Protocol of the Session on December 14, 2011

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist vielleicht das Erfreulichste des Jahres 2011: In vielen Ländern der Welt, zu Beginn des Jahres 2011 in der arabischen Welt, seit wenigen Tagen in Russland, fordern immer mehr Menschen Demokratie, Rechtsstaat und Achtung der Menschenrechte. Das macht Hoffnung für die Zukunft der Menschen. In diesem Sinne wünsche ich

Ihnen allen eine besinnliche Weihnachtszeit. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Nun hat Herr Kollege Grumbach für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich will mich für die Fleißarbeit bedanken. Ich glaube aber – damit wäre es fast gut –, dass man einen Moment überlegen muss, ob die Fleißarbeit eigentlich dem Titel gerecht wird. Ich will versuchen, das zu beschreiben.

Ja, das DDR-Unrechtsregime ist hier relativ präzise abgehandelt, ebenso der Umgang damit, und was in Hessen alles passiert. Was noch nicht auftaucht und worüber man reden müsste, ist, ob schon die Zeit für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist. Die findet hier komplett nicht statt. Was auch nicht stattfindet – das finde ich sehr spannend, gerade wenn man davon spricht, dass Demokratie solche Strukturen aufbricht –, ist die Aufarbeitung dessen, was an Bürgerbewegung in der DDR zum Zusammenbruch geführt hat.

Das ist kein Vorwurf, weder an die Fragesteller noch an die Bearbeiter, sondern ich will es einfach beschreiben, weil ich schon glaube, dass wir an der Stelle einen Moment nachdenken müssen, z. B. darüber, wie viel zeitlichen Abstand wir brauchen – Frau Schulz-Asche hat es schon angesprochen –, bis wir in der Lage sind, so etwas zu bereden, ohne dass es als Waffe in der Tagespolitik gebraucht wird. Das zu benutzen, um LINKEN-Bashing zu betreiben, ist relativ einfach. Die Frage ist, wann der Zeitpunkt gekommen ist, ab dem man genauer hinschaut.

Das Spannende ist: Wir erleben ja, dass – sowohl was den Nationalsozialismus als auch die DDR angeht – die Forschungsanstrengungen aus den Vereinigten Staaten diejenigen sind, die neue Aspekte eröffnen. Auch Goldhagen hat einen durchaus umstrittenen, aber spannenden Blick auf den Nationalsozialismus geworfen, der noch einmal die Debatte eingeleitet hat, wie so etwas eigentlich funktioniert. Wenn wir darüber reden, was wir daraus lernen können, ist die Frage, wie es funktioniert, nicht unwichtig.

Es gibt ein neueres Buch aus den Vereinigten Staaten, in dem man sich damit auseinandersetzt, welche Entlastungsmechanismen in so ein System eingebaut worden sind, dass also z. B. in der Auseinandersetzung mit Betriebsführungen in einem solchen Regime Dinge möglich waren, die Entlastungen für die in der Produktion Beschäftigten geschaffen und damit politischen Druck beseitigt haben. Ich glaube, Ansätze, die beschreiben, wie ein solches System überhaupt funktioniert, sind ganz wichtig, wenn wir mehr daraus lernen wollen, als nur sagen zu können: Da gab es ein Unrechtsregime. – Ein Unrechtsregime in Form einer Minderheit gegen eine Mehrheit funktioniert nicht auf Dauer, wenn es nicht auch andere Mechanismen gibt.

Zur Frage, wie stabil die DDR wirklich war, darf ich einmal Wolf Biermann zitieren. Er hat den netten Ausspruch getan, nach dem die DDR offensichtlich instabiler als der Nationalsozialismus gewesen sei, sie hätte dreimal so viel

Geheimpolizei gebraucht, um die Leute im Griff zu behalten.

