Protocol of the Session on February 1, 2012

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

So hat es ein nordhessischer Kommunalpolitiker geschildert,

(Günter Rudolph (SPD): Ein guter!)

wie die Bewertung des Modells „Hessischer Schutzschirm für die Kommunen“ bei den Kommunen im Lande aussieht.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache, dass die Landesregierung mit Zustimmung von Dr. Wagner und der FDP wie auch allen anderen von der CDU den Kommunen jährlich 344 Millionen € entnimmt, ihnen aber – ich glaube, das ist unstrittig – mit dem Schutzschirm umgerechnet 107 Millionen € zurückgibt,

(Manfred Görig (SPD): Ohne Vertrag!)

glauben Sie doch nicht im Ernst, dass Sie die Kommunen in diesem Lande feiern und wir als Opposition hier auch noch Weihrauch über Ihnen ausgießen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Warum machen denn die Kommunalen Spitzenverbände da mit?)

Ich nehme den Zwischenruf des Lautsprechers Dr. Wagner gerne auf.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich kann Ihnen sagen: Die kommunale Not in diesem Lande ist so groß, dass Ertrinkende, denen das Wasser Oberkante Unterlippe steht, mittlerweile in der Tat nach jedem Strohhalm greifen – auch nach dem Gehackten, nach einem Pfund Gehacktem. So weit ist es mittlerweile in der Tat bei den Kommunen.

Deswegen hat die Landesregierung in der Tat kein Lob verdient, wenn sie den Kommunen jetzt einen geringen Anteil zurückgibt.

Der Kollege Warnecke hat das für seinen Landkreis einmal ausgerechnet.

(Günter Rudolph (SPD): Vorbildlich!)

Ja, vorbildlich. – Was bedeutet dieser Schutzschirm für den Landkreis Hersfeld-Rotenburg? Er rechnet das vor, Sie können die Rechnung gerne prüfen: 30 Jahre nach der Entnahme von 344 Millionen € kommt er auf einen Verlust von 313 Millionen €. Mit dem Rettungsschirm werden den Kommunen in den 30 Jahren 31 Millionen € zurückgegeben,

(Petra Fuhrmann (SPD):Hört, hört!)

also gerade einmal ein Zehntel. Meine Damen und Herren, der Höhepunkt aber ist: Selbst die Kommunen, die im Landkreis Hersfeld-Rotenburg unter den Rettungsschirm fallen, haben am Ende immer noch ein Defizit von 10 Millionen €. Sie haben am Ende sogar noch weniger – wegen der Kürzung, die vorgenommen wurde. Meine Damen und Herren, dafür haben Sie doch kein Lob verdient, sondern alles andere.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Als wir Kritik an den Details des Rettungsschirms geäußert haben, hat ein anderer Kollege gesagt: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Meine Damen und Herren, wer eine ganze Herde klaut und dann ein Pferd zurückgibt, der muss damit leben, dass man dieses Pferd, das er zurückgibt, sehr genau betrachtet.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dabei finde ich, dass viele Details an diesem Pferd, das Sie zurückgeben, nicht gerade dem guten Geschmack entsprechen. Die Kriterien, nach denen Sie dieses eine Pferd aus der geklauten Herde den Beteiligten zurückgeben, sind zum Teil sehr willkürlich. Das will ich Ihnen sagen. Sie wissen doch auch, dass das eine Schwäche ist. Herr Dr. Wagner, wo bleibt Ihr Zwischenruf?

Sie wissen doch, dass es zunächst eine Forderung der Kommunalen Spitzenverbände war, nicht ein Alles-odernichts-Modell zu entwickeln, unter das 106 Kommunen fallen, der Rest aber, über 300, sozusagen leer ausgeht. Ein solches Modell ist doch nicht sinnvoll. Das ist ein Allesoder-nichts-Modell. Es gibt doch wirklich Kommunen, die dazwischen liegen, in einer Grauzone. Es hätte doch ein Modell sein müssen, bei dem die letzte Kommune, die noch Geld, Sicherheiten oder Hilfe aus diesem Schutzschirm erhält, sich nicht wesentlich besser stellt als die erste Kommune, die nicht mehr unter diesen Schutzschirm gelangt. Das ist doch eine systematische Schwäche dieses Modells.

Herr Schork, das war wieder einmal klasse. Das passt zu Ihnen. Herr Schork hat vorgerechnet, dass am Ende des Jahres 2010 173 Kommunen keine Kassenkredite aufgenommen hätten. Das haben Sie gesagt. Dieses Zitat ist doch richtig?

(Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU))

Der Umkehrschluss ist: 253 Kommunen in Hessen – ich rede nicht von den Landkreisen – mussten im Jahr 2010 Kassenkredite aufnehmen. Davon erhalten aber nur 106 eine Hilfe.

Herr Schork, mit Ihrem eigenen Beispiel zeigen Sie auf, wie problematisch dieses Alles-oder-nichts-Modell am Ende ist. Es ist auch teilweise willkürlich.

Herr Dr. Schäfer, erklären Sie doch einmal hier vor der Öffentlichkeit – nachher haben Sie dazu die Möglichkeit –, wie Sie auf eine solch super gerade Zahl von 470 Millionen € kommen, die man im Durchschnitt als Kassenkredit in den Jahren 2009 und 2010 haben muss, damit man unter den Rettungsschirm gelangt. Warum reichen nicht auch 400 Millionen €? Warum haben Sie nicht die Zahl auf 500 Millionen € heraufgesetzt? Warum nehmen Sie eine solch krumme Zahl?

