Es ist vollkommen richtig, die Agrarpolitik ist in den vergangenen 50 Jahren immer weiterentwickelt worden und muss auch weiterentwickelt werden. Sie muss deshalb weiterentwickelt werden, weil wir heute eine Welt haben, die anders aussieht, als sie noch vor einigen Jahren ausgesehen hat. Die Weltbevölkerung von heute 7 Milliarden Menschen wird in wenigen Jahren auf 9 Milliarden Menschen ansteigen. Das ist eine sehr große Herausforderung, die die Landwirtschaft insgesamt zu bewältigen hat.
Herr Heidel hat vorhin bereits darauf hingewiesen, wie die Produktivität in den vergangenen Jahren im guten Sinne gestiegen ist. Im Jahr 1950 hat ein Bauer rund zehn Menschen ernährt. Heute sind es 150 Menschen. Das kann man nicht negativ bewerten; denn das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Steigerung des Wohlstandes gewesen. Die Steigerung der Produktivität an sich ist nichts Negatives.
Im Übrigen halte ich es für falsch, das, was an negativen Entwicklungen zu beobachten ist, in Form eines Schwarzen Peters der Landwirtschaft zuzuschieben. Das würde dem nicht gerecht werden. Deshalb sollten wir bei den Diskussionen über die Landwirtschaft auch nicht das Feindbild „konventionell versus ökologisch“ aufbauen. Beides hat seine Berechtigung, und beides hat einen gewissen Stellenwert. In Hessen hat die ökologische Landwirtschaft sogar einen ganz besonders hohen Stellenwert. Darauf werde ich gleich noch eingehen.
Was uns zu denken geben sollte – auch das ist angesprochen worden, man darf es nicht ganz unberücksichtigt lassen –, wenn wir uns die Landwirtschaft ansehen und auch das, was Menschen bereit sind, für Lebensmittel zu zahlen, ist: Wir haben einen historischen Tiefstand erreicht. Heute werden 12 % des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Auch der Verbraucher muss sich die Frage stellen, welche Preise er bereit ist zu zahlen. Muss alles ganz billig sein, oder gibt man für Qualität auch mehr Geld aus? Heute werden 12 % – gemessen am Einkommen – für Lebensmittel gezahlt, 1970 waren es 19 % und davor noch wesentlich mehr.
Selbstverständlich haben Sie recht, Herr Lotz, wenn Sie sagen, dass man heute mehr begründen muss – das ist richtig –; denn viele haben sich ein Stück weit von der Landwirtschaft entfernt. Die Landwirtschaft und das, was in vielen Bereichen dort geleistet wird, wird heute nicht mehr verstanden. Die Diskussion vermittelt den Eindruck, als ob nur Greening öffentliches Geld für öffentliche Leistungen gewährleisten würde. Das ist schlicht und einfach falsch. Auch heute schon wird öffentliches Geld für öffentliche Leistungen gezahlt.
Man kann nicht so tun, als seien Direktzahlungen ein Almosen. Direktzahlungen sind Gelder, die für bestimmte Dinge gezahlt werden, welche die Landwirte erbringen müssen, die sich die Öffentlichkeit – nicht als Luxus, sondern als erforderliche Maßnahme – leistet, der Landwirt ansonsten aber nicht bezahlt bekommt. Das muss man ganz klar sagen. Wir haben heute die entsprechenden
Herausforderungen in der Landwirtschaft, indem z. B. die Pflege der Kulturlandschaft, der Wasser- und Bodenschutz, all das über die Direktzahlungen abgegolten werden. Insofern zu sagen, öffentliches Geld für öffentliche Leistungen sei nur über Greening gewährleistet, ist schlicht und einfach falsch.
Wenn von Frau Schott von den LINKEN ein Bild gezeichnet wird, das den Eindruck erweckt – ich sage es ein bisschen überspitzt –, wir hätten eine exportwütige hessische Landwirtschaft, dann muss ich Ihnen sagen: Sie kennen die hessischen Verhältnisse nicht, die anders sind als bei anderen Landwirtschaften. Wir haben einen großen Teil an Nebenerwerbslandwirten. Daher ist das, was von Herrn Lotz vorhin teilweise in Bezug auf Subventionen gesagt wurde, schlichtweg falsch. Es ist eine andere Struktur von Betrieben. Das ist das eine.
