Protocol of the Session on September 15, 2011

Herr Seyffardt, Sie haben mir jetzt gerade selbst das Stichwort geliefert: Es herrscht eine arge Unruhe im Saal. Ich darf Sie bitten, dem Redner zuzuhören und Ihre Plätze einzunehmen.

(Zuruf von der SPD: Das gilt auch für Herrn Bel- lino!)

Den Kollegen Bellino nehme ich natürlich in Schutz. – Ich empfehle aber auch Herrn Bellino, auf der IAA die Halle 4 zu besuchen und sich einen Überblick über die Entwicklungsmöglichkeiten und Formen der Elektromobilität für die Zukunft zu verschaffen. Hessen ist bereits stark engagiert beim Thema Elektromobilität. Die Erfolge können sich durchaus sehen lassen. Hessen ist vorne, und Hessen will noch besser werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gemeinsam mit den Unternehmen und den Forschungsinstituten gilt es, die Zukunft zu gestalten. Es gibt mehrere gute Gründe für das Engagement der Landesregierung, wenn es um Elektromobilität geht. Fossile Brennstoffe werden in den nächsten Jahrzehnten zur Neige gehen, gleichzeitig steigt der Bedarf an Mobilität in den Schwellenländern dieser Welt. Deshalb ist es nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch ökonomisch sinnvoll, neue Antriebstechniken zu entwickeln, auch wenn der Verbrennungsmotor noch Einsparpotenziale aufweist.

Die Landesregierung möchte Hessen zu einem Leitmarkt für Elektromobilität entwickeln. Die Entwicklung neuer Technologien generiert Nachfrage, schafft Arbeitsplätze und Wachstum. Forschung und Entwicklung sind hier kein Selbstzweck, sie sollten sich stets an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.

Technologische Entwicklung ist ein wichtiger Faktor für wirtschaftliche Wertschöpfung und die Arbeitsplätze von morgen. Lassen Sie mich kurz die Problematik der Luftschadstoffe in unseren Kommunen in die Betrachtung mit einbeziehen. Wir wissen heute, dass unsere Kommunen mit den abgesenkten Grenzwerten, insbesondere bei Stickstoffdioxid, große Probleme haben. Auch hier können alternative Antriebstechnologien durchaus helfen, diese Probleme zu lösen. Ich spreche auch die Lärmbelastung an; auch sie ist mit diesen neuen Technologien lösbar.

Die CDU- und FDP-Fraktion und die Landesregierung bewerten die Elektromobilität nicht zuletzt deshalb als zentrale Zukunftstechnologie und setzen hier einen deutlichen Schwerpunkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Durch die Verwendung von Strom als Energieträger können die unterschiedlichsten regenerativen Energiequellen, ich nenne hier Wind, Sonne und Wasserkraft, für die Mobilität genutzt werden. Hessen ist dabei, ein prädestinierter Standort für die Entwicklung von Mobilitätstechnologien zu werden. An mehreren hessischen Instituten wird zu alternativen Antriebsmethoden geforscht, unterstützt durch das Land.

Das größte Potenzial der Elektromobilität wird momentan bei der Nutzung von Kurzstrecken gesehen. Ich nenne hier auch als Beispiel E-Bikes und Pedelecs. Diese Möglichkeiten werden in Zukunft stärker genutzt werden.

Die Landesregierung wird sicherstellen, dass der Zukunftsstandort Hessen sich auch künftig den Herausforderungen in Sachen Mobilität stellen wird. Unser Ziel ist es, Hessen in diesem Sektor weiter zu stärken und die Rolle, die Hessen bereits spielt, noch weiter nach vorne zu bringen. Das Rhein-Main-Gebiet, das wissen wir, ist bereits jetzt Modellregion für Elektromobilität. Wir arbeiten intensiv daran, den Status einer Schaufensterregion für das Rhein-Main-Gebiet zu erlangen, natürlich auch für den Raum Kassel, der mit eingebunden ist.

Aus diesem Grund wird Hessen auf der weltweit bedeutendsten Mobilitätsmesse, der IAA, mit einem eigenen Stand vertreten sein und Programme, Ideen und Produkte, die in Hessen entwickelt worden sind, vorstellen. Gemeinsam mit den hessischen Unternehmen wollen wir die Potenziale und Chancen in Hessen für die Zukunft nutzen.

