Aber wir als LINKE sind sehr mitfühlend und stets hilfsbereit, nicht wahr, Herr Müller? Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht,
damit Sie diesen Fehler korrigieren können. Mit unserem Änderungsantrag wollen wir das Wort „Milliarden“ durch das Wort „Millionen“ ersetzen. Damit wird Ihr Antrag noch nicht richtig, aber immerhin ein bisschen weniger peinlich.
Herr Bellino, immer wieder gerne. Vielleicht schicken Sie uns die Anträge in Zukunft einfach, bevor Sie sie einreichen. Das könnte sie qualitativ besser machen.
Meine Damen und Herren, derzeit trüben sich die Konjunkturaussichten schon wieder merklich ein. Das wird sich auch wieder auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen.
Im zweiten Quartal ist die Wirtschaft um magere 0,1 % gewachsen. Sorgen machen den Ökonomen besonders der zurückgehende Export und die trüben Aussichten in der Eurozone. Die Eurozone ist der wichtigste Abnehmer der deutschen und auch der hessischen Exporte. Daran haben auch all die intensiven Gespräche der Landesregierung mit den kommunistischen Parteien Chinas, Vietnams und Kubas bislang nichts geändert.
Meine Damen und Herren, der „Spiegel“ titelte vor Kurzem mit der Warnung vor einem Gelduntergang. Die Schulden der Banken sind auf die Staaten übergegangen. CDU und FDP sind miteinander und innerhalb der Parteien, wie wir heute Morgen sehen konnten, überhaupt nicht einig, wie sie auf diese Krise des Euro reagieren sollen. Das haben wir heute erlebt. Herr Minister Hahn hat sich hierhin gestellt und eine 2-prozentige Steigerung des DAX gegenüber dem Vortag als Beleg dafür angeführt, dass alles in Butter ist.
Geschenkt. Eine schnellere UMTS-Verbindung ersetzt auch noch keine gute Politik, will ich an der Stelle nur sagen. Aber die Logik dabei ist: Wenn der DAX morgens steigt und nachmittags fällt, dann haben wir morgens Aufschwung und abends Krise. So ist die Logik von Herrn Minister Hahn.
Tatsache ist, dass sich der DAX alle paar Minuten ändert. Gerade das zeigt, dass es kein Indikator für die Wirtschaftsentwicklung ist, weil der Wert wenige Minuten später schon wieder obsolet ist. So gesehen, kann man sagen, dass es beim DAX ähnlich ist wie bei der Bundesregierung: Es gibt alle paar Minuten etwas Neues, über das man diskutieren kann.
Gerade dieses kurzfristige Schauen auf Aktienkurse, wie es Herr Minister Hahn heute Morgen demonstriert hat, war es, was in diese Krise geführt hat: dass kurzfristige Gewinne wichtiger waren als langfristige, nachhaltige Entwicklung, dass die Zuckungen der Aktienkurse wichtiger waren als die realen wirtschaftlichen Entwicklungen. Dass Sie aus dieser Krise überhaupt nichts gelernt haben, hat Minister Hahn heute Morgen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Wenn man sich hierhin stellt und sagt: „Alles okay“, dann frage ich mich schon, ob Sie in den Zeitungen mehr lesen als den Regionalteil.
Aber manchmal reicht es schon, den Regionalteil zu lesen, um durchaus Erhellendes zu sehen. Da findet man selbst im tiefsten Schwarz manchmal einen Lichtstrahl. In diesem Fall kommt er aus dem Main-Kinzig-Kreis. Meine Damen und Herren, ich habe heute in der „Hanau Post“ von gestern einen großen Artikel gefunden: „Reiche in die Pflicht nehmen“.
„In fast allen westlichen Industrieländern haben die Staaten mit viel Geld der Wirtschaft geholfen. Doch wer schultert diese enorme Schuldenlast? Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die den finanziellen Großschaden bezahlen müssen, für die Misere sind sie aber überhaupt nicht verantwortlich“, so Lenz.
Recht hat Herr Kollege Lenz. Er beklagt, dass sich die Einkommensschere massiv geöffnet habe, dass die 10 % der Reichen Krisengewinner seien, dass die Spitzenverdiener unserer Gesellschaft so wohlhabend seien wie nie zuvor.
Hören Sie einmal zu. Jetzt sagt einmal einer aus Ihrer Partei etwas Sinnvolles, dann hören Sie auch zu.
Er beklagt, dass die Einkommen der untersten 15 % um 8,5 % gesunken sind, und er sagt, das sei alarmierend für die Entwicklung der Gesellschaft. Die Kommunen und die öffentlichen Haushalte seien unterfinanziert, so Lenz. Deshalb sei die Forderung nach einer Reichensteuer richtig. Ich kann nur sagen: Ich wünsche Herrn Lenz viel Kraft, viel Ausdauer und vor allem viel Erfolg.
Meine Damen und Herren, eine Arbeitslosenquote von 5,8 % im hessischen Durchschnitt, die Sie in Ihrem Antrag bejubeln, ist in der Tat ungewöhnlich. Mit den großen historischen Vergleichen sollten Sie allerdings vorsichtig sein; denn die statistische Erfassung der Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren immer wieder so angepasst worden, dass sich die heutigen Zahlen nicht mehr mit denen von 1990 vergleichen lassen.
Sie wissen, wie viele Erwerbslose aus der Statistik herausfallen, weil sie Ein-Euro-Jobs machen oder von privaten Vermittlern betreut werden. Die Arbeitsmarktreform hat ganze Arbeit geleistet, dass Arbeitslose aus der Statistik herausgeflogen sind. Erwerbslos sind diese Menschen aber immer noch.