Das andere ist: Wir haben auch eine andere Struktur von der Produktion her. Sie haben das Beispiel Geflügel genannt. Die Eigenversorgungsquote bei Geflügelfleisch liegt in Hessen bei 10 %. Das heißt, wir sind kein Exportland. Beim Getreide beträgt die Abdeckung ungefähr 100 %. Wir sind also nicht das klassische landwirtschaftliche Land, das rein für den Export produziert, wobei man trotzdem dazusagen muss: Der Export in der Landwirtschaft an sich ist bei der wachsenden Weltbevölkerung nichts Schlimmes.
Ich möchte noch auf die Rahmenbedingungen hinweisen. Wir müssen feststellen, dass wir in einem Strukturwandel leben, der die Dörfer anders prägt. Das wissen wir. Wir wissen auch, wie wenige landwirtschaftliche Betriebe in den Dörfern teilweise noch vorhanden sind und welche Auswirkungen das z. B. auf die Pflege der Kulturlandschaft hat. Aber es ist nicht nur das, sondern der ländliche Raum wird auch ärmer, wenn wir dort keine Landwirtschaft mehr haben. Das heißt, es gibt einen Strukturwandel, den wir versuchen zu beeinflussen und positiv zu gestalten, aber wir können ihn nicht komplett aufhalten oder verändern.
Die Landwirte, die bei uns produzieren, benötigen selbstverständlich Rahmenbedingungen; denn sie sagen: Wir können den Boden nicht vermehren. – Wir müssen sehr darauf achten: Welche landwirtschaftlichen Flächen haben wir tatsächlich noch, auf denen wir produzieren können? Was wird in anderen Bereichen verwendet? Wofür müssen wir Land abgeben? Wo wird Fläche verbraucht?
Insofern muss man schon vor Augen haben, dass wir in den vergangenen Jahren einen Flächenverlust hatten, der für die Landwirtschaft als dramatisch bezeichnet werden kann. In den Fünfzigerjahren sind rund 9,6 ha Land pro Tag verloren gegangen, in den Neunzigerjahren wesentlich weniger, nämlich rund 6 ha, im Moment sind es rund 3,6 ha, und wir wollen auf 2,5 ha kommen. Um den Flächenverbrauch zu reduzieren, muss die Hessische Landesregierung schon viel tun, auch im Rahmen der hessischen Nachhaltigkeitsstrategie. Das ist sehr wichtig.
Ohne Boden kann man nicht produzieren. Ich habe das deshalb angeführt, weil es auch Auswirkungen auf die hessische Position bei der Weiterentwicklung der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik hat. Selbstverständlich müssen wir als Landesregierung, muss Hessen von seiner Seite aus sagen: Welche Auswirkungen haben die Vorschläge der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik auf
das Land selbst? Wir wissen, wie vielfältig die Landwirtschaft in Europa ist. Die europäische Landwirtschaft ist nicht vergleichbar. Selbst in Deutschland ist sie unterschiedlich, wenn Sie nur Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Hessen miteinander vergleichen.
Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen wir sagen: Wir müssen prüfen, welche negativen Auswirkungen bestimmte Vorschläge haben.
Lassen Sie mich noch einmal kurz auf die jetzige Struktur eingehen: Sie wissen, dass wir im Moment die erste und die zweite Säule haben. Einmal haben wir die Direktzahlungen, die die Landwirte erhalten. Das sind pauschalierte Entgelte für gesellschaftlich erwünschte Leistungen, die nicht vom Markt abgegolten werden. Darauf muss man wieder einmal hinweisen. Das heißt, die Landwirte machen in diesen Bereichen schon etwas. Man kann nicht so tun, als wäre die Diskussion „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ erst mit dem Greening aufgekommen.
Bei der zweiten Säule haben wir natürlich einen entsprechenden Spielraum, den das Land auch in erheblichem Maße nutzt. Wir haben mehrere Schwerpunkte, auf die ich kurz eingehen möchte: Agrarinvestitionsförderungen z. B. werden für moderne Ställe gezahlt. Wenn ich von modernen Ställen spreche, dann geht es um die Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen für Mensch und Tier, also auch um Tierschutz und Tierhygiene.
Wir geben Geld für Ausgleichszulagen in benachteiligten Gebieten aus. Ich gehe nachher noch einmal darauf ein, warum es für unsere Struktur so schlimm ist, wenn sich da etwas verändern würde.