Die spannende Frage aber ist, wie das in Biografien und bei Menschen ankommt, die durchaus schwierige Rollen gespielt haben. Gestern ist mit Christa Wolf eine der großen deutschen Schriftstellerinnen beerdigt worden, die als Täterin, als Opfer, als Unterstützerin, als Angepasste und als Kritikerin in diesem Land gelebt hat. In ihrer Biografie und ihren Schriften nachzulesen ist manchmal spannender, als nur Ausschnitte aus dem Staatsapparat zu sehen. Ich glaube, dass diese Teile nachgeholt werden müssen – die Frage, was wir aus einer Gesellschaft lernen können, die das Misstrauen gegen die eigene Bevölkerung zum Grundprinzip erhebt. Was können wir daraus lernen, wenn wir bei politischen Entscheidungen oder bei Bürgerentscheiden und Initiativen selbst in Versuchung geraten, es mit Misstrauen zu betrachten, statt es als Bereicherung zu sehen? Was können wir zur Mobilisierung von Demokratie lernen?

In der amerikanischen Literatur gibt es einen sehr langen Strang. Dieser beschäftigt sich damit, ob nicht eine „deutsche Krankheit“, Kadavergehorsam, nur linksgewendet, auch in der DDR zu Folgen geführt hat, die diese Art von Regime überhaupt möglich gemacht haben, und ob es nicht eine der zentralen Aufgaben von Demokratie ist, eine Form zivilen Ungehorsams zu lehren, die es ermöglicht, bewusst mit demokratisch gesinnten Menschen aufzustehen, wenn ein System entartet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Ich will das alles beschreiben, weil ich glaube, dass wir an dieser Stelle nicht zu schmal diskutieren sollten, sondern dass wir noch viel zu lernen haben. Wenn es uns etwas bringen soll, müssen wir mehr lernen als nur den Begriff „Unrechtsregime“. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vielen Dank, Herr Grumbach. – Das Wort hat nun der Kollege Greilich für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „Süddeutsche Zeitung“ betitelte am 30. September 2011 einen Beitrag mit einem Zitat von Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Jahn forderte – ich zitiere –:

Wir müssen die DDR-Diktatur begreifen. Je besser das gelingt, umso besser können wir Demokratie gestalten.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

Diese Intention des Bundesbeauftragten ist heute, 21 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit, wichtiger denn je. Je mehr der zeitliche Abstand zunimmt, desto eher besteht die Gefahr des Vergessens und Verklärens. Aber der zeitliche Abstand ist auch eine Chance. Er schafft den notwendigen Raum für eine wissenschaftliche Aufarbeitung und ermöglicht es der Gesellschaft, die Ver

gangenheit zu begreifen und diese in einem vereinten Deutschland zu bewältigen.

Genau vor diesem Hintergrund haben sich die Fraktionen von CDU und FDP dafür entschieden, diese Große Anfrage zum Thema der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des SED-Unrechtsregimes zu stellen; denn es ist unsere Pflicht, vor allem gegenüber der jungen Generation – den Kindern und Jugendlichen, die die beiden deutschen Staaten nicht mehr selbst erlebt haben und nur rudimentär aus den Geschichtsbüchern oder aber den persönlichen Erzählungen von Eltern, Großeltern und anderen Verwandten kennenlernen –, das Wissen über die sozialistische Diktatur zu vermitteln und ihr das Rüstzeug zu geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist alarmierend, wenn Heranwachsende, aber auch Erwachsene jedes Alters heute nicht in der Lage sind, die menschenverachtende Politik eines totalitären Staates einzuordnen, sie überhaupt nicht kennen und aus vermeintlicher Unwissenheit oder aus ideologisch verblendeten Motiven die Wiedererrichtung der Mauer fordern oder sie sich zurück wünschen.

Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung misst genau aus diesen Motiven der Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur einen hohen Stellenwert bei und hat sie deswegen zu einem Schwerpunkt ihrer Bildungs- und Aufklärungsarbeit gemacht.