Meine Damen und Herren, die besten Technologien nutzen nichts, wenn sie sich nicht am Markt durchsetzen und die Verbraucher sie nicht akzeptieren. Entsprechend ist es uns ein wichtiges Anliegen, die Menschen vor Ort über alternative Antriebsformen zu informieren und aufzuzeigen, welche Vorteile in diesen Technologien im Alltag liegen.

Elektromobilität ist nicht nur eine Frage der Forschung und der Entwicklung, der Produktion und der Logistik, sondern Elektromobilität muss branchenübergreifend gedacht, verstanden und umgesetzt werden, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Es gibt ohne Frage noch Probleme zu lösen. Die Zukunft der Elektromobilität beinhaltet z. B. auch die Frage, ob und in welchem Bereich Batterien, Brennstoffzellen oder Direktversorgung – denken Sie an die Bahn, die das heute schon auf den Bahnstrecken nutzt – mehr und mehr Raum greifen werden.

Wir müssen auch die Frage beantworten, in welchen Zeiträumen sich die Preise der Fahrzeuge entwickeln, damit die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Aber da bin ich guten Mutes, dass die Industrie entsprechend agieren wird.

Letztlich wird der Markt entscheiden, welche Technik – –

Herr Kollege Seyffardt, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Es ist daher von entscheidender Bedeutung, technologieoffen zu forschen und zu fördern. Schon heute entwickeln sich neue Firmen, die unter einfachen Voraussetzungen Elektrofahrzeuge bauen. Hessen ist gut vorbereitet. Wir wollen die Zukunft mitgestalten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Seyffardt. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Heute wird die Internationale Automobilausstellung, die IAA, in Frankfurt eröffnet, und das nimmt die CDU zum Anlass, um die deutsche Automobilindustrie zu bejubeln

(Peter Seyffardt (CDU): Die Elektromobilität!)

und darauf hinzuweisen, dass auch das Land Hessen einen Stand bei der IAA hat.

Derzeit erlebt die Automobilbranche einen Boom mit teils zweistelligen Zuwächsen bei den Verkaufszahlen. Ich will aber daran erinnern, dass es gerade einmal zwei Jahre her ist, dass wir in diesem Haus ganz andere Debatten geführt haben. Dabei ging es um die Krise der Branche und die Rettung von Opel. Tausende Arbeitsplätze standen damals zur Disposition, und nur mithilfe staatlicher Bürgschaften und der Abwrackprämie wurde den Autoherstellern auf Steuerzahlerkosten durch die Krise geholfen.

Meine Damen und Herren, leider haben die Regierungen in Bund und Land diese Krise nicht zum Anlass genommen, einen grundlegenden Umbau der Automobilindustrie hin zu einer ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Mobilitätsbranche einzuleiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ursachen der letzten Krise sind nicht gebannt. Es werden immer noch zu viele und vor allem zu große Autos produziert. Dabei ist seit vielen Jahren klar, dass eine weitere Zunahme des motorisierten Individualverkehrs kein Zukunftsmodell sein kann. Das liegt an einer Vielzahl von Faktoren, vor allem aber daran, dass der Autoverkehr extrem ressourcenintensiv ist. Hohe volkswirtschaftliche Kosten entstehen zudem durch den hohen Flächenverbrauch, aber auch in Form der vielen Zeit, die die Menschen im Auto oder im Stau verbringen.

Daran ändert die Elektromobilität erst einmal gar nichts. Auch beim CO2-Ausstoß schneiden Elektroautos an sich kaum besser ab als herkömmliche Verbrennungsmotoren. Denn die Frage ist: Woher kommt der Strom, und wie wird er erzeugt?

Der ADAC hat ausgerechnet, dass herkömmliche Kleinwagen einen geringeren CO2-Ausstoß verursachen als manche Elektroautos. Dennoch plant die Bundesregierung eine milliardenschwere Subventionierung der Elektromobilität. Bisher haben BMW 26 Millionen €, VW 17 Millionen € und Daimler 63 Millionen € vom Staat bekommen. Die Automobilkonzerne sind offenbar nicht bereit, ihre Forschung selbst zu finanzieren, sondern fordern auch hier Geld vom Staat.