Auf die Agrarumweltmaßnahmen möchte ich besonders hinweisen. Bei uns läuft das Hessische Integrierte Agrarumweltprogramm, das seinesgleichen sucht. Das gibt es in anderen Bundesländern in der Form nicht. Damit unterstützen wir den ökologischen Landbau, Blühflächen und Schonstreifen, Zwischenfrüchte oder Untersaaten zur Winterbegrünung usw. In diesem Bereich sind wir nicht nur gut, sondern sehr gut. Gerade in dem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass Hessen sagt: Greening ist für uns nicht das Thema, weil wir über die zweite Säule schon sehr viel in dem Bereich tun.
Wir machen in dem Bereich so viel, dass wir sagen können: 10 % der Agrarflächen in Hessen werden nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus bearbeitet. Das heißt, mehr als 25 % werden im Rahmen von Agrarumweltprogrammen bewirtschaftet. Wir sind in Hessen bundesweit in einer Spitzenposition. Deshalb kann man, wenn wir in Hessen über Greening reden, schon sagen: Wenn alle so gut wären wie wir, dann bräuchten wir darüber nicht mehr zu sprechen, dann wäre das Thema erledigt. Wir nutzen es in der zweiten Säule.
Am Rande möchte ich noch – ich will das verkürzen, weil ich ansonsten den zeitlichen Rahmen überspannen würde – auf die 7 % Flächenstilllegungen eingehen. In Suhl waren sich alle Agrarminister einig, übrigens auch die der GRÜNEN, die von sich aus gesagt haben: Wenn es tatsächlich – „tatsächlich“ ist meine Formulierung – zu einer Flächenstilllegung kommt, dann müssen darauf besondere Maßnahmen angerechnet werden. Das heißt, es darf keine zusätzliche Flächenstilllegung sein. Eine zusätzliche Flächenstilllegung können wir uns in der Tat nicht leisten.
Insofern haben wir eine gemeinsame Position, um die hart gerungen wurde. Die Agrarminister der CDU, der SPD und der GRÜNEN haben gesagt: Wenn ein Greening kommt, wenn eine Flächenstilllegung kommt, dann aber bitte nicht zusätzlich, nicht on top, sondern als Anrechnung auf Maßnahmen, die schon gemacht werden. Ich habe gerade beschrieben, dass wir in Hessen diesbezüglich sehr viel tun. Insofern erklärt sich, warum wir Greening für uns in Hessen kritisch sehen. Ich glaube, an der Stelle können Sie nachvollziehen, warum eine Flächenstilllegung, einfach nur verordnet, ein Problem wäre.
Als Letztes möchte ich auf das Thema Bürokratie eingehen. Man kann es sich nicht so einfach machen, indem man sagt: Na ja, Bürokratie; auch wenn es mehr kostet, sollte man nicht so viel Angst davor haben. – Ich halte es schon für sehr bedenklich, was wir im Moment an Bürokratiekosten ausgeben. Wenn Sie sehen, dass das Land Hessen heute rund 25 Millionen € pro Jahr aufwendet, um die Verwaltungs- und Kontrollaufgaben für die Agrarförderung zu finanzieren, dann kann man sagen: 25 Millionen € sind viel Geld, das steht in keinem Verhältnis.
Wenn man aber weiß, dass jeder Agrarförderantrag durchschnittlich mit 2.500 € Verwaltungskosten belastet wird und die ausgezahlte Betriebsprämie bei mehr als 8.000 hessischen Landwirten 2011 unterhalb des Betrages von 2.500 € lag, dann ist das schon ein Stück weit irre. Wenn bei 8.000 Betrieben nicht einmal 2.500 € ausbezahlt werden, dann sind die Verwaltungskosten höher als das, was unter dem Strich herauskommt.
Das kann nicht in unserem gemeinsamen Interesse sein, sondern es müssen möglichst viele Euro bei denen ankommen, für die sie gedacht sind. Sie dürfen nicht in die Bürokratie hineingesteckt werden. Insofern ist die Warnung wirklich eine ernste.
Wenn die EU heute selbst sagt, sie rechnet damit, dass wir rund 18 % Anstieg der Bürokratiekosten haben werden, dann ist das ein Signal, das man nicht überhören kann. Man muss mehr als behutsam darauf achten, dass das nicht passiert; denn dann käme das Geld nicht bei den Bauern an, sondern bliebe in der Verwaltung stecken.