Die Zusammenarbeit mit Gedenkstätten, Grenzmuseen wie Point Alpha oder Schifflersgrund, macht einen weiteren wichtigen Baustein in der schulischen Bildungsarbeit aus. Wichtig erscheinen uns dabei die Verknüpfung sowie eine fundierte Vor- und Nachbereitung. Deshalb sind die Fort- und Weiterbildungen von Lehrerinnen und Lehrern wichtige Beiträge, um unseren Kindern und Jugendlichen diese Themen nahezubringen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Der von mir bereits zitierte Bundesbeauftragte Jahn warnte in seinem Beitrag davor, die Opfer zu vergessen, denn „... wenn wir die Opfer vernachlässigen, dann reißen wir die Gräben tiefer und tiefer auf“.

Aus diesem Grund ist es notwendig, den Opfern eine Stimme zu geben und an das geschehene Unrecht zu erinnern. Die authentischen Berichte der Zeitzeugen, die an unsere Schulen gehen oder bei Veranstaltungen der Landeszentrale für politische Bildung oder anderen öffentlichen Institutionen mitwirken, eröffnen oftmals auch den emotionalen Zugang zu diesen Themen. Ich sage nur: Wer einmal in Hohenschönhausen war, wird nicht vergessen, was er dort erlebt hat.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!)

An den Zeitzeugenveranstaltungen und Projekttagen der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung nahmen allein im letzten Jahr über 8.200 Schülerinnen und Schüler teil. Darüber hinaus erhalten Schulklassen und Jugendgruppen Zuschüsse für Besuche in Gedenkstätten und Museen in Hessen und Berlin. Diese Maßnahmen sind in hervorragender Weise dafür geeignet, die schulische Arbeit zu ergänzen. Ich habe mich eben noch einmal erkundigt: Die Kultusministerin hat mir berichtet, dass die von uns schon erwartete umfangreiche Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer jetzt in Druck geht und im Januar bei den Schulen in Hessen ankommen wird. Dafür vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ganz besonders positiv – das will ich hier noch erwähnen – bewerte ich die Zusammenarbeit der hessischen Universitäten mit den Museen und Gedenkstätten zur Geschichte der DDR und zur deutschen Teilung; denn Wissenschaft und Forschung werden nicht nur in den Universitäten betrieben, sondern finden oftmals auch an authentischen Orten statt.

Durch das Wissen und die Erfahrungen können alle voneinander profitieren. Zukünftige Forschungsprojekte wie beispielsweise über die Verflechtung der SED mit der DKP und der DFU sowie anderen Vorfeldorganisationen, insbesondere auf der Grundlage der noch auszuwertenden Akten der Staatssicherheit, gilt es meines Erachtens anzuregen.

Ich komme zum Schluss. Die FDP-Fraktion setzt sich auch zukünftig für eine umfassende politische Bildungsarbeit in diesem Bereich ein; denn die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist ein Schlüssel, um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verstehen und zu verteidigen und sich gegen jede Form von Radikalismus und Extremismus zu wenden. Die Freiheit zu schützen ist und bleibt unsere vornehmste Aufgabe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Greilich. – Für die Landesregierung hat nun Herr Staatsminister Boddenberg das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will voranstellen, dass die Landesregierung zunächst einmal sehr dankbar für diese Anfrage war, weil sie die Chance eröffnet hat – und das ist von allen Rednern gelobt worden –, sehr umfänglich über die Aufklärungsarbeit des Landes Hessen zu berichten. Diese Aufklärungsarbeit liegt nicht nur in den Händen der Politik und der von uns in der öffentlichen Hand getragenen Behörden, sondern ist eine große Leistung insbesondere im Ehrenamt. Ich finde, es gibt gar nicht genug Gelegenheiten, um all denen zu danken, die sich hierbei ehrenamtlich engagieren