Es reicht deshalb nicht aus, sich oberflächlich die Zahlen zu betrachten. Man muss sich auch die Qualität der Arbeitsplätze anschauen. Da stellt man fest, dass für viele Beschäftigte der Wechsel vom Jobcenter in den Job oftmals bedeutet, dass sie vom Regen in die Traufe kommen. Denn wer in den letzten Jahren eine neue Arbeitsstelle gefunden hat, der kann davon oft nicht leben. Die Bundesagentur schreibt hierzu – ich darf zitieren –:
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hessen bleibt mit einem Anstieg zum Vorjahr mit 2,1 % weiterhin hinter dem Wert des Bundes... und Westdeutschlands... zurück.
Von daher bin ich der Meinung, dass Sie sich mit Ihrem Jubel doch etwas zurückhalten sollten. Hinzu kommt, dass acht von zehn neu geschaffenen Jobs befristet oder Jobs in der Leiharbeit sind. Das heißt für Menschen, dass ihr Leben nicht mehr planbar ist.
Das trifft also besonders stark junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht mehr wissen, ob sie eine Familie gründen können, weil sie vielleicht im nächsten Jahr keinen Job mehr haben. Das sind junge Menschen, die von einer Bank nicht einmal mehr einen Kredit bekommen, weil sie eben keine Sicherheiten vorweisen können. Viele junge Menschen finden überhaupt nicht mehr eine bezahlte Tätigkeit, sondern sie hangeln sich als Generation Praktikum von Betrieb zu Betrieb.
Der Einstieg in eine tariflich bezahlte Vollzeitstelle, die der eigenen Qualifikation entspricht, wird immer schwerer. Die Lohnentwicklung bleibt hinter dem Wachstum und hinter der Produktivitätssteigerung weit zurück. Die Reallöhne sinken in Deutschland. Darauf hat der Kollege Lenz auch sehr richtig hingewiesen.
300.000 Menschen arbeiten mittlerweile in Hessen zu Niedriglöhnen. Das sind 22 % aller Beschäftigten. Ich bin der Meinung, dass das ein wirklicher Skandal ist, wenn Menschen in Vollzeit arbeiten und dann nicht von ihrer Arbeit leben können und zur Arbeitsagentur gehen müssen, um als Aufstocker dann noch ergänzende Leistungen zu beantragen. Das ist nicht menschenwürdig. Da wird aber auch auf Kosten der Allgemeinheit ein Lohndumping betrieben, dem Einhalt geboten werden muss. Deswegen brauchen wir endlich den gesetzlichen Mindestlohn, wie wir ihn in fast allen anderen Ländern der EU auch haben.
Ich will auch darauf verweisen, dass Frauen besonders stark von Niedriglöhnen betroffen sind. Ja, Herr Rock, zur Frauenpolitik haben Sie als FDP besonders viel zu sagen. Das weiß ich. Frauen sind ganz besonders stark von Niedriglohnjobs betroffen. Auch darauf muss an dieser Stelle hingewiesen werden.
Die Grundlage für Ihren Jubelantrag ist die jüngste Veröffentlichung der Bundesagentur für Arbeit. Ich will nur der Vollständigkeit halber zitieren, dass es bei den Langzeitarbeitslosen zwar einen Rückgang gibt, der aber nach Angaben der Agentur eher niedrig ausfällt. Den Rückgang der Arbeitslosigkeit bei über 50-Jährigen bezeichnet die Agentur als „kleinen Lichtstreifen am Horizont“. Aus diesem kleinen Lichtstreifen am Horizont wird in Ihrem Antrag eine „große Chance“. Das machen Sie mit den Zahlen der Bundesagentur.
Ähnliches gilt auch für die Lage am Ausbildungsmarkt. Auch hier ist klar, dass Tausende Jugendliche auch dieses Jahr keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden werden. Auch hier sagen Sie nichts über die Qualität der Ausbildung. Sie sagen nichts darüber, ob Menschen auch in dem Beruf ausgebildet werden, den sie sich wünschen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich habe es schon gesehen. – Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse ist alarmierend. Deswegen muss die Politik der Agenda 2010 endlich beendet und umgedreht werden. Wir müssen Leiharbeit wieder gesetzlich verbieten. Das war über Jahrzehnte hinweg in Deutschland der Fall. Wir haben ein Wirtschaftswunder in Deutschland erlebt, ohne dass es Leiharbeit überhaupt gab. Es gab hohe Wachstumsraten. Die Möglichkeit, Beschäftigte immer wieder in befristeten Verträgen zu beschäftigen, muss eingedämmt werden, weil diese Menschen nicht mehr planen können.
Ein letzter Satz. Selbstverständlich müssen wir auch sehen, dass Hartz IV und all die Schikanen seitens des Jobcenters natürlich dazu führen, dass Menschen gezwungen werden, jeden erdenklichen Job anzunehmen. Deswegen
muss auch Schluss sein mit dieser Drangsalierung von Erwerbslosen. Deshalb reicht es nicht, sich schöngerechnete Zahlen anzuschauen und diese zu bejubeln. Das nehmen die Menschen nicht mehr ernst. Denn ihre tatsächlichen Sorgen werden dadurch nicht gelöst, sondern nur verschleiert. – Vielen Dank.
Schönen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Bocklet das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von CDU und FDP, ja, in der Tat geht es der hessischen Wirtschaft nicht schlecht, und es geht uns auch besser als vor zwei Jahren. Ich finde, auch in der Opposition muss man die Größe haben, zu sagen, dass es genau so ist.