Als Allerletztes nenne ich, weil es ein wichtiger Punkt ist, die benachteiligten Gebiete. Ja, wir Hessen wehren uns gegen das, was an Neuabgrenzungen geplant ist, und zwar aus folgendem Grund heraus: Die Förderung der benachteiligten Gebiete bedeutet, dass in Bereichen, die naturräumlich ungünstig liegen, diejenigen, die dort produzieren, entsprechende Beträge als Ausgleich für diese ungünstigen Produktionsbedingungen bekommen. Wenn man wiederum weiß, dass rund 52 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Hessen heutzutage als benachteiligte Gebiete eingestuft werden, dann muss man schon aufmerksam darauf achten.
52 % sind jetzt so eingestuft. Man muss sehen, was die EU im Moment bezüglich der Neuabgrenzung vorschlägt. Hier steht das Fördersystem auf dem Spiel. Das bedeutet für Hessen unmittelbar, dass rund 30 % der förderfähigen Flächen wegfallen würden. Das hätte dramatische Auswirkungen, und zwar auf die Mittelgebirgsregionen Odenwald, Taunus oder Vogelsberg, Rhön, Knüll oder Waldecker Upland.
Deshalb muss man diesen Stellen immer ganz deutlich sagen: Wenn die Neuabgrenzung benachteiligter Gebiete kommen würde, wie es jetzt in der Planung ist, dann bedeutet das, dass 3.000 Landwirten in benachteiligten Gebieten diese Zulage wegfällt. Insofern glaube ich, dass es vollkommen richtig ist, was wir als Landesregierung machen. Wir sagen: Wir schauen, was vorgeschlagen wird. Wir sehen, welche Auswirkungen es auf die hessischen Bauern hat, und wir stehen an dieser Stelle für die Landwirte, seien es welche mit konventionellen Betrieben oder mit ökologischen Betrieben. – In diesem Sinne besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Ich stelle zunächst fest, dass die Große Anfrage damit abgehandelt ist.
Ich stelle zweitens fest, dass der Antrag Drucks. 18/4626 vereinbarungsgemäß dem Umweltausschuss zur weiteren Beratung überwiesen wird. – Dem widerspricht keiner. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe jetzt einen Ihnen vorgelegten Dringlichen Entschließungsantrag auf: Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Äußerungen der hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, Drucks. 18/5249. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Das wird Tagesordnungspunkt 60.
Die Redezeit soll fünf Minuten betragen. Zu der Platzierung hat jetzt Herr Schaus das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Wir halten die Angelegenheit für so dringlich und denken, dass es nur im Interesse der CDU sein kann, hier Klar- und Richtigstellung vorzunehmen. Deswegen beantragen wir, den Dringlichen Entschließungsantrag heute noch zu behandeln und nach Tagesordnungspunkt 9 mit einer fünfminütigen Redezeit aufzurufen.
Das ist ein Platzierungsvorschlag, das als letzten Punkt nach Punkt 9 einzusetzen. Sind Sie einverstanden damit? – Herr Kollege Bellino.
Herr Präsident, wir haben die Dringlichkeit bejaht. Wir werden darüber diskutieren. Wir sehen aber keine Notwendigkeit, wegen dieser Veröffentlichung diesen Punkt heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Herr Präsident! Wir halten die Diskussion heute für notwendig. Sie haben heute Morgen entsprechende Debatten geführt. Die Äußerungen von Frau Steinbach sind in gar keiner Weise akzeptabel. Das kann man klarstellen, wenn Sie diese Auffassung nicht teilen, ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat. Ich habe es vorhin in der Debatte gesagt, dass ich von der CDU eine klare Distanzierung erwarte. Deswegen ist der Vorschlag der LINKEN sinnvoll. Am Ende der Tagesordnung, mit fünf Minuten Redezeit kann und muss dieses Thema behandelt werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen uns auch dafür aus, dass die Debatte heute noch stattfindet, wie es der Kollege der LINKEN beantragt hat. Wenn wir im Hessischen Landtag tagen und eine Kollegin im Deutschen Bundestag sich zu solchen verharmlosenden, unhistorischen Äußerungen hinreißen lässt, dann tun wir als Parlament gut daran, festzustellen, dass wir mit diesen Äußerungen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Wir sollten die Gelegenheit dieser Plenarsitzung dafür nutzen.