Ich kann es Ihnen sagen: Weil das die Vorgabe war – wir verteilen 3 Milliarden €. Am Ende sind es nur 2,8 Milliarden €, wenn man die Zinsen berücksichtigt.

Herr Lautsprecher Dr. Wagner, ich warte immer auf Ihren Zwischenruf, mit dem die Kommunalen Spitzenverbände angeführt werden. Aber das ist die Situation: Wir bekommen in der Tat ein Pfund Gehacktes zurück und sollen uns jetzt auch noch streiten, wie dieses Pfund Gehacktes auf 426 Kommunen verteilt wird.

Das macht auf der kommunalen Seite wenig Freude. Das löst natürlich Auseinandersetzungen aus. Das löst auch aus, dass beispielsweise Herr Pipa bis in die letzten Tage hinein verhandelt hat, wie die Auflagen für die Kreise bei einem ganz bestimmten Punkt – der bislang nicht, auch nicht auf die Nachfragen der Vorredner beantwortet wurde – am Ende aussehen werden. Dabei hat er beispielsweise erreicht, dass die Einnahmen, die den Landkreisen zufließen – verstärkte zukünftige Einnahmen –, nicht unmittelbar für die Konsolidierung eingesetzt werden müssen.

(Günter Rudolph (SPD): Merkwürdig!)

Ich finde das ein gutes Ergebnis. Auch die eine oder andere Kommune, die unter diesen Schutzschirm gelangen wird, könnte auf diese gute Idee kommen.

Damit bin ich bei einem entscheidenden Punkt: Wie werden denn die Auflagen am Ende aussehen? Droht – das schließen Sie nicht aus, das könnte die Wahrheit sein, das müssten Sie heute auch einmal erklären – die Kürzung von Vereinsunterstützungen, von freiwilligen Leistungen für viele soziale Initiativen? Droht auch die Schließung vieler öffentlicher Einrichtungen? Das reicht von Schwimmbädern bis Bibliotheken oder zur Unterstützung von Musikschulen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Am Ende droht auch der Verkauf von Gemeindeeigentum. Ich bin gespannt, was das für die einen oder anderen Stadtwerke bedeutet, ob da auch noch Druck gemacht wird. Das wäre das FDP-Modell, das könnte ich mir auch noch vorstellen. Ich schließe auch nicht aus – es ist in der letzten Zeit viel über griechische Staatskommissare geredet worden –, dass am Ende ein Staatskommissar auf hessischem Boden droht. Da sind wir bald bei der Diskussion, die wir in der letzten Woche auf europäischer Ebene geführt haben.

Deswegen sage ich Ihnen: Dieser Schutzschirm ist aus unserer Sicht löchrig. Er ist nur ein Knirps. Dieser Knirps kann gegen die kommunale Selbstverwaltung zum Schlagstock werden, wenn man weiß, dass eine solche Vereinbarung, die getroffen werden soll,

(Holger Bellino (CDU): Das Reden müssen Sie erst noch üben!)

lange Zeit, mindestens zehn Jahre, dauern wird. Das Konsolidierungsziel ist 2020. Ich bin wirklich einmal gespannt.

Kollege Noll hatte keine Antwort auf die Frage von Herrn Al-Wazir. Er hat nur einmal mehr zum Ausdruck gebracht, dass er von der kommunalen Not und der kommunalen Wirklichkeit in diesem Lande überhaupt keine Ahnung hat.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Er hat auch nicht die Frage beantwortet – das frage ich noch den Minister –, warum die Schulden der Eigenbetriebe draußen gelassen worden sind. Ist das nicht genauso willkürlich? Am Ende kommt man zu dem Ergebnis – diese Zahl ist unstreitig –, dass Ende des letzten Jahres die hessischen Kommunen einschließlich der Kassenkredite mit 15 Milliarden € verschuldet waren. Was macht die Landesregierung jetzt: Sie ist bereit, großzügig 2,8 Milliarden € zu erlassen. Das ist übrigens gerade die Hälfte des Defizits, das unter der CDU-geführten Landesregierung angehäuft worden ist. Die kommunalen

Schulden sind vom Jahr 2000 von 9 Milliarden € auf 15 Milliarden € Ende des letzten Jahres angestiegen.

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Von den aufgelaufenen Schulden der kommunalen Seite übernimmt das Land mit den 2,8 Milliarden € noch nicht einmal ein Fünftel – wenn man es genau ausrechnet, sind es 18,6 %. Dafür sollen wir Sie loben.

Der entscheidende Punkt ist doch, dass die Einnahmebasis der Kommunen nicht nachhaltig verbessert wird. Auf der anderen Seite wird die Belastungssituation der Kommunen auch nicht verändert. Das ist doch die zentrale Frage, dass gerade im Sozialbereich mit wunderbaren Dingen – das reicht von der Eingliederungshilfe für Behinderte über die Grundsicherung für Ältere bis hin zur Kinderbetreuung – der Bundesgesetzgeber und an der einen oder anderen Stelle auch der Landesgesetzgeber wunderbare Gesetze verabschiedet, aber vergessen haben, der kommunalen Ebene die Mittel dafür zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schmidt, Sie kommen bitte zum Ende.

Das ist der entscheidende Punkt. Ohne dass wir die Belastungssituation verändern und die Einnahmebasis der Kommunen verbessern, bleibt dieser Schutzschirm ein löchriger Schirm, der keinen Beifall verdient. Wir werden uns weiterhin sehr kritisch mit diesem Schutzschirm auseinandersetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)