eine schmale Tür zur Toilette gewählt. Wenn die dann einmal verbreitert werden muss, wenn aufgestemmt werden muss, dann ist das um ein Vielfaches teurer, als wenn man beim Bau eines Hauses gleich dafür sorgt, dass alle Türen so breit sind, dass man mit einem Rollator oder auch mit einem Rollstuhl gut durchkommt.

Das sind relativ einfache Überlegungen, die ich in den Bereich der Bewusstseinsbildung einordne. Aber hierfür ist es gut, dass es die Fachstelle für Wohnraumberatung gibt. Frau Alex, Sie haben recht, die gibt es bisher nur in Kassel. Aber es werden hauptamtliche und ehrenamtliche Wohnraumberaterinnen und -berater im ganzen Hessenland als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfügung gestellt, um so zu ermöglichen, dass die Menschen Informationen bekommen und in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können, solange das möglich ist.

Es gibt außerdem den Fachbeirat „Wohnen im Alter“, in dem alle relevanten Vereine und Institutionen vertreten sind. Dieser Fachbeirat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema weiterzuentwickeln und zu begleiten. Denn auch hier gilt: Neue Anforderungen brauchen neue Lösun

gen. Der technische Fortschritt und die Bedürfnisse der Menschen schreiten ja immer weiter fort.

Barrierefreiheit ist nicht nur für ältere Menschen ein Vorteil. Ich sagte es bereits: Ein barrierefreies oder barrierearmes Umfeld hilft Menschen mit Behinderungen und Familien gleichermaßen, und es hilft auch Radlerinnen und Radlern, die sich im öffentlichen Raum bewegen, wenn Schwellen und Barrieren abgebaut oder gar nicht erst eingezogen werden. Aber es kommt ja auch vor, dass in einer Fußgängerzone nachträglich ein schönes Podest eingebaut wird; dann kommt die Mama mit dem Kinderwagen nicht mehr an die Schaufenster heran, um dort hineinzuschauen. – Ich blicke gerade auf Angela Dorn; ich glaube, du hast gerade ein Beispiel vor Augen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, von daher ist Barrierefreiheit etwas, was uns alle angeht und was man, wenn man ein bisschen nachdenkt, gut umsetzen kann. Deshalb ist es gut, dass auch von der Landesregierung Zeichen dafür gesetzt werden.

Frau Alex, Sie haben über den öffentlichen Personennahverkehr gesprochen und davon, dass die Menschen nicht von A nach B kommen. Es läuft zwar noch nicht überall optimal, da stimme ich Ihnen zu, aber gerade der Schaffung barrierefreier Haltestellen im ÖPNV hat sich die Landesregierung sehr wohl angenommen. Es gibt immerhin ein großes Finanzpaket im Umfang von 30 Millionen €, die in die Infrastruktur investiert werden, um auch gerade an Haltestellen und an Bahnhöfen Barrierefreiheit herzustellen. Es geht zwar nicht alles auf einmal, aber es geht Schritt für Schritt. Genau das ist der richtige Weg, gemeinsam voranzukommen und Barrierefreiheit herzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Auch die Novelle der Bauordnung, über die wir demnächst im Landtag beraten werden, soll erreichen, dass das Thema Barrierefreiheit besser umgesetzt werden kann. Auch das ist ein wichtiger Schritt. Einen Anfang haben wir mit der Änderung des Denkmalschutzgesetzes, die wir vor Kurzem im Hessischen Landtag verabschiedet haben, schon gemacht.

Meine Damen und Herren, das Spektrum ist vielfältig, und ich glaube, wir alle sind gut beraten, ein waches Auge auf das Alter zu haben, ein waches Auge auf das zu haben, was uns alle ereilen wird. Das ist nämlich der Lauf der Welt. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass die Hessische Landesregierung diese Schritte weiterhin mit uns geht. Die Hessische Landesregierung ist mit den Maßnahmen, die bisher angegangen worden sind, aus meiner Sicht gut aufgestellt. Wir von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen sie dabei nach Kräften und werden gemeinsam dafür sorgen, dass ältere Menschen in Hessen eine gute Zukunft haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Es spricht jetzt Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Neuer Blick aufs Alter – Wir geben die passenden Antworten“. Auf welche Fragen? Wer hat sie gestellt? Der Blick, das Alter? Es bleiben viele Fragezeichen.

