Protocol of the Session on February 2, 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung und heiße Sie alle sehr herzlich willkommen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit unseres Hauses fest.

Zur Tagesordnung. Noch offen sind die Punkte 7 bis 20, 23, 26, 27, 31, 41, 45 bis 49, 56 und 57.

Noch eingegangen ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Finanztransaktionssteuer dient der Krisenprävention, Drucks. 18/5245. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann wird dieser Dringlicher Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 58. Wir können ihn mit Tagesordnungspunkt 48, der Aktuellen Stunde, aufrufen und direkt abstimmen. – Das machen wir so. Es hat keinen Widerspruch gegeben.

Zum Ablauf der Sitzung. Wir tagen heute bis 18 Uhr – das haben wir gestern auch gesagt – bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit den Anträgen betreffend eine Aktuelle Stunde. Das sind die Tagesordnungspunkte 45 bis 49. Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Nach den Aktuellen Stunden werden die Anträge direkt abgestimmt werden.

Es fehlt heute entschuldigt Frau Staatsministerin KühneHörmann ab ca. 16 Uhr.

Das war es an Amtlichen Mitteilungen. Wir können jetzt in die Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Geheimdienst: rechten Terror „ignorie- ren“, LINKE „bespitzeln“. Werden auch hessische Abge- ordnete überwacht?) – Drucks. 18/5213 –

Das Wort hat Frau Kollegin Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil es ein Skandal ist, dass mindestens 42 Bundestagsabgeordnete der LINKEN vom Geheimdienst überwacht werden.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Wir erwarten hier vom Innenminister Antworten hinsichtlich der Praxis in Hessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es für die Mitarbeiter des sogenannten Verfassungsschutzes auf die Dauer ziemlich langweilig ist, ständig ihre eigenen Kollegen in der rechten Szene beobachten zu müssen.

(Zurufe von der CDU)

Aber das ist noch lange kein Grund für die Bespitzelung der LINKEN.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Überwachung frei gewählter Abgeordneter durch den Geheimdienst hat eine Welle der Empörung ausgelöst, und zwar nicht nur bei der LINKEN.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Bundestagspräsident Norbert Lammert bezeichnet die Beobachtung als unverhältnismäßig und übertrieben. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Siegfried Kauder, ebenfalls CDU, hält das für nicht in Ordnung. Die letzte Liberale in der FDP, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, nennt das Vorgehen des Verfassungsschutzes – ich zitiere – „unerträglich“. Die Arbeit frei gewählter Abgeordneter dürfe nicht durch den Verfassungsschutz beeinträchtigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Laut einer Aktuellen Umfrage des „Stern“ lehnen 57 % der Befragten die Überwachung der LINKEN ab. Selbst unter den Wählern der Union gibt es nur eine ganz knappe Mehrheit dafür.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die Anhänger aller anderen Parteien lehnen diese Bespitzelung mehrheitlich ab. Nur die Anhänger der FDP hätten wegen zu geringer Fallzahl nicht ausgewiesen werden können. Das kann man zu dieser Umfrage nachlesen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Angesichts der realen Bedrohungen wird diese Bespitzelung noch unbegreiflicher. Da zieht eine Neonazibande mehr als ein Jahrzehnt lang mordend durch die Republik, und zwar völlig ungehindert von den Sicherheitsbehörden. Seit 1990 sind mindestens 182 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Der sogenannte Verfassungsschutz überwacht DIE LINKE.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): „Der sogenannte Verfassungsschutz“!)

Das ist völlig grotesk. Das ist völlig gaga.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen aber auch über den hessischen Verfassungsschutz reden. Der Präsident des Verfassungsschutzes in Niedersachsen hat eingeräumt, dass er Abgeordnete der LINKEN bespitzeln lässt. Er behauptet, dass es in sieben anderen Bundesländern ebenso sei, auch in Hessen. Auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Fromm, hat das so erklärt. Er sagte, man würde auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse zurückgreifen, die in Hessen gewonnen worden seien.

Herr Minister, das ist exakt das Gegenteil von dem, was Sie hier immer sagen. Sie sagen nämlich, dass Abgeordnete nicht überwacht würden. Herr Minister, dazu sage ich: Nehmen Sie Stellung zu der Frage, wer hier eigentlich die Unwahrheit sagt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der sogenannte Verfassungsschutz wird als politisches Instrument eingesetzt, um politische Gegner zu diskreditieren und pauschal als verfassungsfeindlich zu brandmarken. In elf Bundesländern gibt es keine Überwachung der LINKEN. Da, wo Schwarz-Gelb regiert, scheint DIE LINKE offenbar am allergefährlichsten zu sein.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Es ist doch völlig lächerlich, dass unsere Partei in Wiesbaden überwacht wird, aber auf der anderen Seite des Rheins, in Mainz, nicht mehr überwacht wird.

Das hat seine Ursache nicht bei den Überwachten, sondern bei den Überwachern. Sie missbrauchen den Geheimdienst als ein politisches Instrument. Herr Innenmi

nister, deswegen fordern wir Sie auf, die Bespitzlung der LINKEN in Hessen sofort einzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Völlig unerträglich ist auch die permanente Gleichsetzung von rechts und links. Gerade angesichts der deutschen Geschichte ist das absolut gefährlich. Wir wehren uns gegen diese Gleichsetzung.

Die Bespitzelung wird auch damit begründet, dass wir den Kapitalismus überwinden wollten. Ich sage Ihnen: Antikapitalismus ist nicht verfassungswidrig. Er ist vernünftig.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum ist DIE LINKE Ihrer Ansicht nach gefährlich? – Ist sie es, weil wir Banken kontrollieren und hohe Einkommen höher besteuern wollen, weil wir völkerrechtswidrige Kriege verurteilen, weil wir die Energiekonzerne entmachten und die Energieversorgung demokratisieren wollen? Ja, wir wollen Veränderungen in der Gesellschaft. Herr Wagner, Ihr Problem ist: Das macht Ihnen Angst, weil Sie wissen, dass wir damit nicht alleine sind.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung haben 90 % gesagt, sie glauben nicht daran, dass der Kapitalismus die grundsätzlichen Probleme lösen kann.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dass selbst der Gründer des Weltwirtschaftforums sagt, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form nicht mehr in diese Welt passe, zeigt doch, wie tief die Legitimationskrise dieses Wirtschaftssystems ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Geheimdienste sind nicht demokratisch kontrollierbar. Weder schützen sie die Verfassung, noch lassen sie sich mit einer demokratischen Gesellschaft vereinbaren. Deshalb fordern wir ihre Auflösung.

Die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds hat gezeigt, dass der Verfassungsschutz Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Er ist im Kampf gegen Nazis keine Hilfe. Er ist ein Hindernis. Das hat das Verbotsverfahren gegen die NPD gezeigt. Das zeigte sich auch hinsichtlich der Zwickauer Terrorzelle.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss meiner Rede. – Nazis bekämpft man nicht mit Geheimdiensten, sondern durch die Mobilisierung der Gesellschaft.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)