Gerade angesichts der sprudelnden Gewinne in der Automobilbranche sind wir der Meinung, dass diese Konzerne selbst für ihre Forschung bezahlen können. Es ist nicht fair, dass diese Kosten auf die Steuerzahler abgewälzt werden, während die Gewinne den Konzernen zugutekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem geht es bei der Subventionierung darum, dass die deutschen Automobilhersteller vor hohen Strafzahlungen an die Europäische Union bewahrt werden sollen. Ab 2015 sollen strengere Höchstgrenzen für den CO2Ausstoß gelten. Aber die Regelung sieht vor, dass der Schadstoffausstoß als Durchschnitt aller hergestellten Autos eines Unternehmens berechnet werden soll. Elektroautos werden als Null-Emittenten gerechnet, als

ob bei ihrem Energieverbrauch überhaupt kein Gramm CO2 entstehen würde. Dabei ist das Elektroauto nur so sauber wie der Strommix, und der besteht zu einem Großteil aus Kohlestrom.

Zudem wird jedes Elektroauto eineinhalbfach in die Klimabilanz der Flotte eingerechnet. So wird den Unternehmen geholfen, die offiziellen Statistiken zu schönen, ohne dass Daimler und BMW aufhören müssten, ihre tonnenschweren Schadstoffschleudern herzustellen.

Ein schönes Beispiel dafür hat das ARD-Politmagazin „FAKT“ berechnet: Wenn die Daimler-Flotte 2015 theoretisch noch bei 150 g CO2 läge – also weit über dem EUGrenzwert –, dann würden Strafgelder von über 1 Milliarde € fällig. Wenn Daimler aber pro 500.000 Neuwagen zusätzlich noch 20.000 Elektroautos verkauft, dürfen nach der EU-Verordnung 30.000 Autos mit null Emission eingerechnet werden. Das heißt, dass Daimler rechnerisch den CO2-Ausstoss seiner Flotte senken und somit Strafgelder in Höhe von 403 Millionen € sparen könnte.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Darum geht es also!)

Deshalb haben die Hersteller natürlich ein Interesse daran, Elektroautos auch mit wenig Gewinn oder gar keinem Gewinn auf den Markt zu bringen, und dank der staatlichen Förderung bei der Forschung sind die Kosten, die dabei entstehen, überschaubar.

Die Elektroautos dienen also vor allem als Feigenblatt. Es geht um eine Strategie, die die deutschen Autohersteller vor einer wirklichen technischen Wende zu bewahren versucht, indem Sie sie weiterhin ineffiziente und große Verbrennungsmotoren produzieren lassen.

Meine Damen und Herren, der durchschnittliche Autokäufer ist heute über 50 Jahre alt. Bei jungen Menschen hat die Autoindustrie erhebliche Absatzprobleme, weil viele junge Menschen verstärkt auf den öffentlichen Personennahverkehr oder Angebote wie Carsharing setzen. Wenn nicht bald Perspektiven für die Automobilindustrie entwickelt werden, werden wir hier in wenigen Jahren wieder über Rettungspakete für die Automobilindustrie reden.

Die Elektromobilität kann eine Rolle spielen, wenn sie eingebettet ist in ein integriertes Verkehrskonzept: aber einfach den Verbrennungsmotor durch den Elektromotor zu ersetzen, greift zu kurz, zumal sich viele Menschen aufgrund der geringen Reichweite ein Elektroauto als Zweitoder Drittauto zulegen. Das ist sicher nicht Sinn der Sache.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Wissler, ich darf Sie bitten, zum Schluss der Rede zu kommen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich komme zum Schluss. – Eine nachhaltige Verkehrspolitik, die Arbeitsplätze sichert und mit dem Ressourcenschutz und den klimapolitischen Notwendigkeiten vereinbar ist, muss weg vom motorisierten Individualverkehr. Deshalb brauchen wir keine Musterregion für die Elektromobilität, wir brauchen einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und eine ausreichende Finanzierung. Wir brauchen vor al

lem eine Vermeidung von Verkehr. Vor allem muss diese Landesregierung aufhören, den Verkehr konsequent auszuklammern, wenn es um Klimaschutz- und Energieeinsparziele geht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Müller von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Hessen auf der IAA – Zukunftsstandort für Elektromobilität ausbauen“, das hört sich erst einmal vielversprechend an. Das ist es aber anscheinend nicht, denn sonst bräuchten Sie nicht diese Aktuelle Stunde als Werbeveranstaltung, damit außer mir noch jemand hingeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Seyffardt hat es eben ausgeführt, aber auch er redet, wenn er von Elektromobilität redet, eigentlich nur von Elektroverkehr.

(Zuruf des Abg. Peter Seyffardt (CDU))