Was ist neu? Sicherlich hat sich die Gesellschaft – und damit auch die Rentnergeneration – diversifiziert. Aber auch schon ausgangs des 20. Jahrhunderts sind nicht alle mit 60 Jahren hochdekoriert und gut situiert in Rente gegangen. Ich erinnere nur einmal an die mageren Frauenrenten. Man sollte nicht nur an die Beamtinnen und Beamten in den Ministerien denken, Herr Minister.

Was wären passende Antworten? Eine passende Antwort wäre gewesen, dass Menschen, die heute in Rente gehen, genügend Geld zum Leben und genügend Unterstützung im Alter haben. Diese Antwort gab uns die Regierungserklärung aber nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, Sie haben gesagt, früher seien die Menschen hochverdient mit ca. 60 Jahren in Rente gegangen. Haben die heute lebenden Menschen geringere Verdienste, sodass sie nicht mehr mit 60 Jahren in Rente gehen dürfen? Das müssten Sie uns einmal erklären.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir uns die Seniorenpolitik der Landesregierung an. Da sind wir schnell fertig. 2011/2012 gab es eine Seniorenpolitische Initiative mit Dialogforen. Ist dazu überhaupt etwas erschienen außer einigen Hochglanzbroschüren? Hätte sich jemand daran erinnert – außer Frau Dr. Sommer, die eine Kleine Anfrage zu dem Thema gestellt hat?

Sozialminister Grüttner hat uns heute über die Ergebnisse des ergebnisoffenen Dialogs informiert. Es gibt eine Broschüre, man engagiert sich bei der Barrierefreiheit, und es gibt einen Wettbewerb mit generationsübergreifendem Kochen. Das wars.

Die nächste „hervorragende“ Maßnahme der Landesregierung sind die „Hessischen Seniorenblätter“. Ich muss zugeben, ich habe sie erst jetzt, als ich mich auf diese Rede vorbereitet habe, wahrgenommen. Die Hälfte des Inhalts dieser vierteljährlichen Publikation ist Werbung für die Landesregierung. Erstellt werden sie von der Mediengruppe menthamedia, eine Marke der finanzpark AG, die wiederum ein Online-Verlagshaus zu dem Thema Börse und Finanzen ist.

Ich möchte Ihnen die Themen der aktuellen Ausgabe nicht vorenthalten: „Hessen hat Familiensinn“, „Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist: Trauercafés geben Angehörigen wieder Halt!“, „Auch beim Frühjahrsputz an Rücken und Gelenke denken!“,

(Minister Stefan Grüttner: Richtig!)

„Waren umtauschen: Was geht – und was nicht?“, „Angst vorm Arztbesuch? Das muss nicht sein!“, „Balkon und Garten frühlingsbunt gestalten: So geht’s“ und „Hessentag 2017“.

(Zuruf von der CDU: Schöne Themen!)

Damit sind die „Hessischen Seniorenblätter“ eine echte Konkurrenz für die „Apotheken Umschau“.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Das Engagement bei dem Thema „Wohnen im Alter“ ist immerhin in zwei Publikationen gemündet. Es gibt eine landesweite Wohnberatungsstelle in Kassel mit Schulungen von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, was sicherlich eine sinnvolle Maßnahme ist. Das Land nimmt die rechtlich festgelegte Betreuungs- und Pflegeaufsicht wahr, setzt den Rahmen für die Altenpflegeausbildung, verleiht die Pflegemedaille, veröffentlicht eine Broschüre und richtet ein Internetportal zu Pflegeleistungen ein. Eine umfangreiche Notfallmappe ist leider nur auf Deutsch vorhanden. Jetzt wird das Thema Senioren bei „Hessen hat Familiensinn“ behandelt. Damit ist die Regierungserklärung aber schon zu Ende.

Es gibt allerdings tatsächliche Herausforderungen in der Politik für ältere Menschen. Schließlich haben wir es, wie Sie selbst sagen, mit einer sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe zu tun. Da hat der Herr Sozialminister doch einmal recht.

(Holger Bellino (CDU): Er hat häufig recht!)

Er sollte aber seinen Blick auf alle Bevölkerungsgruppen richten. Da ist die Hochaltrige, die bei ihrer Enkelin lebt; da ist der 70-jährige Chef, der seine Firma nicht im Stich lassen will; da ist die ältere Witwe, die schon längst Grundsicherungsleistungen beantragen müsste, aber das ist so schambesetzt; da ist das Ehepaar, das die Hälfte des Jahres in der Türkei oder in Marokko lebt; da sind die jungen Alten, die entweder durch die Welt radeln oder vor Ort ehrenamtlich Deutschunterricht für Flüchtlinge geben – da ist aber auch der an Demenz Erkrankte, den seine Ehefrau nicht mehr pflegen kann, sodass sie vor der Entscheidung für eine Heimunterbringung steht.