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

ich lasse gleich Zeit für den Applaus –, die unter anderem und ganz besonders in der Landeszentrale für politische Bildung weit mehr tun, als das in Arbeitsverträgen steht, und die mit sehr viel Herz und Leidenschaft bei der Aufklärungsarbeit hilfreich und tätig sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Grumbach, Sie haben von der Notwendigkeit einer gesamtheitlichen Aufarbeitung der DDR-Geschichte gesprochen. Ich könnte Ihnen zu dieser Frage eine jüngere Geschichte vortragen. Wir haben vor wenigen Wochen im Deutschen Bundesrat einen Antrag beraten, ein Gesetz zu verlängern – nämlich das Gesetz, das es der Stasiunterlagenbehörde und dem schon mehrfach zitierten Roland Jahn und seinen Mitarbeitern ermöglichen soll, ihre Arbeit bis zum Jahre 2019 fortzusetzen.

Insbesondere soll es – diesen Streitpunkt kennen Sie – dafür sorgen, dass es zukünftig nicht mehr sein darf und sein kann, dass in dieser Behörde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind – zurzeit 47 –, die eine Stasivergangenheit haben. Es muss ein Ende finden, dass Opfer der Stasigewaltherrschaft zur DDR-Diktatur an einem Schreibtisch sitzen und nicht wissen, ob auf der anderen Seite einer der Täter sitzt, dem sie möglicherweise nicht persönlich, aber Familienangehörige und andere in den vergangenen Jahrzehnten begegnet sind.

Es wäre gerade für die Sozialdemokratie mit ihrer jahrhundertelangen demokratischen Tradition eine gute Gelegenheit gewesen, mit vereinten Kräften für dieses Gesetz und dafür zu werben, dass es so wird, wie sich das der Behördenchef Roland Jahn wünscht und vorstellt. Leider hat es nur zwei Länder der sogenannten A-Seite gegeben, die mitgestimmt haben. Das war Rheinland-Pfalz, nachdem ich persönlich und andere dort interveniert und auf die Notwendigkeit der Verlängerung dieses Gesetzes und der Neuregelung hingewiesen haben. Und das zweite Land – auch dafür bin ich sehr dankbar – war BadenWürttemberg mit einer grün-roten Landesregierung, Herr Grumbach, aber andere haben gefehlt. Vielleicht nutzen Sie einen der nächsten Parteitage einmal dazu, mit Parteifreundinnen wie Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen eingehender darüber zu reden, dass man sich dort verweigert hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil er in dieser Antwort auf die Große Anfrage nicht Erwähnung findet, was ich nicht kritisiere, sondern was auch den Umständen der Quantität, die ohnedies schon gewaltig ist, geschuldet ist. Ich hatte hier schon darüber berichtet, dass wir in der Landesvertretung in Berlin in diesem Jahr in Form von acht Veranstaltungen an 50 Jahre Mauerbau und die Teilung Deutschlands erinnert haben, die nicht nur die Hauptstadt, sondern ganz besonders auch die Länder Hessen und Thüringen in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt hat.

Dort war in der ersten Veranstaltung Roland Jahn, der seinerzeit gerade mit der gerade angesprochenen Forderung in der Öffentlichkeit stand und sich sehr alleingelassen fühlte. In der Folge waren viele bedeutende Persönlichkeiten da, die zur Wiederherstellung der deutschen Einheit beigetragen haben, darunter Hans-Dietrich Genscher. Bei dieser Veranstaltung mit Hans-Dietrich Genscher waren zwei Damen, die seinerzeit im Hof der Prager Botschaft gestanden haben.

Ich empfehle jedem, der gerade jüngeren Menschen näherbringen will, was es bedeutet, in Unfreiheit zu leben und diesen Repressalien, dieser Gewalt, dieser Schikane und dieser Unmenschlichkeit ausgesetzt zu sein, Kontakt zu diesen Menschen herzustellen, die sich bereitfinden, als Zeitzeugen bis zum heutigen Tag und sogar noch länger in Zukunft bereitzustehen, um gerade jüngeren Menschen einen sehr authentischen und damit hoch emotionalen Eindruck dessen zu vermitteln, was Unfreiheit bedeutet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)