Wie titelt die aktuelle „VdK-Zeitung?“ „Rentner haben weiterhin das Nachsehen – Kürzungsfaktoren und hohe Abschläge bremsen die Alterseinkommen spürbar aus.“ Der VdK weiß, wovon er spricht, wenn er die Abschaffung der Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten fordert – im Übrigen gemeinsam mit der LINKEN. Die steigenden Zuzahlungen bei Medikamenten kritisiert er auch.

Dies hat dazu geführt, dass bei den Rentnerinnen und Rentnern innerhalb von zehn Jahren der Anteil der Armen von 10,7 auf 15,9 % gestiegen ist. Das ist ein Zuwachs um 50 %. Lag die Armutsquote bei Rentnerinnen und Rentnern vor zehn Jahren noch weit unter der durchschnittlichen Armutsquote, liegt sie seit zwei Jahren bereits darüber.

Hier irrt der Herr Sozialminister genauso wie bei den Ursachen für die Altersarmut: Es trifft nicht nur die von ihm genannten Gruppen. Es trifft viele Frauen, die aufgrund geringer Einkommen niedrige Renten haben; es trifft häufig Angehörige der Generation der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Eingewanderten, obwohl sie hart gearbeitet haben, und es trifft oft diejenigen, die durch die Arbeit krank und erwerbsunfähig wurden. Rentnerinnen und Rentner entwickeln sich zu einer besonderen Risikogruppe für Armut. Es gibt eben viele, die nicht bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten können und daher mit Abschlägen in Rente gehen müssen.

Während auch in diesem Haus häufig über einen Missbrauch sozialer Leistungen diskutiert wird, bleibt ein sehr viel größeres soziales Problem meist unbeachtet: die

Nichtinanspruchnahme sozialer Leistungen. Viele Zehntausende Menschen in Hessen haben Anspruch auf Sozialleistungen, ohne ihn geltend zu machen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Stolz, Scham, Angst vor dem Unterhaltsrückgriff auf die Angehörigen, Angst vor den Behörden und ihren bürokratischen Abläufen, mangelnde Informationen und vieles andere mehr können dazu beitragen, dass solche Leistungen nicht beansprucht werden, obwohl die Betroffenen sie bitter nötig hätten.

Eine Frau, die Grundsicherung beantragt hat, hat mir ihr Leid geklagt. Als sie erfahren hat, wie wenig sie bekommt, hat sie gesagt: Dann muss mir meine Tochter ab und zu ein Stück Brot vorbeibringen. – Der Mensch, der ihren Antrag entgegengenommen hat, hat daraufhin gesagt: Wenn Sie dauerhaft Geschenke bekommen, müssen Sie das hier melden. – Wenn das die Art und Weise ist, wie in unserem Land mit alten Menschen umgegangen wird, muss ich sagen: Mit Respekt hat das nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Horst Klee (CDU): Das gibt es doch gar nicht!)

Ach, habe ich das gerade erfunden? Möchten Sie die Dame kennenlernen, damit sie Ihnen die Geschichte selbst erzählen kann?

(Zurufe von der CDU)

Sie glauben nicht, was die Menschen in diesem Land erleben, und wenn man es Ihnen sagt, bestreiten Sie es. Das ist Ihre Haltung Situationen gegenüber, denen arme Menschen in diesem Land ausgesetzt sind. Sie selbst werden nie in die Lage kommen, einen solchen Antrag stellen zu müssen. Deswegen können Sie hier mit dieser Arroganz sagen, dass das nicht wahr ist.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Sie verallgemeinern doch nur!)

Diejenigen, die ab 2030 in Rente gehen wollen, erhalten nur 43 % des durchschnittlichen Einkommens und werden die Altersarmut ganz persönlich kennenlernen, gerade wenn ihnen in ihrem Erwerbsleben das Geld gefehlt hat, um privat vorzusorgen – wobei das ohnehin eher die Gewinne der Versicherungskonzerne als das Alterseinkommen sichert.

Wir brauchen keine Deutschland-Rente. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 % angehoben werden. Das ist die Forderung, die wir stellen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für jede und jeden muss es eine gesetzliche Mindestrente geben, die vor Armut im Alter schützt. Die gesetzliche Rente muss wieder den Lebensstandard sichern, ohne dass die Betroffenen auf die private Vorsorge verwiesen werden. Nach einem harten Arbeitsleben muss man sorgenfrei und in Würde in den Ruhestand gehen können.